Jetzt kommt eine Anthologie aus einem kleinen, aber feinen Verlag, der sich mit speziellen Themen zwischen Sci-Fi und Experiment gelegen zu beschäftigen scheint und den ich, beziehungsweise seinen Leiter Philip Krömer durch das Debutpreislesen kennengelernt habe.
Ja, man lernt, wenn man sich mit der Literatur beschäftigt und ein Plädoyer für das über den Tellerrand hinausschauen gebe ich damit wieder und somit die Empfehlung sich mit den “Menschenfressern der Liebe” zu beschäftigen.
Ein eher dünnes zweihundert Seiten Büchlein, das aber nicht zu Trotz vierzig Texte zu diesem Thema, das, wie von den Herausgebern Joseph Felix Ernst und Philip Krömer in einer Grußnotiz erklärt wird, allmufassend ist und nicht nur, wie man naiv meinen könnte, banale Texte über den Kannibalismus enthält, wie auch die Namen der teilnehmenden Autoren eindeutig beweisen, denn da gibt es, höre und staune, sowohl Texte aus der Bibel, von Wiliam Blake, Dante Alighieri, Ludwig Uhland, Heinrich von Kleist, Walter Benjamin, bis zu Marina Büttner, die ich ja eigentlich als Bloggerin kenne, Paul Peter Wiplinger mit dem ich einmal, lang lang ists her, in einer Jury saß und noch immer nicht so recht weiß, ob er jetzt Mitglied des PEN, der GAV oder vielleicht doch verbotener Weise bei beiden ist, Timo Brandt, der, glaube ich, einmal Sprachkunst studierte, Jan Snela, der beim Bachmannpreis gelesen hat, CRAUSS, den ich einmal bei einer Präsentation des Ritter Verlages in der “Alten Schmiede” hörte und dessen Buch ich mir dann später bei einem “Morava-Abverkauf” um zwei Euro kaufte, um es Christel Fallenstein zu zeigen, gelesen habe ich es noch immer nicht, denn ich lese ja keine “Ritter-Bücher” und und und….
Das Buch ist ganz dem Thema entsprechend, in einem Menüplan aufgegliedert. So gibrt es Kapitel zur “Potage”, dann kommt das “Hors d òuvre”, “Entre”, “Poisson”, “Sorbel”, bis zu “Entremel de fromage” zum “Dessert” und nun hinein in die einzelnen Gänge, sich wacker durch das Buch gelesen und sich die Textproben köstlich auf der Zunge zergehen lassen, von denen, ich kann es nur wiederholen, sich einige, aber nicht alle, mit der Liebe und dem Menschenfressen beschäftigen und die meisten einladen, sich weiter und genauer mit der Thematik zu beschäftigen.
So jagt die 1986 in Wien geborene Lena Rubey, die 2015 Finalistin beim Open Mike war, durch den Wald, während sich der 1980 geborene Jan Snela, der 2016 beim “Bachmann-Preis” gelesen hat, mit dem “Frühstück” beschöftigt und Sheik Nefzawi, auch als Abti Abdallah Muhammed an-Nafazawi bekannt, der um 1500 im heutigen Tunesien lebte, gibt ausführliche Anweisungen, wie man seinen Penis lustbringend vergrößern kann und schreibt am Schluß “Die Wirksamkeit aller dieser Mittel ist mir bekannt und ich habe sie selbst ausprobiert.”
“Aha!”, kann man da nur staunend sagen und zu den “Zwischengerichten” weitergehen und hier besipielsweise ein Stück von Dante oder Ludwig Uhlands “Kastellan von Coucy” lesen.
Dann kommt man zu den “Fischen” und hier gibt es wieder erstaunliche Texte zu ergründen, beispielsweise, einen Reisebericht von Hans Staden, der 1525 im hessischen Homburg geboren wurde und als Landsknecht im Dienste Spaniens und Portulgals an mehreren Entdeckungsfahren nach dem heutigen Brasilien teilnahm. Dort in Gegangenschaft von Eigeborenen geriet und Zeuge von an seinen Mitreisenden praktizierten Kannibalismus wurde, wie er auch in dem hier abgedruckten “Kapitel 29: Mit welchen Zeremonien sie ihre Feinde töten und essen. Womit sie sie sie totschlagen und wie sie mit ihnen umgehen”, schreibt, der wieder mit den Worten “Dies alles habe ich gesehen und bin dabei gewesen”, endet.
Zum Sorbet gibt es die “Diagloge der Karmeliterinnen”, des 1971 geborenen CRAUSS, dessen “Motorradheld” ja noch immer bei mir liegt. Dann geht es zum “Kamasutra” und die 1978 in Linz geborene “Marianne von Willemer-Preisträgerin” Marlene Gölz bringt in einem Gedicht, die Augen auf die Stirn: “dein auge auf meiner stirn meine lippen an deinen ohren deine nase in meinem mund so hab ich mir das nicht vorgestellt”.
Punktum aus oder weiter zum “piece de resistance”, dem “größten Fleischgang” und da erzählt uns der 1967 in Saarbrücken geborene Christopher Ecker von seinen Phantasien, die er im Bus hat, wenn er neben jungen Frauen sitzt und sich vorstellt, wie es wäre, deren Arme zart mit Weißwein und Zitronenscheiben zu braten.
“Pervers, pervers!”, könnte man da sagen und zu Heinrich von Kleist übergehen.
Danach kommt bald der 1575 in Neapel georene Märchensammler Giambattista Basile, der von Felix Lebrecht, wie ich vermute sehr frei übersetzte wurde, der uns von einem Floh erzählt, von dem ein Königgebissen wurde, der darauf seine Tochter an einen wilden Kerl verheiratet , die dann von den wundersam starken sieben Söhnen einer alten Frau gerettet wird.
Man sieht, die Anthologie ist äußerst vielseitig in ihren Genres. Denn kurz danach erzählt uns, der schon erwähnte 1939 in Haslach geborene Peter Paul Wiplinger, der vor kurzem einen Unfall hatte, von dem er sich glaube ich, immer noch erholen muß, von seinen Erfahrungen in einem “kindergefängnis”, wo ihm die Erzieherin, ein “ehemaligen bdm-Weib” in den Keller sperrte, was ihm zwar zum Phanatsieren brachte, ihm aber immer noch, trotz seiner “fünfundsiebzig jahre” wütend macht, wenn er daran denken muß.
Der 1987 in Schleswig-Holstein geborene Gorch Maltzen erzählt uns stattdessen in “Was passiert, wenn man in einem Vulkan springt” von den sadistischen Spielchen zweier Freunde.
Und zum Käse gibt es die Jugenderinnerungen eines ebenfalls 1939 geborenen, nämlich die von Eckhard Sinzig, der in Krefeld geboren wurde, der wegen einer Frau nach Frankreich ging, sie dort in ihrer Wohnung in der Rue Erlanger 40, besuchte, aber als er das “Pflaster auf ihren Oberschenkel” sah, erschlaffte, worauf sie ihn erstaunt “Est ce que tu ne m` aimes pas?”, fragte. Woran er als alter Mann wahrscheinlich noch ähnlich oft, wie Peter Paul Wiplinger, an sein “kindergefängnis”, beschämt denken muß.
Dann kommt ein Gedicht, des schon erwähnten, 1992 in Düsseldorf geborenen Timo Brandt “Man könnte meinen alles wär Prärie, vor allem die menschliche Seele” und dann geht es wieder in die Vergangenheit nämlich zu dem Satriker Jonathan Swift, von dem man heute vor allem seine verharmloste Kinderversion von “Gullivers Reisen” kennt, der aber in seinem “Bescheidenen Vorschlag im Sinne von Nationalökonomen, wie Kinder armer Leute zum Wohle des Staates, am besten benützt werden könnten”, eine sehr böse Anregung gibt, wie man die Armut von der Welt schaffen könnte. Denn die Körper der armen kleinen Kinder schmecken ja sehr lecker, wenn man sie vorher nur ein wenig aufpäppelt und dann sanft bratet. <ich habe gehört der "Gulliver" soll im Original ähnlich satirisch scharf gesellschaftskritisch sein.
Und schon gehts, wenn man da noch nicht kotzen muß, aber wir sind ja auch in unserer schönen heilen Welt, starke Kost gewohnt, zum Dessert.
Da nascht der Philosoph Walter Benjamin, der sich, der sich 1940, in Spanien auf der Flucht vor den Nazis, umbrachte von “Frischen Feigen”, der 1965 in Nürnberg, geborene Armin Steigenberger serviert uns “Kannibalische Kirschen”, die 1967 geborene, in Berlin lebende Marina Büttner, die Buchhändlerin war und jetzt Lyrikerin und bildende Künstlerin ist, kredenzt und die “Götterspeise” und zum Schluß gibt es noch eine sehr witzige Geschichte, des 1951 in Ingelfingen gebornen Eugen Egner, der uns erzählt, was passieren kann, wenn die Eltern einen Dreizehnjährigen in den Konfirmandenunterricht schicken. Ein bißen erinnert es an “Hänsel und Gretel” kann ich verraten oder spoilern und damit wieder die Anthologie, die eine wirklich gelungene Mischung von alt und neu und zu meiner Überraschung auch sehr viel Österreichisches enthält, empfehlen.
Denn liest man die zweihundert Seiten, hat man wirklich einen Parcour durch die Literaturgeschichte gemacht oder kann sich natürlich nur entschließen, sich mit dem einen oder anderen Meisterwerkt, wie der Bibel oder der “Göttlichen Komödie”, beispielsweise weiter zu beschäftigen oder auch nur ergründen, was man in den Literaturinstituten lernt oder was sonst die jungen oder auch schön älteren deutschsprachigen Schriftsteller in ihren Schubladen haben und, daß es wahrtscheinlich besser wäre, möglichst auf den Fleischkonsum zu verzichten, weil man sich sonst vom Kannibalismus nicht wirklich unterscheidet, lernt man wahrscheinich auch oder nimmt den Gedanken wenigstens mit, wenn man sich vor den nächsten Hamburger oder das nächchste Schnitzel setzt. Aber jetzt haben wir ohnehin noch Fastenzeit und verzehrt am Gründonnerstag seinen Spinat oder Bärlauch mit Spiegeleiern.