Der verlorene Sohn

Das neue Buch der 1984 in Baku geborenen Olga Grjasnova deren “Russe, der die Birken liebt” und “Gott ist nicht schüchtern” gelesen habe und die ich auch im Literaturhaus und einmal in Leipzig erlebte, führt in den Kaukasus und in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und ich finde die Themenbandbreite und auch die Stilverschiebungen der Literaturinstitut Absolventin sehr interessant, liest sich der Roman doch sehr leicht und fast wie ein Jugendbuch und man erfährt sehr viel dabei. Von der russischen Kriegspolitik des neunzehnten Jahrhunderts und auch, wie sich jemand fühlen muß, wenn er plözlich von Baku oderAkhulgo nach Moskau kommt oder von Damaskus nach Berlin oder Wien, denn der achtjährige Jamalludin, Sohn des mächtigen Imams Schamil wird aus politistchen Grünen von Akhulgu im Nordkaukassus nach St. Petersburg geschickt. Er ist eine Geisel des Zaren und seine Mutter erzählt ihm, daß es sich nur, um ein paar Tage oder Wochen handeln würde.

Es werden fünfzehn Jahre daraus und der Zar läßt ihn in einer Kadettenschule erziehen, lädt ihn und die anderen Zöglinge zu Kinderbällen und anderen Festivalitäten ein. Er lernt Russisch und Französisch, dient in der russischen Armee, wird von dort nach Polen geschickt und verliebt sich die die emanzipierte Lisa, die in Göttingen studieren will und natürlich Sex mit ihm hat. Dann plötzlich nimmt der Vater georgische Geiseln gefangen und Jamalludi muß wieder, seiner Kultur entwöhnt, in den Kaukasus zurückkehren, denn die russische und französische Kultur ist natürlich besser. Die russischen Ärzte können den Fuß der tochter des Vaters heilen, der inzwischen viele andere Nebenfrauen und von ihren Kinder hat. Jamadullahs Mutter ist schon vor zehn Jahren gestorben und die Briefe die Jamadullah an den Vater gewchrieben hat, haben diesen nie erreicht.

Am Schluß erwischt Jamadulin die Tuberkulose. Der russische Arzt, der ihn behandeln soll, kann ihm nur die Diagnose, die er schon wußte, mitteilen und der Diener Ali, den er bittet ihn etwas vorzulesen, kann ihm nur aus dem Koran zitieren. Da er weder Russisch noch Französisch versteht und so lautet einer der letzten Sätze “Jamalludin hatte nicht mehr die Kraft sich dagegen aufzulehnen” und am Anfang hat Olga Grjasnowa geschrieben, daß der Roman auf historischen Fakten beruhen würde.

“Vieles stimmt, manches ist frei erfunden oder der Struktur des Romanes angepasst.”

Ich bin nicht ganz sicher, ob das wirklich so funktionierte, daß der Zar seinen Feinden, die besten Ausbildung genießen ließ und die dann gebildet zurückschickt, aber spannend eine völlig andere Olga Grjasnowa zu lesen und auch etwas über das Leben am St. Petersburger Hof im neunzehnten Jahrhundert und auch ein bißchen über den Kaukasus zu erfahren.

Gott ist nicht schüchtern

Von der 1984 in Baku geborene Olga Grjasnowa, die am Leipziger Literaturinstitut studierte, habe ich das erste Mal vor dem blauen Sofa gehört, als sie dort ihr Debut “Der Russe ist einer der Birken liebt” vorstellte, das ich mir dann zu Weihnachten oder zum Geburtstag schenken ließ.

Ein sehr beeindruckendes Debut von einer überforderten jungen Frau und einen toten Hasen, aus ihrem zweiten Buch habe ich sie im Wiener Literaturhaus lesen gehört und jetzt ist ihr dritter Roman bei “Aufbau” erschienen und er begleitet zwei hoffnungsvolle junge Syrier, durch die Revolution, durch den Krieg, bis sie dann beide mit Booten geflüchtet, in Berlin wieder aufeinander treffen.

Endlich ein politisches Thema in der Gegenwartsliteratur, wie die Blogger schon länger fordern, beziehungsweise auf der letzten LL vermißten, aber Jenny Erpenbecks “Gehen ging gegangen” vom Vorjahr, nicht als literarisch genug durchgehen lassen.

Bei Olga Grjasnowa, die groß in Leipzig vorgestellt wurde, erging es zumindest den “Amazon-Lesern” ähnlich, denn ein Roman muß ja abgehoben sein, um als literarisch zu gelten.

Wenn da eine nur vom Leben im umkämpften Damakus berichtet, wird das schnell als Journalistisch und Reportagenhaft abgetan.

Dennoch, trotzdem kann ich mir jetzt ein realistischeres Bild von der Flüchtlingskrise machen, mir das Schicksal der Menschen, die zu uns gekommen sind, wie das so schön heißt, vielleicht ein bißchen besser vorstellen und, daß das Buch nicht literarisch wäre, ist mir nicht aufgefallen, aber ich gelte ja auch nicht dafür und habe in den letzten Jahren in meiner sogenannten Flüchtlingstrilogie auch ein bißchen darüber geschrieben und gelesen.

Olga Grjasnowa ist vielleicht ein bißchen besser mit der syrischen Küche und dem Mittelschichtleben in Damaskus vor und während dem Krieg vertraut, irgendwo habe ich gelesen, sie wäre mit einem Syrier verheiratet und so erzählt sie die Geschichte von Hammoudi und Amal, die irgenwann 2011 zu beginnen scheint, auch sehr packend.

Da ist Hammoudi gerade mit seinem Medizinstudium, das er in Paris absolvierte, fertig. Er hat auch schon eine Stelle als kosmetischer Chirgurg und eine Beziehung, muß aber nach Hause in die Grenzstadt Deir az Zour, um seinen Paß zu verlängern.

Von dort wir er nicht mehr hinausgelassen, muß seine Approbation machen, fällt dabei mit einem zweiten ausländischen Arzt durch, weil er das Schmierkuvert vergessen hat, “Zu lange im Ausland gewesen!”, sagen dieKollegen, die zwar nichts wissen, das Kuvert aber dabei hatten, beginnt dann ein geheimes Lazarett aufzubauen und die Angeschossenen und Verletzten zu operieren und zu operieren….

Amal hat dagegen bei ihrem Vater durchgesetzt, Schauspielerin zu werden, beginnt jetzt mit ihren ersten Rollen, geht zu Demonstrationen, wird verhaftet, lebt  mit dem Regisseur  Youssef zusammen und erfährt dann, die eine russische Mutter hat, die aber irgendwann aus ihrem und dem Leben ihres Bruders Ali verschwunden ist, daß der Vater schon längst eine zweite fromme Familie hat.

Sie flüchtet mit Youssef nach Beirut, beginnt dort in einer Küche zu arbeiten, das Geld geht aus. Sie flüchten in die Türkei und beginnen dann die Übefahrt nach italien zusammen mit einer jungen Mutter und deren Baby Amina. Die Mutter kommt um, als das Schiff untergeht, Amal, das Baby und Joussuf können sich retten.

Amal gibt Amina, als ihr Kind aus. Sie kommen nach Berlin, wo Amal in Kochshows zu arbeiten beginnt und Angst hat, daß man ihr das Baby wegnehmen könnte.

Hammoudi muß auch flüchten und kommt ebenfalls nach Berlin, wo er Amal, die er schon in Damaskus kurz gesehen hat, wieder trifft. Die beiden verlieben sich ineinander und verbringen ein paar schöne Stunden in einem Hotel.

Dann wird Hammoudi in ein anderes Flüchtlingsheim verlegt und kommt dort bei einem Bombenanschlag um, während Amal ein Angebot hat, für eine Kochshow nach L.A. zu reisen. Sie tut es auch, dreht aber, weil sie Angst vor dem Meer und dem Wasser hat, am Flughafen dort wieder um und fliegt zurück nach Berlin.

Ein sehr interessantes Buch, das ich jeden empfehlen kann, der sich für die Flüchtlingssituation interessiert. Es gibt auch drei Landkarten in dem Buch, die die drei Teile voneinander trennen.

Die erste zeigt die Staaten am Mittelmehr, Syrien, Türkei, Libanon, Irak,  in der zweiten ist schon Europa mitabgebildet, während auf der dritten, die Sterne am Firmanent aber auch Tiernamen stehen und ein Zitat von Brecht gibt es auch:

“Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überal zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch  nicht anerkannt wird.”

Es ist aus den “Flüchtlingsgesprächen” und ich vermute, Bertold Brecht hat es in einem ganz anderen Zusammenhang  geschrieben.

Und der Titel bezieht sich wohl darauf, daß der liebe Gott sehr viel Gewalt und Kriege zuläßt und nichts dagegen tut oder tun kann.