Pandora

Jetzt kommt der zweite Roman des mir bisher unbekannten Anselm Oelze 1986 in Erfurt geboren, in Leipzig lebend. Sein Debutroman “Wallace” ist an mir vorbei gegangen.

“Pandora” ist ein ziemich dickes Buch, das in fünf Teilen von vier Protagonisten handelt, die in jedem Teil je ein Kapitel haben, die manchmal eher Kurzgeschichten sind.

Ansel Oelze geht auch in die Vergangenheit seiner Protagonisten zurück. Springt da von hinten nach vorn und ein Leitthema, wie man im falschen Leben richtig lebt oder im richtigen falsch in etwa, gibt es auch und der brasilianische Urwald spielt ebenfalls auch eine Rolle.

Dort gibt es einen Stamm, der sich bisher von der Zivilisation ferngehalten hat. Jetzt will die Ethnologin Carline dort hin. Die kommt eigentlich aus den USA und sollte Juristin werden. Ihre Mutter ist an Krebs gestorben, nach einem Vortrag über das bewußte Thema hat sie sich zur Ethnologie entschlossen und ihr Ziel am Beginn des Buches ist es in den Urwald aufzubrechen und den Stamm der Nawhua zu erforschen.

Beim Abschiedsessen telefoniert sie mit ihrer Freund Martje, die ihr erzählt, daß sie sich von David dem Vater ihres Kindes trennen will, eigentlich sollte sie mit ihm und dem Söhnchen nach Montana zu einem Stpendiumsaufenthalt aufbrechen. So disponiert er am Flughafen um, und fliegt nach Braslilien. Im Flugzeug trifft er dann auf Telmo Schmidt, dem dritten im Bunde.

Der ist Priester und Religionslehrer und war den größten Teil seines Lebens in dem Stift Lehrer, wo er auch Schüler war. Sein Einstiegskapitel habe ich sehr spannend empfunden. Es ist nämlich übergewichtig und ein Schuhfetischist. So beginnt es gleich mit dem Cordon Bleu ,das er eigentlich nicht essen soll, aber dann von der mütterlichen Küchenhilfe doch aufgetischt bekommt. Das führt zu Schuldgefühlen und Gesprächen mit Gott. Dann verdunkelt er sein Zimmer und ergötzt sich am Schuh einer Schülerin. Dabei wird er von seinen Schülern erwischt und erpresst so daß er auch in den brasilanischen Urwald abzischt und dann gibt es noch den Serben Jurij, ein Astronom, der in Chile forscht und der hadert mit dem Schicksal, daß sein vater im Krieg in Srebenica war und dort zwei Kinder erschossen hat.

Wie kommt es also dazu, daß man das richtige weiß und trotzdem das falsche tut, denn der Vater wollte eigentlich Automechaniker bleiben und nicht nicht in den Krieg?

Das ist also die Frage, die ihn fast auch in den Urwald treibt. Aber nur fast, denn schließlich trifft er seine Mutter, die er sechzehn Jahre nicht gesehen hat und entkommt seinem Schicksal, könnte man so sagen.

Den drei anderen geht es nicht so gut, Telmo kommt in dem Reservat um. David findet ihn und bringt ihn zurück. Carline, die eigentlich Caroline heißen sollte, ist von David, dem sie in Braslien näher gekommen ist, wird schwanger.

Sie macht einige Tests und wird dabei von Martje angerufen, die ihr mitteilt, daß sie wieder zu David zurück will. Das führt zu einer hektischen Abtreibung, die in Brasilien illegal ist und mißlingt.

Ein trauriges Buch, das ich am Anfang wegen seiner Rückblenden und seiner Erzählform sehr spannend fand, es am Schluß aber doch ein bisschen zu zerfasert, langatmig und klischeehaft fand. Aber trotzdem gut, daß ich es gelesen habe, wenn mir das Debut entgangen ist und ich demnächst ja wieder nach Leipzig komme und da vielleicht auch auf den Autor treffe.

Ein Mann liest Zeitung

Jetzt kommt ein historisches Zeitdokument, ein Roman, der wahrscheinlich wieder als Zeitbericht zu bezeichnen wäre, des von 1886-1970 lebenden Journalisten Justin Steinfeld, der in Hamburg geboren, nachdem er in Schutzhaft 1933 zuerst nach Prag und danach nach England emigirierte, wo er verstarb.

Der Roman der 1984 erstmals von seinem Neffen im “Malik-Verlag” herausgegeben wurde, beschreibt sehr viel Autobiografisches. Anmerkungen, die sich auf den Autor beziehen, gibt es auch und er beschreibt eigentlich nichts anderes, als, daß ein aus Deutschland geflohener Geschäftsmann, den er Leonhard Glanz nennt, in einem Prager Kaffeehaus sitzt, dort einen Kaffee und eine Semmel bestellt und dabei Zeitung liest.

Das passiert mit Anmerkungen und Nachwort des jetzigen Herausgebers versehen, auf fast fünfhundert Seiten und Glanz oder Steinfeld kommen dabei vom Hundersten ins Tausendsten, so daß dem Leser der Bart sogar bis in die Marmorplatte des Kaffeehaustisches hineinwächst.

Der jüdische Geschäftsmann wurde von dem Prokurist, den der Vater protegiert und eingestellt hat, enteignet und in Schutzhaft gebracht.

Jetzt sitzt er da und studiert die Annoucen, darf als Emigrant aber nicht arbeiten. Er studiert auch die Announcen die Wiener Freudenmädchen damals in Zeitungen aufgaben “Junge Dame sucht..”, weil prostitution ja verboten war, die die Nazis dann wieder einführten.

Er schreibt von seiner Schwester, die Klavierspielen lernten, sich verheiratete und sich dann als Kulturförderin mit eigenem Salon betätigte, seine Mutter kommt vor, die als Urne neben dem Vater liegen wollte, aber nicht konnte, weil dieses nicht auffindbar war, die Mutter schwärmte von Schiller und Goethe, der Sklavenhandel kommt vor und viele politische gesellschaftliche und andere Anspielungen, die damals wohl in den Zeitungen standen.

Der Stil wechselt vom expressionisch experimentellen in Gedichtform ab, es kommt zu einem Dialog mit dem Ich, was das Lesen trotz des umfangreichen Anhanges wohl ein wenig schwierig macht.

Es ist aber trotzdem, als sehr Interessantes, weil als sehr authentisches Zeitdokument zu verstehen.

Im Nachwort wird das Leben des Autors erklärt. Er kam aus einer Handelsfamilie, sollte eigentlich auch Geschäftsmann werden, wurde dann Redakteur und schloß sich einer Theatergruppe an.

Fotos von ihm, den Zeitschriften, die er herausgegeben hat und seinen Schwestern, gibt es im Mittelteil auch.

Immer wieder werden kulturelle Anspielungen und kritische Bemerkungen über das Kulturgeschehen gemacht. Hans Henny Jahnn, mit dem er wohl befreundet war, wird erwähnt.

Der Anschluß Österreichs an Deutschland, der Kardinal Innitzer und seine Einstellung zu den Nazis wird erwähnt und der Einmarsch der deutschen Truppen in Prag. Da ist Steinfeld nach England geflohen.

Sein Protagonist, der auch, um einen Teppich betrogen wurde, hat es da viel schwerer, weiß nicht, ob er das tuen soll, kommt auch wohl zuspät, weil die Nazis schon die Brücken besetzt haben, als er es doch tun will.

Das Buch schließt mit der Bemerkung “Ende des ersten Teils”

Einen Zweiten hat es wohl nicht gegeben. Jetzt ist das Buch bei “Schöffling & Co” von Wilfried Weinke herausgegeben worden, der auch das Nachwort geschrieben hat.

Großes Kino

Nachdem ich vor einigen Wochen Ivan Mandys Kino alter Zeiten”, den Erzählzyklus auf die Filmvergangenheit des 1918 geborenen Ungarn gelesen habe, kommt jetzt das “Große Kino” des 1974 in Duisburg geborenen ehemaligen Sozialarbeiters Sascha Reh und das ist interessant, habe ich ja ebenfalls vor einigen Wochen gehört, daß die offenbar etwas provokante Kabarettistin Lisa Eckhart mit ihrem Debutroman “Omama” von einem Hamburger Literaturfestival ausgeladen wurde, weil es gegen sie Antisemitismusdrohungen und daher angekündigte Störkrawalle gab. Sascha Reh hätte auch da lesen sollen und hat mit der Begründung daß sein Roman auch politisch inkorrekt sei, abgesagt.

“Interessant, interessant!”, habe ich gedacht, weil ich mich ja seit vier Jahren mit dem Uli matche, wenn er wieder einmal auf seinen Blog gegen die Linken schimpft oder aufzählt, daß sich Polizisten nicht gegen Clan durchsetzen können und schon wiederein Asylwerber eine Gewalttat begangen hat.

Dann habe ich das Buch aufgeschlagen und war erst recht erstaunt, steht da doch unter den Motti “Es ist ohne weiteres möglich eine gute Story zu schreiben, ohne die Einzelheiten der Reise des Helden zu beachten. Ehrlich gesagt, ist dies sogar der bessere Weg. Christopher Vogler “Die Oydssee des Drehbuchschreibers”.

In diesem buch folgt dann wahrscheinlich die Begründung, warum es doch besser ist, in seinen Romanen, die nach der “Heldenreise” zu arbeiten, gilt Vogler ja als der Oberguro der “Heldenreise”, der sie in die Filmbranche und nach Hollywood brachte und Jurenka Jurk schreibt mich ja jedes Jahr an, um mir mit Gratisseminaren ihre “Ausbildung zum Romanautor” schmackhaft zu machen, die genau nach diesen Prinzipen arbeitet und da ich eine gelehrige Schülerin bin, habe ich bei meinen letzten Texten ja versucht, diese Prinzipen, mit mehr oder weniger Erfolg, füge ich an, zu beachten und da kommt jetzt einer daher und verarscht dieses Heiligtum der Schreibschullehrer und schreibt einen Roman darüber oder besser, wie im Klappentext und am Buchrücken steht “Der neue Roman von Sascha Reh ist eine Gansterkomödie voller Sprachwitz und Sensationskomik, deren Held sich mit Eloquenz und Chuzpe durch die Inselhalbwelt mauschelt.”

Ja, das habe ich mir so vorgestellt, aber nicht, daß da einer nach der Dreiaktstruktur und den fünfzehn Heldenreisenstufen einen politisch inkorrekten roman schreibt. Fängt es ja im ersten Akt mit der Phase des Aufbruchs an, was zum ersten Kapitel “Die Reise des Helden beginnt mit der Vorstellung seiner gewohnten Welt. ein initialer Auslöser setzt die Handlung in Gang” bis zu Kapitel 15 im Akt III “Die Reise des Helden ist zu Ende. Wuppke erhält sein Elixier und kehrt in seine gewöhnliche Welt zurück.”

Was dazwischen auf über dreihundert Seiten folgt ist ein Klamaukstück mit allen billigen Trick und Einfällen, Mord und Totschlag, wie man es sich nur vorstellen kann, das politisch Korrekte bewußt in sein Gegenteil zu verkehren und eine geübte Leserin wie ich, mag die Handlung trivial finden. Daß sich aber einer wirklich traut, die “Heldenreise” zu veraschen finde ich genial und hilft mir vielleicht davon abzulassen und weiter so balal und “Da passiert ja nichts!”, zu schreiben, wie ich es schon vor über vierzig Jahren mit meinen romananfängen tat.

Mal sehen, wie es bei mir weitergeht.

Jetzt einmal zu Carsten Wuppke, dem Helden und ehemaligen Sozialarbeiter, der von der rechten Bahn abgekommen ist, nun eigentlich mit seinem Bewährungshelfer Bewerbungen schreiben soll, aber in den Supermarkt geht ein Joghurt zu kaufen, sich dort mit einem Polizisten anlegt, ein Mofa klaut und die Handlung beginnt.

Er gerät nämlich in die machenschaften des “Chinesen”, das ist, sowohl originell, als auch politisch inkorrekt, ein arabischer mafiaboss, der ihn zwingt, ihm einen Gefallen zu tun und nach Sylt zu reisen, weil er dort eine Heide kaufen will.

Dort gibt man sie nicht her und so stolpert unser Held durch alle Stufen, bis er geläuert zurückkommt und sein Schöpfer Reh, hat dabei nicht an Mord und Totschlag, Sex und Crime etcetera gespart. Er gerät nämlich in das Haus des Bürgermeisterkanditaten und Baulöwen Jorgenssen, der die Heide nicht hergeben will. Der ist auch ein Hobbyfilmer, die Filme, spielen wie der Titel schon verrät, ja auch eine Rolle, hat eine fünzehnjährige Tochter namens Effi, betrügt seine Frau und ein Cousin des Chinesen gibt es auch, der von Wuppke auch einen Gefallen will. Er soll ein italienisches Pärchen abholen, das ein Paket Kokain ins Land schmuggelt, einen Filmstar gibt es auch, der liegt im Spital, Wuppke vergißt bei ihm das Kokain, der Clanboß setzt deshalb seine Buberln an ihn an. Dann kommt die Schwester des Italieners mit ihrem kleinen Sohn angereist und das ist originell, weil der Sechsjährige sich an alle Pistolen heranmacht und gleich einen der beiden Handlanger erschießt. Jetzt muß man die Leiche versorgen. Das ist auch originell und kaum ist das geschehen, kommt der Chinese nach Sylt. Wuppke muß nun handeln, klärt alles auf oder führt es zu einem guten Ende. Ein Polizeikommssar erleidet dabei auch noch einen Schlaganfall. Dann kehrt der Held zurück in seine Welt, geht in Neukölln zum Starbucks und kauft sich dort einen Kaffee.

Ich bin gespannt, wie das Buch in der Literaturwelt ankommt, setzt es sich ja zwischen alle Genres und ob es soviele Leser, die an der Heldenreise interessiert sind, weiß ich auch nicht, hätte es aber auf LL erwartet, dort ist es aber nicht daraufgekommen.

Monster wie wir

Als Nächstes kommt der Debutroman der 1979 in Sachsen geborenen Pfarrerstochter Ulrike Almut Sandig, die auch als Lyrikerin tätig istund die ich einmal in Leipzig lesen hörte.

In einer sehr dichten Sprache wird hier über die Gewalt erzählt, der Kinder in Wahrheit hoffentlich nicht so oft, wie in den Romanen ausgesetzt ist. Von Gewalt, Kindesmißbrauch und den Ohrfeigen, die man auch in einem Pfarrerhaushalt bekommen kann.

Da ist Ruth, die Pfarrerstochter, die später Musikerin wird, bei einem Konzert ihrem Freund Viktor wiedertrifft und einem Voitto sehr metaphernreich, die wohl die Diszzoziationen verdeutlichen sollen, ihre Geschichte erzählt.

Da beginnt es gleich, daß sie als Embryo im Bauch der Mutter geschwommen ist und dann von ihrem Bruder Fly verlassen wurde, der als Erster auf die Welt kam. Sie erzählt ihm das Geschichte und er schüttelt den Kopf, kann sie sich doch nicht daran erinnern können, ist er doch vier Jahre älter als sie.

Der Vater ist ostdeutscher Pfarrer und hat die Kinder nie geschlagen oder doch, ein paar Ohrfeigen hat es gegeben.

Jedenfalls erzählt Ruth Voitto von den vier ihres Leben. Die Mutter eine Apothekengehilfin, ist sehr liebevoll zu den Kinder, erkennt aber in den Vampirbissen von denen Ruth ihr erzählt, die vom Großvater stammen, nur Bremsenstiche und geht dann, als sie sich vom Vater trennen will, mit dem Kind zum Großvater, der ihr vorwirft, daß eine Pfarrersfrau ihren Mann nicht verläßt und Ruth, die inzwischen Geige spielen lernt und es beim Großvater nicht aushält, sie wieder zur Rückkehr bewegt.

Viktor, den halbrussischen oder kleinen Russen, wie Ruths Vater sagt, Offizierssohn, lernt Ruth im Kindergarten kennen, besucht mit ihm später dieselbe Schule und er erzählt ihr vom Mißbrauch, die der Schwager, der Mann der älteren Schwester, die auf ihm aupassen soll, an ihm ausübte, während sonst, was Ulrike Almig Sandig in einem Interwiev thematisierte, darüber der Mantel des Schweigens gelegt wird.

Der zweite Viktor genannte Teil ist der packenste. Da ist die DDR vorbei, Viktor erwachsen und in Springerstiefel, wie ein junger blonder Nazihühne wirkend, auf dem Weg nach Frankreich, wo er sich als Au Pair beworben hat, damit er genommen wird, hat er seinen Namen in Viktoria umgewandelt.

Die Madame nennt ihn Victoire erklärt ihm, daß er nicht nur die Kinder betreuen und Französisch lernen, sondern auch ihre Unterhosen bügeln, staubsaugen und kochen soll. Dafür darf er das alte Brot, das nicht weggeworfen werden darf, in den Kaffee tauchen.

Die Kinder heißen Maud und Lionel, es gibt wieder ein paar poetisch surreal anmutende Szenen, wo Maud die Dinge aus ihrer Sicht erklärt. Maud liegt im Bett der Maman, Lionel in dem des Papas, der nicht sein Vater ist und als Viktor das bemerkt, schlägt er ihn zusammen.

Er wird nicht angezeigt, aber hinausgeworfen und das Aupair-Mädchen im Nachbarhaus, die Ukrainerin Julija, die wie der Großvater, ein alter Frankreichkämpfer, in dem durch Codes gesicherten Haus ein- und ausgeht, um nach dem Rechten zu sehen, bedauert das sehr, denn nun ist Lionel wieder allein und Maud hätte Viktor, wenn er geblieben wäre, sogar ihre Schnecken geschenkt.

Das fand ich packender und überzeugender, als den ersten Teil, wo Ruth, den Großvater in eine Vampirangst dissoziiert, das erscheint mir ein bißchen zu sehr dem Lehrbuch nachempfunden und wie auch anderes poetisch überfrachtet.

Es gibt auch noch einen Schluß- oder dritten, Voitto genannten Teil, in dem Ruth, die offenbar doch Pianistin gerworden ist, während sie vorher die verschiedensten Instrumente ausprobierte, ihrem Freund erzählt, was nach dem Fall der DDR aus dem Pfarrhaus und ihrem Bruder, dem Aktivisten und Filmer geworden ist.

Interessant wahrscheinlich, die Verbindung zwischen DDR und Kindesmißbrauch, interessant auch, das in einer sehr lyrischen Sprache zu erzählen, daß ich damit meine Schwierigkeiten habe, habe ich ja schon öfter geschrieben.

Ein interessantes Buch, schade, daß es nicht beim “Bachmannpreis” vorgestellt wurde.

Murmeljagd

Meine Ulrich Becher-Geschichte könnte meinen Lesern ja bekannt sein. Da bin ich einmal in den Neunzigerjahren, als wir noch in der Gumpendorferstraße wohnte, an der städtischen Büchereifiliale, die es glaube ich, nicht mehr gibt, vorbei gegangen, beziehungsweise vor der Schachtel der von dort ausrangierten Büchern stehengeblieben, denn damals war ich ja mitten in meiner Gratisphase und habe zwei Bücher von einem Ulrich Becher  “Kurz nach 4” und “Und Nachtigall will zum Vater fliegen” entdeckt und mitgenommen.

Auch angelesen aber bald damit aufgehört, denn wer bitte ist Ulrich Becher, den Johannes R. Becher kannte ich, ja und habe, glaube ich, die Kerstin Hensel auch einmal in dem Haus in der Berliner Linienstraße besucht, wo er angeblich ein Bordell besucht haben soll, aber der Ulrich?

Internet, wo man nachgooglen hätte können, gab es oder hatte ich noch keines und auch kein Literaturlexikon und der expressionistische Stil in dem die Bücher geschrieben waren, war auch nicht so meines.

2005 sind wir zu Utes Geburtstag einmal außer Buchmessezeiten nach Leipzig gefahren, in der Stadt spazierengegangen und dort beim “Hugendubel” in einen “Aufbau-Taschenbuchabverkauf” hineingekommen, da war. Darunter war ein Büchlein mit Briefen die der Verlag an Ulrich Becher, die sich auf sein “Kurz nach vier” bezogen haben, waren dabei, das hat mich dann wahrscheinlich dazu animiert, das Buch 2010 doch zu lesen. Etwas später hat dann der “Arco-Verleger”, der das Buch neu herausgegeben wollte, meinen Blogartikel gelesen, die Briefe haben wollen und mir dann auf einer “Buch-Wien”, die Neuausgabe geschenkt, worüber ich sehr dankbar war.

Nicht, daß ich das Buch nochmals gelesen habe, das geht nicht bei meinen Bücherbergen, aber da waren endlich mal biographische Angaben drin, was ich bei den gefundenen Büchern leider vermißte.

Ich wußte damals aber schon, daß der 1910 in Berlin geborene und 1990 in der Schweiz verstorbene, der dazwischen auch in Wien gelebt hat, auch den “Bockerer” geschrieben hat, den ich ja einmal im Volkstheater und später natürlich im Kino gesehen habe.

Den “Nachtigallenzyklus” habe ich inzwischen auch gelesen und das Buch das Konstantin Kaiser über Becher hinausgegeben hat und 1910 als der Ulrich hundert wurde hat der “Schöffling-Verlag” die “Murmeljagd”, die 1969 erstmals erschienen ist, nochmals herausgegeben, da hatte ich es wohl noch nicht so mit den Rezensionsexemplaren, jetzt ist die fünfte Auflage erscheinen und damit gleichzeitig, die “New Yorker Novellen”, die habe ich dann gleich mitbestellt, bin aber schon beim Auspacken daraufgekommen, das ist der “Nachtigallenzyklus” minus einer Geschichte.

Es kamen also beide, der damals gefundenen Bücher inzwischen neu zu mir und ich muß sagen, ich war ein wenig ratlos bei dem über siebenhundert Seiten Buch, auf dessen Titel das Riesenrad prangt und wahrscheinlich nicht so begeistert, wie Eva Menasse, die das Nachwort schrieb.

Nun ja, ich bin ja eher eine realistische Autorin, wie ich immer schreibe, obwohl mich die Vor-Zwischen und Nachkriegszeit ja sehr interessiert, aber Ulrich Becher macht es seinen Lesern nicht sehr leicht, springt er doch von hinten nach vorn und wieder zurück. Kommt vom Hundertsten ins Tausendste, verwendet Dialekte, fremde Sprachen, literarische Anspielungen und wahrscheinlich noch viel viel mehr.

Aber in dem Versuch, das Ganze zusammenzufassen, spoilern ist hier wohl ohnehin kaum möglich. Da gibt es Albert Trebla, man beachte, daß der Nachname ein Anagram des Vornamens, auch etwas typisch Becherisches wahrscheinlich.

Der war im ersten Weltkrieg Soldat oder Offizier, wurde verwundet, war dann in Graz Sozialdemokrat und beim Februaraufstand aktiv, Journalist war er ebenfalls und, ich glaube, auch Jurist, wie sein Autor.

Als nach Österreich, die Nazis kamen, mußte er mit seiner Frau in die Schweiz fliehen, das heißt, er tat es mit den Schiern über die Grenze, die Frau Xane mit Freunden im Zug erster Klasse, sein Paß ist abgelaufen und jetzt sitzt er mit seiner Frau in zwei Zimmern in Engadin, wird vom Heuschnupfen geplagt, nimmt dagegen Tabletten und wird von Wahnvorstellungen oder auch von den Geschehnissen, um ihn herum, man schreibt das Jahr 1938, geplagt.

Man weiß das nicht so genau und bekommt das auch beim Lesen nicht so ganz mit, denn Becher hüpft ja, wie schon erwähnt, wirr herum im Zeitgescheheh und macht es seinen Lesern nicht leicht.

Sein bester Freund, ein Grazer Armenarzt, ist in Dachau oder auf dem Weg dorthin, umgekommen, da ihn zwei Nazibuben ein Messer in die Stirn stecken und der sich das Herausziehen verbat, weil er wußte, daß er das nicht überleben würde und sein Schweigenvater, ein Zirkusclown genannt Rosenvater, eine Anspielung auf Bechers Schwiegervater Roda Roda lehrt uns Eva Menasse, kommt auch im KZ auf höchst skurile Art um, die ich hier nicht spoiliern will, um ein etwaiges Lesevergnügen nicht zu zerstören und Trebla bemüht sich im ganzen Buch, das seiner Frau zu verschweigen, beziehungsweise weiß er nicht, wie er ihr das beibringen soll?

Er fühlt sich auch von zwei blassen blonden Burschen verfolgt, weiß nicht, sind das harmlose Murmeltierjäger, deshalb der Name des Buches oder wurden sie von seinem ehemaligen Kriegskameraden und jetztigen Gestapomann Laimgruber auf seine Spur gesetzt und so hetzen wir durch die siebenhundert Seiten, wo all das und noch viel mehr passiert.

Lesen würde ich empfehlen, in Zeiten, wie diesen die ja auch höchst verwirrend  sind, ist es vielleicht hilfreich sich auf Ulrich Bechers “Murmeljagd” einzulassen und vielleicht einen, wie Eva Menasse in ihren Nachwort schreibt, leider zu Unrecht vergessenen Autor zu entdecken.

Nun mir war er bekannt und meine Blogleser können sich auch gern in meine Becher-Geschichte einlesen und sie weitergeben.

Auftrag für Moving Kings

Jetzt kommt das neue Buch von Joshua Cohen, wieder bei “Schöffling & Co” erschienen, bei dessen “Buch der Zahlen” ich mir schon beim Lesen sehr schwer getan habe.

Jetzt wars ein bißchen besser, vermutlich, da ich das Print-Buch vor mir hatte, wo ich mir ja alles anstreichen und anmerken kann, was beim PDF im Laptop nicht so gut geht, aber der 1980 in New Jersey Geborene, den ich, glaube ich, schon einmal in Wien hörte und der auch 2017/2018 Gastprofessor in Berlin war, ist ja bekannt durch seinen sehr modernen, sehr flüchtigen und flapsigen Sprachstil und unterscheidet sich dadurch sehr von Thomas Meyer, der in seinem “Wolkenbruch” ja auch das moderne jüdische Leben schildert, aber das sehr viel bedächtiger und traditoneller als Joshua Cohen tut, der wahrscheinlich zu Recht zu den zehn besten jüngeren amerikanischen Autoren gilt.

David King hat in New York ein Transportunternehmen, das heißt, er räumt Wohnungen aus, meistens dort, wo eine Hypothek fällig war oder die Leute von einem Bundesstaat in den anderen ziehen, sich scheiden lassen, sterben, etcetera.

Dabei hat er, wie im Klappentext steht, selber alle Hände zu tun mit seinem Privatleben. Seine Büroleiterin Ruth will ihn unbedingt heiraten, seine Tochter Tammy tut auch nicht das was er will und dann holt er noch seinen Neffen von Israel in die Staaten, setzt ihn dort als Möbelpacker ein und all das das wird sehr flott und sehr rasant mit einer sehr flotten lockeren Sprache erzählt, so daß es niemand wundern wird, daß es am Ende des Buches zu einem Desaster kommt, einer der Einssätze mißlingt und David am Ende wieder ganz von Anfang an anfangen kann.

Rückwind

Wieder eine Neuerscheinung, der neue Roman des 1956 geborenen Burkhard Spinnen, der lange gefürchteter “Bachmann-Jurysprecher” war und von dem ich erst kürzlich ein Buch über die Frauenfiguren bei Fontane gelesen habe und wieder bleibe ich etwas ratlos oder besser mit einem gewissen Aha-Erlebnis zurück, denn Burkhard Spinnen, kann ich mich erinnern, war in Klagenfurt sehr streng bei seinen Definitionen, was gute Literatur denn ist und nun dieser Roman, wie soll ich ihn benennen, Gesellschaftsroman?

“Roman über  einen furchtbaren Verlust”, steht am Buchrücken und am Cover sind Windräder zu sehen, die ja dereit bei all den Klimaschutzdiskussion sehr aktuell oder in Verruf gekommen, je von welcher Seite man es sieht, sind.

Wenn ich schreibe, es ist eine Anleitung für seine Sprachkunstschüler, wie man einen spannenden Roman  schreiben soll, klingt das für eine wie mich, wahrscheinlich sehr überheblich und da bin ich schon bei der Frage, was einen guten Roman denn angeblich ausmachen soll? Er muß fesseln, spannend sein, unerwartete Wendungen haben und vor allem das neue noch nie Dagewese beschreiben.

Nun, das Letzteres eher unmöglich ist, obwohl es ständig gefordert wird, hat schon der große MRR geschrieben und von der Liebe und dem Tod als Themen gesprochen, die gibt es in dem Roman und ansonsten, denke ich, eher, daß das, was ich da gelesen habe, eher banal und etwas aufgesetzt ist und, daß ich wenn ich das geschrieben hätte, damit wohl sehr verrissen werden würde und Burkhard Spinnen sich wahrscheinlich selbst oder diesen Text nicht eingeladen hätte.

Es geht und da bin ich ja eigentlich auf meiner Linie, um brandtaktuelle Themen, ansonsten wird sehr spannend und mit den geforderten Wendungen und daher etwas unlogisch, eine eher triviale Handlung erzählt.

Da ist Hartmut Trössner und der hat am 9. April 2018 alles verloren. Seine sehr erfolgreich Windräderfirma, seine Frau, sein Kind, sein Haus ist auch noch abgebrannt, das erinnert sehr an das Debut der Nele Pollatschek, wo auf den letzten fünfzig Seiten auch alle sterben. Er hat infolge dessen versucht sich umzubringen, er führt auch ständig eine Glock im Gepäck, war deshalb monatelang in Rehakliniken, wurde mit Medikamenten zugestopft, etcetera und jetzt fährt er am 27. August 2018, also noch nicht so lange her, nach Berlin.

Er tut das nicht allein, seine innere Stimme Coach genannt, begleitet ihn und erzählt sein Leben, wird aber bald von einer junge Frau, die sich auch im Zug befindet, unterbrochen und die heißt einmal Iris, einmal Ismene, einmal Lena, ein vierter Name kommt, glaube ich, auch vor.

Einmal ist sie eine Journalistin, die Trössner interviewen will, dann wieder eine Bankangestellte, etcetera. Sie führt ihn jedenfalls in Berlin zuerst auf den Friedhof, wo sie einer demenzkranken Frau nach Hause hilft, dann in ihre angebliche Wohnung, die eigentlich ihrer Schwester gehört und am Schluß, als Trössner ihr gemeinsam mit dem Coach sein Leben beziehungsweise, die Katastrophen, damit der Leser sich auskennt, erzählt hat, führt er sie auf ein Filmgelände.

Seine verstorbene Frau Charlotte war nämlich Schauspielerin und spielte in einer Serie eine AfD-Politikerin könnte man so sagen. Die Partei heißt hier natürlich anders.

“Christentum ohne Christen”, glaube ich und auf dem Gelände wird die neue Staffel gedreht, die noch eine Nachfolgerin für Charlotte sucht. Ihr Partner war aber ein Klaus Sibleski und der spielte einen Gottesmann, der auch in der Partei seine Rolle hatte und den besucht Trössner nun mit seiner Iris, die hier Lena genannt wird, zieht seine Glock heraus und stellt den Schauspieler die Frage, wieso Gott es zulassen kann, daß man an einem Tag alles verliert? Der weiß, die Antwort natürlich auch nicht, so wird in Charlottes Wohnung gefahren, wo sich deren Agentin befindet und am Schluß ziehen alle ins Finanzministerium, der Flaschmob zieht auch dorthin und Trössner hält am Balkon eine Rede an das Publikim und verschwindet dann irgedwie und das, beziehungsweise, die Leser des Romans bleiben vielleicht ratlos zurück oder lesen am Buchrücken,daß “Rückwind ein Roman über einen furchtbaren Verlust, der als himmlische Prüfung oder göttliche Strafe erscheinen muß, handelt und vor dem Hintergrund deutscher Mentalitätsgeschic hte furios und hautnah an unserer Gegenwart erzählt.”

Und alles ohne Liebe

Daß wir in einem Fontane-Jahr leben, nämlich den zweihundertsten Geburtstag von Theodor Fontane, der am dreißigsten Dezember 1819 geboren wurde, habe ich schon während meines Leipzigsurfens mitbekommen, daß da schon ein paar Bücher erschienen sind, obwohl bis zum dreißigsten Dezember ja noch ein bißchen Zeit ist und jetzt ist ein kleines Büchlein “Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen” zu mir gekommen, daß ich mir eigentlich nur bestellt habe, weil Burkhard Spinnen, der langjährige Bachmann Jurorvorsitzende, der Autor ist und ich da, glaube ich, den Namen Fontane eigentlich übersehen habe, obwohl nach der Wende, als Günter Grass sein “Weites Feld” geschrieben hat, das sich ja auch auf Fontane bezieht, ich alle meine Fontane-Bücher mit dem besten Vorsatz sie zu lesen, aus meinen schon damals großen Fundus herausgeholt und auf mein Bücherregal gelegt habe, wo sie sie eine Zeitlang lagen, bis sie wieder in den Regalen verschwunden sind und gelesen habe ich, fürchte ich, von Theodor Fontane nicht sehr viel und habe so nur das allgemeine Wissen über ihn, was man so hat, wenn man sich, wie ich, sehr für Literatur interessiert.

So kommt das kleine hundert Seiten Büchlein, das den Vorsatz hat, Theodor Fontane von seinem “Verstaubten Schulbuchimage” wegzuholen, wie in der “Amazon-Beschreibung steht, gerade richtig, obwohl, ich glaube, daß dem  1956 geborenen Burkhard Spinnen trotz allem Bemühen dieser Vorsatz nicht gelungen sind, denn die Fontanschen Heldinnen, die Effis, Jennies, Mathildes und, wie sie noch so alle heißen, sind im neunzehnten Jahrhundert verhaftet und das heutige Frauenleben ist, zum Glück, würde ich meinen, ein ganz anderes, es ist aber und das war wahrscheinlich, sowohl Absicht des Autors, als auch des Verlages, ein Schnellkurs in das Fontansche Werk, wenn man nicht, die Zeit hat oder sie sich nehmen will, sich durch die acht Berlin Romane des Autors zu lesen.

So hat es Burhard Spinnen für eine oder einen schön gebündelt und gibt, was man sowohl spannend, als auch nervig entpfinden kann, noch seinen Senf dazu, spinnt die Frauenleben weiter und denkt sich aus, was aus ihnen geworden wäre, zieht Verbinungen der einzelnen Heldinnen untereinander, etcetera.

Beginnen tut es mit dem Gedicht “Die arme Else”, dessen Refrain, dem Büchlein seinen Namen gegeben hat und dann geht es hinein in das Fontansche Leseleben von Burkhard Spinnen, bevor er in fünf Kapiteln, die Frauengestalten von acht Berlin-Romanen, die zwischen den Achtzehnsiebziger- und Achtzehnachtzigerjahren entstanden sind.

Und da beginnt es einmal spannend, bevor es für eine, die sich nicht wirklich mit dem Fontanschen Romanschaffen auskennt, etwas verwirrend wird, mit der Therese, der Sophie und der Manon und das sind die Töchter der Frau Poggenpuhl, die ist eine verarmte Aristrokratin, Mutter von fünf Kindern und Witwe, die den einstigen Wohlstand vortäuschend, verarmt vor sich hinleben und die drei zwischen siebzehn und dreißig Jahren alten Töchter, sich nicht unter ihrem Stand verhehlichen dürfen, also ledig und alte Jungfern bleiben. So habe ich Burkhard Spinnens Zusammenfassung verstanden.

Im zweiten Kapitel geht es wohl, um den berühmtesten Fontane Roman nämlich “Effi Briest”, die Ehebrecherin, die, weil sie mit siebzehn, als Kindfrau an einem wesentlich älteren Mann verheiratet wurde, diesen untreu wurde.

Brukard Spinnen verbindet die Effi  mit einer Cecile, aus einem anderen, wie er meint, weniger bekannten Fontane-Roman und die Gemeinsamkeit zwischen den beiden Heldinnen ist, daß sie an wesentlich ältere Männer verheiratet wurden und die Ehe brachen.

Dann geht es zu Stine und Lene, wie der Stine-Roman heißt, habe ich nicht ganz herausgefunden, der der die Lene zur Heldin hat, scheint “Irrungen Wirrungen” zu heißen und hier verweigern, die den unteren Schichten angehörigen Frau, den sie anbetenden Männern, die Hand und gehen daran zu Grunde.

Dann geht es zur Corinna und Jenny und die Jenny stammt aus dem Roman “Frau Jenny Treibel”, den ich, glaube ich von meiner Großmutter geerbt, aber nicht gelesen habe und eine Mathilde Möhring, die Spinnen mit einer Melanie verknüpft gibt es auch.

Die einzelnen Kapitel haben noch alle Titel, wie “Therese, Sophie, Manon oder: der Stillstand” bis zu “Melanie und Mathilde oder: selbst ist die Frau”, die die Spinnenschen Verknüpfungen erklären und ich vermute, daß dem Autor diese Verknüpfungen sicher Spaß machten, dem Leser, die hundert Seiten entweder eine kleine Einführung oder eine Auffrischung geben. Man sich aber jetzt an das Lesen, der Romane machen sollte, wenn, ja, wenn man die Zeit dazu hätte oder sie sich nehmen könnte und da mich meine übergroßen Bücherberge jetzt noch mehr als vor fünfundzwanzig Jahren am Lesen hindern werden, suche ich mir meine Fontane-Bücher jetzt gar nicht mehr heraus, obwohl man die Effi Briest und auch noch einiges andere natürlich lesen sollte.

Ganz klar, aber bis zum dreißigsten Dezember ist  noch etwas Zeit, da kommt noch Frankfurt dazwischen und bis dahin werden sicher noch einige Fontane-Bücher geschrieben oder sein Werk neu herausgegeben.

Kein Platz mehr

Roman steht auf Margit Schreiners neuem bei “Schöffling & Co” erschienenen Buchs und es ist natürlich wieder keiner, sondern, wie soll ich es beschreiben, eine leicht Bernhardsche Beschimpfung der Mittelschichtgesellschaft oder das auf die Schaufel nehmen des Lebens im Komfort des älter werdenden Mittelschichtschriftstellers, der  natürlich neue Zähne, gewellte Haare, teure Brillen und entsprechende Markenkleidung und natürlich  das entsprechende Geld dazu, für seine Lesungen benötigt, weil ja sonst keiner zu seinen Veranstaltungen kommt.

So kommt es, glaube ich, am ehesten hin und ich bin mir nicht ganz sicher, ob Margit Schreiner damals im Literaturmuseum aus diesem oder aus einem anderen ihrer Projekte vorgelesen hat, um die über Sechzigjährigen ist es damals aber auch gegangen.

Und Margit Schreiner ist, wie sie auf der Veranstaltung betonte schon über sechzig, nämlich, wie ich, 1953 geboren und, wie, ich glaube, durch “HausFrauenSex” bekanntgeworden. Dieses Buch habe ich vor zwei Jahren, als wir in Salzburg waren gelesen und Margit Schreiner, die ja wie in Österreich nicht so selten, immer noch im Bernhardschen Ton vor sich hin resummiert, auch schon auf einigen Veranstaltungen gehört und, wie ich sagen kann war das Lesen des kleinen feinen Büchleins auch sehr interessant, obwohl man sich natürlich fragen könnte, was das Neue und Einzigartige, was ja die gute Literatur ausmachen muß daran ist und warum sovielmokiert werden muß?

Wahrscheinlich würden Verlag und Autorin antworten, weil dieLeute das halt gerne lesen, aber Margit Schreiner, die in ihrem Monolog über die Schrullen der intellektuellen Mittelschicht, der sie selber anzugehören scheint, ja auch ein Kapitel  über die Leiden des Berufschriftstellers, der in alten Schlößern lebt oder ein Häuschen an einem Badesee hat, schreibt ja auch darüber, daß die Leute nicht mehr oder nur wenig lesen, also nur Sachbücher oder Krimis statt der guten Bellestrik und spätestens nach Thomas Bernhard wissen wir ja, daß alles das Fürchterlichtste vom Fürchterlichsten ist und wollen wahrscheinlich nur das Negative lesen und so wünscht sich Bruno, der Mann der Icherzählernden Schriftstellerin, daß er über sie schreibt. Es kann auch negativ sein oder soll das sogar, denn das ist ja das Interessante, was die vojeuristisch gestimmten Leser reizt und sie vielleicht dazu veranlaßt, das Buch zu kaufen.

Und dann hat man, wenn man das tut, am Ende seines Lebens oder in den Secchziger eine ganze Bibliothek in seinem Arbeitszimmer und “keinen Platz mehr”, so daß man ausmisten muß.

Minimalismus heißt das, glaube ich, und ist derzeit sehr modern, denn unser Luxusleben hat wahrscheinlich nicht nur Margit Schreiners Wohnung angefüllt und so zieht sie leicht schimpfend kunstvoll durch das hundertsiebzig Seiten Buch und macht sich über sich und die  Marotten ihrer Freunde, die allemal Schriftsteller sind und in den alten Schlößern oder Häuschen am See wohnen, lustig.

Da ist der, der nur mehr Haikus schreibt und in Italien in einem verfallenen Schloß lebt, das er um Leben zu können, an Hochzeit-Gesellschaften vermietet und Margit Schreiner hat auch einmal in Italien gelebt und da noch eine Wohnung.

Dort ist sie lange nicht mehr gewesen, ihr Bruno sagt ihr, ziehen wir in der Pension dorthin, aber zuerst muß renoviert und ausgemistet werden. Was kein Problem wäre, wenn es in den Anhöhen wo in Italient die Häuser stehen, eine Müllentrsorgung gäbe.

Gibt es nicht oder jedenfalls nicht für Ausländer, also packen Bruno und die Erzählerin, den Mist in Müllsäcke, karren ihn in sämtliche Abfalltonnen der Umgebung und geraten dort auch in ein verfallenes Vogelparadies, eine Fehlinvestion der maffiösen italienischen Gesellschaft, wie der Budenbesitzer, bei dem sie dann ihre “Salsice” kaufen, klagt.

Nach Japan geht es natürlich auch, denn dort haben ja sehr viele Mittelschichtschriftsteller ihre Gastdozenturen und dort gibt es natürlich auch keinen Platz, denn die Japaner die immer höflich sind, sich vor allen verbeugen und keine Gefühle zeigen dürfen, leben auf engsten Raum. Das heißt, sie räumen des Morgens ihre Futons in den Kasten und stellen das kleine Tischchen heraus, um Frühstücken zu können.

Ums Älterwerden und ums Sterben geht es natülich auch. Da hatMargit Schreiner auch einige sehr bissige Kommentare, bis sie am Schluß wieder zur Rudi und Karla ihre Schriftstellerfreunden kommt, die in Japan waren und von dort  zurückgekehrt sind.

Die haben, das Leben ist offenbar doch nicht so negativ, als daß man sich nur Gedanken über sein eigenes Ende und, wie am am besten und bequemsten Selbstmord begehen kann, machen muß, erfreuliche Nachrichten. Wurden sie doch von den Japaner wieder auf Gastprofessuren eingeladen und dort” habe man auch an eine Zusammenarbeit mit Österreich gedacht und wolle Sigi”, daß ist ein anderer Schriftsteller, der von einer Professur,  wahrscheinlich am “Institut für Sprachkunst” lebt und deshalb nur mehr sehr kurze Erzählungen schreiben kann ” nach Tokio einladen um alles zu besprechen.”

Man sieht das Leben ist doch nicht so grauslich negativ, wie einstmal in den “Alten Meisterrn” beschrieben, wo einer den ganzen Tag im kunsthistorischen Museum verbringt, dort über das Burgtheater schimpfe und am Abend in die Vorstellung ging und die war, wie könnte es anderes sein, die Fürchterlichste vom Fürchterlichsten.

Da habe ich, das habe ich schon beschrieben, die ich ja nicht die Lustigste bin, in den Achtzigerjahre,n als ich mit der kleinen Anna in Hütteldorf auf den Zug nach St. Pölten wartetete, “fürchterlich” gelacht und jetzt habe ich ein amüsantes Buch gelesen, obwohl mich, ganz ehrlich, das Jammern der Mittelschichtschriftstellerin über das Liden der ach so armen Schriftsteller mit ihren Gastprofessuren in Tokio und ihren Bed und Breckfestschlößern am Laggo Maggiore doch ein bißchen nervte und ich mich auch fragte, ob das wirklich das ist, was der Durchschnittsleser lesen will?

Buch der Zahlen

Jetzt habe ich wieder eine Woche für ein Buch gebraucht und mich mühsam von Seite zur Seite, noch dazu elektronisch, durch das neue Opus eines amerikanischen Wunderkindes gequält.

Ein Buch, das sie wie ein Sturmflug liest und mich stellenweise an Arno Schmidts “KAFF  mare Krisium” erinnerte, die “Handlung ist ein Datenstrom”, habe ich bei Deutschland Radio Kultur gelesen, der Verlag hat es, glaube ich, als den neuen “Ulysses” angekündigt und die “New York Times” hat geschrieben “Josuhas Cohens “Buch der Zahlen”  liest sich, als hätte jemand die Werke von Philip Roth zusammen mit einem von  David Foster Wallace in einen Teilchenbeschleuniger geschmissen” und bei der Verlagsbeschreibung kann man noch lesen: Autobiografie, Familiengeschichte, Ghostwriting für Anfänger, Sillicon Valley Historie, internationalerThriller, Sexkomödie – Buch der Zahlen ist ein überschäumendes Buch und in Amerika Kult.”

Worum geht es also in dem bei “Schöffling & Co” neuerschienenes Buch des 1989 in Jew Jersey geborenen Josuhua Cohen von dem auf Deutsch, glaube ich, schon “Solo für Schneidermann”, dessen Cover ich schon bei verschiedenen Blogs gesehen habe und das sehr eindrucksvoll ist und “Vier neue Nachrichten” erschienen sind.

Der Klappentext verrät das auch, denn, wie schon geschrieben, ist das Lesen äußerst schwierig und wahrscheinlich, wie das so schön heißt, nur für geübte oder die anspruchsvollen Leser.

Es geht also um einen gescheiterten Schriftsteller, der interessant Josuha Cohen heißt, der nach nine eleven, Schwierigkeiten mit der Herausgabe seines Buches und mit seiner Frau Ava hat und da den Auftrag  bekommt, die Autobiografie eines Medienmogul, der ungefähr “Facebook” und “Googl”e auf einmal erfunden hat, nur, daß das hier “Tetration” heißt und der Gründer, der auch der “Große Vorsitzende ” genannt wird, heißt zufälligerweise auch noch Josuha Cohen.

So weit, so gut und man könnte hier an eine Größenphantasie, wahrscheinlich auch an etwas anderes denken und wenn man das Buch noch dazu, wie ich elektronisch liest, aber mit E-Books nicht so gut umgehen kann, hat man gleich seine Schwierigkeiten und quält sich durch das Buch, ohne etwas zu verstehen.

Denn die Kritiken haben es schon angedeutet, es liest sich wie ein Sturmflug, eine Fahrt durch einen Teilchenbeschleuniger oder eine Hochschaubahn und dann ist es wieder erstaunlich konkret, fast banal konventionell, bevor es wieder an die Zeichen, Zahlen, durchgestrichenen Sätze über, die die kritiker sich dann streiten, ob man das jetzt lesen soll oder nicht, etcetera, geht.

Die Handlung springt vom Tausendsten zum Millionsten, wie das im World Wide Net eben so ist, könnte man so sagen, springt durch die Weltgerschichte, kommt von Moses zur Shoah und reist dann auch noch durch die ganze Welt, reist von Dubai, Palo Alto, Wien, Berlin, Frankfurt, London, Paris, etcetera überall hin, hat sehr viel Unverständliches und auch einige, mich sehr beeindruckt habende, konkrete Stellen.

Ein Buc,h das man weder lesen noch bloggen kann, habe ich, in der letzten Woche, glaube ich, mehrmals geschrieben und das auch einigen Leuten erzählt, die ich auf literarischen Veranstaltungen gegtroffen habe.

Ich versuche es trotzdem, habe ich das ja auch bei Arno Schmidt versucht und damit ist das Buch und sein Autor wahrscheinlich nicht zu vergleichen, auch nicht mit James Joyce und meiner Meinung nach überhaupt nicht mit Philip Roth zu vergleichen, aber weil ich mit dem Lesen  nicht weitergekommen bin, habe ich am Donnerstag einen Füllartikel über die großen Amerikaner und Amerikannerinnen geschrieben, die ich seit ich blogge, gelesen habe und da kommt Philip Roth, der ewige  Nichtnobelpreisträger vor.

Beeindruckend ist auch die Sprache, sie liest sich, wie das internet, haben die Kritiker geschrieben und sie ist neumodern und unverständlich mit vielen Neuschöpfungen, vielen Sprachen, so wie der Digital Nerd und globalisiert Aufwachsende eben ist, der mal in Asien, mal in Dubai und mal nur in Wien ist und dort auf der Ringstraße spazieren geht, wo einmal die Stadtmauer stand, die laut Cohen errichtet wurde, um die Türken abzuwehren und wo sich die ehemaligen Würstelstände befinden, die zu Kkebabbuden wurden und die Türken  ihre Böreks, etcetera verkaufen.

Vielleicht sollte ich, die mich beeindruckenden Stellen erwähnen, das ist einmal die, wo Josuha Coben, der gescheiterte Schriftsteller, mit seinem Lektor Ron oder Aron, glaube ich, in ein Deli  geht, wo man sich Beagles bestellt und die Getränke in Pappbecher bekommt. Sie haben, weil ja gerade den Ghostwritervertrag unterschrieben, eine Flasche Schampus mit, die sie dann heimlich, weil man das ja da nicht darf, in die Pappbecher gießen. Dann kommt auf einmal die gepearcte Kellnerin herbei, der man laut Cohen, die Medikamente und Drogen ansieht, die sie nimmt. Sie hat  zwei Pappbecher in der Hand, bedient sich am Schampus, um ihn dann gemeinsam mit der Schankkraft auszutrinken.

Das hat mich beeindruckt, vieles andere war und ist mir, wie schon beschrieben, unverständlich. Aber im Netz versteht man auch nicht alles und hat nicht die Zeit und auch nicht die Möglichkeit all das zu lesen. Vielleicht ist es das, was Jousha Cohen ausdrücken wollte.

Das Buch ist am 23. Jänner erschienen, am 18. war in Berlin eine Preview mit dem Autor, der ja, glaube ich, derzeit in Berlin Gastprofessor ist. Ich hätte mich dazu anmelden und hinfahren oder fliegen können, um jetzt vielleicht etwas mehr über das Buch zu wissen. Aber ich bin ja nicht so global, wie sein Autor und seit der Jahrtausendwende nicht mehr geflogen, die neuen Sicherheitsmassnahmen halten mich davon ab. Mein letzter Flug war aber und das ist, glaube ich, interessant, 1998 und da waren wir vierzehnTage in New York. Sind dort herumspaziert, ich bin den  Broadway entlanggelaufen, habe die berühmten Zwillingstürme besichtigt, wo es laut Anna Lindner den besten Kaffee gegeben hat. Hinaufgefahren bin ich nicht und habe vielleicht dabei auch berühmte Schriftsteller, wieJosuha Cohen, der aber damals warhscheinlich noch Student oder Schüler war, getroffen oder auch nicht.

Die beiden Cohens reisen aber viel herum, der Ghostwriter muß dabei, um seine Spuren zu verwischen, auch verschiedene Pässe benützen und verschiedene Flügen nehmen oder auslassen. Er ist von seiner Frau Ava getrennt, die er bevor er den Auftrag annimmt, ja, glaube ich, auch auf einer Bank im Central Park mit den Schauspieler Adam, ihrem späteren Lebensgefährten sitzen sieht, der ihm dann wütende E-Mails  und Klagsandrohungen schickt, weil er meint, Josuha hätte mit der Kreditkarte seiner Frau arabische Nutten bezahlt und ihnen Unterwäsche gekauft.

Es gibt auch eine Beziehung zu einer Araberin namens Izi, dann noch einen Besuch auf der Frankfurter Buchmesse und über das Lesen, beziehungsweise das Nichtlesen in Zeiten des Internets, wo die E-Books, die richtigen Bücher, die man riechen und schmecken kann, wird auch viel geschrieben.

In den schon erschienenen Rezensionen habe ich vergleiche zu dem “Circle” gefunden, aber da geht es zwar um eine Internetfirma, ist aber viel, viel konventioneller erzählt und ich würde eher das im Vorjahr sehr gehypte “Ich hasse dieses Internet” dazu empfehlen.

Neugierig geworden? Einen Versuch hineintzulesen, ist das Buch sicher wert. Ich bin auch sehr gespannt, wie andere das Mammut- Monster- oder Jahrhundertwerk empfunden haben und, wie weit sie durch die siebenhundertfünfzig Seiten gekommen sind?

“Ein abenteuerliches Buch um Identitätsverlust und die Macht der neuen Meden”, hat Christoph Schröder vom Journal Frankfurt auch noch geschrieben und  Felix Stephan von der “Literarischen Welt” meinte “Der große Epochenroman der Zehnerjahre”, wie wahr.