Die Wahrheit ist

Wie schreibt man einen Roman? Mit dieser Frage habe ich mich beschäftigt, als ich die “Dreizehn Kapitel” geschrieben habe und da die Idee hatte, mit einer Person anzufangen, dann kapitelweise zur nächsten überzugehen, bis ich am Ende wieder bei der ersten angelangt bin. Dreizehn Kurzgeschichten also zum Roman geformt.

Hat nicht ganz geklappt oder ist ein bißchen anders geworden, als geplant, aber bei den Webinaren der Jurenka Jurk zur Heldenreise oder die Videos des Ronny Rindlers zu seinem Quarantäne-Schreibkurs geht es ja auch um diese Frage, um die Heldenreisenstufen, die vier oder acht Akt-Struktur, um das Anfang-Mitte- Schluß mit dem ich mich jetzt ja bezüglich des “Frühlingserwachens” besonders beschäftige.

Da mir ja alle oder einige immer sagen, daß ich nicht schreiben kann und es auch nie lernen werde, beschäftige ich mich ja sehr mit Romanschreibkursen und Schreibratgeber, das letzte diesbezügliche Buch das ich da gelesen habe, war das des Gustav Ernst und jetzt ist mir wieder so eines ins Haus gekommen, von dem ich ganz am Anfang, ob der Werbeeinschaltung oder Ankündigung dachte, es wäre ein Buch zu Krisen, bestens geeignet zum Lesen in Zeiten von Corona, aber weitgefehlt, dann war ich noch eine Weile ratlos, denn das Buch heißt “Die Wahrheit ist” stammt von einem in Israel offenbar sehr bekannten, mir bisher unbekannten Schriftsteller namens Eshkol Nevo oder Nevo Eshkol, der 1971 in Jeruslalem geboren wurde und das ganze Buch ist ein Interview, das mit der Frage “Haben Sie immer gewußt, dass Sie Schriftsteller werden wollen” beginnt und nach vierhundertneunundzwanzig Seiten mit der “Gibt es noch etwas, was Sie hinzufügen wollen?”, endet und im Klappentext steht etwas, daß das Buch von einem Schriftsteller namens Eshkol Nevo handelt, der offenbar eine Schreibblockade hat oder in einer Krise steckt. Die Frau droht ihm zu verlassen, die ältere Tochter ist in ein Internat geflüchtet, der beste Freund liegt im Sterben und der in dieser Situation beschließt aus der Krise herauszukommen, in dem er auf die Interviewfragen keine vorbereiteten Antworten sondern die Wahrheit erzählt.

Das führt zu Daniel Kehlmann, der ja, glaube ich, im Zuge seines Romans “F” bei einem Interview sagte, alle schriftsteller wären Lügner, was ich mir so interpretieren würde, daß sie ihre Romane ja erfunden müßen. Ich würde das nicht als Lügen bezeichnen, aber Eshkol Nevo spielt in seinem roman gekommt damit.

Als ich die ersten Interviewfragen gelesen habe, war ich mir gar nicht sicher, ob das überhaupt ein Roman ist, sondern ein sachbuch, es ist aber einer, zumindest steht das gleich auf der ersten Seite und als ich das Buch ein bißchen angelesen habe, war ich verblüfft über die Fragen, wie “Was ist ihr Antrieb beim Schreiben?”, “Wie sieht denn ein Arbeitstag bei Ihnen aus?”, “Wie autobiografisch sind Ihre Bücher?” und so weiter und sofort  vierhundertneunundzwanzig Seiten lang.

Das führt natürlich zu der Frage, die ich ja auch manchmal gestellt bekomme, ob ich das, was ich schreibe, so erlebt habe, was mich am Anfang verblüffte oder verunsicherte und ich keine rechte Antwort dartauf wußte.

Später habe ich mir angewöhnt “Alles ist autobiografisch und alles gleichzeitig nicht!”, zu antworten, was wahrscheinlich nicht nur für mich die richtige antwort ist. Ich bin aber mit meiner Kritikerin JuSophie einmal deshalb aneinandergeraten, die wohl meinte, daß ein richtiger Autor und nicht bloß so eine “Hobbyschreiberin” wie ich, das Autobiografische nicht braucht.

Dem würde die Vielleserin widersprechen, finde ich doch sehr oft in Büchern eindeutige Bezüge zu den Verfassern, auch wenn die dann laut aufschreien und “Alles frei erfunden!” sagen.

Geht wahrscheinlich gar nicht anders und Eshkol Nevo, der von sich oder von seinem Helden schreibt, daß er von Schreibkursen lebt oder jedenfalls sehr oft welche gibt, spielt auch gekonnt damit.#

Verblüfft hat mich ja schon die Stelle, wo er von “Anfang-Mitte-Schluß” schreibt, was ich ja bei der Aktstruktur und bei Ronny Rindlers Videos sehr oft hörte. Er erzäht seinem krebskranken Freund immer solche Geschichten und der, der sich nicht so für Literatur interessiert, unterbricht ihn dann und sagt “Wollen wir nicht lieber schweigen?”.

Der Held in Eshkol Nevos Roman, der Schriftsteller mit der Schreibblockade, der schon viele Bücher geschreiben hat und auch ständig auf Lesereisen ist, verwechselt ständig die Wirklichkeit mit der Erfindung und Eshkol Nevo spielt auch in seinem Roman damit.

So ist er deshalb in der Ehekrise, weil er auf Lesereise in Kolumbien war und seiner Frau Dikla, die er erkaltet findet, nach seiner Rückkehr erzählt, er hätte dort mit einer Lektorin geschlafen, um sie eifersüchtig zu machen. Das ist natürlich ein Schuß nach hinten und zieht sich durch das ganze Buch und durch viele Interviewfragen, er findet dann auch ein Tagebuch seiner Frau, wo sie schreibt, wie sehr sie es haßt von ihm ständig in seinen Bchern ausgebeutet zu werden, obwohl er das abstreitet und sagt, daß er ohnehin genug vergremdet hat.

Das kenne ich auch sehr gut, habe ich mich deshalb ja mit einigen meiner Freunde zerstritten und sogar einige Klagsandrohungen bekommen. Geklagt hat mich niemand und ich denke wieder, es geht auch nicht anders, als sich beim Schreiben literarische Vorbilder zu nehmen, die man natürlich verfremden muß. Darin liegt vielleicht die Kunst und das Profitum, Eshkol Nevo beherrscht das sicher bis zur Perfektion und spielt in dem Roman so gekonnt damit, daß ich ihn wirklich, obwohl er vielleicht gar nicht als solcher gedacht ist, als Schreibratgeber empfehlen würde.

Also herrlich erfrischend und unkonventionell, denn Eshkol Nevo gibt in dem Buch ja keine Schreibratschläge, sondern erzählt Geschichten aus seinem Leben oder aus dem seines Helden, beantwortet manche Fragen kurz und knapp, die meisten aber mit Kurzgeschichten.

So gibt es die, um einen entschwundenen Freund und auf die Frage, was er in seinem Leben bereuen würde, erzählt er die Geschichte, wie er einmal einen malariakranken Freund in Südamerika zurückgelassen hat.

Er erzählt von seinen Schreibschülern, da ist ein krebskranker Mann dabei, der bevor er stirbt, eine Geschichte zu Ende bringen will und einer hat eine Geschichte über Sterbehilfe geschrieben. An den wendet er sich dann, als ihn sein Freund Ari bittet, das bei ihm zu tun und über das ganze Buch zieht sich die Drohung, daß Dikla ihm nach der Bat-Mizwa der jüngeren Tochter verlassen will. Das Kleinste der drei Kinder ist ein Sohn und der ist  dabei in die Fußstapfen des Herrn Papas zu treten. Eshkol Nevos Biografie entnehme ich, daß er drei Töchter hat. Die Geschichte, die das beschreibt spielt aber bei einer Psychologin, der Held der Geschichte hat auch kurz Psychologie studiert und ist, glaube ich, auch der Sohn von solchen, das Ehepaar ist aber zu der Psychologin gegangen, weil der kleine Bub notorisch lügt und jeden über sich erfundene Sachen erzählt. Kunststück bei dem Herrn Papa könnte man so sagen, obwohl ich nicht wirklich der Meinung bin, daß ein Schriftsteller lügt und ein Roman ein Lügengebäude ist. Er ist erfunden natürlich klar, daß es nicht ganz so ist, steht schon oben beschrieben. Er muß aber, wie Nevo, der Schreibworkshopleiter auch merhmals betont, einen Anfang eine Mitte und einen Schluß haben und wenn man dieses Buch gelesen hat, hat man, wenn man sich für das Schreiben interessiert, sehr viel gelernt.

Was daran jetzt Wahrheit oder Lüge beziehungsweise Erfindung ist, wohl sicher nicht, aber das ist ja wahrscheinlich der Reiz des Buches, auf dessen Rücken  groß und wuchtig “Schluß mit den Lebenlügen, es ist Zeit für die Wahrheit steht!” und ich in diesem Sinne noch hinzufügen möchte, daß ich ein sehr interessantes und auch originelles Buch gelesen habe.

Auf diese Idee muß man erst kommen, bei all der Flut der Romane, die nach Romanfahrplänen oder auch aus dem Bauch heraus geschrieben werden, ein solches Buch zu schreiben.