Als gäbe es mich nicht

Jetzt kommt ein Buch aus dem “Aufbau-Verlag”, die neu herausgekommene Taschenbuchausgabe von Slavenka Drakulics “Als gäbe es mich nicht”, 1999 möglicherweise im schwedischen Exil geschrieben, denn die 1949 in Kroatien geborene Autorin, die in Kroatien, Wien und Stockholm lebt, hat über den Krieg geschrieben, beziehungsweise über die Traumatisierungen und Verletzungen, die man dort unschuldig erlebt und gipfelt vorsichtig in der Frage, wie das dann mit dem Weiterleben, dem Verzeihen, dem Vergessen, dem Wiederanfang ist?

S. ist eine junge bosnische Lehrerin, die im Februar 1993 im Stockholmer Karolinska Krankenhaus liegt und einen Sohn auf die Welt bringt, den sie nie sehen und ihm auch keinen Namen geben will, denn er ist die Folge einer Vergewaltigung im Lager, in dessen “Frauenraum” man S. aus ihrem Dorf, wo sie aushilfsweise unterrichtet hat, gebracht hat.

Jetzt liegt sie da in den hygienisch sauberen weißen Krankenhauslaken und denkt über ihr Leben nach. An die Stunden in Sarajevo, wo sie mit ihren Eltern und der Schwester lebte, an das Ausgehen am Wochenende, die heimlichen Küße, etcetera.

Dann kam der Krieg,  die Eltern und die Schwester sind aus ihrem Haus weggeholt worden. S., es gibt in dem Buch nur die Anfangsbuchstaben der Namen, was das Lesen etwas schwer macht, wohl aber die Distanz und vielleicht auch die gebotene Anonymität ausdrückt, war da schon im Dorf am Land und kochte gerade Kaffee, als ein Soldat erschien und sie zur Sammelstelle brachte.

Sie bietet ihm davon an und packt schnell ihre Sachen in einen Rucksack, die schönen Schuhe mit denen sie vielleicht tanzen war, ein rotes Kleid, Schmuck, ein Fotoalbum, ein Heft, denn sie ist ja Lehrerin.

Sie wird mit anderen Frauen in einem Bus ins Lager gebracht, kommt dort in den “Frauenraum”, ihr Schmuck wird gestohlen, später erährt sie, daß es eine Frau aus dem Nachbardorf war, die ihre Tochter damit schützen wollte, was ohnehin nicht gelang.

Denn nichts gelingt in dem Lager, wo man seine Würde verliert und von den Männern hört, die sich ihre eigenen Gräber graben, erschossen und die Leichen verbrannt werden, so daß ihnen am Morgen vom Geruch schlecht wird.

“Regt euch nicht auf, es wird nur Müll verbrannt!”, sagt die zahnlose Wächterin, die ihre “Mädchen” an sich liebevoll versorgt und ihnen auch mal Seife und Leckerbissen bringt. S. findet eine Schminktasche und beginnt sich grell zu schminken, denn wenn man es “freiwillig tut, verliert man seine Würde nicht!”

Die anderen verstehen diese Dissoziationsversuche nicht und sind entböhrt und weil S. eine gebildete Frau und aus der Stadt ist, darf sie wöchentlich zum Kommandanten, bekommt besseres Essen, etcetera.

Sie wohnt auch einer Geburt bei und sieht, wie die Großmutter, das Kind ihrer vergewaltigten Tochter sofort in einen Sack steckt und vergräbt. Da bekommt sie eine Ahnung, daß sie vielleicht auch schwanger sein könnte, denn sie hatte schon lange ihre Regel nicht, ist auch etwas dicker geworden.

Gewißheit kommt erst im Zagreber Flüchtlingslager, in das man sie bringt, die Ärztin, die ihr Entsetzen sieht, tröstet sie mit der Möglichkeit einer Adoption, denn sie ist schon im fünften Monat, für eine Abtreibung also zu spät.

Sie stellt einen Ausreiseantrag nach Schweden, spricht dort mit einer Psychologin, bekommt eine Bestätigung, daß sie das Kind weggeben und nach der Geburt nicht sehen will.

Die Schwestern an der Entbindungsstation verstehen sie aber nicht oder es kommt zu einem Mißverständnis.

Das Bettchen mit dem kleinen Knaben steht jedenfalls neben ihr, er wird ihr auch an die Brust gelegt, sie weigert sich zu stillen, obwohl die Milch ausschießt. Die Nachbarin erbarmt sich seiner, aber dann in der Nacht, als er schreit, nimmt sie ihn doch zu sich, legt ihm an und die Tränen schießen ihr über das Gesicht.

So endet das dünne zweihundertzwanzig Seiten Buch, das berührt und sehr beeindruckend ist.

Denn das alles ist in den Neunzigerjahren, als ich täglich mit dem Zug von St. Pölten nach Wien fuhr, um meinen Vater zu betreuen, geschehen.

Die Flüchtlinge aus dem Balkankrieg hat man gesehen und hat davon gewußt oder auch nicht, daß die Frauen massenhaft vergewaltigt wurden, damals vielleicht noch nicht so sehr.

Slavenka Drakulic, von der ich schon “Das Liebesopfer” gelesen hat, erzählt das alles in einer sehr schönen dichten Sprache, bei der immer beeindruckende Wendungen auffallen.

“Und nur das Blut ist wichtig, das rechte Blut der Soldaten gegenüber dem falschen Blut der Frauen” oder “Für S. ist klar, auch jene sind Gefangene, ohe Individualität, ohe Gesicht. Ihre Körper, ihr Wille gehören ebenfallls nicht ihnen, sondern der Armee, dem Anführer, der Nation”, die aufhorchen und nachdenken lassen.

“Was kann das Kind dafür?”, fragt, G. eine ehmalige Schulkollegin, die  am Stockholmer Flughafen die Angekommenen empfängt und dolmetscht. Sie nimmt sie zu sich in ihre Wohnung, besorgt ihr eine Aufenthaltserlaubnis, eine Wohnung und kümmert sich um sie und klar, das Kind kann nichts dafür und ist auch nicht Schuld an dem Krieg und all dem anderen Elend der Welt.

Ein leichtes Leben wird es wahrscheinlich trotzdem nicht haben, egal, ob es in einer Stockholmer Adoptivfamilie oder doch bei seiner Mutter, die mit ihren Traumatisierungen fertig werden muß, aufwächst.

Ein beeindruckendes Buch und sehr zum Lesen zu empfehlen, vor allem jeden, die meinen, daß es jetzt siebzig Jahre bei uns keinen Krieg gegeben hat, würde ich es an das Herz legen und es war auch interessant für mich, da ich ja erst vor kurzem nach kroatischer Literatur gesucht habe und da schon daraufgekommen bin, daß die nicht so leicht zu finden ist, weil die kroatischen Autoren oft in Serbien geboren sind oder ihre Geschichten in Bosnien oder Slowenien handeln und es ist vielleicht auch nicht so ganz geeignet, als Einstiegslektüre für meinen neuen Sommerroman oder doch vielleicht, denn ich bin ja erst durch Bosnien gefahren, wo alles frisch aufgebaut wird und die Kriegsspuren und die Verwüstungen, vielleicht doch zu sehen sind und der junge Mann wäre jetzt dreiundzwanzig Jahre alt und da S. ja nicht nur ein Einzelschicksal war, sondern das damals vielen Frauen so passierte, bin ich ähnlichen jungen Männern und Frauen höchstwahrscheinlich auch schon begegnet.

Als meine Schwestern das Blaue vom Himmel holten

Auf die 1981 geborene, in Berlin lebende, Susanne Mewe, die am Leipziger Literaturinstitut studierte, bin ich durch ihren Gewinn beim “Wartholzer Literaturpreis” aufmerksam geworden, denn da haben ja heuer eine Reihe mir bekannte Autoren, wie Jürgen Lagger,  Katharina Tiwald, Marlen Schachinger, Robert Prosser, Cornelia Travnicek, etcetera, gelesen und gewonnen hat eine mir bisher unbekannte Autorin und als ich ihren Lebenslauf nachgooglete, bin ich daraufgekommen es gibt einen im “AufbauTaschenbuchVerlag” erscheinenen Debutroman, den ich, wenn ich gewollt hätte, schon früher lesen hätte können, denn der “Aufbau Verlag” hat im Frühling oder so einen “Geschwistertag” verantstaltet und dabei dieses Buch, wie alle, die um Geschwisterliebe handeln, vorgestellt.

Ich habe damals Jane Austen gelesen und war mit meinen “Berührungen” und dem Stefan Zweig-Schwerpunkt beschäftigt, so daß ich die Bücher nicht besonders angeschaut habe, aber nach “Wartholz” habe ich das getan und war eigentlich erstaunt über die Aufmachung, lauter rote und lila Kugeln am Cover, Blumen oder Luftballons und Blümchen gibt es auch auf jeder Seite und wenn man den Umschlag umklappt, steht auf der Rückseite:

“Warum wir dir helfen wollen? Weil weil wir dich lieben. Weil du uns den letzten Nerv raubst. Weil wir deine Schwestern sind.”

Also eigentlich  eine Chicklit-Aufmachung und das ist für eine Literaturinstitutabsolventin und “Wartholz-Gewinnerin”, wo unter anderen  Günther Kaindlsdorfer und Olga Flor in der Jury waren, eher ungewöhnlich, gibt es ja, wie vor kurzem erst Tobias Nazemi bloggte, eine klare Unterscheidung zwischen U und E Literatur.

Ich meine, sie soll es eigentlich nicht geben und der “Aufbau Verlag” versucht offenbar auch dieses Klischee zu durchbrechen. Tobias Nazemi hat aber einige Kriterien, was für ihn zur anspruchsvollen Literatur gehört und da zählen wohl die Chicklit-Frauenhandlung, als auch das rote Blumencover nicht dazu und ich muß gestehen, ich bin nach dem Lesen ein wenig ratlos und weiß nicht so recht, was ich von dem Buch, das einige  Klischees sprengt, halten soll?

Vielleicht sollte ich auch den Preistext lesen, denn zuerst dachte ich, ein typischer Debutroman und da habe ich bei den O-Tönen jetzt ja einige gehört beziehungsweise gelesen und weiß von da, daß die jungen Frauen der Generation Dreißig, die Journalistik studieren und dann in der Generation Praktikum landen, es heutzutage sehr schwer haben. Friederike Gösweiner hat ein solches Buch geschrieben, das noch auf meiner Bettablage liegt und die Mia, die Ich-Erzählerin, der Susanna Mewe, ist ja auch so alt, hat die Jounalistenschule absolviert, dann angeblich oder auch tatsächlich eine feste Anstellung bekommen, aber gekündigt oder sie gar nicht erst angenommen und sich fortan bei Messen als Garderobiere verdingt.

Eine Satire oder eine Parodie auf die prekären Verhältnisse? Aber das ist nur eine Nebenschiene, denn eigentlich beginnt es mit einer Trennung.

Lars, Mias Freund, eröffnet ihr beim Frühstück aus heiteren Himmel, daß er sich von ihr trennen will. So zieht sie aus, vorübergehend zu ihrer Supervisorin Geraldine, die ihr für fünf Euro pro Tag eine Matratze in ihrem Wohnzimmer vermietet, geht aber bald zu ihrer  Schwester Paula, die alles hat, ein schönes Häuschen mit Garten in einer Reihensiedlung, ein möglicherweise autistisches Kind, einen Ehemann namens dMatthias und auch noch einen Job.

Paula überredet Mia zum Klassentreffen zu gehen und dann tauchen noch die beiden anderen Schwestern, Lucy, die erfolgreiche Bankerin und Sophie, das Nesthäckchen auf und in Rückblenden wird  von der Vergangenheit der Schwestern, die Ehe der Eltern wurde geschieden, die Mutter ist an Krebs gestorben, vorher hat sie aber noch das Haus ausgeräumt und nur die Spielsachen der Töchter zurückgelassen, die inzwischen auf Paulas Dachboden stehen, erzählt.

Das Buch spielt und das ist auch interessant zu Weihnachten. Denn im vorigen Sommer habe ich, auch wenn das Zufall ist, denn das Buch ist schon im Februar erschienen, auch ein paar Weihnachtsbücher um diese Zeit gelesen und gerade selber ein solches fertiggestellt und plötzlich tauchen die drei Schwestern bei Paula auf, die sie schon vorher mit ihrem Mann Mathtias verkuppelt haben und wollen ihr das “Blaue vom Himmel holen”.

Ganz ist mir der Titel nicht klar geworden, aber vermutlich wollen sie ihr ungefragt zu ihrem Glück verhelfen, also eine gefährliche Drohung, wie schon am Umschlag steht, denn beim Klassentreffen hat Mia von einer Klatschbase erfahren, daß Matthias ein Verhältnis haben soll.

So kommen die Schwestern und wollen Paula mit dem netten Nachbarn verkuppeln, in dessen Bett dann aber Mia fällt und am Schluß stellt sich heraus, es war gar nicht so schlimm. Matthias hat sich nur Aktfotos auf sein Handy geladen, weil er Paula überraschen und ihre Ehe aufmöbeln wollte?

Dann kommt meiner Meinung nach ein Bruch in der durchaus spannenden Geschichte, die nur sehr viele Rückblenden hat und auch mit viel Klamauk, der mir ja nicht unbedingt liegt, erzählt wird, wo ich den Faden verloren habe.

Es stehen jedenfalls alle am Weihnachtsabend im Wald, Lucy will Matthias ermorden, Paula fängt mit ihm zu streiten an und plötzlich ist es aus, es kommt wieder eine Rückblende, Mia will ihr Leben ändern, fängt, als fixe Reporterin bei einer Jagdzeitung an und da hätte ich schon gedacht, es wäre bei der Generation Dreißig unmöglich vom ewigen Praktikum wegzukommen und Lucy, stellt sich heraus, ist gar nicht so erfolgreich, hat auch noch Krebs oder einen gutartigen Tumor und die Schwestern zerren sie zur Untersuchung und einen Zahnarzt, der sich in Mias Liebesleben einmischt, gibt es auch, was ich wieder originell fand.

Ein etwas überladenen Buch, dem vielleicht eine gewisse Straffung fehlt, würde ich mal mäkeln,  bleibe mit Neugier auf Susanna Mewes Preistext zurück und habe, was die Unterscheidung von U und E-Literatur betrifft, wiedermal eine spannende Erfahrung gemacht, daß die Grenzen fließen und eine Einteilung nicht so einfach ist, was es wohl auch gar nicht soll.