Eine Liebe

Einmal noch, bevor es dann wirklich ans deutsche Buchpreislesen geht, wenn ich nicht doch zur Romanrecherche “1984” nochmals lese, bin aber mit dem vorläufigen Rohtext wahrscheinlich schon fertig.

Also eine Vorschau auf die Frankfurter Buchmesse und das Gastland Spanien, das es dort gibt, den Roman, der 1976 in Sevilla geborenen Sara Mesa “Eine Liebe”, den mir “Wagenbach” wieder freundlicherweise schickte.

“Dies ist keine Liebesgeschichte oder etwa doch”, steht am Buchrücken.

“Ein Roman über gemischte Gefühle, ein Dorf auf der Suche nach einem Sündenbock und eine Frau, die auf schmerzhafte Weise in die Eigenbrödlerei findet, beuruhigend, betörend präzise und im besten Sinne merkwürdig.”

Und dann geht es um die etwa dreißigjährige Nat oder Natalie, die in ein kleines spanisches Dorf zieht, um dort ein Buch zu übersetzten. Das Haus ist verfallen, der Vermieter unfreundlich und kommt selbst monatlich die Miete zu kassieren, obwohl er sich um die Reparatueren nicht kümmert. Er bringt ihr aber einen verwilderten Hund, mit dem sie sich langsam anfreundet. Sie putzt das Haus um die Konzentration für ihre Übersetzung aufzubringen und wird von den übrigen Dorfbewohnern eigentlich freundlich aufgenommen.

Vor allem vor dem “Hippie” Piter, einem Glaser, der aber vielleicht ein bißchen besitzergreifend ist. Es gibt ein Ladenmädchen und einen Laden, eine Romafamilie, ein altes Ehepaar, eine Nachbarfamilie, die nur gelegentlich kommt und den “Deutschen”. Der ist aber eher ein Kurdensohn und baut Gemüse an.

Dann wird das Dach kaputt und muß renoviert werden. Der Vermieter, der einmal unangmeldet in ihrem Haus aufgetaucht ist, weigert sich, es zu renovieren und dann kommt der Deutsche und bietet ihr das an, wenn sie ihn nur voher “in ihn reinlässt”, weil er sehr einsam ist. Sie ist zuerst empört. Dann kommt sie in sein Haus und eine große Liebe oder eine Besessenheit zu Andreas beginnt. Eine Besessenheit wahrscheinlich, denn er ist sehr verschlossen und sie fühlt sich von den Nachbarn ausgestoßen, obwohl das wahrscheinlich nur in ihrem Kopf passiert. Piter hält zu ihr, die Nachbarin verhält sich seltsam und sie fängt Andreas zu stalken an, bis er, sehr freundlich, bei Sara Mesa ist vieles ungewöhnlich, die Beziehung beendet.

Im dritten Teil greift der Hund, während sie spazieren geht, dann die Tochter der Nachbarin an, der Vermieter versucht sie zu vergewaltigen oder droht ihr das an, sie spricht sich mit Andreas aus, bevor es ihr gelingt in den Nachbarort zu ziehen und Piter sich weiter um sie zu kümmern scheint.

Eine metatphernreiche Novelle würde ich sagen, die zum Nachdenken über das Leben zwingt. Denn eigentlich wäre ja alles sehr einfach und man könnte auch mit der Liebe viel unkomplizierter umgehen. Er will Sex von ihr, sie braucht seine Hilfe, aber Pitar oder ein anderer Handwerker hätten ihr das Dach wahrscheinlich auch renoviert.

“Sara Mesa verzichtet auf den Luxus des Details, ihre Sprache besticht durch Knappheit: prägnant entwirft sie eine unheimliche Welt hinter glasigem Dunst – mit doppelten Böden, unscharfen Grenzen und moralischen Grauzonen”, steht noch am Klappentext.

Wütende Bärin

Daß mir die skandinavische Literatur sehr gefällt und ich da schon einige Entdeckungen gemacht habe, habe ich in diesem und im letzten Jahr beim “Preis der Leipziger Messe” herausgefunden und so habe ich trotz meiner überlangen Leseliste zugesagt, als mir Ingebjorg Berg Holms “Wütende Bärin”, angeboten wurde und hätte das Buch, das erste, der norwegischen Autorin, das in Deutsch und dazu auch auf Französisch und Italienisch erschienen ist, eigentlich für einen Krimi gehalten, geht es da im Prolog schon um eine Leiche, die da in Spitzbergen, das auf Norwegisch, Svalbard heißt, gefunden wird.

Es ist aber eine Beziehungsgeschichte, ein Jugendamtroman könnte man so sagen, wenn es diese Bezeichnung gibt. Eine Dreiecksgeschichte zwischen Nina, Sol und Njal, die von April bis November 2019 spielt und Ingebjorg Berg Holm spart da nicht mit den Körperflüßigkeiten und geht ähnlich, wie Charlotte Roche mit den “Feuchtgebieten” damit um, denn da wird sehr offen gevögelt, masturbiert oder sich erleichtert und die kleine Lotta, Ninas Tochter, um die es in dem Buch geht, hängt auch sehr an ihrer Schmusedecke.

Nina und Njal sind Glatzologen, also Gletscherforscher und sie arbeiten auch am selben Projekt. Njal war, glaube ich, Ninas Lehrer und mit Sol, einer Pastorin, verheiratet, die hatte aber eine Fehlgeburt und, ich glaube, auch eine postnatale Depression, so daß sie lange in einer Klinik war. Sie wurde deshalb auch von Njal verlassen, der dann vielleicht, um ein Kind zu bekommen, Nina geschwängert und Löcher in die Präservatine bohrte, denn sie wollte eigentlich nicht schwanger werden.

Jetzt hat sie aber die kleine Lotta, sie ist, glaube ich, so zwischen drei und vier und streitet sich mit Njal um das Sorgerecht. Denn sie hatte auch eine postnatale Depression und Njal will das Kind umbedingt haben und hat sich wieder mit Sol ausgesöhnt, die sich auch um die kleine Lotta kümmert.

Es gehen also die Anschuldigungen hin und her. Hat sich Njal vielleicht an der kleinen Lotta vergriffen. Sie schläft im Bett zwischen Njal und Sol, wenn sie bei Njal ist und Njal ist nackt dabei und Nina, die Lotta öfter bei sich haben will, stellt dem Jugendamt dann diese Frage, entführt die Kleine aber am Freiheitstag und läßt sie dann am Balkon stehen, so daß Njal sie wieder retten muß.

So geht es hin und her. Nina geht zum Psychologen und reflektiert auch über ihre Mutter und Großmutter. Die Großmutter war auch einmal Metrologin in Spitzbergen. Jetzt streiten sich Nal und Nina darum dort ein Projekt durchzuführen und Sol geht zur Gynäkologin und erfährt erstaunt, sie ist wieder schwanger. Das Kind scheint aber behindert zu sein. Sol will es haben. Njal ist damit nicht einverstanden, hat er doch Angst, daß das Jugendamt dann Lotta nicht bei ihm lassen, sondern in Fremdbetreuung gegeben wird. Das habe ich bei einer meiner Klientinnen so erlebt und auch in den “Hundert Seiten” so beschrieben und so geht Njal zu Nina, versöhnt sich bei ihr und bietet ihr an mit ihr gemeinsam nach Spitzbergen zu gehen, denn dort gibt es kein Jugendamt.

Sie tun das dann auch. Dort ist es sehr kalt und man muß, gaube ich, auch eine Bezugskarte vorweisen, wenn man Alkohol kaufen will. Trotzdem kommt Sol auf Besuch und Njal hat einen Ausflug auf eine einsame Hütte arrangiert. Er ist sehr autoritär und hat auch als Einziger das Recht eine Waffe zu tragen, um sich vor den Eisbären zu schützen, die dort herumlaufen. Nina hat nur ein Messer und es kommt dann, wie es kommen soll. Nina verwendet dieses, um die kleine Lotta vor Njal und den Bären zu schützen und ich habe ein sehr interessantes Buch gelesen, das von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann aus dem Norwegischen übersetzt wurde und da sind mir einige Druck oder Übersetzungsfehler aufgefallen, die eigentlich sehr ungewöhnlich sind.

Vielleicht habe ich dich nur erfunden

Noch ein Buch aus dem “Haymon-Verlag”, das ich gleich nach der “Schwerkraft der Tränen” bekommen habe. Diesmal aber etwas ganz anderes, behandelt das Buch der mir bisher unbekannten Tatjana Scheel, die Drehbuchautorin und Schriftstellerin ist und in Berlin lebt, sehr viele und sehr aktuelle Themen.

Da wird gegendert und mit Sternchen* geschrieben. Es geht um Mülltrennung und um die Minimalisierung des Llebens. Um Yoga und um die verschiedensten Lebensformen und vor allem wahrscheinlich, um eine problematische Jugend, um die Traumen, die man sich während einer Mittelschichtjugend zuziehen kann, die zu Depressionen, Haltlosigkeit, Unsicherheit, Suchtverhalten und führen können, was einer fast siebzigjährigen Therapeutin mit vierzigjähriger Therapieerfahrung nicht unbekannt ist und hier spritzig frech politisch korrekt und manchmal auch etwas widersprüchig erzählt wird.

Da ist Alex, eine Frau mit einem eigentlich banalen Namen, sie heißt aber auch Olivia, kommt aus München, steht knapp vor ihrem Abitur, für das sie lernen sollte. Sie fährt aber stattdessen mit einer Micky Mouse, das ist der Freeund des Jungen auf den sie eigentlich steht und der sehr scharf auf sie ist und seiner Mutter in das Ferienhaus in Sizilien. Das geht gehörig schief, denn er will Sex von ihr, die Mutter fordert sie auf ihre Hemmungen zu überwinden, sie kotzt ihn an und verläßt das Haus und bevor sie zurückfliegen kann, trifft sie auf Sheela, ihren Bruder und seinen Freund Matteo und eine Haßliebe, die sich über drei Teile zieht, aber wahrscheinlich wenn es einen vierten oder fünften Teil geben würde, endlos weiterginge,beginnt.

Die Beiden ziehen sich an, Alex verliebt sich sofort in die Tochter eines iranischen Vaters und einer französischen Mutter, die ihre Kinder sehr frei aufwachsen lassen, es gibt aber auch viel Distanz zwischen ihnen und vielleicht verliebt sie sich auch in Sheelas jüngeren Bruder, einen Nerd, der Physik studieren will und solche Bücher liest. Es kommt zu einigen Parties und dann ißt Alex aus Versehen einen ganzen Sack Haschkekse auf, Ennis, der Bruder und Francoise, die Mutter pflegen sie, Sheela ist nach München zurückgeflogen, um dort einen Job anzunehmen.

Dann geht es elf Jahre später nach Berlin. Da kommt Alex von irgendwoher zurück, ihre beste Freundein Helene, die eine sadomachosistische Beiehung zu dem dicken Türken “Gül”, das heißt “Rose”, hat, holt sie ohne Auto ab, denn auf das muß man jetzt ja verzichten. So schleppen sie den Koffer mit der U -Bahn in die Wohnung und stoßen dabei auf das Plakat der Filmpremiere der berühmten Regisseurin Sheela Shahbazi. Zuerst will Alex nicht hin, dann kommt es zum Wiedersehen der Frauen, die sich elf Jahre nicht gesehen haben. Das heißt, einmal gab es schon ein Treffen, das aber fatal endete. Alex hat inzwischen eine Depression erlebt und Helene in einer Selbsthilfegruppe kennengelernt, hat ihr Jusstudium, das sie nach dem Abi begann, die Mutter ist Juristin aufgegeben und studiert jetzt Regie. Sie geht auf eine wilde Party in Sheelas Wohnung, lernt da einen Schauspiel erund später die Frau kennen, die Sheela heiraten will. Eine wilde Hotelnacht gibt es auch und dann gehts noch ein paar Jahre später nach Island, da ist Alex mit einem Malek zusammen, hat ein sehr impulsives Kind, das seine Mama mahnt nicht wieder mit dem Papa zu streiten, hat ein Yogastudio, umarmt Bäume oder Flüße, nein, die wahrscheinlich nicht wirklich und Sheela tanzt auch wieder an, bevor sich die beiden für immer, weil das Buch dann zu Ende ist, trennen und der Satz “Vielleicht habe ich dich nur erfunden”, steht auch irgendwo geschrieben.

Am Buchrücken kann man “Tatjana Scheel erzählt vom überwältigenden Gefühl, verführt und geführt zu werden. Von Kontrolle und Macht. Von der Sucht und vom Suchen. Von der Notwendigkeit, die eigenen Bedürfnissen zu definieren. Und vom Glück nackt im Wald zu tanzen” lesen und eine Vivian Percovic hat “Bunt, laut, schnell: Zwischen Sizilien, Berlin und Island, zwischen Neurosen, Rausch und tiefen Gefühlen findet eine junge Frau ihre eigenen Identität”, geschrieben.

Das habe ich nicht unbedingt herausgelesen. Meiner Meinung nach würde es genauso schrill und widersprüchig weitergehen und das war der Therapeutin, die wahrscheinlich schon nach Halt, Struktur und Sicherheit sucht und versucht diese auch an ihre Klienten weiterzugeben, ein bißchen zuviel.

Der Kreis des Weberknechts

Nun kommt schon Buch vier der Bloggerdebutshortlist, Ana Marwans “Der Kreis des Weberknechts”, die 1980 in Slowenien geboren wurde, nach Österreich kam, 2008 den Exil-Preis gewonnen hat und nun bei “Otto Müller” ihr Debut vorlegte, das am Buchrücken als “Hervorrragender Debutroman der von übersättigten aber dennoch sinnsuchenden modernen Menschen erzählt”, gelobt wird und am Klappentext kann man noch etwas von “herrlicher Ironie” lesen, in der die Autorin, ihr Spinnennetz gewebt hat.

Worum geht es in dem Buch?

Es geht um den Misanthropen  Karl Lipitsch, der sich in ein Haus mit Garten zurückgezogen hat, um die Menschen zu meiden, in Büchern zu lesen und an einem allfassenden philosophischen Werk zu schreiben.

So weit so gut und fein ausgedacht. Dann fährt er aber zu einem Begräbnis und wird am Flughafen von seiner Nachbarin Mathilde angesprochen, die zehn Tage später mit Kaffee und Kuchen in der Hand, vor seiner Gartentür auftaucht und ein sich Umlauern, sich Umwerben, Zurückstoßen und immer Wiederkommen  beginnt.

Ein bißchen könnte man da an Adalbert Stifter und seinen “Hagestolz” denken und dabei beobachten, wie der Misantrop der schönen Frau verfällt. Es kommt zu einem Gegengeschenk, einem Honigglas von dem das “Spar-Ettikett” durch ein Handgeschriebenes, ersetzt wurde, dann zu einer Einladung in den nachbarlichen Salon.

Schließlich bittet er sie jeden Freitag zum Kaffee, weist das “Du-Wort” aber zunächst zurück, denn mit Distanz kann man sich besser ausdrücken, geht dann mit ihr in ein Konzert, gesteht ihr seine Liebe, bis sie schließlich mit Freunden auf Urlaub fährt und die Liebe zerbricht.

Am Anfang war, ich muß ich gestehen, von der schönen Sprache und der genauen Schilderung der Begegnung begeistert und habe gedacht “Uje, jetzt muß ich schon wieder würfeln!“, ironisch hab ich das Buch eigentlich nicht empfunden, sondern gedacht, daß sich der Hagestolz, der schüchterne junge Mann, es steht aber nirgends, wie alt dieser Karl eigentlich ist, in die schöne Frau verliebt und ich hatte schon einige schüchterne junge Männer in meiner Praxis und kenne mich da vielleicht ein bißchen aus.

Später habe ich das Buch und den Stil eher altmodisch empfunden und mit dem Schluß, der in einer philosphischen Wendung und bei Nietzsche endet, bin ich  nicht ganz mitgekommen.

Wahrscheinlich mag ich auch keine Bücher, wo Menschen von den Stärkeren übern Tisch gezogen, ausgenützt und zerstört werden, was aber eigentlich  nicht geschieht, denn Karl hat am Ende, nach zwei Jahren Einsamkeit, sein Buch fertiggeschrieben und auch beschloßen  an den Anfang  zurückzukehren und Anna Marwan hat  ihre  gut konstruierten Wendungen, um dieses Spinnennetztreiben, vielleicht  nur etwas zu lange ausgedehnt.

Und hier noch  zum Interview auf der Debutpreisseite.