Die Bestatterin von Killcross

Beim nächsten Buch kann man schön die Spannungsbögen, die ein guter Roman offenbar haben muß, ablesen. Das Genre ist nicht so ganz klar, ein Unterhaltungs- oder Liebesroman vielleicht oder auch eine alternative Form sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen.

Die 1970 geborene irische Autorin Anne Griffin macht das vor und sie erzählt trotz aller Spannungsbögen eigentlich eine recht leise Geschichte und führt auch ein surreales Element ein, um die Handlung in Schwung zu bringen, die vielleicht auch eine Midlifekrisegeschichte ist oder nein, die Protagonistin Jeanie Masterson ist erst über dreißig und sie bricht gleich zu Beginn zusammen, als ihr Vater ihr bekannt gibt, daß er in den Ruhestand gehen und mit seiner Frau aufs Land ziehen und Jeanie die Bestattungsfirma übergeben will.

Das stürzt Jeanie in eine Krise. Dabei hat sie doch ein besonderes Talent. Se kann nämlich mit den Toten sprechen, während de für das Begräbnis hergerichtet werden, nach ihren Wünschen fragen und die dann an die Angehörigen weitergeben.

Der Vater kann es auch, seine Schwester Harry aber nicht, die balsamiert die Toten ein und das tut auch Jeanies Ehemann Niall und das löst eine Reise in die Vergangenheit aus und wir erfahren Jeanies Lebensgeschichte.

Sie hat Niall schon in der Schule kennengelernt, sich dann aber in den Fotografen Fionn verliebt, den sie nach London folgen soll. Kann sie aber nicht, ist sie doch Vollzeit in die Bestattungsfirma eingestiegen.

Es gibt auch einige Fallgeschichten, die uns berichten, was die Toten Jeanie oder ihren Vater erzählen. So gestehen sie beispielsweise, daß sie einen Kugelschreiber gestohlen haben oder gestehen ihre Liebe und wenn wir schon beim Schreibgeschehen sind, können wir auch nach den Prämissen fragen, den ein verdammt guter Roman ja haben soll.

Die Lebe zur Wahrheit könnte man sie benennen, denn Jeanie und ihr Vater geben nicht alles eins zu eins an die Angehörigen weiter, sondern beschönigen einiges, um die Angehörigen nicht zu verletzen. Jeanie lernt aber eine anderer Totenflüsterin kennen und die lebt ihr vor, daß man es auch anders machen kann.

Des Vaters Entschluss führt Jeanie jedenfalls in die Krise und sie überlegt, ob sie nicht vielleicht aussteigen und etwas ganz anderes machen soll. Ihr Mann tut das aus, denn er will ein Haus am Meer, einen Hund und ein Kind. Jeanie aber nicht. Denn was ist wenn das Kind dann ihre Gabe erbt und damit dann so überfordert wie sie selber ist?

Jea nie hat auch einen autistischen Bruder, der diese Gabe nicht hat und auf einmal liegt auch ihr Jugendfreund Fionn bei ihr im Bestattungszimmer. Das löst ein Fluchtverhalten auf. Liall hat sich schon früher zurückgezogen. Jeanie geht zuerst nach Norwegen zu einer Freundin, dann nach Frankreich zu der anderen Totenflüsterin und dahin kommt auch Tante Harry und verrät ein Geheimnis, nämlich, daß das Totenflüstern offenbar weiblich ist.

.Jeanie, Harry und die Französin können es. Der Vater nicht. Aber das hat der autoritäre Großvater nicht zulasen können, so mußte Harry dem Vater alles flüsternn und das löste dann die Mißverständisse aus, die Jeanie belasteten.

Es gibt natürlich ein Happyend und ich habe ein interessantes Buch einer irischen Autorin gelesen, das ein wenig abseits dem Buchpreisschema liegt.

Heimweh

Jetzt kommt ein Buch, das, glaube ich, schon seit Oktober auf meinen Badezimmerstapel liegt und das gleich zweimal zu mir gekommen ist. Einmal als Lese – und dann noch als Printexemplar, das Leseexemplar habe ich an Doris Kloimstein weitergegeben, so daß wir es gemeinsam lesen können und ich habe von dem 1963 geborenen irischen Autor Graham Norton, den “Irischen Dorfpolizisten” auch gleich zweimal gefunden, aber noch nicht gelesen.

Und ich muß sagen es ist ein interessantes Buch, an Hand dem man gut den Spannungsbogen verfolgen kann, nicht die “Heldenreise”, die habe ich gar nicht darin erkannt, es ist, glaube ich, eher die unchronologische Struktur, die von 1987 bis 2019 hin und herspringt und langsam Schicht für Schicht alle Geheimnisse von sich gibt. Es ist ungeheuer spannend geschrieben, weil man sich am Anfang nicht auskennt, spannender als ich es vom Buchpreislesen kenne und wenn man dann tief durchatmet, erkennt man vielleicht die Handlung ist eigentlich trivial. Es gibt zwei Themenstränge, ein Unfall mit tödlichen Folgen, die das Leben eines jungen Mannes verändert und dann die Einstellung zur Homosexualität, die sich seit 1987 auch sehr verändert hat.

Das Ganze scheint in einer irischen Kleinstadt namens Mullinmore zu spielen oder zu beginnen und da beginnt es am Vorabend einer Hochzeit. Zwei junge Leute Bernie und David wollen sich verheiraten, die Mutter kauft der Braut kauft sich noch das Hochzeitkleid.

Bernie und David sind mit ihrer Brautjungfer Camel und deren Schwester Linda im Auto des Arztsohnes Martin ans Meer gefahren. Der Sohn des Pubbesitzers Connor ist auch dabei. In den ersten Szenen bahnt sich das Unheil an, denn die sechs hatten einen Unfall. Das Paar und Camel sind tod, Linda schwer verletzt, die beiden anderen unverletzt und Connor hat das Auto gefahren erfährt man.

Dann wird beschrieben, wie schwer es ist in einer Kleinstadt mit dieser Schuld zu leben, vor allem Ellen Connors Schwester hat diese Schwierigkeit und es ist ihr peinlich. Die Eltern schicken Connor nach England, wo er eine Arbeit am Bau bekommt, in einer Männer-WG wohnt und die Beziehung zu Mullinmore un seinen Eltern abbricht.

Dort nähert sich Martin Ellen an, führt sie aus und heiratet sie schließlich.

Eine spannende Szene ist der Weihnachtsabend von 1988, glaube ich, da ist Connor in der Wohngemeinschaft allein und besucht eine Bar, da wird er von einem Mitbewohner beim Schmusen mit einem Künstler erwischt, der ihn hinauswirft und der Vater der in der Wohngemeinschaft anruft, kann ihn nicht erreichen.

Dann kommen die Zeitsprünge. Ellens Ehe ist unglücklich und ihr Mann, der inzwischen die Praxis des Vaters übernommen hat, ist ein Ekel und 2012 trifft Connor seinen Neffen Finbarr, den er erst später als solchen erkennt in einer New Yorker Schwulenbar. Es geht ihm schlecht, denn sein Freund Tim hat ihn verlassen, er betrinkt sich und erkennt dann in Finbarrs Zimmer das Bild seiner Schwester und Finbarr erzählt seiner Mutter, daß er den Onkel getroffen hat.

Dann geht die Handlung richtig los. Ellen besucht Linda, die inzwischen vom Koma erwacht ist und im Rollstuhl sitzt und die verrät ihr Connor saß gar nicht am Steuer, sondern Martin und Ellen erkennt, warum Martin sie geheiratet hat.

Es waren die Schuldgefühle etwas wieder gut zu machen, denn in einer Rückblende von 1987 erfährt man, daß Martin am Strand etwas getrunken hat und Connor nachdem der Unfall passierte, zwang zu sagen, er wäre gefahren, sonst verrät er seinen Eltern, daß er homosexuell ist und davon hatte Connor schreckliche Angst und ärgert sich noch Jahre später, daß er sich darauf eingelassen hat, noch dazu, da seine Eltern mit Finbarrs Homosexualität keine Schwierigkeiten haben und auch sein Vater regelmäßige Ausflüge nach Dublin machte, wo er einen Franzosen traf, also sehr viel Homosexualität in der kleinen Stadt, die vielleicht ein wenig unrealistisch ist.

Ellen stellt ihn zur Rede, zieht in den Bungalow seiner Eltern und er verschwindet. Das ist eine spannende Szene wo Ellen in dem Bungalow beschwingt erwacht, weil sie glaubt die Ehe hinter sich zu haben und dann beim Einkaufen von einer verstörten Pflegerin, die seine demente Mutter betreut und der Ordinationshilfe angerufen wird “Dr Coulter ist verschwunden!”

Der bleibt ein paar Tage weg und räumt Ellens Konto leer. Dann kommt er zurück und schlägt Ellen die Scheidung vor. Die findet dann noch ihr Glück und einen netten Mann. Finbarr heiratet 2019 seinen Freund Luke, denn das darf man dann und es gibt jetzt ein frugales>Hochzeitsfest, zu dem auch Connor und Linda kommen.

Ein spannender Roman mit interessanten Themen und wie geschrieben, wenn man darüber nachdenkt erkennt man ein paar Unlogigkeiten und auch die gewollte Planung.

Abgesehen von den schon geschilderten sehr packenden Szenen, ist Ellen ein bißchen widersprüchig, geschildert, weil sie am Anfang große Schwierigkeiten mit Connors Schuld hatte, dann aber über sich hinauswächst und eigentlich zu stärksten Figur wird. Dr. Coulter erscheint sehr unklar. Warum ist er Ekel und Connor eigentlich ein Looser, was ich auch ein wenig ungewöhnlich fand.

Aber interessant einen neuen Autor kennengelernt zu haben und da ein bißchen mitgenascht, wie man einen spannenden Unterhaltungsroman schreiben und wo es damit haken kann.

Alle, die vor uns da waren

Das nächste Buch schließt sich gleich an das vorige an, denn da geht es auch um die Erdverschmutzung und den Zustand dieser Welt und ist, wie ich “Amazon” entnehme, eigentlich der dritte Teil von Birgit Vanderbekes Familiensaga oder Memoireihe mit Szenen aus ihrem Leben.

Bei “Piper” erschienen und da bin ich mir gar nicht sicher, ob ich es angefragt oder so geschickt bekommen habe. Auf meiner Bestellliste steht es jedenfalls nicht und Teil zwei, das ist auch sehr interessant “Wer dann noch lachen kann” habe ich bei dem Literaturquiz der “Buch Wien” von Günter Kaindlsdorfer bekommen, muß es noch lesen, während ich den ersten Teil “Ich freue mich, daß ich geboren bin” auch noch finden muß und die 1956 in Dahme geborene Birgit Vanderbeke habe ich, glaube ich, durch ihr “Bachmannlesen” kennengelernt.

Da hat sie 1990 aus dem “Muschelessen” gelesen, ein Buch das ich auch noch lesen muß, während ich “Sweet sixteen”, “Alberta empfängt einen Liebhaber” und “Geld oder Leben” gelesen habe und außer Band zwei der Saga auch noch das 2013 erschienene “Sommer der Wildschweine” ungelesen in meinen Regalen habe.

Eine fleißige Frau, die 1956 geborene, die eher leise unter den bekannten Autoren, ist sie doch mit ihrem “Muschelessen” schlagartig berühmt geworden.

Schullektüre, steht bei “Wikipedia” oder im Klappentext und interessantes Detail aus der Biografe ist noch, daß sie mit fünf nach Westdeutschland übersiedelte und 1993 nach Südfrankreich, wo sie jetzt noch lebt. Davon handelt auch die Romantrilogie oder die Memoirensplitter, wie ich es besser bezeichnet fände. Der erste Teil von der Kindheit und der Flucht in den Westen,  der zweite von einem Autounfall und der dritte von Heinrich Böll.

Da könnte man jetzt stutzen und sich fragen: “Wie hängt das  mit dem Umweltschutz und den Katzen der Andrea Stift-Laube zusammen?” und eigentlich war die erste Information, die ich über das Buch hatte, daß es über das Älterwerden geht.

Es geht um alles und Birigt Vanderbeke schreibt davon auch in einem ironischen Stil, der offenbar sehr typisch für sie ist.

Sie beginnt mit ihrer Kindheit der Großmutter Maria, die aus Ostende stammte und erwähnt dann die Namen Böll und Zwerenz.

“Kennen Sie nicht?”, fragt sie dann und fügt:  “Wundern Sie sich nicht. Wir vergessen heute schnell”und leben  in einer Zeit wo keine Bücher mehr gelesen werden und es keine Schriftsteller mehr gibt.

Es gibt offenbar schon ein paar und Birigt Vanderbeke ist eine davon. Mit einem Gianni verheiratet, der Sohn heißt Noah, die Schwiergertochter Claude, ein Enkelkind kündigt sich an oder ist schon geboren. Ein Haus wird für den Sohn erbaut und dann kommt eine Einladung nach “Archill Island, wo Heinrich Böll, ein Haus hatte und die “Heinrich Böll-Stiftung” offebar Stipendien an Schriftsteller vergibt.

Da denke ich natürlich an meinen Versuch eine Einladung in die Schriftstellerwohnung der Anita Pichler in Venedig zu bekommen, was nicht klappte, bei Birigt Vanderbeke oder der namenlosen Erzählerin klappte es und so flog sie mit ihren Gianni nach Dublin, versuchte dort Fish und Chips zu essen, weil man das in Irland ja machen soll und fuhr dann auf die Insel weiter, wo der freundliche Verwalter sie schon erwartete, den Schlüßel überreichte, durch das Haus führte und erklärte, er würde jetzt nach Lourdes wallfahrten gehen.

Er zeigte auch die Fahrräder, aber die waren kaputt und ließen sich nicht reparieren und in dem Haus der “Böll-Stiftung” gab es kein Telefon und kein Internet für die nächsten drei Wochen. Dafür gab es eine Bibliothek mit Böll-Büchern und als das Paar eines Tages bei einem Bier in der Küche oder Wohnzimmer saß, rauchte es aus Bölls ehemaligen Arbeitszimmer hinaus.

Die Erzählerin ging hinein, der Meister saß am Schreibtisch, qualmte vor sich hin und empfing sie mit den Worten “Alle, die vor uns da waren, die haste nun in dir!”, oder so ähnlich und damit beginnt das Paar durch die Insel zu wandern, denn es muß ja eingekauft werden und alle, die sie nach einem Lebensmittelladen fragen, weisen in die Ferne und erklären in dem oder dem Ort gibt ein Geschäft.

Es gibt auch  Pubs am Strand, aber die sind, wie die meisten Läden geschloßen. Denn Birigt Vanderbeke reiste zu Ostern an und in einem Pub gab es zwar Bier, aber kein Internet.

Also konnten die Kinder erst später angerufen werden und der Fisch, den sie dann schließlich doch zu essen bekamen war ein Pangasius und wurde aus Vietnam importiert und darüber kann man schon einmal herrlich über den Zustand der Welt, das neue Sklaventum, wo die T-Shirts und die Souveniers in Bangladesh in “Sklavenfabriken” erzeugt und dann durch die Welt geflogen werden, diskutieren.

Über die Welt, die den Schwangeren und den Kindern empfiehlt, keine Fische wegen des Schwermetalls und des vielen Plastiks zu essen und so wandern, die Beiden, die fünf Kilometer zum nächsten Dorf mit dem nächsten Supermarkt, um dann die Kilopackung Tiefkühlfisch doch liegen zu lassen und zu Hause Kartoffeln essen.

Sie wandern an den Ruinendörfern vorbei und die Erzählerin läßt sich später von einer schulklasse erklären, warum das so ist, daß in Irland neben den alten Häusern, neue erbaut wurden, weil in den alten, die Seelen der Vorbesitzer wohnen, die man nicht stören will oder soll und die neuen wurden auch nicht fertig, weil ja die Hungersnot vorher kam und die Bewohner nach Amerika flüchteten.

So werden die drei Wochen herumgebracht, bevor es wieder nach Frankreich geht. Auf dem Rückflug wird der Erzählerin noch einmal ordentlich schlecht, bevor sie ihre Vergangenheit und die Toten, die in ihr wohnen, vielleicht loslassen kann, um weiterzuleben, sich an ihrem Enkelkind zu erfreuen. Das Haus vielleicht fertig oder nicht fertig zu bauen und etwas, was ich bei dem Buch nicht verstanden habe, ist, wieso es keine Schriftsteller mehr gibt?

Es gibt sie doch. Ich erlebe sie täglich und lese ihre Bücher, wenn es auch stimmt, daß die Leute wahrscheinlich weniger lesen. Dafür schreiben sie mehr und Birigt Vanderbeke wird es wahrscheinlich eine Weile auch noch tun und so freue ich mich auf ihre nächsten Bücher und hoffe bald an das “Muschelessen” zu kommen.