Ohrenschmaus und Tanz der Teufel

Heute wird wieder der “Ohrenschmaus-Literatur von und mit Menschen mit Lernschwierigkeiten”, ich glaube diesmal in der Nationalbibliothek und Pandemie bedingt leider nur im kleinen Kreis verliehen. Das heißt, ich als Jurymitglied hätte ja teilnehmen und auch eine Laudatio halten dürfen. Aber da ich keine Maske, keinen Test und keine Impfung will, habe ich zwar wieder angeboten für Peter Gstöttmeier, dem Dauersieger die Laudation zu schreiben und jemand liest sie vor, denn das habe ich schon zweimal, wollten die Organisateren aber nicht und gestreamtn wird diesmal auch nicht, nur in den Soziale Medien kleine Clips verbreitet.

Macht ja nichts, kann ich auch so, das heißt ohne die schönen Fotos vom Alfred, die sonst immer meine Berichte schmückten, die Preisträger bekanntgeben.

Das heißt Robert Saugspier hat beschrieben, wie er seine “Lebensgefährtin kennengelernt” hat. Annemarie Delleg die “Bildersammlerin” und Peter Gstöttmeier, das Ausnahmetalent fragte sich “wo is de zeit hinkemma?”

Eine Ehrenliste gibt es wieder auch. Da stehen diesmal fünf Texte, beziehungsweise Preisträger darauf, zu denen Johanna Maria Ott, Veronika Grün, Christina Hendl, Herbert Schinko und Michael Wilhelm, also ein paar alte Bekannte, gehören und dann gibt es seit vorgen Jahr immer einen extra Schokoladenpreis. Sonst wurde der immer aus den vorhandenen Texten ausgewählt. Seit dem Vorjahr gibt es ein Thema, das diesmal “Luftsprung” hieß und da gibt es auch acht Sieger.

Einer davon heißt wieder Peter Gstöttmeier und dafür, kann ich mich erinnern, habe ich gestimmt. Sonst halte ich mich eher zurück, weil ich den anderen mit nicht so atarken Stimmen, auch eine Chance geben möchte, aber hier ein Ausschnitt:

“Attergau-Attersee

is Freiheit is guate Luft

is Natur dort konnst in Hütterl wohna

konnst Stern zöhn aufd Nocht san sovie am Hümmi

Mond is a do.”

Maria Trojer hat

“Springen

macht Freude

nach Corona aufatmen

Sprung aus mir heraus

mutig”, gereimt.

Christiane Becker schrieb

“Man springt in der Luft, wenn man gute Laune hat

auf dem Trampolin springt, wenn man Glück hat”

Dann gibts noch “Ich bin” von Silvia Hochmüller.

“Nonsens” von Michael Wilhelm, ein Vorjahrssieger, ist besonders lustig

“Zippe zappe ich trage Kappe

zippe zo, nach einem Spiel muß ich aufs Klo

zippe zeiter, das Feld wird immer weiter”” und ebenfalls bekannt, “Die Gestreiften Socken” von Herbert Schinko.

Und weils bei der Preisverleihung beschränkt ist, wirds am vierundzwanzigsten April im Badeschiff ein großes “Luftsprung-Fest” geben, wo alle Autoren lesen werden.

Mal sehen, ob da die Gs und die Maskenpflicht schon gefallen sind und ansonsten werde ich mich wieder in die “Alte Schmiede” streamen, wo der 1981 in Lumbumbashi geborene, seit 2009 in Graz und jetzt vielleicht in Wien lebende Fiston Mwanza Mulija, dessen “Tram 83” ich gelesen habe und ihn auch einmal in Krems bei der “Literatur und Wein” hörte, seinen zweiten Roman “Tanz der Teufel” bei “Zsolnay” erschienen, vorstellte. Das Buch wurde schon im Morgenjournal vorgestellt und der Autor war auch, glaube ich, bei der Präsentation des Gastlandes Österreichs vorige Woche in Leipzig.

Jetzt leitete Johanna Öttl ein und der 1984 in der Schweiz geborene Fermin Suter stellte den Autor vor, der sein Buch zuerst mit musikalscher Begleitung perfomierte. Denn es spielt wieder in einer angolischen Bar, zu Zeiten Mobutos, handelt von zwei Straßenkindern, die sich mit Kleinkriminalität und Gelegenheitsarbeiten durch Leben bringen, beziehungsweise den “wunderbaren Tanz des Teufels” tanzen.

Das war sehr eindrucksvoll, aber schwer zu verstehen, so daß Johannes Tröndle schließlich auf konventionellere Art und Weise vier der sechsundfünfzig kurzen Vignetten weiterlas.”

Sanza wollte nicht länger der Schoßhund seiner Eltern sein”, hieß eine davon, die sehr direkt schildert, wie der Jugendliche aus der bürgerlichen Geborgenheit seiner Eltern ausbrechen will und sich auf die Straße begibt.

Dann ging es zu dem anderen Protagonisten, der sich in den Diamantenmienen Angolas verdingt. Das Buch wurde auf Französisch geschrieben, kam 2020 in Paris heraus und wurde von Katharna Meyer und Lena Müller übersetzt.

Dann gibts noch einen Monsieur Gijon und einen österreichischen Schriftsteller namens Franz Baumgartner, der sich in das schon erwähnte Lokal “Mambo de la Fete” begibt und beim Bier bestellen “Franizskus” genannt wird.

Im letzten Abschnitt ging es dann um “Gungi, dem Ölmagnaten.

Dann gabs noch ein Gespräch zwischen Fermin Suter und dem Autor, der erklärte daß er aus der Tradition der mündlichen aber auch der französischen Kultur käme, so da er immer versucht den Wörtern ein zweites Leben zu geben denn wenn man eine Geschichte zwanzigmal erzählt ist sie zwanzigmal anders und meinte, daß ein guter Erzähler immer spontan neue Wörter erfindet und dann geht es auch um das Schmeicheln, wenn er seiner Mutter erzählt, daß sie für ihn wichtiger als Elisabetz die II wäre.

Fermin Suter fragte dann nach Improvisation in der Zusammenarbeit mit dem Musiker, die schon seit ungefähr zehn Jahren besteht und es passiert bei jeder Lesung etwas anderes. Fermin Suter wollte noch den Zusammenhang zur Lautpoesie und zur Wiener Gruppe wissen, aber Finston Mwanza Mulija ist ja ein kongulesischer Schriftsteller und mußte, als er nach Österreich kam, erst Deutsch lernen und erwähnte Ernst Jandl, H. C Artmann, Ingeborg Bachmann und Peter Handke an denen er sich orientierte und er meinte auchund das ist interessant, weil er ja französischsprachig ist, daß es in Österreich gan anders ist Peter Handke zu lesen, als wenn er das auf Französisch täte.

Dann kam er wieder in den Kongo, wo es eine Kultur und eine Subkultur gäbe und die ist sehr stark und die Leute glauben an Exen und an magische Figuren oder, daß die Inspiration von Schlangen und Meerjungfrauen käme und eine solche kommt in dem Buch, glaube ich, auch vor. Fermin Suter meinte dann, daß das Buch an ein vielschichtiges Gemälde erinnern würde und wollte wissen, wie Fiston Mwanza Mujija beim Schreiben vorgegangen ist und er meinte, daß ihm die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik schwer fällt, weil er schon über zwanzig war, wie er nach Europa gekommen ist.

Am Ende sind die Kinder Jugendliche, es ist 1997 und Mobutu wird gestürzt.

Ein interessantes Buch und ein interessanter Abend und jetzt bin ich noch auf die “Ohrenschmaus-Preisverleihungsimpressionen” gespannt.

Tram 83

Graz scheint wieder oder immer noch die Literaturhauptstadt Österreichs zu sein oder zumindest eine, die Gespür für die aktuelle Lage und die aktuellen Trends hat.

Hat doch ConstanzeMatthes auf dem “Buchpreis-Blog” im Vorjahr beklagt, daß es keine aktuellen gesellschaftspolitischen Tendenen, die die sich auf Flucht und Vertreibung beziehen beispielsweise, sondern immer nur den Einheitsbrei des Familienromans und des Männerleidens auf der LL gibt und da lese ich ein halbes Jahr später meine Geburtstagsbücher und merke, das stimmt nicht ganz.

Zwar waren weder Fiston Mwanza Mujila noch Tomer Gardi auf der Liste, können sie vielleicht auch gar nicht, weil der eine Afrikaner, der andere Israeli, der eine lebt aber in Graz, der andere war dort Stipendiat und sie beschreiben diese Tendenzen, spielen damit, gehen darüber hinaus.

Tomer Gardi hat es mit “Broken German” versucht und damit nicht in Klagenfurt gewonnen, der Debutroman des 1981 in der demokratischen Republik Kongo geborenen Fiston Mwanza Muljia wurde aber sehr gelobt und hat, aus dem Französischen übersetzt, auch schon viele Preise gewonnen.

Ich, die ich beim Lesen ja die Struktur und die Handlung brauche, habe mir beim Lesen zwar etwas schwer getan, das Buch, das mit Hieronymus Boschs Farbenvielfalt verglichen wird, hat mich an Dos Passos “Manhatten Transfer” erinnert und  bin wieder etwas skeptisch, ob es in einem afrikanischen Nachtlokal so zugeht, aber der Autor den ich ja bei “Literatur und Wein” in Krems erleben konnte, sprüht wirklich durch seine Sprachgewalt und dazu hat er noch eine sehr laute Stimme mit der er sie einbringen kann.

Was in dem Buch passiert, ist entweder schnell oder wahrscheinlich gar nicht zu erzählen. In dem Nachtlokal “Tram 83”, das in der afrikanischen Großstadt “Stadtland” liegt, von wo alle aus dem Hinterland herkommen, treffen sich Nacht für Nacht die Prostituieren, die Touristen, die Gauner, die  Mienenarbeiter, die Verlierer, die Profiteure und und, wie im Klappentext steht, um ihre Geschäfte zu machen und ihr Vergnügen zu haben und da treffen sich auch die ungleichen Freunde, Lucien der Schriftsteller und der Klein- oder Großgauner  Requiem, einen belgischen Verleger und einen abtrünnigen General, der das Geschick des Landes lenkt oder in den Untergang führt, gibt es auch.

Das Ganze wird auf über zweihundert Seiten, in dreiunddreißig Kapiteln erzählt und es gibt, wie schon erwähnt, keine Handlung und auch keine Chronologie.

Die Kapitel bestehen eher aus Schreigesängen mit immer gleichen Sätzen, einer starken Sprache und Wortneuschöpfungen.

So besteht das Publikum, das sich in den Lokal trifft aus den “Küken”, beziehungsweise den “Single-Mamis”, die von den Freiern ihr Geld haben wollen und ihnen dafür alles und immer nur das Beste versprechen.

“Eine riesige Aufgabe, die Frauen, die ins Tram 83 kamen, zuzuorden. Alle führten einen eisernen Kampf gegen das Altern. Eine Einteilung war nicht ganz ohne, da waren die unter Sechzehnjährigen, Küken genannt, die Single-Mamis, also die zwischen Zwanzig und Vierzigjährigen, auch dann Single-Mamis genannt, wenn sie gar keine Kinder hatten, und schließlich die Frauen- ohne- Alter, deren festes Alter bei einundvierzig lag. Keine von ihnen konnte sich eine Falte erlauben. Man sah sie nie ohne Schminke, sie trugen falsche Brüste, alle Mittel waren recht um die Kunden zu ködern, und sie trugen fremd klingende Namen, wie Marylyn Monroe oder Sylvie Vartan oder RomySchneider oder Bessie Smidt, Marlene Dietrich oder Simone de Beauvoir, alles war recht um der Welt zu zeigen, dass es sie gab”

Solche Passagen ziehen sich durch das ganze Buch.

Es gibt dann auch immer wieder die Sätze, wie “Was sagt die Uhr?” oder “Wo ist mein Trinkgeld?”, denn die Kellnerinnen und Aushilfskellnerinnen verlangen das von ihren Kunden und werden sehr ungehalten, wenn man  es ihnen  verweigert.

Seltsamerweise geht es in dem Buch aber auch sehr viel um Literatur und manchmal klingt es wie ein Schreibratgeber:

“Jedem politischen Regime lieferst du die passende Literatur. Du schreibst ein episches Gedicht über die Frisur der Frau des Präsidenten, und man schenkt dir  ein Haus, einen Monolog, der den Traum des Ministers für Wahrsagen, Hellsehen und Prophezeien aufgreifgt, und man bezahlt dir eine Reise nach Venedig.”

Lucien, der seine Frau verloren hat und aus dem Gefängnis in das Lokal zurückkommt, will dort eine Lesung halten. Die mißglückt, er bekommt auch einen Anruf von dem belgischen Verleger, der sein Buch drucken will. Da schaltet sich aber Requiem ein und erpresst ihn das nicht zu tun, denn seine Mädchen machen immer Aufnahmen von den Kunden, die könnte er dann in die Zeitung bringen und den Verleger ruinieren, ins Gefägnis bringen lassen, etcetera.

So stolpern wir durch das Buch von Kapitel und Kapitel, staunen über die Sprachgewalt und die schönen neuen Worte, in denen das Leben hier passiert.

Manchmal kommt Requiem, des Nachts nach Hause und das Blut quillt von seinen Kleidern, er stopft das erbeutete Geld in Müllsäcke ohne es auszugeben und man weiß nicht wirklich, was hier passiert und worum es geht?

Bibelzitate kommen immer wieder vor und eine Diva, die wie die Callas ausschaut und sehr schön singt .

Und der Verleger von Requiem erpresst versucht dann auch Lucien hinzuhalten, in dem er ihn seit Stück zuerst von zwanzig auf zehn Personen, dann auf zwei umarbeiten und es ihm dann auch noch in den brasilanischen Urwald versetzen läßt.

Ich bezweifle eigentlich, daß so etwas in einem Nachtclub einer afrikanischen Großstadt passiert und, daß sich die Verlierer und Gewinner dort für Literatur interessieren.

Aber richtig, die Lesung ist  mißlungen, obwohl ich auch nicht wirklich mitbekommen habe, wieso und Fiston Mwanza Mujia unterrichtet in Graz afrikanische Literatur und kennt sich deshalb auch sehr gut aus.

Eine groteske Stelle gibt es in dem Buch auch noch, die ich erwähnen sollte. Lucien  wurde ja verhaftet, kommt ins Gefängnis, wird dort gefoltert und dann von einer Frau ausgelöst.

Das Kapitel, das das beschreibt hat die Überschrift “Das Wiener Konservatorium”, weil der Genera,l der dort foltert sich sehr für klassische Musik interessiert und daher den Gefangenen in ihren Zellen Rimski – Korsakow, Tschaikowski, Strawinsky, etcetera, vorspielen läßt.

Dazu habe ich Assozioen und Anknüpfpunkte. Es werden in den Lokal oder in dem Land auch Hunde gegessen und es gibt dann Hundeschützer, die die armen Tiere vor ihrem Tod retten wollen. Denn in Europa haben es die Hunde besser werden von ihren Besitzern gehätschelt und getätschelt, es gibt Hundecafes, Hundegeschäfte, Hundekliniken, etcetera und am Schluß geht das Gerücht um, daß der abtrünnige General, das Lokal schließen läßt, so daß die drei Freunde, Requiem, Lucien und der Verleger wieder fliehen müssen.