Mon cheri und unsere demolierten Seelen

Hurrah, hurrah, Buch neun der Öst und das Siegerbuch, und das war für mich und vielleicht auch für andere eine Überraschung, denn ich war ja felsenfest überzeugt, Robert Menasse wird der neue Buchpreisträger und es bleibt auch mein Siegerbuch, obwohl mich der vierte Roman der 1979 in Bludenz geborenen und in der Schweiz aufgewachsenen Verena Roßbacher, die auch beim “Bachmannpreis” gelesen hat, sehr überraschte.

Denn was soll ein Ungerhaltungsroman auf einer Buchpreisliste? Da ist ja kein Platz für Krimis und Liebesromane, obwohl es das ist, was die meisten Leute wahrscheinlich lesen. Da muß alle hohe Literatur sein experimentell und unverständlich und dann quälen sich die Buchhändler mit den Siegerbüchern der Friederike Mayröcker und wünschen sich “Hoffentlich gewinnt der Jirgl nicht?”

Auf der Öst ist das ein bißchen anders, denn da gibt es ja auch Gedichte, Erzählungen und Essays und Verena Roßbachers, ich glaube, fünfhundert Seiten Roman, ich habe e pub gelesen, ist sicher auch eine Satire auf den ChickLit und ich würde auch sagen, er ist ein bißchen zu lang, würde kürzen, aber sonst alle Elemente des Chick Lits und auch die der hehren Literatur.

So beginnt es einmal gleich mit Handke, der ja auch ein sehr umstrittener Nobelpreisträger ist und vor kurzem achtzig wurde und dann gibt es natürlich die tolpatschige Heldin, über die sich schon manche ChickLit-Leser ärgerten, Charly Benz, die ihre Croissants verkohlen läßt, sich von Mon Cheri und Müsliriegeln ernährt, in der Marketingabteilung einer Firma jobbt, die vegane Kost erzeugt und das Problem hat ihre Briefe nicht öffnen zu können. Deshalb geht sie zu Herrn Schablowski, der kein Psychotherapeut ist, wie glaube ich, die Buchhändlerin neben der ich während der Buchpreisverleihung gestanden bin, ihren Freundinnen erzählte, sondern im Abo das Brief öffnen anbietet, deshalb ist er auch der beste Freund dieser Charly und es beginnt mit einem Brief eines Notars aus Wien, das Ganze beginnt in Berlin, wo Charly lebt, der nicht geöffnet werden kann.

Eine Schwester hat Charly auch, die Heilpraktikerin Sybille und die schenkt ihr einen Familienaufstellungskurs. Man sieht Verena Roßbacher nimmt unser gesamtes modernes Leben auf die Schaufel und dort trifft sie einen Schulkollegen, in dem sie damals verliebt war, der sie aber verschmähte, deshalb hat Charly auch ein Behiehungstrauma. Ein kaputtes Fahrrad, das sie trotzdem immer neben sich herschiebt, hat sie auch und vier Geschwister, die Mutter, eine Lehrerin, ist, glaube ich, verstorben und dann gibt es den Don, den immer verschwundenen Vater über den ich gleich spoilern kann, daß er gestorben ist und einmal hat er Charly und ihre Geschwister überreden versucht eine Hotelfachschule zu besuchen, was die aber nicht machten.

Nun tauchen, um mich nicht in zu viele Details zu verlieren, nacheinander drei Männer auf. Einen kennen wir schon, das ist der Dragaschnik, der Jugendheld, dann kommt ein Kulturjournalist namens Hänse Quandt auf den Schirm, der Charly dabei beobachtet, wie sie ihre Fahhradschloßkombination nicht lösen kann und dann gibt es den Nachbarn Mo, einen Kafka Spezialisten, der einen Shitstorm bekam, weil er seinen Studenten, glaube ich, sagte “Kafkasei überschätzt!”

Ulje, uje, da kann man sich gleich den Strick nehmen. Mo nimmt aber eine Ukolele, aber das passiert erst später, als Charly schwanger ist und keine Ahnung hat, wer von den Drei der Vater ist und da kann ich anmerken, daß ich so was auch schon geschrieben habe.

Vorher besucht Charly aber mit Herrn Schablowski, den starken Raucher sämtliche Spitalsambulanzen, bevor seine Krebsdiagnose gestellt wird und der dann seine Behandlungen verweigert. Auch das habe ich wie in der “Brüderschaft” im Rahmen eines “Nanowrimos” einmal geschrieben. Also bin ich vielleicht doch nicht so ohne, wenn eine Buchpreisträgerin dieselben Themen hat und dann geht es los und die Beiden hasten von einem Mediationskurs zum anderen, um sich zu finden und zu wissen, wie es weitergeht?

Etwas weiß man inzwischen schon. Nämlich was in dem Brief stand. Daß der Vater gestorben ist und Charly und ihren Geschwistern ein Hotel in Bad Gastein vererbte, das sie entweder bewirtschaften sollen oder es geht nach zwei Jahren an ein Tierheim.

Im dritten Teil des Buches, richtig ein chaotisches Weihnachtsfest hat es auch gegeben und einen Sesselkreis, wo Charly ihre drei Männer aufzuklären versuchte, aber die veranstalten stattdessen ein Ukulelekonzert, eine herrlich skurrile Szene und dann putzen sich die Väter erstmal ab und Charly flüchtet mit Herrn Schablowski in das Hotel.

Dort findet dann die Geburt, geleitet von einer walkürenhaften seltsamen Hebamme statt, die kleine Mitzi wird geboren, alle Geschwister und sogar die Väter waren dabei.

Wie es weitergeht, bleibt offen. Das heißt Herr Schablowski stirbt natürlich oder geht einer ungewissen Zukunft entgegen, wie denn sonst? Die Geschwister und die Männer reisen zum Teil wieder ab und Herr Schablowski hat Charly sein irdisches Gut hinterlassen, so daß sie, wenn sie will, das Hotel betreibn kann.

Während des Lesen, auch da habe ich eine Woche gebraucht, ich bin inzwischen trotz meiner langen Liste eine langsame Leserin, habe manchmal gedacht, das ist zu lang und die Leser werden, wenn sie Unterhaltung wollen, eher zu Hera Lind oder Ildiko von Kürthy greifen, dann aber wieder, es ist alles da, was mich auch schon beschäftigt hat und einen herrlichen Satz über Viren, die die Corona- Dauerschreiberin natürlich interessiert, gibt es auch.

Also schließe ich ab, Verena Roßbacher versteht ihr Geschäft. Den interessierten Leser würde ich raten, selber lesen, um sich sein eigenes Bild zu machen und ich habe mir ja einmal Doron Rabinovicis “Einstellung” auf die Longlist gewünscht. Das habe ich zum Geburtstag bekommen, ob ich es statt dem “Mon Cheri” auf die Liste wünsche, werde ich verkünden, wenn ich das Buch gelesen habe.

Ich war Diener des Hauses Hobbes

Vor zwischen und nach dem österreichischen Buchpreislesen beziehungsweise der “Buch-Wien” komme ich jetzt zur österreichischen Literatur und zwar zum dritten Roman der 1979 in Blundenz geborenen Verena Rossbacher und es ist einer, den ich eigentlich mit in die Schweiz nehmen hätte können, wenn ich nur vorher den Kappentext und die Beschreibung gelesen hätte. Aber das tue ich ja nur selten und so bin ich erst während meines Buchmessensurfings daraufgekommen, daß das Buch nicht nur in Feldkirch, sondern auch in Zürich spielt.

Dachte ich da ja wahrscheinlich des Titels wegens, es wäre vielleicht ein Fantasyroman und als das Buch bei den O-Tönen vorgestellt wurde, bin ich ja in Zürich im Zelt beim See gelegen und habe wahrscheinlich den “Auftritt-Schweiz” gelesen.

Jetzt bin ich aber doch dazu gekommen und  muß sagen, es spannendes Buch. Ich habe von der Vorarlberger Schriftstellerin noch nicht sehr viel gelesen, nur ihren Auftritt in Klagenfurt gehört und beim Doderer Symposium wurde ihr “Verlangen nach Drachen” besprochen, das sehr starke Ähnlichkeiten mit einem von Doderers Romanen hat.

Verena Rossbacher, die im Leipziger Literaturinstitut studierte, ist eine belesene Frau. Kommen  doch Stefan Zweig und seine letzten Worte in den Buch vor, über den “Ulysses” wird ein bißchen geschimpft und es taucht auch ein österreich-amerikanischer Schriftsteller namens John Wray auf und von dem habe ich mir gestern ein Buch bestellt. Ob es das ist, was in Rossbachers Roman geschrieben wird, werde ich herausfinden. Am Klappentext steht aber, daß das Buch ein “betörend leichfüßiger und vertrackt unheimlicher Roman ist, in dem nichts ist, wie es zunächst scheint.”

Worum geht es? Eigentlich ist die Handlung, die das auf den dreihundertsiebzig Seiten aufgeblättert ist, kitschig zu nennen. Es geht um Mord und Totschlag, um, wie bei Agatha Christie aufgefundenen Leichen, die dann der Butler im Pavillon findet. Es geht um unterschobene Kinder, um Kunstfälschung und sonstigen Betrug, wie das in den Herrschaftsvillen, die vielleicht in den Groschenromanen beschrieben werden, so üblich ist.

Und es geht um Christian oder Krischi, denn er ist ein Vorarberger. Der macht nach der Matura in den Niederlanden eine Dienerausbildung und läßt sich dann in Zürich am Berg von der Anwaltsfamilie Hobbs. Das sind Jean -Pierre und sein Bruder Gerome, ein Maler, der immer in weißen Kitteln durch die Villa läuft, die Frau Bernadette und die beiden Kinder Raphael und Aurelia und weil Frau Hobbs Vater Christian heißt, wird er im Hause Hobbs, wie es bei den feinen Familien üblich ist, Robert genannt. Es gibt eine Köchin, einen Gärtner, eine Nanny für die Kinder und ein polnisches Ehepaar für das Grobe.  Christian hat in Feldkirch noch drei Freunde den Gösch, den Isi und den Olli und als das Buch beginnt, sitzt er schon wieder in Feldkirch und schreibt alles auf.

Die Handlung aus einem Agatha Christie Buch oder einem Groschenhefterl entnommen, habe ich oben schon erzählt oder angedeutet. Ich soll ja vielleicht nicht so viel spoilern. Das Zitat “Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus!”, hat der Isi im Vorlberger Gymnasium dem Mathematiklehrer Andre gesagt, als er die Schularbeit abgegeben hat, beziehungsweise von ihm hinausgeschmissen wurde und, daß Stefan Zweig am dreiundzwanzigsten März 1918 am Feldkirchner Bahnhof war, als der letzte Kaiser Österreichs  mit seiner Frau Zita das Land verlassen hat, wird auch erwähnt und das kann man wahrscheinlich in keinen Groschenroman finden.

Es ist auch keiner, sondern wie am Buchrücken steht: “Der dritte Roman von Verena Rossbacher ist ein literarisches Ereignis -voller psychologischer Brillanz, umwerfender Poesie und doppelbödigen Humor”. Dem stimme ich gerne zu.