Dämmer und Aufruhr

Jetzt kommt der “Roman der frühen Jugend”, also die  poetisch gefärbte Autobiografie, pünktlich zum siebzigsten Geburtstag, wahrscheinlich nach dem Tod der Mutter geschrieben, des 1948 geborenen Bodo Kirchhoff, der seine Bücher seit 2012 bei FVA verlegt und da 2016 mit seiner Novelle genannten, “Widerfahrnis”, den dBp gewonnen hat, der ja eigentlich ein Romanpreis ist.

Aber Dichtung und Wahrheit liegen ja sehr dicht beeinander, das sieht man auch an dem Roman, dem am Schluß eine Zeittafel angefügt ist und ich bin mit Bodo Kirchhoff, glaube ich, 2002 mit seinem “Schundroman”, den ich mir damals zum Geburtstag wünschte und wofür ich mich fast ein wenig schämte in Berührung gekommen.

Dann habe ich weil FVA es mir getreulich schickte, die wiederaufgelegte und 1984 erstmals erschienene “Mexikanische Novelle” gelesen, die mir wie “Widerfahrnis” trotz seiner sehr schönen aber doch sehr künstlichen “machohaften” Konstruktion nicht so sehr gefallen hat und im letzten Jahr die Erzählung “Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt”, wo in fast Bernhardesker Manier auf zig Seiten beschrieben wird, warum eine Einladung zu einer solchen nit angenommen werden kann.

Und jetzt also die Kindheitserinnerungen zum Siebziger des eleganten weißhaarigen Herrn, Liebling aller Frauen, füge ich ein wenig vorlaut an und kann ergänzen, das das Buch wieder sehr gekonnt komponiert wurde und es ein wahrscheinlich sehr erfolgreiches Männerleben war, was da beschrieben wird.

Der Hauch des Eror weht überall, das ist sicher eine Kirchhoffsche Spezialität, von mir, der um fünf Jahre jüngern, die erstaunt feststellte, daß ich nur ein Jahr später als er zu studieren begann und sonst vielleicht ähnliche pubertäre Schwierigkeiten erlebte, obwohl das mit dem Eros war bei mir sicher nicht so stark ausgeprägt, Camus und Satre habe ich aber nach meiner Knödelmatura auch mit Begeisterung gelesen und schreiben wollte ich auch, aber das hat Kirchhoff, obwohl es schon frühere Versuche gab, erst nach seinem Militärdienst begonnen, denn da wollte er ja eigentlich Maler werden, ein Winsch den ich nie hatte, manchmal belächelt.

Aber es liest sich, das kann ich nicht bestreiten gut, das über vierhundertfünfzig Seiten Buch, das kunstvoll in eine Rahmenhandlung gewickelt ist.

Da ist einmal er alternde Schriftsteller oder Sohn genannt, der sich mit einer Schachtel mit Bildern in eine kleine Pension in Italien zurückzieht, wo er einmal als Kind mit einen Eltern, bevor die sich trennten, einen Sommeraufenthalt verbrachte.

“Wer spricht da, wenn einer von früher erzählt, auf sein ertes Glühen in der Kindheit blickt, wessen Stimme macht hier den Anfang, sagt Es  war einmal – ein unvergesslicher, gültiger Alpensommer”, lautet der erste lange Satz.

Und da sind wir schon wieder ein paar Jahre früher, nämlich im Jahr 1952, wo der Vierjährige mit seiner “Damemammi”, einer Schauspielerin aus Wien und deren Mutter, einer ehemaligen Opernsängerin, von ihm oft die “Hüterin” genannt, einen Sommer in Kietzbühel verbringt und da wird die Erotik, wie in Zweigs “Brennenden Geheimnis” mit aller Bravour berührt und die Beziehung zu der Mutter bleibt auch das Thema des Buches.

Es gibt auch einen Vater, einen Hamburger, der vom Krieg mit einem Holzbeim zurückgekommen, sehr früh mit der jungen Wiener Schauspielerin verheiratet wurde und als der erste frühe Kitzbüheler Sommer, mit den beiden Hüterinnen, die der Kleine aber doch schon, wie ein Kavalier begleitet, erlebt, ist die Mutter wieder mit der Schwester schwanger.

Von vorn nach hinten in dreiHandlungssträngen, werden die frühen Jahre des großen Dichters erzählt. Da ist einmal sein Aufenthalt in der Pension, wo er die Tage in seinem Zimmer verbringt, die Bilder aus der Schachtel nimmt, sich in seine Erinnerungen vertieft, während draußen am Strand nach und nach die Badeliegen und die Sonnenschirme weggeräumt werden, weil, eine gekonnte Metapher, der Herbst des Lebens oder auch nur des Jahres beginnt. Es gibt auch eine wahrscheinlich noch ältere Pensionsbewohnerin, die Amerikanerin Missis Bennet, die immer auftaucht und den Dichter danach fragt, warum er nicht an den Strand geht und sie war damals, in dem letzten Sommer, in dem seine Eltern, noch glücklich waren, auch schon da. Durch einen Zufall hat die Famlie, ihr sonst bewohntes Zimmer bekommen, an das sie ihn lächelnd erinnert und es gibt dann auch ein Plakat von der kleinen Stadt, in den Fünfzigerjahren, das ein Paar zeigt, das die Eltern sein könnten und das die Amerikanerin kauft und den Abreisenden, später, wenn alles geschrieben und geschehen ist, zur Erinnerung schenkt.

Dann geht es durch das Leben, das man hinten in der Biografie, getreulich nachlesen und vergleichen kann, “Wikipedia” ist dagegen eher schwach bestückt. Da steht eigentlich nur wenig von den frühen Jahren.

Nur, daß es in dem Internat, in das der Jüngling nach der Trennung der Eltern, die sie den Kindern lang verheimlichten und stattdessen glückliche Familie spielten, gegeben wurde, einen Mißbrauchsvorfall gegeben hat.

Der wird in dem Buch fast mit der selben erotischen Leichtigkeit erzählt und darüber hinweggegangen und dann gibt es auch immer wieder, die Besuche des alternden Schriftstellers in der Seniorenredidenz der fast Neunzigjährigen, wo er sie bis zu ihren Tod begleitet und mit ihr immer wieder über die erlebte Kindheit spricht.

Die Sommer wurden also gemeinsam mit der Mutter und der Großmutter meistens in Kitzbühel verbracht. Später zog die Familie, weil der Vater in geschäftlichen Schwierigkeiten war, in den Schwarzwald. Hier ging der Sohn zu Schule. Machte seine ersten erotischen Erfahrungen. Verliebte sich in eine schöne Arzttochter, bei deren Eltern, die Großmutter in Untermiete lebte. Mit zehn kam er in das Internat am Bodensee, die Heimutter Frau Guth war sehr streng. Der Kantor führte den Knaben in ein verbotenes Geheimnis über das man nicht sprechen dürfte und verschwand dann schnell. Dafür kam ein Freund, der sich später mit der jüngeren Schwester verheiratete. Es wurde Satre, Camus und noch einiges andere gelesen, nach dem Abitur in den legendären Jahr 1968 ging es, man glaubt es kaum, zum zweijährigen Militärdienst. Reisen nach Amerika und Mexiko, wo wohl auch die “Mexikanische Novelle” begonnen wurde, folgten und wiederum erstaunlich, kam es 1978 schon zum ersten Vertrag mit “Suhrkamp”, vom autor, der bald nach Frankfurt in die Stadt, wo die Mutter nach der Scheidung lebte und dort sowohl in einer Agentur, als auch unter den Namen Evelyn Peters und andere Pseudonyme Liebesromane und Krimis schrieb,  “der berühmte Verlag in der Lindenstraße genannt” und vorher, das Buch ist ja nicht chronologisch geschrieben, sondern springt lustig hin und her, besuchte der frührreife Fünzehnjährige in den Ferien, die Mutter in ihrer Frankfurter Wohnung, die dort mit einem Herrn Kurt lebte oder von ihm besucht wurde. Der gab dem Knaben je zwei fünf Mark Stücke. Sein Taschengeld hatte er schon vorher in einem Pornokino ausgegeben, schwindelte der Mutter vor, das Portemonnaie wurde gestohlen, die gab ihm mitleidig dreißig Mark aus ihrem, damit er sich einen schönen Nachmittag in Frankfurt, während sie arbeite machen könne, Kaffeehaus und Kino schlug sie vor.

Er ging in eine Buchhandlung, kaufte sich dort Tennesse Wililams “Mrs Stone und ihr römischer Frühling”, las es bei einer Cola im “plüschigen Cafe Schwille, das kaum mehr einer kennt” aus und wollte dann über das berüchtige Bahnhofsviertel ins Kino gehen. Eine Nutte sprach ihn an, verlangte dreißig Mark, der Jüngling hatte aber nur mehr fünfundzwanzig. So gab er das Geld dahin und hatte dann keines mehr für den Kinobesuch. Mußte der Mutter also vorschwindeln, er hätte den Film gesehen. Das Buch war aber gelesen. So war das Fabulieren für den Fantasiebegabten nicht sehr schwer, der inzwischen ein Mann geworden war, schon mit Vierzehn oder Zwölf, etwas das man sich heute nicht mehr vorstellen kann, seine Zigarretten rauchte, wie überhaupt alle, der Mutter Liebhaber, die Heimleiterin, der Verführer Kettenrauchen waren und der alt gewordene Schriftsteller sitzt in Italien über seinen Bildern, denkt an die tote Mutter und an seine Kindheit zuirück.

Hier endet das buch, mit der Rückfahrt aus dem kleinen Strandhotel  Beau Sejour in Alassio, das Paket öffnend, das ihm Missis Bennet mit dem Plakat gegeben hat, während draußen am Gang, die Polizisten, die afrikanischen Flüchtlinge verhaften. Seinen Paß, weil ja ein Weißer, nicht sehen wollen. Die biografieschen Notizen gehen aber weiter, führen auch nach 1984 die Werke an, erwähnen, daß Bodo Kirchhoff, sowohl in Frankfurt, als auch am Gardasee lebt und dort mit seiner Frau schon lange Schreibkurse gibt. Dem Buch ist auch ein kleiner Folder beigelegt, wo man die Bücher des Autors sehen und auch die Adresse finden kann, bei der man sich für diese Schreibkurse am Gardasee anmelden kann.

Das werde ich wohl nicht tun, vielleicht aber noch etwas anderes von Bodo Kirchhoff lesen. Vielleicht schickt es mir FVA in den nächsten Jahren zu oder ich nehme es von meinem reisengroßen SUB, denn  ich habe, wenn ich mich nicht irre, inzwischen auch noch andere Kirchhoff Romane gefunden.

Mexikanische Novelle

Von Bodo Kirchhoff, der mit dem Novelle genannten Roman “Widerfahrnis”, den letzten deutschen Buchpreis gewonnen hat, habe ich mir einmal, des Titels wegen, den 2002 erschienenen “Schundroman” zum Geburtstag  von Judith Gruber-Ritzy schenken lassen und mich sogar ein bißchen dafür geniert, er hat mir aber, so weit ich mich erinnern kann, ganz gut gefallen.

Das Buchpreisbuch habe ich sehr künstlich und konstruiert, wenn auch sehr kunstvoll ausgearbeitet gefunden und es wäre nicht meine Wahl gewesen und jetzt hat der 1948 geborene und in Frankfurt lebende Autor, seine 1984 erschienene “Mexikanische Novelle” noch einmal neu umgearbeitet, herausgebracht und mein bei “Widerfahrnis” gemachter Eindruck hat sich bestätigt und es stimmt auch wohl, was am Buchrücken steht, “daß jedes Wort sitzt und Bodo Kirchhoff ein Meister seines Handwerks ist”, dennoch diese Novelle hat mir noch weniger gefallen, als “Widerfahrnis” und das liegt wohl am Sujet und der Handlung, die meiner Meinung nach kein Klischee ausläßt, sondern mit allem Bösen, wenn auch wahrscheinlich meisterhaft spielt und es ist wahrscheinlich wieder eine Altherrenphantasie, die hier ausgelebt wird und nichts, gar nichts, was man sich nur ausdenken kann, ausläßt.

Eine Altherrenschichte, also, obwohl vor dreißig Jahren, war Bodo Kirchhoff noch gar nicht so alt und sein Held, der namenlose Journalist, der nach Amerika fliegt, um dort eine Reportage über einen Kampfpiloten zu verfassen, ist wohl auch so um die vierzig.

Er soll, als die Reise beendet ist, mit den anderen Journalisten, offenbar war es ein Gruppenflug, wieder zurückfliegen. Er läßt aber seine Freundin allein in das Flugzeug steigen und fährt über die mexikanische Grenze. Dort mietet er sich in ein Hotel mit Pool ein und lernt an diesen, eine Schöne, Baby Ophelia, die Schwester des Hotelbesitzers kennen, die ihn einlädt, sie in Aclatan, das ist eine Küstenstadt, wo sie mit ihrer Mutter wohnt und offenbar auch als Journalistin, was von ihm ein wenig angezweifelt wird, zu besuchen.

Er soll sich da in ein Hotel einmieten und sie  in zwei Tagen in einem Cafe treffen, dann wird sie mit ihm in sein Zimmer gehen und mit ihm schlafen.

Das passiert auch, es taucht dann nur noch der Leutnant Ritzi, das ist der, über den er das Portrait schreiben soll, auf und weil in der Stadt gerade ein Fest gefeiert wird, bekommt er kein Hotelzimmer, so daß er sich bei dem Ich-Erzähler einquartiert und spazieren geht, wenn die schöne Ophelia am Nachmittag das Zimmer betritt.

Es gibt zwei sowohl sehr präzis beschriebene, wenn auch sehr sexistische Szenen. Die eine ist die, von dem Jungen, der am Klo des Cafes, in der er sich im Ophelia trifft, die Herren bedient. Er wischt ihnen die Flecken aus den Hosen und putzt die Schuhe. Die andere ist die, wie der Leutnant in das Hotelzimmer kommt, wo der Erzähler mit der nackten Ophelia im Bett liegt und die sich in das Laken einwickelt, um ihre Scham zu bedecken.

Schön beschrieben, nur nicht mein Geschmack.

Es kommt auch noch eine geheimnisvolle Krankheit vor, die beide Herren packt und Emiliano, Ophelias Bruder, taucht auch h auf und verlangt von dem Erzähler, daß er die Schwester, wenn er sie schon fickt, gefälligst heiraten soll.

Der ist aber ein Unsympathler und verspricht es zwar, hat aber vor sich zu drücken und unter dem Vorwand, daß er beruflich zurück muß, wahrscheinlich nicht wiederzukommen. Er geht auch von Ophelia weg in ein Bordell oder läßt sich in einer Bar in ein diesbezügliches Zimmer führen. Dann kehrt er in sein Hotel zurück und findet Ritzi in seinem Blut und in der Hand hält er den zerfetzten Geldschein, den der Ich-Erzähler von Emiliano bekommen hat und damit, um die Handlung noch auf die kitschige Spitze zu treiben, auch noch die Prostiutierte bezahlte.

Es kommt, wie es kommen muß oder auch nicht, weil viel zu übertrieben und absolut unrealistisch. Er wird verhaftet und verhört. Baby Ophelia und Emiliano leugnen ihn zu kennen und in seiner Gefängniszelle trifft er auch noch den kleinen Roul, das ist der Junge von der Herrentoilette, der schon vorher wegen Drogenhandel verhaftet wurde und verfällt in seinen Armen.

Es tut mir leid, auch wenn die Novelle kunstvoll geschrieben ist, ist mir zuviel an Männerklischee darin, aber vielleicht bin ich nicht die richtige Adressatin für das Buch.

In Zeiten, wie diesen, wo die Amerikaner die Grenze zu Mexiko dicht machen und schon längst ansäßige Familien wieder zurückschicken, hätte ich mir bei einer Neubearbeitung eigentlich schon erwartet, daß diese Probleme aufgenommen werden, statt die Phantasien und Erlebnisse zu beschreiben, in die ein weißer Mittelschichtmann offenbar automatisch kommt, wenn er an einem Pool eines mexikanischen Abbruchhotel ein schönes Mädchen mit langen Haaren sitzen sieht.

Verpasste Buchpreisverleihung

Am Abend wurde in Frankfurt zum Auftakt der Buchmessse der neue deutsche Buchpreisträger bekanntgegeben und da ich ja nicht nach Frankfurt fahre, war für mich der Livestream interessant, der schon ein paar Tage vorher auf der Buchpreisseite bekanntgegeben wurde.

Ich interessiere mich ja erst seit dem ich blogge genauer für den Buchpreis, habe die Bücher  früher eher nicht gelesen, nur das Probeheftchen durchgeblättert und den Livestream habe ich meistens auch nur halb oder kurz angeschaut, denn die Buchpreisverleihung beginnt ja um sechs und da war ich meistens auf den Weg in die “Alte Schmiede”, einmal war ich bei einer Lesung von Judith Gruber Rizy im Republikanischen Club, einmal habe ich in der Bezirksvorstehung Mariahilf selbst gelesen.

Seit vorigen Jahr, seit ich selber Buchpreis blogge, das heißt mich durch die Bücher lese, ist das anders, da habe ich glaube ich, die erste Veranstaltung in der “Alten Schmiede” versäumt und bin erst zur zweiten gegangen damit ich mir vorher anschauen konnte, wer den Preis gewonnen hat, es war der Frank Witzel, das einzige Buch das ich damals noch nicht gehabt habe, das hat mir erst die Trude K. zum Geburtstag gebracht und im Vorjahr habe ich zum ersten Mal die Verlage angeschrieben, zehn oder elf Bücher bekommen, zwei in Buchhandlungen gelesen, mir vier vom Alfred kaufen lassen und mir zwei vom Otto ausgeborgt.

Heuer habe ich erstaunlicherweise fast alle Bücher, wofür ich den Verlagen sehr herzlich danke, außer “Hool” und “München” bekommen und auch gelesen und so hatte ich auch wieder einen guten Einblick in die Büchervielfalt und das ist ja das interessante, wenn man sich selber durch die Bücher liest.

Zwanzig für mich sehr überraschende Bücher wurden da am 23. August aus glaube ich hundertvierundsechzig ausgwählt und die sind ja auch nur eine kleine Auswahl aus den drei oder dreißigtausend Romane, die dieses Jahr im deutschen Sprachraum erschienen, also habe ich nur einen kleinenen Einblick, aber den habe ich bekommen, als ich mich in den letzten zwei Monate durch die Liste las.

Sehr viele Bücher von älteren Männern, die sich mit der Midlifekrise oder der letzten Liebe beschäftigen, zwei experimentelle Texte von jüngeren Frauen, ein bißchen was zur schönen Sprache von Dagmar Leupold, Eva Schmidts Episodenroman, sehr viel Konstruiertes, ein Abenteuerrroman und und und, als die Shortlist bekanntgegeben wurde, war ich gerade beim elften Buch, Sybille Lewitscharoffs “Pfingstwunder,”, für mich eine Überraschung und lange Zeit meine Favoritin, gefolgt von Thomas Melles Bericht über seine bipolare Krankheit.

Der ist dann tatsächlich mit Bodo Kirchshoffs “Widerfahrnis” auf die Shortlist gekommen. Gefolgt von Eva Schmidt und Reinhard Kaiser Mühlecker, den ich dann halb auf meine Liste setuzte, sehr spät gefolgt von Katja Lange Müllers “Drehtür”, meine zweite oder erste Favoritin, Andrej Kubiczeks “Skizze eines Sommers” und wiederum nur halb von Peter Stamms “Weit über das Land”.

Daß Bodo Kirchhoff und Thomas Mellen die offiziellen Favoriten wären, habe ich durch die Blogs mitbekommen, eigentlich mehr der Melle, der ja auch mein Favoriti gewesen wären, wenn die Frauen, weil nicht auf der Shortlist das nicht konnten.

Eigentlich habe ich nicht wirklich daran gezweifelt, daß Thomas Melle der neue Buchpreisträger wird, stand er ja schon mit seinen zwei anderen Romanen auf der langen und der kurzen Liste, obwohl sein Buch eigentlich kein Roman ist, Bodo Kirchhoffs “Widerfahrnis” aber schon, obwohl er das Buch selber “Novelle” nennt.

Einigen Bloggern wars auch zu nahe oder zu langweilig und dann wurde das Buch auch noch gemeinsam mit Andrejs Kubiczeks “Skizze eines Sommers”, auch ein Shortlistfavorit im “Literarischen Quartett” besprochen und vor allem von Maxis Biller auf eine meiner Meinung nach sehr unqualifizierte Art verrissen.

“Quatsch oder Katastrophe!”, hat er es glaube ich genannt, den Kubiczek von dem ich aber eigentlich nicht glaubte, daß er gewinnen wird, obwohl mir das Buch gut gefallen hat, hat er auch verissen und wieder diabolisch lächelnd “Quatsch!” gesagt. Ich habe mich geärgert, einen Blogartikel geschrieben und  mir dann gedacht, hoffentlich hat das Thomas Melle nicht geschadet und hoffentlich gewinnt er deshalb nicht nicht.

Nun, wir wissen es inzwischen, er hat nicht gewonnen und ich habe die Preisverleihung auch nicht gesehen, obwohl ich mich schon zehn Minuten vor sechs mit einem Glas Wein ins Schlafzimmer zurückgezogen  und den Laptop eingeschaltet habe, auf den Besuch der “Alten Schmiede”, der auch angestanden wäre, habe ich verzichtet, sondern stattdessen mit dem Alfred ausgemacht, um acht ins Kino zu gehen.

Dann habe ich den Livestream einschalten wollen und es ist nicht und nicht gegangen und im Hintergrund hatte ich die 2015 Bücher und via Twitter sah ich die Preisträger, bekam auch ein bißchen, was mit von der Preisverleihung und um sieben, daß der Preisträger Bodo Kirchhoff ist.

Nun sein Buch hat mir nicht so besonders gefallen, bis auf die Stelle mit dem Flüchtlingsmädchen und dem Wirt der die Polizei holt, als die beiden Protagonisten, das ältere Paar, sie zum Essen einladen, habe ich es sehr konstruiert gefunden.

Das Melle Buch ist aber sehr speziell und eigentlich kein Roman, sondern eine Krankengeschichte, aber ich wiederhole es, sehr sehr gut, auch wenn das der Herr Biller vielleicht nicht verstanden hat oder ihm zu nahe kam.

Nun ich habe achtzehn der zwanzig Buchpreisbücher gelesen und viel über die deutsche Gegenwartsliteratur erfahren, ich habe auch wieder eifrig bei den offiziellen und inoffiziellen Bloggern kommentiert, die diesesmal gar nicht so viel gelesen haben, aber jetzt zum Teil in Frankfurt sind, während ich ja in Wien verbleibe und gerade genauso eifrig den österreichischen Buchpreis lese, der ja in einem Monat vergeben wird.

Da bin ich gerade beim dritten Buch, dem der Anna Mitgutsch, zwei warten noch und zwei der Buchdebuts und heute habe ich auch noch zwei Bücher von meinem Kritiker Uli geschickt bekommen, so daß mir der Lesestoff nicht ausgeht und ich auch wieder von meinem Zimmer aus ein wenig Frankfurtsurfen werde, nicht so viel wie sonst wahrscheinlich, weil ja am am Samstag GAV-GV ist und am Freitag Nachmittag kulturpolitischer Arbeitskreis und nun haben wir wieder einen neuen Buchpreisträger und das Schöne ist ja daran, daß hat, glaube ich, auch ein Juror so gesagt, dessen Video ich mir angesehen habe, während ich auf den Livestream wartete, daß man  lesen kann, was man will und ich habe mich schon ziemlich durch die deutsche Buchpreisliste gelesen und das war für mich, ich wiederhole es, sehr interessant,  die österreichische Liste ist auch sehr spannend und die Buchmesse, die Holland und Flandern zum Gastland hat, wird das sicher ebenfalls werden.

Widerfahrnis

Buch sieben meiner aktuellen Longlistenlektüre, Bodo Kirchhoffs “Widerfahrnis”, macht mich ein wenig ratlos, habe ich doch zuerst die Besprechung von Tobias Nazemi und Marina Büttner gelesen und die haben, vielleicht nicht etwas anderes gelesen, aber jeweils nur einen Teil beschrieben und vielleicht auch andere Empfindungen gehabt.

Es ist also, um es vorweg zu nehmen, ein sehr vielschichtiges Buch und der 1948 geborene Bodo Kirchhoff, von dem ich einmal, lang lang ists her und noch keine Blogerfahrung, den “Schundroman” gelesen habe, ist sicherlich ein Routinier.

Tobias Nazemi spricht von der Altmodischheit, die ihm, ein Kirchhoff Fan, an dem Buch stören würde, die ist mir bei den “Witwen” eigentlich viel mehr aufgefallen.

Ich habe das Buch ähnlich, vielleicht ärger oder auch anders konstruiert, wie das von Hans Platzgumer empfunden und seltsam in beiden Büchern gibt es ein gefundenes Kind und Marina Büttner schreibt, ein anderer hätte aus diesem Buch etwas Kitschiges gemacht. Ich habe es zum Teil kitschig gefunden, am Schluß dann wieder nicht, da kam dann schon die Ratlosigkeit und die Flüchtlingsfrage, die Marina Büttner etwas störte, stört mich ja nicht so sehr, wenn ich mir jetzt auch nicht wieder sicher bin, ob diese Begegnungen mit den Flüchtlingen, die der Julius Reither und die Leonie Palm da machen, sich nicht überhaupt nur in der Phantasie abspielen?

Oh ja, natürlich, denn es ist ja, kein Roman, sondern, wie betont, am Anfang steht, eine Novelle und Julius Reither, ich würde ihn mehr gegen siebzig als sechzig schätzen, ist ein ehemaliger Verleger.

“Aus der Zeit gefallen”, schreibt, Tobias Nazemi, nun Bodo Kirchhoff ist auch bald siebzig und das seltsame Wort “Widerfahrnis” kommt von widerfahren, also erleben und nun bleibt noch zu klären, ob das Ganze ein Liebesroman, eine Liebesgeschichte ist?

Nun ja, natürlich, aber vermutlich mehr ein Lebensbericht und weil der Julius Reither ja mal ein Verleger und Kleinbuchhändler war, erzählt er sich diese auch selber:

“Die Geschichte, die ihm  noch immer das Herz zerreißt, wie man sagt, auch wenn er es nicht sagen würde, nur hier ausnahmsweise, womit hätte er sie begonnen”, beispielsweise oder auch “Kein Erzähler hat gleich seinen Fuß in einer Geschichte…”

Da ist also Julius Reither, der seinen Verlag verkauft hat und sich, in eine vermutliche Seniorenanlage, auch wenn das nicht so genannt wird, zurückzieht, “weil die Leute ja mehr schreiben, als lesen”, Achtung Ironie, würde ich hier anmerken, man könnte auch sagen, er ist in Pension gegangen und jetzt sitzt er da in seiner Wohnung, trinkt Rotwein, raucht Zigaretten und hört am Gang Geräusche.

Es ist Leonie Palm, ein paar Jahre jünger als er, eine ehemalige Hutmacherin, die ihr Geschäft verkaufte, “weil die Leute keine Hutgesichter mehr haben” und jetzt auch in der Anlage wohnt und dann gibt es noch ein Buch, ein kleines Böses, ein BoD, selbstgemachtes wahrscheinlich, ohne Titel von einer Ines Wolken, sicherlich ein Pseudonym, geschrieben, das Reither vorhin in der Bibliothek gefunden hat.

Es stellt sich bald heraus Leonie hat es geschrieben, es handelt von einer Frau, die ihre Tochter verloren hat. Das hat Leonie so erlebt und Reither wurde von seiner Frau verlassen, als sie schwanger war und beide das Kind abtreiben wollten.

Leonie will etwas von Reither, am nächsten Tag will sie es mit ihm besprechen, fängt sie an, was damit endet, daß die beiden, um oder nach Mitternacht aufbrechen, die beiden ausländischen Frauen, die den Empfang während der Nacht betreuen, helfen noch beim Schneeabschaufeln von Leonies Auto, Reither hat keines mehr und sie wollen zum Achensee hinauffahren, den Sonnenaufgang beobachten.

Sie fahren und fahren, die Nacht durch und gelangen nach Sizilien, dort gehen sie endlich in ein Privatquartier und treffen  auf ein stummes Flüchtlingsmädchen, hat das Bodo Kirchhoff von Michael Köhlmeier oder umgekehrt oder ist das den beiden getrennt voneinander eingefallen, weil die Flücnhtlingsfrage momentan so aktuell ist und sich jeder renomierte Autor damit beschäftigen will, was Marina Büttner etwas stört?

Eine Szene hat das Buch, die mich sehr beeindruckt hat, Leonie ist kinderlieb, wohl wegen des Schicksals, des Selbstmordes ihrer Tochter und so laden sie das Kind mit dem zerfetzten Kleid zum Essen in ein Restaurant ein. Der Wirt scheucht es weg.

“Es gehört zu uns!”, sagt Reither, so serviert der Wirt die Sardinen und das Cola, holt aber die Polizei und die Kleine läuft weg.

Sie kommt aber wieder, schläft in der Wohnung und Leonie will sie genauso, wie Platzgumers Erzähler mit seiner Elena mitnehmen und über die Grenze bringen. Das scheitert schon am Polizeiaufgebot bei der Fähre. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, Reither wird an der Hand verletzt, Leonie und das Kind verschwinden, er fährt alleine weiter, kauft sich Rotwein, kann ihn mit seiner Verletzung nicht öffnen und blutet immer weiter, bis ein Afrikaner zu ihm kommt und “Can I help you, men?”, fragt.

Er trifft dann Leonie wieder ohne dem geheimnisvollen Kind, tauscht mit ihr das Auto gegen seine Lieblingsjacke, der Afrikaner chauffiert ihm heim und nun “bliebe nur noch zu erklären, womit die Geschichte, die ihm noch immer das Herz zerriß, enden sollte?”

“Bodo Kirchhoff erzählt in seiner Novelle “Widerfahrnis” die Parabel von einem doppelten Sturz”, steht noch am Buchrücken und dem kann ich mich anschließen und würde vielleicht noch ein paar Ebenen dazu legen.

So wunderschön, wie die anderen Rezensenten schreiben, habe ich das Buch wahrscheinlich nicht empfunden, mich stört ja, wie gesagt, das allzu Routinierte und da ist wahrscheinlich wieder einer, der sehr gekonnt mit der Schreiberfahrnis seines Lebens spielt und auch ein bißchen überheblich dabei wirkt.

Bin aber gespannt, ob es auf die Shortlist kommt. Der Platzgumer und er hätten von den von mir bis jetzt gelesenen Büchern, wohl die meisten Chancen, würde ich vermuten, aber jetzt kommt Thomas Melles Bericht über seine bipolare Depression an die Reihe, ein Thema, das mich ja sehr interessiert und Tobias Nazemi hat es schon, als sein Siegerbuch erklärt, ich bin also sehr gespannt.