Unsere verschwundenen Herzen

Jetzt kommt wieder eine Buchpreisleseunterbrechung, nämlich Celeste Ngs “Unsere verschwundenen Herzen” und das ist interessant, denn daran schließt sich nicht nur mein elftes Longlistbuch nämlich Anna Kims “Geschichte eines Kindes” an. Es beantwortet auch die Frage mit der ich mich seit Längeren beschäftige. Nämlich wie schreibt man Covid-Romane und wollen wir so etwas lesen oder schreiben?

Ich will es, wie meine Leser wahrscheinlich wissen und fand manche Massnahmen so skurril, daß ich einen dystopischen Roman darüber schreiben wollte. Aber wie macht man das, wenn man auch die Realität beschreiben will?

Dystopische Romane finde ich auch sehr interessant und die scheinen auch zu boomen. Bis 2015 hätte ich sie utopisch genannt, und dazu “1984”, “Fahrenheit 451” und “Schöne neue Welt” dazu gezählt. Dann hat Heinz Helle einen dystopischen Roman geschrieben. Stephan Teichgräber hat ein diesbezügliches Seminar angeboten und die “Literatur im Herbst” hat sich auch damit beschäftigt.

Seit Corona boomen die dystopischen Romane überhaupt und Corona hat wohl auch viele Autoren zum Schreiben gebracht, obwohl viele Dystopien wohl zur Jugendliteratur zählen und das ist wahrscheinlich auch bei der 1980 geborenen Celeste Ng so, die mit ihrer Familie in Cambrigde lebt und die schon einige Bestseller herausgebracht hat.

Jetzt hat sie sich mit einer amerikanischen Dystopie beschäftigt. Die große Krise, das Wort Covid fällt dabei nicht, ist vorbei. Es gibt einen PACT und der kontrollieren mit einer Art Bürgerwehr die Gesellschaft und grenzt vor allem asiatisch aussehende Menschen, als Wurzel des Bösen aus und mahntalle alles zu melden, was die Gemeischaft gefährdet. Das Wort “Solidarität” und das “aufeinander schauen” fällt dabei und ich habe “Aha!”, gedacht!, weil man während der Covid Krise ja auch aufeinander schauen und sich aus Solidarität impfen lassen sollte.

Aber das ist nicht das Problem des zwölfjährigen Bird, der seit kurzem Noah genannt wird und mit seinem Vater in einem Studentenheim lebt. Der arbeitet in einer Bibliothek. Vorher war er Wissenschaftler und die Mutter hat ihn und Bird verlassen. Der Vater sorgt für den Sohn und mahnt ihn zur Vorsicht, denn Bird ist der Sohn einer asiatischen Mutter und solche Kinder werden mehr oder weniger heimlich aus den Familien genommen und zur Adoption freigegeben.

Bücher verschwinden aus den Bibliotheken, obwohl es die noch gibt und das Buch beginnt damit, daß Bird eine Nachricht von seiner Mutter bekommt. Da erinnert er sich an ein Märchen, das sie ihm früherer zählte und fahndet nach einer Katzengeschichte und findet das Buch in den Bibliotheken nicht.

Das erscheint ein bißchen unrealistisch, denn die Mutter ist seit drei Jahren verschwunden, wie man später herausbekommt und da müßte sich Bird eigentlich noch an sie und die Sanktionen erinnern können.

Er hat aber eine Schulkollegin namens Sadie, ein Adoptiv-oder Pflegekind, das nach seiner Mutter sucht und ihm die Augen öffnet und dann verschwindet und Bird geht in das Haus, das er früher mit seinen Eltern bewohnt hat und das mehr verfallen ist, als es nach drei Jahren Leerstand eigentlich sein müßte und findet dort eine Adresse, wo er die Mutter finden kann. So fährt er nach New York, findet die Mutter und deren Geschichte, was die Spannung des Buches etwas mindert, wird erzählt.

Sie hat die Familie jedenfalls verlassen, damit Bird ihnen nicht weggenommen wirdund betreibt jetzt Widerstand. Früher hat sie ein Gedicht geschrieben, “Unsere verschwunden Herzen”, das zum Symbol für den Widerstand geworden ist und die Mutter forscht nach all den verschwundenen Kindern und wird dabei von der Polizei erwischt. Aber Bird und sein Vater machen weiter.

Spannend, spannend, die Idee, vielleicht auch ein wenig depressiv machend in all den Dystopien in denen wir derzeit leben und ich denke, es ist eher eine Materialsammllung, die man noch bearbeiten müßte, obwohl Celeste Ng schon eine sehr bekannte Autorin ist.

Sie kommt auch im November nach Deutschland auf Lesetournee. Da hätte ich mich bewerben können, in Hamburg an einem Bloggertreff teilzuehmen. Aber das ist Erstens ein wenig weit und Zweitens möchte ich mich ja weder testen lassen noch Maske tragen.

1000 Serpentinen Angst

Buch siebzehn des dBp und eines der drei Debuts und wow, was für ein Buch könnte ich ich schreiben, das Erstlingswerk der 1985 in Weimar geboren Olivia Wenzel, die in Ostldeutschland von einer weißen Mutter aufgezogen wurde und einen sambischen Vater hat.

So ein Buch hat es schon von Jackie Thomae hat es schon im Vorjahr auf die Shortlist gebracht und als ich die Besprchung bei “Papierstau” hörte, wo ich noch lange nicht so weit mit dem Lesen war, dachte ich, das ist ein sehr ähnliches Buch und habe mich wieder einmal sehr geirrt.

Ist es nicht, es ist ein beachtliches Erstlingwertk einer jungen Frau mit einem sehr sehr ungewöhnlichen frischen frechen oder auch was immer Stil, das viele Themen anschneidet und absolut noch nichts von einer Struktur und einem Plot etwas gehört zu haben scheint. Ich würde es auch nicht Roman nennen, sondern wahrscheinlich wieder Memoir, greift es wahrscheinlich ja viele Themen und biografische Punkte seiner Autorin auf und hat einen rassanten ersten Satz, wo ich noch mit dem Thomae Vorurteil behaftet schon einmal “Wow!” dachte “Mein Herz ist ein Automat aus Blech”, lautet der nämlich. Dann geht es nach New York und zur TrumpWahl, von der man ja jetzt in zweiter Runde wieder sehr viel hört. Dann zurück nach Berlin, ist teilweise, wie ein Seitenkatalog oder ein Fragenbogen gestaltet, dann hat es wieder Fließtextanteile und kurze knappe abschnitte und sehr viel Englisch und, das ist auch sehr interessant, es hat dem gestrengen Kritiker vom Literaturcafe wegen seiner Ungewöhnlichkeit gefallen und ich, die ich ja schon ein wenig älter und auch konventioneller bin, ein wenig verwirrt. Das Buch wird aber sicher einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, obwohl ich es eher schnell und flüchtig gelesen habe, maches überflog und mich dann wieder bei anderen Rezensenten und Vloggern nach ihren Eindruck erkundigte.

Die Autobiografie aber bleibt und ist wahrscheinlich prägend, da ist die Protagonistin, ich glaube, sie hat keinen Namen, aber einen Zwillingsbruder, der sich umbrachte, einen Vater aus Angola, der bald wieder in seine Heimat verschwand, aber zum Geburtstag mailt, eine SED- getreue Großmutter, als es die noch gab, die die Enkeltochter liebevoll “Schokokrümelchen” nannte, eine Mutter, die Punkerin war und jetzt reist diese, ich glaube, Dreißigjährige, die auch als Lehrerin in Neukölln arbeitet, nach New York und dann wieder nach Berlin zurück. Sieht am Flughafen einen Mann, der sich vielleicht einen Sprengstoffgürtel überschnall und geht zur Security, als sie zurückkommt spielt er mit drei Kindern und man denkt “Wow!”, es gibt Kim, die vietnamnesische Freundin, die auch von ihren Rassismuserfahrungen erzählt.

Richtig, es ist ein Buch über Rassismus und über die Mikro- oder Makroaggressionserfahrungen dieser Welt, die die jungen Leute von heute wahrscheinlich stärker oder ganz anders, als ihre Großümütter erleben.

Im letzten Teil ist die Protagonistin, dann schwanger und reist nach Vietnam, vorher hat sie, weil an Angst- und Panikstörungen leidend, einige Therapien durchgemacht, ein Freund, der Psychoanaltiker ist, hat sie dazu gezwungen, sie erwischt aber wieder einige falsche, nämlich auch rassistische, die sie und ihr Problem nicht verstehen. Mit den Psychopharmaka ist es ähnlich.

Das Automatenbild kommt immer wieder vor und andere verschiedene Rassismuserfahrungen und immer wieder diese Fragebögen oft in Groß- und Fettschrift geschrieben, die von manchen Rezensenten als rapartig interpretiert wurden.

Interessant, interessant, würde ich sagen, auf die Shortlist ist es nicht gekommen, obwohl es mir wahrscheinlich besser als Jackie Thomaes “Brüder” gefallen hat. Auf meine würde ich es aber wahrscheinlich auch nicht tun. Jetzt bin ich wieder gespannt, was ich noch alles von der Autorin hören oder lesen werde und natürlich auf das dritte Debut, Deniz Ohdes “Streulicht”, das auf der Shortlist war, sowie den “Aspekte-Preis” bekommen hat, für den, Olivia Wenzel, glaube ich, auch nominiert war und das, als Nächstes auf meiner Leseliste steht und natürlich bin ich auch gespannt, ob das Buch für die Bloggerdebutshortlist auserwählt wurde, denn dann hätte ich es schon gelesen.