Es geht gleich weiter mit der Weltkriegssliteratur und der Kaiserstadt Wien im Juli 1914 am dreißigsten Juli um genau zu sein, am Vortag des Kriegseintritts, wo noch unzählige Trauungen stattfanden, die unzählige neunzehnjäbhrige Mädchen damit im Voraus zu Witwen machten.
Ein spannender Roman gerade richtig in einer Zeit, wo ich als sogenannte naive Friedensschwurblerin, ständig Bertha von Suttners “Die Waffen nieder” und Karl Kraus “Die letzten Tage der Menschheit” zitiere.
Richtig, die 1990 geborene Raphaela Edelbauer, eine Sprachkunstabsolvente, die ich auf der “Buch-Wien” mit ihren ersten ersten experimentellen bei “Klever” erschienenen Buch kennenelernte, scheint wirklich eine sehr phantasievolle Autorin zu sein, die alle Grenzen sprengt und vielleicht auch die Zeichen der Zeit mit jeweils einen anderen Stil erkennt und phantastisch beschreibt.
Ihr doppeltes Buchpreisbuch. “Das flüssige Land” hat mir sehr gut gefallen.
“Dave” mit dem sie den Öst gewonnen hat weniger und bei der Lesung im Literaturhaus und dem Gespräch mit Daniela Strigl, habe ich gedacht hoffentlich macht sie der Erfolg jetzt nicht überheblich. Dann bin ich in die Hauptbücherei zum “tea for three” gegangen und habe Klaus Nüchtern mit Daniela Strigl über das Buch diskutieren gehört und war erstaunt, wie herablassend Klaus Nüchtern das Buch besprach oder sich darüber lustig machte.
“Ein schlechtes Buch!”, hat er geschimpft und Beispiele angeführt und Daniela Strigl, die ich im Literaturhaus eher begeistert fand, hat nur schwach etwas von der expressiven Sprache verteidigt, die die Autorin offenbar für das Buch gefunden hat.
Jetzt habe ich es gelesen und ich muß sagen, es ist das Vergnügen wert und mit dem Ersten Weltkrieg hat es eigentlich nicht viel oder gar nichts zu tun.
Natürlich es ist ja erst er letzte Julitag und da ist Wien offenbar außer Rand und Band und das kann ich mir vorstellen, daß das damals, wo ich einen knapp zweijährigen Vater und noch keine Mutter hatte, so war. Aber der lebte im Arbeiterbezirk Ottakring und hat von der diesbezülichen Aufregung vielleicht nicht viel mitbekommen, obwohl ich in seinen Nachlaß Postkarten fand, wo der Herr Anton Jantschak an den Herrn Otto und das Fräulein Gretl Feldpostkarten von der Front schickte.
Aber jetzt haben wir erst ende Juli 2014 und da kommt der sechzehnjährige Pferdeknecht Hans aus Tirol nach Wien und kommt da am Südbahnhof an, was Klaus Nüchtern sehr bemängelt hat, denn damals ist man wohl am Westbahnhof angekommen.
Heute wäre das nicht mehr falsch. Vielleicht hat Raphaela Edelbauer, die sich auf das Buch ja sehr gelehrig vorbereitet hat, das ausdrücken wollen, daß sich alles ändert und nichts so bleibt. Der Pferdeknecht kommt also von der Fahrt total übermüdelt an und begibt sich, glaube ich, in die Garnison- oder Landesgerichtstraße, um bei Psychoanalytikerin Helene Ceresch in Analyse zu begeben, weil er paralsychologische Phänomene zu haben glaubt, denn oft wiederholt jemand genau den Satz, den er gerade denkt, was ihn beunruhigt. Er legt sich das ins Stiegenhaus, wird von der Analytikerin aufgeweckt, die ihn für den nächsten Tag bestellt und lernt da zwei andere junge Leute kennen, die mit ihm den letzten Tag des Friedens verbringen, nämlich Klara, die, glaube ich, achtzehn ist und sich auf ihr Rigorosum in Mathematik vorbereitet und Adam, das ist ein Adeliger, der sich am nächsten Tag melden muß und sich vorher noch mit der Musik Schönberg beschäftigt.
Die Personenbeschreibung hat mich damals im Literaturhaus gestört und da habe ich zu Helene Hoffmann gesagt, daß die Frauen, die sich 1914 auf ihr Rigorosum in Mathematik vorbereitet haben, höchstwahrscheinlich aus jüdischen bürgerlichen Familien stammten und sich dann ganz sicher nicht mit Tiroler Pferdeknechten abgegeben hätten und die wären höchstwahrscheinlich auch nicht mit ihren parapsychologischen Phänomenen zu einer Psychoanalytikerin gegangen.
Jetzt glaube ich, daß das genau die Absicht der Autorin war, die Welt des vorletzten Tags gehörig durcheinander zu bringen und auf den Kopf zu stellen und natürich war es nicht so oder doch?
Das hat es da und dort wahrscheinlich alles gegeben. Die Schönberg Musik, die Mathematik, die “Inkommensurablen”, sind ein solches Phänomen, die Frauen- und Sugrafettenbeweegung und auch das Kanalsystem, wo die Obdachlosen ihre Heimstadt hatte.
Max Winter hat Reportagen darüber geschrieben und Raphaela Edelbauer hat sie und alles andere genau studiert und stolpert nun mit ihren drei Helden durch die Stadt. Es geht als nach den Psychoanalytischen Stunden in das Palais von Adams Vater zu einem Diner. Dann gehts aber schon in den Untergrund und in die Zinskaserne, wo die kleine Klara aufgewachsen und nicht gestorben ist. Sie hat stattdessen ihr mathematisches Talent entdckt und Helene kennengelernt und die hat ein sogenanntes Traumcluster aufgebaut.
Es wird als auch in diese Favoritner Zinskaserne gehetzt, denn Klara muß für ihr Rigorosum Zeugnisse holen. Denn damals war es offenbar verboten, daß zwei Frauen zusammen wohnten.
Ja die Zeiten ändern sich, obwohl, fügt die Schwurblerin an, sie heute nicht viel weniger verrückt sind, wenn auch ein wenig anders.
Dann gehts zum Rigorosum. Hans ist noch immer todmüde und kommt nicht zum schlafen. Da werden sie aber von denen, die die Männer in den Krieg einberufen wollen, am eintreten gehindert. Denn es gibt angeblich kein Rigosrosum mehr oder doch natürlich. denn Helene und fünfzig andere Suffragetten warten schon, werden aber vom Floridsdorfer Jägerbund daran gehindert und vertrieben und so nimmt Helene Hans in ihr jüdisch stämmiges jüdisches Elternhaus in Stammersdorf mit, hier scheint die Realität eher zu stimmen und da sieht er das Traumdlort des Traumclusters und erkennt, daß Helene gar keine richtige Psychoanaltikerin ist. Das hatte ich mir da auch schon gedacht, daß Freud das anders verstanden hat, denn alles ist nur Suggestion und der sitzen wir ja offenbar sehr gern auf.
Ein geniales Buch würde ich sagen, obwohl ich zwischendurch auch nicht ganz sicher war, ob ich Klaus Nüchtern nicht vielleicht doch zustimmen sollte, denn ein bisschen verrückt und verdreht ist es schon. Das war aber höchstwahrscheinlich auch die Absicht der Autorin.