Grösser als du

Jetzt gehts schon zum “Schweizer Buchpreis”, wo da einzige Buch das ich bis jetzt gelesen habe, nicht mehr auf der Liste steht. Die anderen vier Autoren waren mir, obwohl ich mich ja ein bißchen mit der Schweizer Literatur beschäftigt habe, unbekannt, was auch kritisiert wurden.

Es waren auch zwei Debuts dabei. Eines ist der Gedichtband der 1958 geborenen Veronika Sutter, die als Buchhändlerin arbeitete, sich im Frauenhaus engagiert und das merkt man ihren Geschichte, die Frauen und Männernamen tragen und wieder kunstvoll zu einer Art Roman verbunden sind, denn einige Personen kommen mehrmals vor, auch an.

Es beginnt mit Helen “Unbehaust” heißt die Geschichte, die ich sehr berührend fand, weil sie versöhnlich endet. Da zieht eine Frau nach der Trennung von Remo in eine Wohnung und fühlt sich nicht wohl. Sie fühlt sich wahrscheinlich einsam, auf jeden Fall verfolgt. Am Klo gibt es einen Schacht, wo man früher offenbar Wäsche hinuntergeworfen hat, der Ex ruft an und stalkt ein bißchen, dann kommen Anrufe, wo einer immer wichst und am Balkon gibt es Schritte zu hören. Uje, denkt man schon bis sich alles entspannt, einer seinen Nachbarn sucht, mit dem man dann herrlich Wein trinken und sprechen kann.

Der Nachbar heißt Aexander und hat, Veronika Sutter machts schön surreaal, eine Mutter, die bei einem Restaurantbesuch verstarb, in dem sie mit dem Kopf in die Gurkensuppe fiel und der Sohn muß sie zu Hause aufbahren und möglichst kühlhalten.

Melanie hat, wie einige Frauen in dem Buch einen gewalttätigen Mann, der sehr eifersüchtig ist und in einer der Geschichten schafft sie es dann ihm den Betrug, den sie mit einem Handwerker hatte, einzugestehen und Gloria schafft es sich von ihren Aldo zu trennen, während Walter Eigenmann, der bald in den Ruhestand tritt, in seiner Mittagspause eine Frau bestellt, die ihm Fragen für eine Art Nachruf stellen soll. Da gibt es dann eine Panne, da sie ihm dabei als Spanner entlarvt.

Vivi erfährt von ihrer Gynäkologin, daß sie Syphilis hat, aber woher hat das Kevin ihr Freund, der sie angesteckt hat.

In “Freesien” geht es um Glorias Großmutter, die im Sterben liegt. Sie hat diese Blumen geliebt, sie sind auch bei ihrem Begräbnis zu finden, die eine Tochter hat angekündigt erst zum Begräbnis zu kommen, die andere, Selma, Glorias Mutter ist froh, daß die sich um alles kümmert und die erinnert sich, an die Freesien, die sie und die Großmutter vorbereiten, als die Mutter von der Entzugsklinik zurückkam, aber die wollte sie nicht haben.

In “Royal Palace” erinnert sich Helen an die Zeit, als sie, um Französisch zu lernen, als Buffetmädchen in Montreux arbeitete und da Madame St. John kennenlernte, die eine Schundheftschreiberin war und sich zweimal wöchentlich von Lausanne in das Hotel zum dinieren chauffieren ließ und ihr Zimmer sehen wollte. Auch eine geheimnisvolle Geschichte, obwohl ich bezweifeln würde, daß man mit Heftchenromanen so viel Geld verdienen kann.

Es ist vielleicht ein bißchen schwierig, die zeitlichen und beziehungsmäßigen Zusammenhänge der Geschichten, die zwischen feministischer Gesellschaftskritik und Surrealität schwanken und daher höchst eindrucksvoll sind, zu erfaßen.

Aber die Urusla, Walters Eigenmanns Frau, will, wie immer eine Woche nach Ligurien fahren, um dort ihren Liebhaber zu treffen, da versäumt sie seine Pensionierung. Aber der Lebhaber sagt ab, so folgt sie einen, der ihr bei einer verklemmten Schnalle hilft ins Hotelzimmer und verkündet dann ihrem Ehemann, daß sie ihren Mädchennamen wieder annehmen will.

Aldo, Glorias Ex-Ehemann hat sehr beeindruckende Träume, so kämpfen zwei Mäuse in einem Milchtopf ums Überleben. Die eine säuft ab, die andere strampelt die Milch zur Butter, kann über den Rand dann aber doch nicht heraus und während Aldo das sieht, geht seine Ex Gloria zum Frauenstreik. Diese Stelle hat Veronika Sutter bei der “Blauen Stunde” in Frankfurt, glaube ich, gelesen, das wird aber behindert, weil eine Frau ermordet wurde, weil sie auch dorthin wollte und der Täter war ihr Ex-Ehemann.

“Größer als du”, ist dann die letzte Geschichte, da ist Caro, Glorias Freundin, die Potagonistin und die hat Schuldgefühle, weil ihr Mann als er in die Limmat sprang, um seine Angst zu überwinden, an einem Herzanfall verstarb und das natürlich einen Mann erzählt.

Ein interessantes Buch, obwohl ich Erzählungen eigentlich nicht mag und hier auch meine Schwierigkeiten wieder merkte, mich erstens nicht recht auszukennen und manchmal bei einem Text nicht mitkam, weil ich in Gedanken noch beim vorigen war.

Blaue Frau

Buch achtzehn des dBps, das letzte der Shortlist und das Siegerbuch, außerdem gehört es noch zu den der fünf aufmüpfigen diversen Frauen, ist auf meiner Shortlist und ich denke auch, daß es meinen bisherigen Favoritentip nämlich “Identit” verdrängt. Ferdinand Schmalz habe ich noch nicht gelesen, mal sehen ob er auf meine Shortlist kommt?

Und die 1974 in Potsdam geborene Antje Ravic Strubel, die wahrscheinlich auch einmal in Klagenfurt gelesen kann, kenne ich, weil ich einmal ein paar ihrer Bücher aus der “Buchlandungs-Averkaufsliste” fand, sie gelesen oder überflogen habe. Sehr beeindruckt haben sie mich, glaube ich, nicht. Dann hat sie in Leipzig als ich gerade “Paul und Paula” geschrieben habe, aus den “Wäldern des menschlichen Herzen” gelesen und vor kurzem war sie in der “Gesellschaft” und hat dort über die “Blaue Frau” gesprochen.

Weil das Buch erst spät zu mir gekommen ist, habe ich vorher schon einiges darüber gehört. Einigen Bloggern hat es gefallen, anderen glaube ih auch nicht. Ich habe es eher für ein Transbuch gehalten, weil sich Antje Ravic Strubel ja, glaube ich, auch dazu bekennt, es ist aber ein Buch über die Gewalt an Frauen und da wird das Thema sicher literarischer, als bei Bettina Wilpert und es spricht sich auch gegen die Diskriminierung aus.

Vor allem ist es, glaube ich, hervorragend geschrieben, poetisch und literarisch und die Hauptperson Adina, eine junge Tschechin ist schon in “Unter Schnee” vorgekommen. Die ist als die letzte oder einzige Jugendlichen in einem kleinen tschechischen Ort im Riesengebirge aufgewachsen. Nennt sich in Chats “Der letzte Mohikaner” und geht dann nach Deutschland, um zu studieren. Lernt dort eine Fotografin kenne und macht ein Praktikum in der Uckermarck. Dort erlebt sie sexuelle Gewalt, flüchtet damit, weil das niemand ernst nimmt, nach Helinski ,verkriecht sich dort in einen Plattenbau und die Geschichte beginnt.

Sie wird also von hinten nach vorne aufgewickelt und dazwischen gibt es immer wieder die “Blaue Frau-Passagen”, wo sich eine Schriftstellerin, ich interpretiere sie als die Autorin über das Schreiben unterhält, also so etwas wie das “Kaffeetrinken mit der Poesie” der Simone Hirth.

Es gibt auch noch einen Leonides, einen estnischen Europaabgeordneten, mit dem Adina ein Verhältnis hat und der will an ihren Peiniger einen Menschenrechtspreis vergeben, worauf sie ihn verläßt, das führt wieder zu der Frage, ob man das Werk von der Person trennen darf?

Bei einem Menschenrechtspreis würde ich sagen, der gehört vielleicht nicht an einem Grapscher, aber da haben sich schon mehrer “weiße ältere Politiker” an jungen Frauen vergriffen oder die sind vielleicht fünf jahre später kurz vor der Wahl daraufgekommen, daß sie das thematisieren könnten. Man sieht das Thema ist vielschichtig und ich denke immer noch, daß die Weinheber-Gedicht trotzdem großartig bleiben, auch wenn er ein überzeugter Nazi war und generell denke ich, wenn sich alle an den Hausverstand oder die zehn Gebote halten, wäre die Welt viel besser.

Dann gäbe es aber vielleicht auch keine Bücher, wie dieses und Andina kreist auch um die Frage, ob sie das zur Anzeige bringen soll? Die Anwältin rät ab, weil die Aussichten, daß ihr geglaubt wird, sehr gering und Antje Ravic Strubel hat, glaube ich, bei der Preisverleihung auch gesagt, daß sie während des Schreibens, sie hat acht jahre für das Buch gebraucht, daraufgekommen ist, wie häufig Gewalt an Frauen passiert.

Also auch ein sehr politisches Buch, wo ich wieder schreiben werde, daß es mir das literarischer, als bei Olga Flor ausgedrückt, vorkommt.

Die kalten Sekunden

Jetzt kommt ein Plädoyer gegen Gewalt an Frauen, der 1987 geborene Pole Remigiusz Mroz, der Jus studierte, aber mit seinen “nicht einmal noch dreißig Jahren schon fünfundzwanzig Bücher veröffentlicht hat”, hat die Thrillerform dafür gewählt, wie auch am Cover steht.

Das heißt, daß es immer wieder ungewöhnliche Wendungen und einen großen Spannungsbogen gibt, obwohl dann wieder über weite Strecken, die ganz banale alltägliche Gewalt beschrieben wird und weil es soviele Spannungsbögen gibt, erscheint mir auch einiges offen, unverständlich und nicht ganz nachvollziebar, was aber vielleicht auch Absicht war, ist das Leben doch nicht logisch zu erklären, obwohl die Krimileser das natürlich wollen.

Ungewöhnlich ist vielleicht auch, daß es zwei Ich-Perspektiven gibt. Da ist einmal Damian Werner, im folgenden Wern genannt, obwohl er das gar nicht will, der hat vor zehn Jahren seine Braut Ewa verloren, was ihn völlig aus der Spur brachte, sein Wirtschaftsstudium aufgegeben, sandelt er als Barkeeper vor sich hin, bis ihm ein Freund die Nachricht überbringt, er hätte Ewa auf einem Konzert gesehen.

Er geht zur Polizei, wird dort nicht ernst genommen, als aber später der Freund ermodert wird, flüchtet er zu seinen Eltern und kommt auch zu dem Schluß, daß Ewa noch leben muß, obwohl ihre Leiche kurz darauf gefunden wird.

Die zweite Perspektive ist Kassandra Reimann, das ist die Frau des Besitzer des Detektivbüros, an das sich der Freund wandte, um die Sache aufzuklären und da beginnen, dann die nicht so thrillertypischen Elemente.

Denn Kassandra, die schon am Vormittag trinkt, wird, stellt sich bald heraus, von ihrem Mann mißhandelt und gequält. Sie erduldet, was auch nicht so ganz logisch ist, alles wegen ihres  Sohns, der in dem Buch aber kaum vorkommt oder, wie in Trance herumläuft.

Dafür kommen die Angestellten in dem Haus vor, die Kassandra überwachen, die Hausarbeit wird aber von ihr und ihrem Mann erledigt. Kassandra kann sich nur gelegentlich in ihr Zimmer flüchtet und dort nimmt sie eine Internetverbindung mit Damian Werner auf, der inzwischen mit Internetbotschaften von Ewa durch das ganze Land gejagt wird. Die Polizei ist ihm auf der Spur, er kann aber immer glücklich entkommen.

Kassandra überweist inzwischen das Geld ihres Mannes an ihn, damit er sie und ihren Sohn retten kann und als der besonders brutal zuschlägt und schon alle Rippen gebrochen hat, steht Wern vor der Tür, wird aber auch niedergeschlagen. Kassandra tötet nun ihren Quäler und stellt sich als die verschwundene Ewa heraus.

Sie war es dann doch nicht, kann ich gleich spoilern, flieht aber mit Wern und dem Kind bis an die ukrainische Grenze. Dort kommt es zu einer neuerlichen Wende, Kassandra kann sich retten, Damian wird zurückgelassen und sie hat fortan Schuldgefühle, ob es richtig war, das zu tun, aber um all die Frauen, die sie vielleicht mittretten konnte, lohnt es sich vielleicht wieder. Kassandras Handlungsstategien und auch das Buch zu lesen, das ein ungewöhnlicher Thriller aus einer ungewöhnlichen Thrillerrichtung kommt. Schon daher lohnt es sich wahrscheinlich das Buch zu lesen und ein Nachwort, das sich gegen die Gewalt, die den Frauen täglich in Polen und wahrscheinlich auch sonst in der Welt richtet,  widerfährt, gibt es auch.

Saison der Wirbelstürme

Jetzt kommt noch ein Debut, allerdings eines der 1982 in Mexiko geborenen Fernanda Melchor, die sich in ihrem Buch mit der Gewalt an Frauen beschäftigt, in Zeiten wie diesen ein sehr wichtiges Thema, wo die Unterdrückung an Frauen sowohl von den muslimischen Kulturen als auch von den Rechten kommt und Mexiko macht mit seinen Frauenmorden auch immer wieder Schlagzeilen.

Im Vorwort steht, daß Teile der Geschichte auf wahren Tatsachen beruht, am Schluß wird einigen Journalisten gedankt und dazwischen zieht es sich in sieben Kapitel hin zwischen dem bekannten lateinamerikanischen magischen Realismus und einer sehr auffälligen brutalen schonungslosen Sprache der Autorin, wo vor sich hin geflucht und geschimpft wird, wie man es literarisch vielleicht noch nicht so gehört hat.

“Die Vergessenen oder Die Medusa von La Matosa” titelt der “Falter” seine Kurzrezension und es beginnt am Mord einer “Hexe”, einer alten Frau, die umgeben von Schmutz und Müll in einem heruntergekommenen Haus eine Art esoterische Heilerpraxis betrieb, in der sie sicher auch Abtreibungen vornahm und von deren unsagbaren Reichtum man munkelt.

Das beschreibt das erste Kapitel in der schon erwähnten deftigen Sprache. Dann geht es zu den verdächtigten Jugendlichen. Jungs um die vierzehn, die die Gewalt, die sie erlebten an ihre Schwestern und Cousinen weitergeben, die sie von ihren Müttern habe, die von ihren Männern längst verlassen wurden oder sich das Leben durch Prostitution erkauften.

die Gegend in der das Ganze spielt ist arm und heruntergekommen. Die Jungs träumen von billigen oder auch teueren Addias-Schuhen oder billigen vermischten Koks. Die Frauen wahrscheinlich von der Liebe, die sie nie bekommen haben und höchstwahrscheinlich auch nicht annehmen können und das Ganze spielt in dem Haus der Hexe, einem heruntergekommenen Krankenhaus, wo man nach der Vergewaltigung oder Abtreibung von der Sozialarbeiterin noch angebunden wird, in der Kirche, der Katholizismus mit seinem Reichtum und den billigen Madonnen die in den Häusern der Armen stehen, spielt in Mexiko ja  eine große Rolle und natürlich auch im Gefängnis.

Dazwischen wird es immer mal ein bisschen magisch durchtränkt und wir bleiben mit offenen Mund vor der Gewalt, der Armut und den Terror, den es auf der Welt noch gibt und  den man hierzulande längst überwunden glaube, nach dem Lesen zurück.

So ist das bei “Wagenbach” erschienene Buches sehr zu empfehlen und wer die Autorin kennenlernen möchte. Sie kommt am ersten April nach Wien und liest um neunzehn Uhr in der Hauptbücherei am Urban Loritz Platz.

Ein Glas Wein gibt es, glaube ich, nachher auch.

Im Blick

Nun kommt das zweite Buch aus der “Kremayr& Scheriau” Frühjahrsproduktion, da hat mir Tanja Raich schon in Leipzig die Frühjahrsvorschau übergeben.

Barbara Riegers Debut habe ich noch vor unserem Urlaub besprochen. Danach kamen die “Buchpreise” und die Bücherflut. Die zwei anderen Bücher habe ich noch später bekommen, so daß sich das Lesen in diesem Jahr wahrscheinlich nicht mehr ausgegehen wird.

Barbara Riegers “Bis ans Ende Marie” ist ein, wie das so schön heißt “Coming of Age”- Roman, also einer der vom Erwachsenwerden handelt und da habe ich mich ja mit “Bookster” zerstritten, weil ich ihm die Frage “spoilerte”, ob die Marie und die Erzählerin dieselbe Person wären?

Ich weiß das noch immer nicht so genau, aber bei Marie Luise Lehners dritten Buch, das wieder als Roman gehandelt wird, obwohl es keiner ist “Im Blick” stellte sich mir eine ähnliche Frage, ob das “Du” zu dem, die Erzählerin spricht, ein Mann, eine Frau oder überhaupt geschlechtlos ist?

Darum geht es auch in dem Buch, das man vielleicht auch als ein “Coming of age” bezeichnen könnte, um das Erwachsenen werden als Frau in dieser Gesellschaft, um Frauenfreundschaft, lesbische Beziehungen, Gewalt an Frauen und noch um vieles mehr.

Die 1995 geborene Marie Luise Lehner habe ich, glaube ich, bei einer Lesung der Sprachkunst im Literaturhaus kennengelernt, da hatte sie, glaube ich, schon ein Buch, das zweite, ihr erstes bei “Kremayr & Scheriau” “Fliegenpilze aus Kork” habe ich gelesen und war dann beim vorigen “Alpha” sehr erstaunt “And the winner is…” zu hören.

“Was eine so junge Frau?”

Und ihr jetziges Buch, das aus längeren oder kürzeren sprachlich kunstvollen  Sequenzen besteht, ein paar Gedichte sind auch dabei, macht es einer oder einem vom Inhalt her, auch nicht sehr leicht, es zu lesen. Sind die Fragen oder die Antworten, die es darauf gibt, oft sehr unbequem, verstörend oder überhaupt nicht so leicht zu stellen und zu beantworten.

Es gibt zwei Handlungsstänge. In dem einen wird das Aufwachsen  der namenlosen Erzählerin, einer lesbischen Frau, wie sie sich outet, zu einer Anja von deren zehnten bis einundzwanzigsten Lebensjahr erzäht.

“Anja und ich sind gemeinsam zehn…, etcetera.”

Im Zweiten, die Beziehung des Ichs zu einem du, von dem mir obwohl es bei “Amazon” anders steht, nicht so klar wurde, ob das jetzt die Liebhaberin ist?

Es gibt lange blonde Haare und einen schmalen Körper, ja, dann aber auch wieder sehr männliche Verhaltensweisen. Es gibt auch eine Beziehung, “Die Wölfin”, von der sich das “du” nicht so ganz lösen will und das Ich dann nicht vom “du” obwohl, sie es will, es versucht, sehr unglücklich darüber ist, ihr Wort bricht, etcetera.

Bis mir klar wurde, daß das vielleicht genau das ist, was Marie Luise Lehner erzählen will, daß die Geschlechterzuordnung eben nicht so eindeutig ist und sie wanken und schwanken kann.

Im dritten Strang oder besser zwischendurch wird die Gewalt an den Frauen in allen ihren Facetten und Formen thematisiert.

Marie Luise Lehner ist eine sehr junge Frau und wenn man davon ausgeht, daß sie das Buch mit vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig Jahren geschrieben hat, ist klar, daß es eine sehr junge, für eine über Sechzigjährige vielleicht auch verstörende und nicht so leicht zu verstehende Sprache ist, in der sie das tut.

Die Erlebnisse in der Schule der beiden Mädchen werden thematisiert. Die Schüler zwingen die Lehrer ihnen endlich Sexualaufklärungksunterricht zu geben. Es gibt einen Konstatnin von dem alle behaupten, daß er schwul wäre.

Er dementiert das lange, hat eine Freundin namens Charlote, die er dann auf einem Ball unfair behandelt. DieMädchen der Schule sind deshalb lang bös auf ihn. Die Lehrer rufen die Mutter in die Sprechstunde, sagen “Ihr sohn ist schwul, er soll sich aber anders anziehen, weil er so in der Hierarchie unten durch ist und sich nicht wehren können wird!”

Reagieren Lehrer wirklich so? In meiner Schultzeit nicht und auch in der Rahlgasse wo die Anna war,  würde ich es nicht vermuten, obwohl die Rahlgasse eine sehr fortschrittliche Schule war und vielleicht auch noch ist.

Konstantin outet sich der Erzählerin dann doch. Trifft sich auch mit einem, den er auf einer Plattform kennengelernt hat. Er trifft ihn in einer U- Bahn-Station. Da geht einer auf ihn zu, er umarmt ihm. Es stellt sich aber heruas, daß er ihm nur ein WFF- Abuchauftrag verkaufen wollte.

Die jungen Frauen wachsen sehr selbstbewußt auf, nehmen Drogen, interessieren sich für Kunst, studieren Kunstgeschichte oder Tanz. Reisen viel in der Welt herum und wollen auch den arabischen Raum per Auostop und Coachsurfing erobern.

Aber wie tut man das, als junge Frau in einer Welt der männlichen Gewalt, wo man von den Eltern immer gehört hat, daß man aufpassen muß und zu keinen fremden Mann ins Auto steigen oder in die Wohnung gehen soll?

Da muß muß man schon Strategien entwickeln, sich zu wehren, um einigermaßen unverletzt durch dieWelt zu kommen und da sind wir schon beim Thema von Bettina Wilperts Debutroman, denn es ist auch eine Welt, wo der Alkohol und die Drogen fließen. Pillen werden einen zugesteckt und dann kann es schon sein, daß man sich dann plötzlich in einem Bett befindet, einer Sex von einer will und man sich vielleicht nicht wie man will, wehren und ihn wegstupsen kann.

Dazu gibt es auch eine Szene über die sich nachdenken und diskutieren läßt. Es geht um eine Paula, eine Freundin oder Kollegin von irgendwem. Sie steigt zu einem Mann ins Auto, der zeigt ihr dann seinen Schwanz und streichelt ihr über den Schenkel.

Was jetzt? Soll sie ihn anzeigen?

“Ja!”, raten die engagierten Frauen. Sie tut es und er wird wegen mangelnden Beweisen freigesprochen.

Die über Fünfundsechzigjährige würde auch hier raten, aufpassen zu wem man ins Auto steigt, die Hand wegnehmen und “Steck deinen Schwanz weg!”, energisch sagen.

Anzeigen würde ich das nicht und denke auch, daß das wahrscheinlich nicht nötig ist und auch, wenn die jungen Feministen jetzt aufschreien, denke ich schon, daß ich nicht ganz “unschuldig” bin oder mich vielleicht nicht wundern sollte, daß da eine Hand auf meinen Schenkel liegt, wenn ich zu einem fremden Mann ins Auto steige.

Aber ich bin mit Achtzehn während meines Praktikums in St. Christoph am Arlberg auch öfter nach Innsbruck oder Vorarlberg oder auch nur nach St. Anton Auto gestoppt und es ist nie etwas passiert, obwohl die Älteren natürlich mahnten, daß man das nicht tun soll!

Ein sehr interessantes Buch also, in einer sehr schönen modernen Sprache geschrieben und die politischen Situation, die Demonstration der Identitären, gegen die das Ich mit seinem du, wenn ich mich nicht irre,  demonstriert, wird erwähnt, die Einsparungen der Regierungen bei Frauenprojekten, also hat Marie Luise Lehner das Buch wahrscheinlich später als mit Zweiundzwanzig, sondern in diesem oder letzten Jahr geschrieben.

Es ist kein Roman und Anfangs habe ich gedacht, daß ich damit nicht viel anfangen kann. Dann habe ich weitergelesen. Es ist mir klar geworden, daß es vielleicht nicht so wichtig ist, herauszufinden, ob das “du” jetzt ein Mann oder eine Frau ist und, daß es wahrscheinlich doch sehr interessant und wichtig ist, was uns Marie Luise Lehner da mit ihrer frischen Sprachkunstsprache da erzählt.

 

Stimmen

Es ist ein sehr poetischer, leiser, psychologischer Krimi, den die  1936, bei Fiesole geborene Dacia Maraini, die einige Zeitlang, die Gefährtin Alberto Moravias war und von der ich schon “Bagheria” und “Kinder der Dunkelheit” gelesen habe, da erzählt.

Eine sehr psychologische Geschichte, die auch Zeit für scheinbar Nebensächliches hat und sehr stimmungsvoll Szenen des römischen Alltagsleben der Neunzehnneunziger Jahre so nebenbei erzählt und außerdem war sie, die Feministin, wie ich “Wikipedia” entnehme, eine der ersten, die das Thema Gewalt an Frauen, Kindesmißbrauch etc, salonfähig bzw. in die Literatur hinein brachte.

So handeln ja auch die “Kinder der Dunkelheit” davon und da gibt es auch schon die zahnspangentragende Kommissarin Adele Sofia, halb Südtirolerin mit Tiroler Stube, halb Sizilianerin, die auch noch mit einer Frau zusammenlebt, die taucht in dem, wie am Buchrücken steht, “raffinierten Psychothirller” wieder auf, die Protagonistin ist aber die Ich-Erzählerin Michela Canova, eine Rundfunkjournalistin, wahrscheinlich Dreißigjährig, die von einem Fortbildungsseminar in Mailand in ihre römische Wohnung zurückkehrt und von der Hausmeisterin Stefana erfährt, daß ihre Nachbarin Angela Bari mit mehreren Messerstichen ermordet wurde.

In siebenundfünfzig Kapitel wird der Fall nun aufgeklärt und “Stimmen” heißt das Buch, weil die Rundfunkjournalistin, die oft am Mischpult sitzt, die Musik auflegt und sich über den Psychiater Baldi ärgert, der zu Hause, den weiblichen Anruferinnen, die ihm ihre Probleme schildern, oft seltsame Antworten gibt, ein Faible für Stimmen hat.

So läuft sie ständig mit ihrem “Nagra” herum und nimmt die Stimme von Anglela Baris Verwandten und Bekannten auf, denn ihr Rndfunkdirektor hat ihr auch ein Angebot gemacht eine Serie über ungeklärte Gewalttaten an Frauen zu machen und die will sie an Hand des Falles ihrer Nachbarin aufrollen und die hat offenbar auch auf ihrem Antwortbeantworter angerufen und hat ihr dort ihre Stimme hinterlassen

Es gibt noch eine Reihe anderer seltsamer Begegnungen, so eine Inschrift an der  Hauswand gegenüber, die ständig wechselt, bzw. vom Hausmeister überpiselt wird, “KÜMMERDICH UM DEINEN EIGENEN DRECK!”, beispielsweise ist eine davon. Dann gibt es noch die Beschreibung eines seltsamen Mannes, der im Haus herumschleicht und einmal sogar mit Michela im selben Aufzug fährt.

Von dem hat Angelas Schwester Ludovica, eine chronische Lügnerin und ehemalige Psychiatrieoatientin Michela erzählt und während im Rundfunk Professor Baldi, den Frauen seine Ratschläge gibt, ruft eine Prostiutierte namens Sabrina an und erzählt, Angela hätte auch diese Profession ausgeübt.

Da kommt dann der Zuhälter Nando ins Spiel, er ist der Mann in Aufzug und er dingt auch in Angelas Wohnung ein, um dort eine Kassette zu entwenden und sie Michela zuszspielen und da wären wir wieder bei den Stimmen, denn darauf ist die von Angela, die Märchen erzählt, die alle von Töchtern und ihren gewalttätigen Vätern handelt.

Adele Sofia, die Michela ständig zum Essen einlädt und sehr gute Knödel macht, nimmt das nicht ernst, Nando Pepi wird aber doch verhaftet, als er sich im Gewand eines Scheichs nach Kuweit aus dem Staub machen will.

Seine DNA beweist aber, er war es nicht. Zwar hat sich inzwischen auch die Prostiutierte Sabrina umgebracht, die Spur weist aber weiter, zum Stiefvater Glauco Elia und sogar zu Michelas Freund, Marco, der sich gerade in Angola befindet und dort unerreichbar ist.

Der Stiefvater, der inzwischen von der Mutter Auguster geschieden ist, eine dreißigjährige jüngere Kindfrau geheiratet hat, die gerade in der Nacht des Mordes ein Kind gebiert, so daß der Bildhauer vorrübergehend ein Alibi hat.

Michela macht sich auf den Weg zu seinem verwunschenen Haus, rettet dabei eine verletzte Schildkröte, sie ist, wie die ermordete Angela sehr tierliebend, hat die doch immer ein Kilo Hackfleisch gekauft um die herumstreundenden Katzen damit zu füttern, was heute wohl verboten wäre.

Der Bildhauer schickt Michela aber auch ein Tonband, während er sich an einen sicheren Ort begibt, auf dem er von seinen Kindfrauen, beziehungsweise Beziehungen seinen Stieftöchtern erzählt und richtig Micheala verstorbener Vater taucht in ihren Träumen und Visionen auch immer auf und ich habe 2015, dank der offenen Bücherschränke einen inzwischen wahrscheinlich längst vergriffenen Krimi gelesen, der sehr eindringlich von der Gewalt an den italinischen und wahrscheinlich auch anderen Frauen erzählt und nachweist, daß Thriller auch sehr leise sehr poetisch und manchmal surreal sein können.