Diskrete Zeugen

“Rowohlt” betziehungsweise “Wunderlich” hat die Kriminalromane der1893 geborenen Dorothy L. Sayers neu herausgegeben und so habe ich in Zeiten in denen der hundertste Geburtstag einer anderen berühmten Krimiautorin, nämlich Patricia Highsmith, gefeiert wurde, mich in den zweiten Band der Lord Peter Wimsey-Reihe eingelesen und dabei interessante Erfahrungen gemacht.

Ich mag, wie meine Leser wissen, ja gerne Krimis, obwohl ich wegen der Gewalt, die darin ja vorkommen muß, nicht so gerne welche schreibe oder mich um die Morde herumschummle. Von Dorothy Sayers habe ich noch nichts gelesen und das Erstaunliche an dem Buch ist wohl auch die diskrete Ironie mit der sich die Autorin über die damaligen Gesellschaft lustig macht.

Denn das Buch ist, wie ja schon der Reihentitel verrät, im Hochadel angesiedelt und für heutigen Krimileser wird der Stil auch erstaunlich einfach und unraffiniert erscheinen, was kein Wunder ist, sind inzwischen ja eine Unzahl Krimis entstanden. Hier erstaunt, daß die Spannung oft von Zeitungsberichten oder Dialogstellen, was heute wohl nicht mehr so gehen wird, ersetzt wird. Spannend ist es aber trotzdem, wenn es vielleicht auch als ein wenig langmatig empfunden werden kann und die Handlung ist eigentlich auch ganz banal, liest sich aber, füge ich wieder hinzu, durchaus spannend.

Was ist also geschehen? Da man das auch bei “Wikipedia” nachlesen kann, darf ich also spoilern. Es beginnt banal, in einem gemieteten Landhaus wird ein Toter aufgefunden und der herzog von Denver, der als ein wenig dümmlich aber durchaus korrekt, wie englischen Adeligen eben sind, wird von seiner Schwester dabei ertappt, wie er sich über den Toten beugt, der ist ihr Verlobter und wieder interessant, die Geschichte beginnt schon früher, nämlich im Hotel Meurice, in Paris, glaube ich, denn da ist der Bruder des Herzogs, eben jener Lord Peter, der Held der Krimireihe, der schon einen Fall aufgeklärt hat, auf der Rücksreise von Korsika, wo er einen dreimonatlichen Urlaub verbrachte, abgestiegen, duscht oder badet gerade, als ihm sein Diener, die Zeitung vorliest und auch erklärt, daß er schon das Flugzeug für die schnellereRückkehr gebucht hat.

Die Geschichte spielt in den Neunzehnhundertzwanzigerjahren. Der erste Weltkrieg ist vorbei und erstaunlich ist das amicale Verhältnis zwischen Herr und Diener, der manchmal etwas schneller als Lord Peter ist und einen Kriminalinspektor mit dem der Lord aufklärt, gibt es auch.

Aber zurück zum Fall, Peters Bruder ist verhaftet worden und weigert sich auszusagen. Das heißt, er sagt aus, er hätte einen Brief bekommen, wo der Verlobte als Falschspieler entlarvt wurde, worauf er ihn, weil die Engländer ja viel moralischer als die Franzosen sind, mit denen der Verlobte aufgewachsen ist und auch in Paris lebte, zur Rede stellt.

Die Schwester Lady Mary, die zuerst “Du hast ihn umgebracht!”, ausgerufen hat, wird oder stellt sich krank um nicht aussagen zu müssen. Der zurückgekommene Peter oder sein Diener entdecken einen Koffer und Blutspuren an ihren Kleidern und auch Spuren, die auf einen Motorradfahrer hinweisen. Lord Peter wankt dann durch das Moor zu einem Bauern, der ihn sehr brutal anfaßt. Seine Frau scheint ihn mit seinen Bruder zu verwechseln und bittet ihn zu verschwinden und wir bekommen heraus, daß Lady Mary gar nicht so dümmlich ist, wie sie scheint. Sie war im Krieg sogar Krankenschwester und hat mit einem Kommunisten im Sowjetclub verkehrt und mit diesen stellt sich heraus, wollte sie abdampfen und der Herzog war, was ich ein wenig unglaubhaft finde, bei einem Tete at tete bei der Frau des Bauern und will ihre Ehre nicht preisgeben und der Verlobte, der eigentlich eine andere Geliebte hatte, aber kein Geld mehr, um sie weiter auszuhalten hat sich schließlich doch selbst umgebracht, was in den schon erwähnten Dialogpassagen der Gerichtsverhandlung ein wenig ungewöhnlich, aber doch sehr spannend aufgeklärt wird und so kann ich das Buch trotz der manchmal etwas unrealistischen Passagen, was wohl die diskrete Gesellschaftskritik sein soll, sehr empfehlen oder wenn ich nicht so eine lange Leseliste hätte, auch die zehn weiteren Bände lesen.

Middle England

Jetzt kommt ein Buch auf das ich aufmeksam wurde, weil es auf Platz zwei der der Juni Orf- Bestenliste steht, Jonathan Coes Brexit-Roman “Middle England” und das Thema Brexit interessiert mich ja sehr.

Zwei BrexitBücher habe ich auch schon gelesen und von dem 1961 in Birmingham geborenen Jonathan Coe, habe ich 2009, glaube ich, zum ersten Mal gehört, als sein Buch “Der Regen bevor er fällt” in “Ex Libris” vorgestellt wurde.

Damals habe ich gerade am “Haus” geschrieben” und, ich glaube, ich habe mir eine Idee aus dem Buch für mein Schreiben mitgenommen.

Das Buch habe ich übrigens vor kurzem in einem der Schränke gefunden und bin jetzt auf das Llesen gespannt und mit Jonathan Coes Brexit-Roman habe ich mir etwas schwer getan, da er der dritte Teil von zwei vorher erschienenen Bücher ist und sozusagen, das Leben der dort vorkommenden Personen von 2010 bis 2018 fortführt und dabei das soziale Lebens England vor während und nach dem Austritt Englands aus der EU schildert.

Das habe ich sehr interessant gefunden. Das Buch aber, vielleicht auch weil ich die zwei anderen Bücher nicht gelesen habe, etwas hzusammenhanglos gefunden, war aber an den sozialen Zuständen in England, in dem ich glaube ich, in den Siebzigern zuletzt gewesen bin, sehr interessiert und die Hauptfiguren des Buches haben ihren Höhepunkt wahrscheinlich auch in den Siebzigern erlebt.

Es beginnt gleich ein bißchen zusammenhanglos, im April 2010, als Benjamins Trotters Mutter gestorben ist ist und er mit seinem Vater vom Begräbnis kommt. Benjamin Trotter, ein erfolgloser Schriftsteller sozusagen, ist eine der Hauptpersonen, er hat dreißig Jahre an einem Roman geschrieben, in dem er seine verflossene Liebe schildert. Jetzt lebt er in einer Mühle. Es gibt eine Schwester namens Lois und deren Tochter Sophie ist eine andere Hauptperson.

Sie ist Kunst- oder Literaturdozentin und fährt am Beginn des Buches ein bißchen zu schnell. So muß sie eine Fahrnachschulung machen, verliebt sich in den Fahrlehrer Ian und heiratet ihn. Der ist nicht so intellektuell und gebildet, wie sie und auch ein bißchen rechts und diese Andeutungen, so wird ihm bei einer Bewerbung seine asiatische Kollegin vorgezogen und eine litauische Putzfrau seiner Mutter namens Grete gibt es ebenfalls, machen auch ein bißchen den Reiz des Buches aus.

Benjamin ist der Sohn eines Industriearbeiters, hat aber trotzdem ein Elitecollege besucht und sogar eines, in dem er einige Monate lang am selben Gang, wie Boris Johnson wohnte und ihm auf Klo gehen sah.

Das macht auch einen Reiz des Buches aus, denn im Laufe des Romanes gelingt es Benjamin seinen Roman zu Ende zu schreiben. Er wird sogar verlegt und er kommt damit auf die Longlist des “Man Booker-Preises” wird interviewt, da erwähnt er das, was von der Interviewerin in ihrem Artikel aber ein bißchen entstellt wird.

Ein berühmter Autor namens Lionel Hampshire, der nicht auf der Longlist stand, kommt in dem Buch auch immer wieder vor und der hat offenbar auch in den vorigen Büchern eine Rolle gespielt.

Dann gibt es noch einige Schulfreunde Benjamins, den Journalisten Doug, der in einer elitegegend Londons lebt, eine reiche Frau hat, von der er sich aber trennt und eine Tochter namens Coriander, die sehr links und sehr kritisch ist, die gerät auch in Rassenunruhen und schafft es, daß Sophie auf ihren College Schwierigeiten bekommt und auch ein Jahr suspendiert wird, weil sie sie anzeigt, daß sie sich einer Transperson gegenüber nicht politisch korrekt äußerte. Solche Anspielungen machen, wie schon erwähnt, den Reiz des Buches aus.

Ein Clown, auch ein Schulfreund Benjamin spielt eine Rolle, der sich mit einem anderen Clown dauernd catcht und dann ein Buch darüber schreibt, das zuerst Benjamin schreiben soll.

Sophie trennt sich im Laufe des Buches von Ian, kehrt dann aber wieder zu ihm zurück und am Schluß, als der Brexit vollzogen ist, gehen Benjamin und Lois nach Frankreich.

Sie kaufen sich dort auch eine alte Mühle. Benjamin macht eine Schreibschule auf und alle treffen sich im Schlußkapitel dort, um sozusagen den Brexit für sich zu vollziehen und ein neues Leben zu beginnen.

Ein interessantes Buch finde ich, in dem man viel über die soziale Situation Englands erfahren kann, denn der Brexit ist ja ein wichtiges Thema, das uns die letzten Jahre ein bißchen bewegte, obwohl er derzeit wahrscheinlich von der Corona-Krise überdeckt wird, aber wenn die überwunden ist, ist es wahrscheinlich wichtig zu erfahren, wie es mit England und dem Austritt aus der EU weitergehen wird.

Das Buch ist in England 2018 erschienen, wurde jetzt von “Folio” auf Deutsch herausgegeben und das Folio-Cover wo der Big Ben aus den Wolken hervorschaut, finde ich sehr eindrucksvoll.

Die Kakerlake

jetzt kommt ein kleines dünnes Büchlein, das im November bei “Diogenes” erschienen ist und auf das ich durch die Sendung “Leporello” oder das “Morgenjournal” aufmerksam wurde.

Der 1948 geborene britische Autor Ian McEwan, von dem ich einige Bücher in meinen Regalen, aber noch nichts gelesen habe, hat eine Satire auf den Brexit und das englische Parlamentsgeschehen geschrieben und  dabei Anleihein von Franz Kafkas “Verwandlung” genommen, beziehungsweise sich vor dem großen Autor verbeugt.

Wui, das klingt interessant, das Büchlein also bestellt und ich muß sagen, daß ich mich der Meinung mancher “Amazon-Leser” anschließe, daß hier schnell nach der Idee von der “Verwandlung” eine Satire hinuntergeschrieben wurde, die wahrscheinlich mehr die Briten überzeugt, wahrscheinlich nicht zur großen Literatur gereiht werden wird, was vermutlich auch nicht geplant war und, ob es Franz Kafka gefallen würde, ist wahrscheinlich eine Frage, die nur er beantworten könnte.

Also da wacht eines Morgens in der Downigstreet eine Kakerlake im Bett des Premierministers Jim Sams auf und stellt fest, er hat sich in diesen verwandelt. Nicht nur das, denn, als er dann in das Parlament hinüber wankt, mit dem Sprechen und dem aufrecht Gehen tut er sich noch anfangs schwer , stellt er fest, daß die meisten der Minister ebenfall seine Artgenossen sind oder waren und nun geht es im zweiten Kapitel des vier Kapitel starken hundertdreißig Seiten Buchs, zu der Idee vom “Reversalismus”, das Wort Brexit wird an keiner einzigen Stelle, höchstens in einem aufgehefteten Schildchen am Cover erwähnt und der amerikanische Präsident heißt Archi Tupper statt Donald Trump und Premier Sams stellt ihm oder sich die Frage, ob er vielleicht auch eine ehemalige Kakerliake war?

Diese Frage wird nicht beantwortet, dafür ein neues System eingeführt, also, daß man für die Arbeit Geld abgezogen bekommt, dafür aber umsonst einkaufen kann, Bargeldbesitz wird bestraft und alle wollen einen höher bewerteten Job bekommen um mehr Geld ausgeben zu können.

Das wird dann als des Volkeswille ausgegeben, für die der Premier sich einsetzt. Widersacher werden beseitigt und am Schluß, als das Gesetz eingeführt wurde und die Ersten merken, daß es offenbar doch nicht so, wie angepriesen funktioniert, sondern in den Abgrund führen wird, ziehen die Minister und ihr Premier wieder aus den Körpern hinaus, die lassen sie auf den Sitzen liegen.

Durch, die einen Spalt offengelassene Tür ziehen sie auf die Straße, nur leider wird der Premier dabei von einem Auto überfahren. Seine Artgenossen tragen ihn auf den sechs Füßen, die er nun wieder hat, weg und die Rache der Kakaerlake, an der sie unterdrückenden Menschheit ist vollzogen.

So einfach, aus. In England wird der Austritt aus dem Brexit und das politische Geschehen sich wohl ein wenig schwieriger gestalten. Man liest es aber sicher schnell und amüsiert dieses kleine Buch, das einen wahrscheinlich Kafka, um keinen Deut näherbringt, aber vielleicht hat man von der Politik etwas etwas besser verstanden und das wäre ja auch nicht schlecht.

“In einer solchen Zeit fragt sich ein Schriftsteller, was er machen kann. Darauf gibt es nur eine Antwort: schreiben” Ian McEwan”, steht am Buchrücken