Bruder aller Bilder

Daß der 1953 in Augsburg geborene Georg Klein ein schwieriger Autor ist, habe ich, glaube ich schon seit seinem “Bachmann-Preisgewinn” gewußt. Ich habe ihn für experimentell gehalten, “Barbar “Rosa” und “Sünde Güte Blitz”, gelesen und ihn, als ich das letzte Mal in Leipzig war, gesehen, während ich beim”Rowohlt-Stand”auf Herrn Grimm wartete. 2010 hat er auch den”Preis der Leipziger-Buchmesse” bekommen und jetzt wird er vielleicht demnächst mi tseinem neuen Buch auf der neuen deutschen Buchpreisliste stehen? Ich würde es ihm wünschen und schreibe es gleich. Experimentell ist er nicht. Das trifft wohl eher auf Michael Lenz, ebenfalls “Bachmnn-Preisgewinner” zu, aber leicht zu lesen auch nicht.

“Es gibt nur wenige Schriftsteller, die mit einer ähnichen Kunstfertigkeit Verweisnetzte zwischen dem realen und dem Imaginären aufpannen können, ohne dabei berechenbar zu werden. Auch halluzinogene Posa will gekonnt sein”, hat Philipp Theison am Klappenstext geschrieben und am Buchrücken steht noch “Buder aller Bilder führt uns dorthin, wo Vergangenheit und Zukunft, Diesseits und Jenseits sich verflechten: in das Zwischenreich von Medialität und belebter Natur.”, sowie “Georg Klein ist einer der wenigen grossen Sprachkünstler der deutschen Gegenwart”, das hat Thomas Steinveld von der “Süddeutschen Zeitung” geschrieben.

Am Klappentext vorne stehen Zitate statt einer Beschreibung und bei “Amazon” und hinten habe ich gefunden, daß Moni Gottlieb vom Sportreporter Addi Schmuck aller redaktionellen Pflichten freigestellt wird, ihr Smartphone zurücklassen muß und vonihm zu verborgenen Orte geführt wird,die von seinem Freund,dem”Auskenner” bevölkert wird.

Real geht es dann um, etwas anders, was man aber wahrscheinlich erst später rmerkt ,denn richtig, leicht zu lesen ist der Roman nicht und er folgt auch nicht den üblichen Spannungsschema und hat keine wirklich nachvollziehbare Handlung, aber die gibt es bei mir wahrscheinlich auch nicht und da sprechen ja auch Protagonisten mit ihren toten Frauen,die vom Himmel herabschauen und Ätztes geben.

Da ist also MoGo,die bei der “Allgemeinen” arbeitet,sie heißt Moni Gottlieb oder eigentlich Monique und soll dem Spportreporter folgen, aber eigentlich ist ihre Mutter gerade gestorben. Sie hat deren Wohnung ausgeräumt, ist dabei auf ihre alte Uhr gestoßen, die sie aufzuiehen will, aber weil sie ihr Smartphone verlegte und auch sonst keine Uhr in ihrer Wohnung hat, muß sie beim Nachbarn klingeln, einem Doktor Feinmiller, den sie für einen Metreologen oder Physiotherapeuten hält und betrinkt sich mit ihm.

Der Addi Schmuck führt sie dann in ein altes Stadion, wo sein schon erwähnterFreund der”Auskenner”lebt und die Katze, der Mutter, die sie Monique nennen, müßen sie auch versorgen oder bei ihm unterbringen.

Die Kapitel tragen alle Namen,wie “Ulme”,Zwetschge”, Birke”. Zuerst fragt man sich,was das soll? Später kommt man drauf, das Wort wird irgendwo im Text erwähnt. So gibt es beim “Auskenner” beispielsweise Zwetwchkenkuchen”und Monis Vater, bekommen wir heraus, war Bäcker. Der Sportreporter fährt zu einer Konditorei um nochmals Kuchen zu holen und kommt nicht mehr zurück und die tote Mutter beginnt dann sich aus oder vor dem Fernsher in das Geschehen einzumischen. Vorher hat auch schon etwas Surreales stattgefunden. So hat MoGo beispielsweise ihren Nachbarn durch die Wand duschen gesehen. Daß sie ihr Smartphone im Eiskasten findet ist vielleicht ein bißchen weniger surreal. Machen das ja manchmal die Dementen, wie ich schon bei Robert Menasse gelesen habe. Aber dann übernimmt die tote Mutter das Geschehen und schaltet sich vor oder aus dem Fernseher ein, was ein bißchen die Frage beantwortet, die ich mir bis fast zum Schluß stellte, wieso das Buch so heißt?

Wo ist der Bruder und wo die Bilder?, könnte man fragen. Gut, die Kapitelüberschriften lassen vielleicht darauf schließen. Aber der Bruder bleibt noch immer offen. Das habe ich wieder nicht verstanden, liebe Kritiker, das andere vielleicht schon. Den am Schluß heißt es ja:

“Wir beugen uns zusammen über den Fernsehapparat. Jetzt sehe ich, dahinter, in seinem bildröhrnwarmen Schatten, steht noch ein alter, in allen Abspielehren verstaubter Videorecorder. Klick, klick: tonschluss und aller Bilder Ende. Schon hat mein lieber Freund beide Geräte – für uns, für dich, für deine Mama und vorerst für immer – vom Strom genoommen.”

Da sind wir schon bei dem, was man bei Georg Klein besonders rühmen könnte. Seine Sprache, seine Wortschöpfungen, die ich mir immer wieder angestrichen habe, die, glaube ich, wirklich einzigartig ist. Neu wahrscheinlich nicht, wenn man die anderen Bücher gelesen hat. Für mich war es das, diese Vermischung von ganz banalen Sätzen zu immer wieder Neuschöpfungen,die aber eigentlich auch klarund einfach und nicht,wie oft bei anderen Büchern künstlich aufgezwirbelt klingen.

Der Charme der langen Wege

jetzt gibts schon ein bißchen Vorauslesen, denn der 1966 in Wien geborene Hanno Millesi stellt sein neues Buch erst nächste Woche bei den O-Tönen vor und interessant ist auch, daß ich es nicht direkt vom “Atelier-Verlag” bekommen oder von dort angefordert habe. Dann hätten sie es mir wahrscheinlich als PDF geschickt, sondern von einer Literaturagentur das Angebot bekommen habe, so habe ich das Printbuch, was mir ohnehin lieber ist und ich weiß nicht, ob es meine Leser wissen, bin eine Fanin des Autors, dessen Namen ich wahrscheinlich das erste Mal hörte, als ich vom Bund die Nachricht bekommen habe, daß es leider, leider, kein Stipendium für mich gäbe, er aber eines bekommen hat oder war das erst später und ich habe ihn direkt im Literaturhaus bei Ernst Kostals “Wahnsinnsmptom”, wo er sehr beeindruckende Kindertexte gelesen hat, kennengelernt?

Ab da war ich, glaube ich, die Fanin und habe auch bedauert, daß sein Text beim “Bachmannpreis”,wo er später gelesen hat, nicht besonders aufgefallen ist. Das Literaturhaus hat dann ihn, beziehungsweise seine Bücher öfter vorgestellt. Eines seiner Bücher habe ich einmal im Schrank gefunden, aber leider noch nicht gelesen. 2018 ist er dann auf der Longlist des Öst Bp gestanden. Da habe ich das PDF der “Vier Weltteile” gelesen und Hanno Millesi ist, könnte man sagen, einer der, durch seine leise Skurrilität auffällt und so ist es auch hier, wo es um einen Geräuschmacher geht, der sein Gehör verloren hat und dann wird es sehr verwirrend bzw. dstopisch.

Es gibt auch Zeichnungen in dem Buch, die wahrscheinlich vom Autor stammen , der ja auch, glaube ich, Kunst studiert hat und Assistent von Hermnann Nitsch war. Eines zeigt das Denkmal der Kaiserin Maria Theresia am Wiener Maria Theresienplatz. Das Haus des Meeres kommt auch vor und der botanische Garten. Dann geht es aber um eine Stadt namens Z., die auch noch zerstört wurde und zu Beginn, der in einem Kino spielt, tritt der Protagonist Lambert oder Bert auch auf eine Reise in das Weltall auf.

Am Buchrücken steht “Was wie die Laserkanone am Raumschiff Außerirdischer klingt, ist in Wirklichkeit Glasreiniger, der auf eine erhitzte Glasplatte gesprüht wird.”

Dann gibt es offenbar einen Unfall, Lambert, der als Bert in einem Soundstudio arbeitete, verliert sein Gehör, verwandelt sich in in Lambert zurück und geht zu seiner Haushälterin, Frau Hauptmann, die ständig mit einem Staubsauger werkelt und ihn zu unterdrücken scheint. Dann zieht er mit einer Schubkarre und einer DX durch die Stadt. Einen Freund mit einer Imbißbude, der dort alles, also auch Müsliriegel frittiert gibt es auch und als Lambert einmal in die Wohnung seiner Eltern aufbricht, findet er dort in seinem ehemaligen Zimmer offenbar einen Flüchtlingsjungen der sich Sandip nennt. Den macht er dann zu seinem Partner, irrt dann durch das zerstörte Z, wo die Leute selbst ihre Häuser verbrennen und die Leserin ist etwas verwirrt.

Hanno Millesi ist sehr skurril, hat einen unterschwelligen Humor, der mir mir immer sehr gefiel und mich deshalb zu seiner Fanin machte. Ich habe ihn früher auch öfter in der “Alten Schmiede” oder im Literaturhaus im Publikum getroffen, wo er mich auch immer freundlich grüßte und so bin ich auf die Lesung nächste Woche im MQ, sehr gespannt. Hoffentlich regnet es nicht und zitiere zur Abwechslung einmal die letzten Sätze, die mich ebenfall sehr beeindruckt haben und seinen Stil gut erkennen lassen:

“in Frau Hauptmanns Pupillen gespiegelt, begleiten ein paar Flammen ihren Blick ins Innere der Wohnung, und ehe sie daran geht, die üblichen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, muß Frau Hauptmann daran denken, dass ihr Arbeitsgeber alljährlich an diesem Tag behauptet, er verstehe sich darauf mit nichts als einer Packung Prinzenrollenkekse ein weit bedrohlicheres Geräusch zu erzeugen. Um sich einen seiner nicht enden wollenden Vorträge zu ersparen, hat Frau Hauptmann – das fällt ihr jetzt ein – sich nie danach erkundigt, ob er dafür die Kekse oder die Verpackung verwenden würde.”

Wieso das Buch so heißt, habe ich übrigens nicht ganz verstanden. Für mich hätte “Der Geräuschemacher” besser gepasst. Aber villeicht gibt es diesen Titel schon.

Friß oder stirb

Jetzt kommt die zweite” Kremayr & Scherirau-Herbstneuerscheinung” und das zweite Buch über die Schrecken der Kindheit und die Störungen, die sich beim ganz normalen Erwachsenwerden entwickeln können.

Nämlich “Friß oder Stirb” der Roman über eine Eßstörung der 1982 in Graz geborenen Barbara Rieger von der ich nicht nur ihren ersten Roman “Bis ans Ende Marie”, der auch bei den O-Tönen war, gelesen habe, sondern auch ihren Fotoband “Kinder der Poesie”, den über die Kaffeehausliteraten habe ich nur in der “Geellschaft der Literatur” gehört.

Die beiden Bücher sind eigentlich recht ähnlich im Stil, die Barbara Rieger ist natürlich realistischer, aber die Kapitel sind auch oft abgehackt und unterschiedlich lang und die graphische Gestaltung der “Kremyar& Scheriau-bücher” sind in der ganzen Reihe zu loben.

Ein Gebiß am Cover und dann immer Tonbandccassetten bei den einzelnen Kapiteln, die das Leben von Anna zwischen vierzehn und siebenunddreißig schildern. In drei Teilen geht das vor sich “Hinein”, “Rein raus, rein raus” und dann zum Glück “Hinaus” aus der Störungung.

Beginnen tut es mit der Siebenunddreißigjährigen, die wieder zu ihrer Therapeutin geht und die sagt “Gut sehen Sie aus!” und die Lösung des Buches steht auch gleich darunter ” Anna hat angefangen abzunehmen, als sie aufgehört hat, abnehmen zu wollen”, wenn das nur so einfach wäre, diese Anna und mich würde jetzt natürlich interessieren was und wieviel davon autobiografisch ist, hat dreiundzwanzig Jahre dazu gebraucht und, wie es weitergeht, weiß man nicht, in diesen dreiundzwanzig Jahren hat sie aber angefangen alles in Tagesbücher aufzuschreiben und die läßt sie nun los.

Die Kapitel haben die Altersangaben zum Thema, beginnend mit vierzehn und dann hoch bis siebenunddreißig und eigentlich kann ich wieder schreiben, war es eine ganz normale Kindheit, mit der Mutter und Heinz dem Stiefvater, der Vater hat die Mutter verlassen. Die Mutter spricht nicht viel über ihn, gibt der Tochter aber die Adresse und da gibt es etwas Kontakt.

Die Vierzehnjährige hat Freundinnen, die Petra und die Melli. Es gibt einen Kurt, der in Drogen abgleitet, einen Paul. Später mit Siebzehn einen Amerikaaufenthalt bei einer Gastfamilie, das Gymnasium die Schwierigkeiten mit Mathe und Latein und eine Mutter, die immer wieder zum Essen auffordert und sich wundert, daß das Kind nichts ißt.

Das stopft dann bald alles in sich hinein und kotzt es später wieder aus, hat verschiedene Freunde, geht nach Wien zum Studieren, wohnt in verschiedenen WGs, die Mutter mahnt sie “Du bist so wankelhaft!”, gibt ihr dann die Adresse der Therapeutin, da kommt sie mit Zwanzig hin und mit Siebenunddreißig ist sie geheilt, beziehungsweise endet da das Buch, das sehr dicht, von der oder den Eßstörungen erzählt, als Metapher wird die Tiefkühltruhe oder die gefrorenen Gefühle erwählt, die mangelnde liebe und Anna fragt auch einmal ihre Mutter, wie es ihr gegangen ist, als ihr Vater sie damals verlassen hat.

Die Therapeutin mahnt, was ich auch bei meinen Klienten öfter tue, die Mutter so zu lassen und sich selbst zu ändern und man hat, glaube ich, wenn man das Buch gelesen hat, viel über Eßstörungen erfahren.

Es ist sehr dicht und packend, ob es wirklich ein Roman ist , einen wie ihn sich die Literaturwissenschaftler vorstellen, darüber könnte man streiten und beunruhigend ist das buch in Zeiten, wie diesen, wo die Heranwachsenden wahrscheinlich noch zusätzlich durch die Corona-Pandemie und das Abstand halten traumatisiert wird, allemal.

Monster wie wir

Als Nächstes kommt der Debutroman der 1979 in Sachsen geborenen Pfarrerstochter Ulrike Almut Sandig, die auch als Lyrikerin tätig istund die ich einmal in Leipzig lesen hörte.

In einer sehr dichten Sprache wird hier über die Gewalt erzählt, der Kinder in Wahrheit hoffentlich nicht so oft, wie in den Romanen ausgesetzt ist. Von Gewalt, Kindesmißbrauch und den Ohrfeigen, die man auch in einem Pfarrerhaushalt bekommen kann.

Da ist Ruth, die Pfarrerstochter, die später Musikerin wird, bei einem Konzert ihrem Freund Viktor wiedertrifft und einem Voitto sehr metaphernreich, die wohl die Diszzoziationen verdeutlichen sollen, ihre Geschichte erzählt.

Da beginnt es gleich, daß sie als Embryo im Bauch der Mutter geschwommen ist und dann von ihrem Bruder Fly verlassen wurde, der als Erster auf die Welt kam. Sie erzählt ihm das Geschichte und er schüttelt den Kopf, kann sie sich doch nicht daran erinnern können, ist er doch vier Jahre älter als sie.

Der Vater ist ostdeutscher Pfarrer und hat die Kinder nie geschlagen oder doch, ein paar Ohrfeigen hat es gegeben.

Jedenfalls erzählt Ruth Voitto von den vier ihres Leben. Die Mutter eine Apothekengehilfin, ist sehr liebevoll zu den Kinder, erkennt aber in den Vampirbissen von denen Ruth ihr erzählt, die vom Großvater stammen, nur Bremsenstiche und geht dann, als sie sich vom Vater trennen will, mit dem Kind zum Großvater, der ihr vorwirft, daß eine Pfarrersfrau ihren Mann nicht verläßt und Ruth, die inzwischen Geige spielen lernt und es beim Großvater nicht aushält, sie wieder zur Rückkehr bewegt.

Viktor, den halbrussischen oder kleinen Russen, wie Ruths Vater sagt, Offizierssohn, lernt Ruth im Kindergarten kennen, besucht mit ihm später dieselbe Schule und er erzählt ihr vom Mißbrauch, die der Schwager, der Mann der älteren Schwester, die auf ihm aupassen soll, an ihm ausübte, während sonst, was Ulrike Almig Sandig in einem Interwiev thematisierte, darüber der Mantel des Schweigens gelegt wird.

Der zweite Viktor genannte Teil ist der packenste. Da ist die DDR vorbei, Viktor erwachsen und in Springerstiefel, wie ein junger blonder Nazihühne wirkend, auf dem Weg nach Frankreich, wo er sich als Au Pair beworben hat, damit er genommen wird, hat er seinen Namen in Viktoria umgewandelt.

Die Madame nennt ihn Victoire erklärt ihm, daß er nicht nur die Kinder betreuen und Französisch lernen, sondern auch ihre Unterhosen bügeln, staubsaugen und kochen soll. Dafür darf er das alte Brot, das nicht weggeworfen werden darf, in den Kaffee tauchen.

Die Kinder heißen Maud und Lionel, es gibt wieder ein paar poetisch surreal anmutende Szenen, wo Maud die Dinge aus ihrer Sicht erklärt. Maud liegt im Bett der Maman, Lionel in dem des Papas, der nicht sein Vater ist und als Viktor das bemerkt, schlägt er ihn zusammen.

Er wird nicht angezeigt, aber hinausgeworfen und das Aupair-Mädchen im Nachbarhaus, die Ukrainerin Julija, die wie der Großvater, ein alter Frankreichkämpfer, in dem durch Codes gesicherten Haus ein- und ausgeht, um nach dem Rechten zu sehen, bedauert das sehr, denn nun ist Lionel wieder allein und Maud hätte Viktor, wenn er geblieben wäre, sogar ihre Schnecken geschenkt.

Das fand ich packender und überzeugender, als den ersten Teil, wo Ruth, den Großvater in eine Vampirangst dissoziiert, das erscheint mir ein bißchen zu sehr dem Lehrbuch nachempfunden und wie auch anderes poetisch überfrachtet.

Es gibt auch noch einen Schluß- oder dritten, Voitto genannten Teil, in dem Ruth, die offenbar doch Pianistin gerworden ist, während sie vorher die verschiedensten Instrumente ausprobierte, ihrem Freund erzählt, was nach dem Fall der DDR aus dem Pfarrhaus und ihrem Bruder, dem Aktivisten und Filmer geworden ist.

Interessant wahrscheinlich, die Verbindung zwischen DDR und Kindesmißbrauch, interessant auch, das in einer sehr lyrischen Sprache zu erzählen, daß ich damit meine Schwierigkeiten habe, habe ich ja schon öfter geschrieben.

Ein interessantes Buch, schade, daß es nicht beim “Bachmannpreis” vorgestellt wurde.

Aufruhr

Jetzt kommt ein Buch, das auf der österreichischen, als auch auf der deutschen Buchpreisliste stehen könnte, das neue Buch des 1941 in Kapfenberg geborenen Michael Scharangs, von dem ich 1973, als ich mich nach meiner Matura für Literatur zu interessieren begann, etwas hörte, weil da gerade sein Roman “Charly Tractor” erschienen ist.

Den habe ich nicht glesen, wohl aber das “Jüngste Gericht des Michelangelo Spatz” und die “Komödie des Alters”. ein paar andere der Schrang-Bücher, der als ein sehr politischer Autor gilt, habe ich in meinen Regalen stehen und von dem neuen Buch, habe ich im Morgenjournal vor ein paar Wochen gehört und mir gedacht, daß es wahrscheinlich zu Zeiten wie diesen, wo alles ja auch nicht normal sondern in “Aufruhr” ist, passen könnte und dazu passt auch schon der erste Satz, der eigentlich auch ein Aufruhr sein könnte, denn Miael Scharang spoilert hier, was ich ja inzwischen gerlernt habe, daß man das nicht darf, seinen Roman, lautet der doch “Diese Geschichte begann in New York, fand ihre Fortsetzung in Wien und endet damit, dass die österreichische Regierung ins Ausland flüchtet”

Das macht neugierig, weckt bestimmte Assoziationen, so habe ich, da ich ja in Zeiten, wie diesen auch ein wenig in Aufruhr bin und Klarheit brauchte, es bestellt und ich muß sagen, es hat mich eher verwirrt, denn Michael Scharang ist einer, der in seinem neuen Buch von hundersten wahrscheinlich in Millionste kommt und wahrscheinlich an seiner Farce, wie er die Welt beschreibt, großen Spaß hatte. Ich bin aber, fürchte ich, nicht ganz mitgekommen und wurde von den Buch, da ich ja alles immer ganz genau zusammenfassen will, auch überfordert.

Dabei beginnt es eigentlich ganz einfach in New York in Freddys Bar, das Maximilian Spatz, der Sohn jenes Michelangelo Spatz, dem Scharang ja auch ein Buch gewidmet hat, das ich vor 2008 gelesen, also hier noch nicht besprochen habe, aber, wie ich mich erinnen kann, vielleicht auch ein wenig verwirrt war, sich vor seinem Dienst, er ist Psychiater, besucht und dabei einen Mord beobachtet.

Das wird sehr ausführlich erzählt und stimmt eigentlich mit der Beschreibung des Klappentextes nicht überein, denn der setzt erst viel später ein, steht da doch etwas, daß der Psychiater ein Jahr bezahlten Urlaub bekommt und sich in diesem nach Wien begibt, aber vorher geht er noch zu der Familie einer Patientin und spricht mit ihren Kindern.

Er trinkt auch sehr viel, dann geht er zu einer Sitzung und erfährt dort, er wird für ein Jahr freigestellt und fliegt nach Wien. Seltsam auch, daß er dabei allen erzählt, er würde ganz andere Berufe haben. Er bekommt auch vom Zollbeamten gleich ein Jahresvisum und eine Arbeitserlaubniss, freundet sich dann mit dem Taxifahrer an, der ihn in die Grünangergasse bringt, wo er eine große und vornehme Wophnung hat, die von einer neunzigjährigen Haushälterin der Frau Ehrenreich in Stand gehalten wird. In deren Nichte, Anna Berg verliebt er sich, die ist Verkäuferin in einen Warenhaus auf der Mariahilferstraße und Betriebrätin.

Vorher macht er aber noch einige skurile Bekanntschaften in Wien, wo er sich neu einkleidet, sich zum Beispiel einen Mantel über tausend Euro kauft und die Farce beginnt.

Denn um Anna näher zu kommen, bewirbt er sich in deren Kaufhaus, als Schaufensterdekorateur, macht dann Schaufensterpuppen aus Elfantenknochen und redet dem Geschäftsführer ein, er müße alle Waren um neunzig Prozent verbilligt verkaufen. Der macht daraus, auch irgendwie skurill, ein großes Geschäft. Trotzdem will er den Angestellten den Lohn kürzen und den Streik verbieten. Spatz und sein Freund Montefiori, der Biologe, der ihm die Elefantenknochen besorgte, man sieht Scharang hat es auch mit den sprechenden Namen, führen dann im Schaufenster Stummfilmszenen auf, plant mit seinen anderen Freunden, den skurillen Gestalten, die er an seinem ersten Tag in Wien kennenlernte, aber die Revolution, die damit endet, daß die Streikbewegungen, in große Feiern übergehen, die Polizei greift nicht ein, aber wohl das Militär, angefeuert von einem Patientin Spatz, der auch anach Wien kommt, die Regierung geht dann wie beschreiben für drei Monate ins Ausland und Spatz mit seinen Freunden sowie mit seiner Exfrau, die auch noch eine Rolle spielt, nach New York gesagt, wie gsagt, eine Farce, gigatisch und überschwenglich, ich mußt gestehen, am Schluß bin ich nicht mehr mitgekommen, habe vieles überlesen und bleibe etwas ratlos zurück, denke aber, das Schreiben hat dem sehr politischen Michael Scharang großen Spaß gemacht und ein solches Buch ist in Zeiten, wie diesen, wo wir ja wieder zu unserer Normalität zurückfinden müßen und vor der größten Arbeitslosigkeit seit 1945 stehten, interessant, weiß aber nicht, wieviele Leute sich in Zeiten, wie diesen auch die Zeit nehmen werden, es zu lesen und, daß dann vielleicht auch noch lustig finden.

Rote Kreuze

Jetzt kommt der erste auf Deutsch erschienene Roman des 1984 in Minsk geborenen Sasha Filipenko, ein Buch das bei “Diogenes” erschienen ist und von dem ich schon glaubte, daß ich es nicht bekommen werde, weil es Corona bedingt nicht über die Grenze kam.

Zum Glück gibt es aber auch österreichische Auslieferer, so kam es doch zu mir und das Lesen war interessant, weil ich das Buch schon auf einigen Blogs entdeckt habe, dann aber vielleicht nicht wieder so etwas Neues und vielleicht auch nicht so ganz ungewöhnlich, wie die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch auf dem Buchrücken schrieb “Sasha Filipenko ist einer der jungen Autoren, die sofort zu ernsthaften Schriftstellern wurden. Wenn Sie wissen wollen, was das moderne, junge Russland denkt, lesen Sie Filipenko.”

Oder vielleicht schon. Einer der beiden ineinander verknüpften Handlungsstränge ist das wahrscheinlich schon, das andere die Stalin Repressionen habe ich schon öfte rgelesen und vor kurzem auch besonders bei Eugen Ruge.

Da zieht ein junger Mann namens Sascha, also vielleicht so etwas wie ein Ich-Erzähler in eine Wohnung in Minsk. Er hat ein Kind, aber keine Frau, erscheint traumatisiert oder trauernd und die Maklerin, die die Wohnung vermittelt, erzählt ihm etwas von einer alten Nachbarin, mit der er bald in Kontakt kommt.

Die heißt Tatjana Alexejewa, ist über neunzig, hat “Alzheimer” und erzählt ihm ihr Leben. Sie wurde in London geboren, hatte einen sehr aufgeschlossenen Vater, der mit ihr und den Kindermädchen nach Moskau zog. Später war sie noch in der Schweiz, bis sie beim Außenministerium,  als Übersetzerin tätig wurde.

Geheiratet hat sie auch und es gab eine Tochter. Dann kam der Krieg, ihr Mann geriet in rumänische Kriegsgefangenschaft und auf einer der Listen, die sie übersetzten sollte, stand sein Name, was sie in Gewissenskonfklikt brachte. Denn der Staat ging mit den Kriegsgefangenen nicht sehr gut um.

So ersetzte sie seinen Namen, das heißt, sie strich ihn von der Liste und schrieb dafür den folgenden zweimal hin. Das verstärkte die Gewissensbisse, obwohl einige Zeit nichts geschah. Dann wurde sie verhaftet, verhört und mehrmals vergewaltigt, bis sie für zehn Jahre in ein Lager kam. Die Topchter kam in ein Kinderheim, wo sie kurz darauf starb. Ihr Mann wurde erschoßen und diese Geschichte erzählt sie nach und nach dem jungen Mann und sie fragt ihn auch nach seiner Frau oder Freundin und auch warum er nach Minsk gezogen ist?

Der Grund war, bei der Frau wurde kurz nachdem sie schwager wurde, Krebs diagnostiziert, sie hatte nur noch  wenig Zeit zu leben, wollte das Kind aber nicht abtreiben. So starb sie, als sie im fünften Monat war, das Kind wurde aber ausgetragen und der Vater flüchtet mit ihm aus der Stadt.

Diese zwei Handlungsstränge sind ineinander verwoben. Ein wenig zu aufgesetzt könnte dann noch erscheinen, daß er in der Nachbarin, die unter ihm wohnt, eine neue Freundin findet, das passiert vielleicht zu schnell.

Ene Friedhofsbesetzung, wo die alte Dame, die schließlich stirbt, gemeinsam mit ihrem jungen Freund verhaftet wird, gibt es auch und sie hat ein Jahr vor ihrem Tod auch noch den Mann aufgesucht, dessen Namen sie zweimal auf die Liste geschrieben hat.

Dem ist nichts passiert, denn er hat sich mit der Sowetmacht arrangieren können, was vielleicht eine besondere Perfidie des Schicksals ist.

Soweit so gut. Ungewöhnlich oder interessant könnten vielleicht noch die Gedichte erscheinen, die gemeinsam mit Vernehmungsprotokollen in dem Buch zu finden sind. Eines davon ist von der 1981 verstorbenen Kinderbuchautorin Agnija Barto und vielleicht besonders beeindruckend, weil man es als Methapher zu Tatjana Alexejewas Schicksal verstehen könnte.

“Und ein Haus das uns gehört,

schieben wir vom falschen Ort,

wo es irgedwie uns stört,

mit vereinten Kräften fort!”

Übersetzt wurde der Roman aus dem Russischen von Ruth Altenhofer.

 

Die Wahrheit ist

Wie schreibt man einen Roman? Mit dieser Frage habe ich mich beschäftigt, als ich die “Dreizehn Kapitel” geschrieben habe und da die Idee hatte, mit einer Person anzufangen, dann kapitelweise zur nächsten überzugehen, bis ich am Ende wieder bei der ersten angelangt bin. Dreizehn Kurzgeschichten also zum Roman geformt.

Hat nicht ganz geklappt oder ist ein bißchen anders geworden, als geplant, aber bei den Webinaren der Jurenka Jurk zur Heldenreise oder die Videos des Ronny Rindlers zu seinem Quarantäne-Schreibkurs geht es ja auch um diese Frage, um die Heldenreisenstufen, die vier oder acht Akt-Struktur, um das Anfang-Mitte- Schluß mit dem ich mich jetzt ja bezüglich des “Frühlingserwachens” besonders beschäftige.

Da mir ja alle oder einige immer sagen, daß ich nicht schreiben kann und es auch nie lernen werde, beschäftige ich mich ja sehr mit Romanschreibkursen und Schreibratgeber, das letzte diesbezügliche Buch das ich da gelesen habe, war das des Gustav Ernst und jetzt ist mir wieder so eines ins Haus gekommen, von dem ich ganz am Anfang, ob der Werbeeinschaltung oder Ankündigung dachte, es wäre ein Buch zu Krisen, bestens geeignet zum Lesen in Zeiten von Corona, aber weitgefehlt, dann war ich noch eine Weile ratlos, denn das Buch heißt “Die Wahrheit ist” stammt von einem in Israel offenbar sehr bekannten, mir bisher unbekannten Schriftsteller namens Eshkol Nevo oder Nevo Eshkol, der 1971 in Jeruslalem geboren wurde und das ganze Buch ist ein Interview, das mit der Frage “Haben Sie immer gewußt, dass Sie Schriftsteller werden wollen” beginnt und nach vierhundertneunundzwanzig Seiten mit der “Gibt es noch etwas, was Sie hinzufügen wollen?”, endet und im Klappentext steht etwas, daß das Buch von einem Schriftsteller namens Eshkol Nevo handelt, der offenbar eine Schreibblockade hat oder in einer Krise steckt. Die Frau droht ihm zu verlassen, die ältere Tochter ist in ein Internat geflüchtet, der beste Freund liegt im Sterben und der in dieser Situation beschließt aus der Krise herauszukommen, in dem er auf die Interviewfragen keine vorbereiteten Antworten sondern die Wahrheit erzählt.

Das führt zu Daniel Kehlmann, der ja, glaube ich, im Zuge seines Romans “F” bei einem Interview sagte, alle schriftsteller wären Lügner, was ich mir so interpretieren würde, daß sie ihre Romane ja erfunden müßen. Ich würde das nicht als Lügen bezeichnen, aber Eshkol Nevo spielt in seinem roman gekommt damit.

Als ich die ersten Interviewfragen gelesen habe, war ich mir gar nicht sicher, ob das überhaupt ein Roman ist, sondern ein sachbuch, es ist aber einer, zumindest steht das gleich auf der ersten Seite und als ich das Buch ein bißchen angelesen habe, war ich verblüfft über die Fragen, wie “Was ist ihr Antrieb beim Schreiben?”, “Wie sieht denn ein Arbeitstag bei Ihnen aus?”, “Wie autobiografisch sind Ihre Bücher?” und so weiter und sofort  vierhundertneunundzwanzig Seiten lang.

Das führt natürlich zu der Frage, die ich ja auch manchmal gestellt bekomme, ob ich das, was ich schreibe, so erlebt habe, was mich am Anfang verblüffte oder verunsicherte und ich keine rechte Antwort dartauf wußte.

Später habe ich mir angewöhnt “Alles ist autobiografisch und alles gleichzeitig nicht!”, zu antworten, was wahrscheinlich nicht nur für mich die richtige antwort ist. Ich bin aber mit meiner Kritikerin JuSophie einmal deshalb aneinandergeraten, die wohl meinte, daß ein richtiger Autor und nicht bloß so eine “Hobbyschreiberin” wie ich, das Autobiografische nicht braucht.

Dem würde die Vielleserin widersprechen, finde ich doch sehr oft in Büchern eindeutige Bezüge zu den Verfassern, auch wenn die dann laut aufschreien und “Alles frei erfunden!” sagen.

Geht wahrscheinlich gar nicht anders und Eshkol Nevo, der von sich oder von seinem Helden schreibt, daß er von Schreibkursen lebt oder jedenfalls sehr oft welche gibt, spielt auch gekonnt damit.#

Verblüfft hat mich ja schon die Stelle, wo er von “Anfang-Mitte-Schluß” schreibt, was ich ja bei der Aktstruktur und bei Ronny Rindlers Videos sehr oft hörte. Er erzäht seinem krebskranken Freund immer solche Geschichten und der, der sich nicht so für Literatur interessiert, unterbricht ihn dann und sagt “Wollen wir nicht lieber schweigen?”.

Der Held in Eshkol Nevos Roman, der Schriftsteller mit der Schreibblockade, der schon viele Bücher geschreiben hat und auch ständig auf Lesereisen ist, verwechselt ständig die Wirklichkeit mit der Erfindung und Eshkol Nevo spielt auch in seinem Roman damit.

So ist er deshalb in der Ehekrise, weil er auf Lesereise in Kolumbien war und seiner Frau Dikla, die er erkaltet findet, nach seiner Rückkehr erzählt, er hätte dort mit einer Lektorin geschlafen, um sie eifersüchtig zu machen. Das ist natürlich ein Schuß nach hinten und zieht sich durch das ganze Buch und durch viele Interviewfragen, er findet dann auch ein Tagebuch seiner Frau, wo sie schreibt, wie sehr sie es haßt von ihm ständig in seinen Bchern ausgebeutet zu werden, obwohl er das abstreitet und sagt, daß er ohnehin genug vergremdet hat.

Das kenne ich auch sehr gut, habe ich mich deshalb ja mit einigen meiner Freunde zerstritten und sogar einige Klagsandrohungen bekommen. Geklagt hat mich niemand und ich denke wieder, es geht auch nicht anders, als sich beim Schreiben literarische Vorbilder zu nehmen, die man natürlich verfremden muß. Darin liegt vielleicht die Kunst und das Profitum, Eshkol Nevo beherrscht das sicher bis zur Perfektion und spielt in dem Roman so gekonnt damit, daß ich ihn wirklich, obwohl er vielleicht gar nicht als solcher gedacht ist, als Schreibratgeber empfehlen würde.

Also herrlich erfrischend und unkonventionell, denn Eshkol Nevo gibt in dem Buch ja keine Schreibratschläge, sondern erzählt Geschichten aus seinem Leben oder aus dem seines Helden, beantwortet manche Fragen kurz und knapp, die meisten aber mit Kurzgeschichten.

So gibt es die, um einen entschwundenen Freund und auf die Frage, was er in seinem Leben bereuen würde, erzählt er die Geschichte, wie er einmal einen malariakranken Freund in Südamerika zurückgelassen hat.

Er erzählt von seinen Schreibschülern, da ist ein krebskranker Mann dabei, der bevor er stirbt, eine Geschichte zu Ende bringen will und einer hat eine Geschichte über Sterbehilfe geschrieben. An den wendet er sich dann, als ihn sein Freund Ari bittet, das bei ihm zu tun und über das ganze Buch zieht sich die Drohung, daß Dikla ihm nach der Bat-Mizwa der jüngeren Tochter verlassen will. Das Kleinste der drei Kinder ist ein Sohn und der ist  dabei in die Fußstapfen des Herrn Papas zu treten. Eshkol Nevos Biografie entnehme ich, daß er drei Töchter hat. Die Geschichte, die das beschreibt spielt aber bei einer Psychologin, der Held der Geschichte hat auch kurz Psychologie studiert und ist, glaube ich, auch der Sohn von solchen, das Ehepaar ist aber zu der Psychologin gegangen, weil der kleine Bub notorisch lügt und jeden über sich erfundene Sachen erzählt. Kunststück bei dem Herrn Papa könnte man so sagen, obwohl ich nicht wirklich der Meinung bin, daß ein Schriftsteller lügt und ein Roman ein Lügengebäude ist. Er ist erfunden natürlich klar, daß es nicht ganz so ist, steht schon oben beschrieben. Er muß aber, wie Nevo, der Schreibworkshopleiter auch merhmals betont, einen Anfang eine Mitte und einen Schluß haben und wenn man dieses Buch gelesen hat, hat man, wenn man sich für das Schreiben interessiert, sehr viel gelernt.

Was daran jetzt Wahrheit oder Lüge beziehungsweise Erfindung ist, wohl sicher nicht, aber das ist ja wahrscheinlich der Reiz des Buches, auf dessen Rücken  groß und wuchtig “Schluß mit den Lebenlügen, es ist Zeit für die Wahrheit steht!” und ich in diesem Sinne noch hinzufügen möchte, daß ich ein sehr interessantes und auch originelles Buch gelesen habe.

Auf diese Idee muß man erst kommen, bei all der Flut der Romane, die nach Romanfahrplänen oder auch aus dem Bauch heraus geschrieben werden, ein solches Buch zu schreiben.

Die Wahrheit der anderen

Jetzt kommt wieder ein aktuell gesellschaftspolitisches Buch, das heißt so aktuell ist es wahrscheinlich gar nicht, spielt es doch im Jahr 2011, glaube ich, als eine Gruppe pakistanischer Flüchtlinge die Minorittenkirche besetzt.

So etwas gab es, glaube ich, in etwa dieser Zeit in der Votivkirche und ein Journalist, der in Hamburg, die “Henri Nannen-Schule” besuchte und dann in seinen preisgekrönten Berichten, die Fiction mit den Facts vertauschte, gab es vor viel kürzerer Zeit auch und da ist der 1983 in Freiburg am Breisgau geborene Jurist und Asylberater Daniel Zipfel, dessen Erstling “Eine Handvoll Rosinen”, ein ähnliches Thema behandelte und eines der ersten Bücher der “Kremayr & Scheriau-Literaturschiene” war.

Durch einen Zufall oder eigentlich meine wohlbekannte Schlampigkeit ist es nicht zu mir gekommen, denn damals hat es zwei “Kremayr & Scheriau-Veranstaltungen” gegeben, in denen die literarischen Neuerscheinungen präsentiert wurden, zweimal  je drei der vier Neuerscheinungen, einmal bei einem Fest im “Siebenstern” und einmal in der “Gesellschaft der Literatur”  und als ich die Bücher anfragte, habe ich bei der Antwort, welche ich will, den Daniel Zipfel übersehen, was nicht so schlimm wäre, denn damals, 2015 am Höhepunkt der Flüchtlingskrise, war ich das erste Mal beim Literaturhaus-Flohmarkt und hatte das Buch schon in der Hand zwei euro hätte es, glaube ich, gekostet.

Ich dachte “Sei sparsam und geh stattdessen lieber zum offenen Bücherschrank!” und legte es zurück, dumm, ich weiß, denn als ich es am nächsten Tag kaufen wollte, war es nicht mehr da.

So etwas ist mir schon mit Peter Zimmermanns “Odessabuch” passiert, daraufhin habe ich meine “Reise an Odessa” geschrieben und 2015 war ich gerade bei meinem “fünften Nanowrimo” und den dritten Teil meiner Flüchtlingstrilogie oder dem Adventkalender, jetzt ist die “Wahrheit der anderen”, der neue Roman des jungen Juristen, viel einfacher zu mir gekommen.

Ich habe ihn gelesen und ich muß sagen, ich bin ein wenig verwirrt. Vielleicht macht mir auch die aktuelle gesellschaftspolitische Situation, das Corona-Virus und der offenbare Zusammenbruch der Wirtschaft infolge dessen, etwas zu schaffen, so daß ich mit den chronologischen Sprüngen nicht ganz mitgekommen bin. Obwohl es wahrscheinlich ganz einfach ist, denn da wird  eine eigentlich ganz einfache Geschichte in verschiedenen Perspektiven oder aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt.

Da sind also die die Flüchtlinge in der Minoritenkirche und da ist der Hamburger Journalist Uwe Tinnermann, der seine Chance sieht, eine junge Pakistanin fotografiert und dann seine Geschichte daraus machen will.

Die, Veena Shahida, die immer einen grünen Schleier trägt und  sehr elegant gekleidet ist, Tochter aus guten Haus, Wirtschaftssctudentin, stellte einen Asylantrag, weil sie von ihrem Vater nicht zwangsverheiratet werden wollte und wird nun von diesem Journalisten und ihrer Anwältin Birgit  Toth hin und hergerißen, weil jeder sein eigenes Süppchen kochen will.

Am Ende wird sie abgeschoben und die Geschichte wird von einem Konrad Brandt, dem Chef, Lehrer und Ziehvater Tinnermanns, der ihn von Hamburg nach Wien holte und es selbst einmal in London mit der Wahrheit, der Geschichten, nicht so genau nahm, erzählt.

“Ich habe das aufgeschrieben, damit nicht Tinnermann`s Artikel alles erzählen. Glauben Sie mir.”, lauten die letzten Sätze und am Buchrücken steht noch “Ein Roman über die Grauzonen der Asylpolitik und die verschiedenen  Gesichter der Wahrheit”.

Angesichts der aktuellen politischen Situation erscheint das gerade erschienen Buch, das vor kurzem, als es dort noch Veranstaltungen gab, gemeinsam mit den “Verlassenen Kindern” von Lucia Leidenfrost vorgestellt wurde, fast anachronistisch, es ist aber trotzdem sehr interessant zu lesen und da man den Buchhandel, wegen seiner Sperrung und die Autoren wegen ihrer abgesagten Lesungen unterstützen soll, empfehle  ich es sehr.

Entführung

Wieder ein Krimi und eigentlich ein Nachtrag meines Schweizer Lesens, denn Petra Ivanov von der ich im Vorjahr schon “Alte Feinde” gelesen habe, wurde 1967 in Zürich geboren, lebte aber in Amerika und ihr neues Buch, Ende August erschienen, gefiel mir besser als das letzte, obwohl ich mir auch hier mit dem Ermittlerteam schwertat.

Denn Petra Ivanov schreibt Serien und setzt da vieles voraus, was in den vorigen Büchern geschah.

Es geht hier, um einen Anwalt mit kosovarischen Wurzeln, einem Moslem namens Pal Palushi, der wurde zum Pflichtverteidgers eines Entführers, einem zum Islam konvertierten eher unsicheren Burschen, der jetzt Mustafa, vormals Daniel, heißt, der hat eine Studentin entführt, wurde aber geschnappt, weil er sich so ungeschickt anstellte.

Jetzt weiß man nicht,wo die Entführte ist, der Entführer schweigt und Palushi gerät in das Fahrwasser der Presse, wird beschimpft, weil er sich des Täters animmt und er gerät auch in große Schwierigkeiten, was seine Schweige- beziehungsweise Berufsverletzungspflicht betrifft, unternimmt er doch Ermittlungen, um an den Fall, beziehungsweise an die Entführte heranzukommen, was er ja eigentlich nicht darf.

Aber tut er nichts, kommt das Opfer vielleicht um.Interessante Fragen, die hier aufgeworfen werden und ich spoilere gleich, daß es am Ende zu einem Berufsverbot kommt, was ich eigentlich nicht ganz verstanden habe, daß Petra Ivanov das Buch so enden läßt, denn eigentlich hat sich Pal Palushi nichts zu schulden kommen lassen und der Fall wurde auch glücklich aufgeklärt.

Es geht aber weiter, begiehungsweise ist vorher noch so einiges geschehen. So hat Pal Palushi eine Lebensgefährtin, die ExpolizistinJasmin Meyer, die offenbar in einem vorigen Fall entführt wurde. Ihr Entführer sitzt im Gefängnis, Jasmin zu Beginn des Buches in Thailand. Sie kommt aber zurück nach Zürich, wo der Fall offenbar spielt, um Pal zu helfen und der hat auch noch einen Neffen namens Rinor, der sich plötzlich verändert, von seiner Mutter verlangt, daß sie ein Kopftuch trägt und offenbar in die Fänge eines radikalen Imans oder Gebetgruppe geriet und den Onkel aushorchen soll und dann gibt es immer wieder Kapitel, die von einer Ich-Erzählerin handeln, die ein Fotoalbum durchblättert, in dem Fotos ihrer Tochter Delia zu sehen sind. Die wurde, bekommt man nach und nach heraus, Opfer eines islamischen Terroranschlags und nun versucht der Vater sich zu rächeln, der heißt eigentlich Richter, was auf Arabisch Faisal bedeutet. Der will auf einer islamischen Friedenskonferenz eine Bombe schmeißen und Jasmin und Pal haben sehr viel zu tun, den Anschlag zu verhindern und die entführte Lara Blum auch heil in ihrer Familie zurückzubringen.

Das entzweit das Paar während des Geschehens, sie haben Geheimnisse voreinander, kommen am Schluß aber doch wieder zusammen. Nur Pal bleibt über und muß sich rehabilitieren, aber vielleicht gelingt ihm das in einem späteren Buch, das Petra Ivanov gerade schreibt oder schon geschrieben hat und wir haben  einiges über den Islam, die Islamfeindlichkeit und das mulitkulturelle Leben, das offenbar nicht nur in Deutschland und in Österreich, sondern auch in der Schweiz vorherrscht, gelernt, so daß ich das Buch wirklich sehr empfehlen kann.

Auftrag für Moving Kings

Jetzt kommt das neue Buch von Joshua Cohen, wieder bei “Schöffling & Co” erschienen, bei dessen “Buch der Zahlen” ich mir schon beim Lesen sehr schwer getan habe.

Jetzt wars ein bißchen besser, vermutlich, da ich das Print-Buch vor mir hatte, wo ich mir ja alles anstreichen und anmerken kann, was beim PDF im Laptop nicht so gut geht, aber der 1980 in New Jersey Geborene, den ich, glaube ich, schon einmal in Wien hörte und der auch 2017/2018 Gastprofessor in Berlin war, ist ja bekannt durch seinen sehr modernen, sehr flüchtigen und flapsigen Sprachstil und unterscheidet sich dadurch sehr von Thomas Meyer, der in seinem “Wolkenbruch” ja auch das moderne jüdische Leben schildert, aber das sehr viel bedächtiger und traditoneller als Joshua Cohen tut, der wahrscheinlich zu Recht zu den zehn besten jüngeren amerikanischen Autoren gilt.

David King hat in New York ein Transportunternehmen, das heißt, er räumt Wohnungen aus, meistens dort, wo eine Hypothek fällig war oder die Leute von einem Bundesstaat in den anderen ziehen, sich scheiden lassen, sterben, etcetera.

Dabei hat er, wie im Klappentext steht, selber alle Hände zu tun mit seinem Privatleben. Seine Büroleiterin Ruth will ihn unbedingt heiraten, seine Tochter Tammy tut auch nicht das was er will und dann holt er noch seinen Neffen von Israel in die Staaten, setzt ihn dort als Möbelpacker ein und all das das wird sehr flott und sehr rasant mit einer sehr flotten lockeren Sprache erzählt, so daß es niemand wundern wird, daß es am Ende des Buches zu einem Desaster kommt, einer der Einssätze mißlingt und David am Ende wieder ganz von Anfang an anfangen kann.