Gesichter

Nach der Psychiatriesatire von Kurt Fleisch kommt gleich wieder ein Psychiatrieroman, nämlich Tove Ditlevsen, von der ich ja den ersten Teil ihrer “Kopenhagener-Trilogie” gelesen habe, 1968 erschienene “Gesichter,” die von der Kinderbuchautorin Liese Mundus handeln.

Die hat einen Mann namens Gert, der sie betrügt und ihr erzählt, daß sich seine Geliebte Grete ermordet hat, drei Kinder und eine junge Haushälterin oder Kindermädchen namens Gitte. Sie hat auch einen Kinderbuchpreis bekommen und als Gert ihr erzählt, daß Grete sich ermordet hat und von ihr Unterstützung will, sagte sie, sie möchte schlafen.

Dann kommt Gitte zu ihr, die auch mit den Kindern auf Vietnam-Demonstration geht und sich ungefragt Bücher aus Lieses Zimmer nimmt und sagt, sie müße ihr die Schlafabletten wegnehmen, damit nicht das gleiche, wie bei Grete passiert.

Lese holt sich das Fläschen zurück, nimmt die Tabletten und ruft ihren Psychiater Dr. Jörgensen an, der sie in die geschlossene Abteillung einweist.

Dort hört sie Stimmen und verwechselt die Pfleger und die Schwestern mit Gitte und Gert, der sie aber nicht besuchen kommt, denn er mag keine Krankenhäuser. Es kommt ihre Mutter und eine Patientin kümmert sich auch um sie, denn sie glaubt, sie würde vergiftet werden, hört überall Stimmen, die aus Mikrophonen aus dem Kopfkissen kommen und die Patientin rät, das den Ärzten nicht zu erzählen, nur wie der König heißt und, daß sie weiß, wo sie sich befindet.

Sie kommuniziert viel mit Gitte aus der “Folterkammer”, glaubt daß Gert, die Tochter Hanna heiratet wird. Gitte kommt dann auch auf besuch, die anderen dürfen offenbar noch nicht, bringt Zigaretten und einen Lippenstift mit und als Liese gesund wird und wieder nach hause kann, sagt Gert ihr, er hätte Gitte hinausgeworfen und so fangen sie von vorne wieder an und Liese beginnt auch wieder zu schreiben.

Ein interessantes Buch, das man mit der “Glasglocke” vergleichen kann, das die Psychiatrie der Neunzehnsechzigerjahre schildert.

Ein wenig widersprüchig ist der Text trotzdem. Wie war das jetzt mit der Beziehung zwischen Gert zu Gitte und Hanne? Hat er sie jetzt betrogen oder hat sie sich das nur eingebildet und warum hat sie Gitte nicht selber hinausgeworfen, sondern sich alles gefallen lassen?

Tove Ditlevsen wurde 1917 in Kopenhagen geboren und starb 1976 an einer Überdosis Schlaftabletten, wo wir gleich die autobiografischen Züge haben.

Unhaltbare Zustände

Nun geht es in die Schweiz zum Schweizer Lesen und zu Buch drei des “Schweizer Buchpreises” nämlich Alain Claude Sulzers “Unhaltbare Zustände” der schon 2012 mit “Aus den Fugen” auf der Schweizer Liste gestanden ist, das Buch habe ich im Sommer in Locarno gelesen, das neue habe ich nach Basel mitgenommen, bin aber neben der “Buch-Basel” und dem siebenten “Nanowrimo” und der Stadtbesiichtigung nicht zum Lesen gekommen und nun habe ich das Buch gelesen, das ein sehr langsames altmodisches ist und das mich mehr beeidruckt hat, als das von dem Künstler der plötzlich den Konzertsaal mitten im Spiel verläßt, obwohl es wahrscheinlich, um einen ähnlichen tragischen Ausnahmezustand geht und der 1953 Geborene, den ich auch bei der Lesung im Volkshaus Basel hörte, wohl ein Meister darin ist.

Ein sehr langsames und altmodisches Buch, das im jahr 1968, wo sich alles änderte und das neue Leben in die Schweiz und da wohl in die Stadt Bern mit dem Bärengraben eintritt und auf dem Münster die Vietcongfahne gehießt wird, spielt und da von einem älteren wohl sechzigjährigen Schaufensterdekorateur handelt, der im “Quatre Saisons” schon seit Jahrzehnten für die Gestaltung der Schaufenster zuständig ist.

Ein etwas altmodischer Herr, unverheiratet, der bis zu ihrem Tod bei seiner Mutter lebte, ein wenig schrullig wohl, wie ihn Sulzer, der ja auch schon über sechzig ist, sehr gekonnt, aber wohl auch sehr klischeehaft schildert.

Nun holt ihm die neue Zeit, die er nicht mehr versteht ein und er wird durch einen neuen Schausfensterdekorateuer ersetzt, der lebende Figuren, sprich Schauspielschüler in die Schaufenster setzt und Robert Stettler bleibt über und zerbricht daran, gibt es ja auch keine Frauen in seinem Leben, die Mutter ist tot, sondern nur eine Liebe oder Schwärmerei zu einer Rundfunkpianistin namens Lotte Zerbst, wohl auch schon eine ältere Dame. Ihr schreibt er Briefe und fängt auch Bier zu trinken an und sie, die in ihrer Jugend von ihrem russischen Klavierlehrer mißbraucht wurde, wäre wohl auch nicht abgeneigt, ihn zu treffen.

Allein der Zufall spielt dagegen, das geplante Schostakowitsch-Konzert, das sie in seiner Stadt geben soll, wird wegen dem Einmarsch in die CSSR abgesagt und als sie dann doch kommt, um Chopin zu spielen, findet sie seine Adresse nicht und er hat da schon längst seinen Abgang, sprich letzten großen Coup geplant.

Das ist wieder etwas dramatisch und ich würde das wohl eher banaler schildern, aber Stetter, der seinem Widersacher vorher verfolgte und auch einen Denuziationsbrief an die Geschäftsleitung schrieb, als er ihn mit ein paar jungen Leuten aus seiner Wohnung gehen sah, auch das ist vielleicht ein bißchen dick aufgetragen, reagiert am Ende viel moderner, als der strahlendene Konkurrent, als er sich nämlich nackt in in das Schaufenster setzt und dadurch einen wahren Auflauf erregt.

Blöd ist nur, daß er damit wahrscheinlich nicht nur in die “Irrenanstalt” kommt, sondern, daß Lotte Zerbst auch an dem Schaufenster vorbei geht und entsetzt über den “armen Irren” ist, wie sie ihm später in einem Brief mitteilt.

Einen Prolog und einen Epilog, gibt es auch und ich habe ein spannendes Buch gelesen und bin wieder ein Stück weiter in die Schweizer Literatur  eingedrungen und habe vielleicht auch von Alain Claude Sulzer, den ich, wenn ich mich nicht irre, 1996 kennenlernte, als ich da einmal nach Klagenfurt zum “Bachmannpreis” als Zuschauerin gefahren bin, etwas mehr erfahren.

Paris, Mai 68

Wir leben ja in einem Jubiläumsjahr, vor hundert Jahren wurde die Republik gegründet, vor achtzig sind die Nazis in Österreich einmarschiert und 1968 gab es vor fünfzig Jahren auch und da erscheinen bei “Wagenbach” eine Reihe von Jubiläumsbücher und das erste “Paris, Mai 68” von der  1947 geborenen Schauspielerin Anne Wiazemsky, von der ich schon “Mein Berliner Kind” gelesen habe und die vorigen Oktober in Paris gestorben ist.

1968 war sie gerade über zwanzig, hatte wohl ihre ersten Filme gedreht, war mit Jean Godard verheiratet und ist mit ihm in die Rue Saint Jacques 17 gezogen, von wo aus sie das politische Geschehen auf den Pariser Straßen verfolgt und beschreibt.

Die Kämpfe finden im Quartier Latin, zwischen der Sorbonne und dem Lokal, wo sich Anne Wiazemsky und Jean-Luc Godard mit ihren Freunden Rosier und Bambam treffen. Anne Wiazemsky hat gerade den Film “Die Chinesin” gedreht und ein Treffen mit Mitgliedern der Beatles, wo John Lennon Anne Wiazemsky unter den Tisch lockte, was Godiers Eifersucht erregte, gab es auch.

Darüber drehen sich die Gespräche. Die Freunde müssen der Kämpfe wegen aber ausweichen und ein anderes Lokal besuchen, das Godard zu luxeriös erscheint, weshalb er die Gäste beschimpft. Am Heimweg verliert er seine Brille. Das Paar wird von der Polizei kontrolliert und gerät wegen seiner Schweizer Pässe in Schwierigkeiten.

Im Radio ruft Dany Cohn-Bendit dazu auf, sich an den Kämpfen zu beteiligen. Es kommt zu einem Generalstreik, die Filmfestspiele von Canne werden abgesagt. Da sind die Beiden aber schon dort und haben Schwierigkeiten mit der Rückfahrt, denn es gibt kein Benzin. Die Lebensmittel werden knapp und General de Gaulle erkundigt sich bei seinem Volk, ob es ihn noch als Präsident haben will, worauf dieses im Chor “Adieu, de Gaulle!”, schreit.

Die Pariser Wohnung der Beiden wurde inzwischen von einem Freund verwüstet, der ständig Kampfeslieder toniert, den Anne  Wiazemsky bei ihrer Rückkehr hinauswirft, trotzdem geht sie mit ihm später Rollschuhlaufen und sie leeren auch gemeinsam eine Flasche Whisky.

Die Kämpfe gehen weiter, es gibt Gegendemonstrationen, wo auch Anne Wiazemskys Großvater, der Nobelpreisträger Francois  Mauriac mitmarschiert, ein junger Mann namens Gilles tautin kommt um, bei der Trauerfeierlichkeit kommt es zu Ausschreitungen und dann ist der Mai vorbei, worüber ja auch Peter Henisch geschrieben hat.

Der Juni beginnt, die Beiden fliegen nach London, um mit den Rollingstones zu drehen. Anne Wiazemsky nach Rom um in Alberto Moravias “Der Konformist” mitzuspielen, nach Amerika geht es auch und als Anne Wiazemsky ein Angebot bekommt, wo sie sich ausziehen soll, kommt es zu Auseinandersetzungen mit Godard, der ja sehr eifersüchtig ist.

Er unternimmt einen Selbstmordversuch, wird gerettet, aber die Beziehung der beiden bricht auseinander, was wahrscheinlich auch ein Motiv für Anne Wiazemsky Erinnerungsbuch ist und das Jahr 1968 ist  auch noch in anderer Sicht weitergegangen.

Im April wurde schon Martin Luther King ermordet, worüber vor kurzem in den “Gedanken für den Tag” zu hören war. Im August marschierten die Russen in Prag ein.

Luis Stabauer hat in seinen “Weißen”, ein anderes Erinnerungsbuch darüber geschrieben und ich habe “Paris, Mai 68”, im April gelesen, weil ich Rezensionsexemplare  immer möglichst sofort lese und nicht den Monat abwarten wollte.

Da “Wagenbach” aber, wie schon erwähnt zu diesem Anlaß eine ganze Reihe von Erinnerungbüchern herausgab, liegt inzwischen noch ein Gedichtband von Erich Fried in meinen Badezimmer und da werde ich wohl nicht vor Mai zum Lesen kommen.