Titos Brille

Ich nehme mir auf meinen Urlaube immer die entsprechende Literatur mit und so habe ich mir als wir vor sechs Jahren das erste Mal nach Kroatien gefahren sind, Bücher von Kroaten ausgesucht.

Bora Cosic, Marica Bodrozic, Jagoda Marinic ist mir das eingefallen oder habe ich zu Hause gehabt und dann sind wir nach Harland zurückgekommen und das ist mir auf den Bücherstapel über den Bett Adriana Altaras “Titos Brille” aufgefallen, das ich einmal im “Seedosen-Schrank” gefunden habe.

“Da habe ich was Kroatisches!”, habe ich wohl gedacht und mich vielleicht so geärgert, wie damals in Riga, als ich im Reiseführer von den “Hunden in Riga” gelesen habe.

Inzwischen habe ich noch ein Buch von Adriana Altaras gelesen, die 1960 in Zagreb geboren wurde und seit 1967 zuerst in Italien und später in Deutschland lebt und als Filmregisseurin arbeitet und bei meiner diesmaligen literarischen Reisevorbereitung an das Buch gedacht und kann gleich anfügen mit Tito hat das Buch nicht viel zu tun, sondern erzählt eher auf launisch lustige Weise Adriana Altaris jüdische Familiengeschichte.

Der Vater, der ein Held war, hat einmal im Partisanenkamp, die Brille geputzt und spannend, das habe ich schon einmal geschrieben, wie die Bücher, die ich mehr oder wenger zufällig in meine Büchertasche packte, zusammenpasste. Denn Altares Familiengeschichte schließt sich irgendwie nahtlos an “Ruth Tannenbaum” an und später, kann ich gleich spoilern, wird mir das bei Miljenko Jergovics “Vater” noch einmal passieren.

Oder doch nicht so ganz, denn Adriana Altaras ist ja 1960 geboren. Der Vater in den Zwanzigerjahren und da kam ja 1941 die Ustasa nach Zagreb und hat alle Juden mitgenommen. Adriana Altares stammt ja aus einer jüdischen Familie und zu Beginn des Buches ist der Vater gestorben.

Sie lebt in Deutschland, ist mit einem Nchtjuden verheiratet, hat einige Söhne und einen Prozeß wegen dem Haus in Kroatien, das die Famile während des Jugoslawienkrieges verloren hat.

Der Vater war Arzt und da kann ich gleich wieder spoilern, daß Miljenko Jergovics Vater, das ebenfalls war und zu Beginn seines Buches “Vater” ebenfalls gestorben ist. Aber Adriana Altaras lebt in Deutschland.

Es gibt eine Halbschwester aus der ersten Ehe des Vaters, die aus Zagreb zum Begräbnis anreist und da sitzen die beiden Schwester im Dienstzimmer des Vaters, um alles auszuräumen. Das heißt Adriana tut das. Die Schwester sitzt, glaube ich, am Boden, trinkt Kaffee und schaut alles an und dazwischen kommen einige junge Frauen, denn der Vater war ein weitherziger Typ und drücken ihr Beileid oder ihre Trauer aus.

So geht es weiter. Die Mutter, eine Architektin, stirbt ein wenig später. Da gibt es auch viel auszuräumen. Denn die Eltern haben wohl kriegsbedingt, sehr viel angesammelt und hatten Schwierigkeiten sich von ihren Sachen zu trennen. Der praktische Ehemann schafft das aber oder gibt tatkräftige Tips und das nächste Problem ist die Beschneidung eines der Söhne. Denn das verstehen die deutschen Freunde nicht und mit den Rabbis gibt es in der Stadt wo Adriana Altaras lebt, auch Schwierigkeiten, beziehungweise mit den Beerdigungen.

Dazwischen wird die Geschichte, die der Familie und die Kroatiens erzählt und Adriana Altaras, die auch Schauspielerin ist, beginnt das Buch auch, wie sie als kleines Mädchen eine kleine Jüdin spielen mußte. Da ist wieder die Assoziation zur “Ruth Tannenbaum”. Später spielt sie mit ihren dunklen Haaren migrantische Putzfrauen oder Jüdinnen und am Schluß wird alles gut.

Die Wohnungen ausgeräumt, die Eltern beerdigt, die Beschneidung überstanden. Mit dem Testament wurde man sich auch einig.

Interessant in Kroatien, wir sind da gerade von nach Makarska nach Brac gefahren, ein Buch zu lesen, das die Familiengeschichte einer in Deutschland lebenden Jüdin schildert. Aber wie schon geschrieben, Beziehungen zu den anderen Büchern gibt es, laßt euch überraschen.

Die jüdische Souffleuse

Weiter geht es mit den Herbstneuerscheinungen, die nicht auf den Buchpreislisten stehen und da ist jetzt Adriana Altaras Roman “Die jüdische Souffleuse” an der Reihe.

Roman? Ist das zweihunder Seiten bei “Kiepenheuer & Witsch” erschienene Büchlein, der 1960 in Zagreb geborneen Schauspielerin und Regisseurin, die mit “Titos Brille” literarisch bekannt wurde, ein solcher?

Ich sage nein und versteife mich wieder auf eine Mischung zwischen Memoir und Personal Essay, obwohl wahrscheinlich nicht so ganz klar ist, was hier wahr ist und was daran erfunden wurde?

Es kommt jedenfalls eine Opernregisseurin als Ich-Erzählerin vor, die unschwer, als die Autorin zu erkennen ist und die inszeniert in einer deutschen Stadt gerade “Die Entführung aus dem Serail.”

Weil ja nicht von allen erwartet werden kann, daß sie die Oper kennen, wird der Inhalt genau erzählt und dann bekommt man und das fand ich sehr interessant, einen Einblick, wie man sich das Opernesemble eines mittelgroßen Theaters vorzustellen hat.

Das ist eine bunte Mischung aus Koreanern, Ukrainern, Bulgaren, Finnen, Deutschen, etcetera und in dieses Ensemble platzt die etwas sechzigjährige Souffleuse namens Susanne hinein, stellt sich vor und möchte der Regisseurin ihre Geschichte erzählen.

Das ist der Plot, denn die Autorin ist Jüdin, Susanne, respektive Sissele ist es auch und die wurde, glaube ich, 1952 in Israel geboren und ist mit einem Jahr, mit ihren Eltern, die beide den Holocaust erlebten, nach Deutschland in ein Lager für Displaced Persons gekommen. Die Mutter ist bald darauf gestorben, der Vater, der in Auschwitz, die Leichen aus den Gaskammern wegräumen mußte, hat die Kleine bald aus den Armen einer Tante und zwei Cousins entrissen und sie zu Nonnen oder katholischen Pflegeeltern gegeben, bevor er mit ihr nach Kanada auswanderte und das Kind erst recht Pflegefamilien überließ.

Jetzt ist Sissele also Sechzig geworden, arbeitet als Souffleuse und erkennt in Adriana Altaras, beziehungsweise ihren Filmen und Büchern, die Seele, die ihr bei der Familienfindung helfen könnte.

Da könnte man vielleicht sagen, daß das gar kein so außergewöhnliches traumatisches Schicksal ist, sondern eines, das auch kinder mit nicht jüdischen Würzeln erleben, die von ihren Eltern verlassen, in Pflegeheimen aufwuchsen und dort vielleicht auch noch mißbraucht wurden.

Aber hier kommt das jüdische Schicksal noch hinzu und Adriana Altaras, die schließlich, wenn vielleicht auch nur widerwillig mit Sissele doch die Dokumentationsarchive und Theresienstadt, sowie Mauthausen abklappert, beschäftigt sich vorher auch in einer leicht lockeren Art, die das Buch ausmacht mit der Frage von Schuld und Sühne und wie das mit dem Verzeihen ist?

Wenn man genau ist, ist es auch nicht soviel Außergewöhnliches, was Sissele in Mauthausen und in dem Dokumentationsarchiv über ihren Vater erfährt. Denn sie ist ja mit ihm nach Kanada ausgewandert und hat sich später von ihm getrennt, beziehungsweise hat er sie hinausgeschmissen, sie später aber die Pflegeheimkosten für ihn bezahlt, aber da gibt es noch die zwei Cousins und die Tante, von denen sie als Kind entrissen wurde.

Wo sind die? Die Frage scheint sich zunächst nicht zu klären, denn Sissele verschwindet nach der Lagertour, kündigt im Theater und Adriana Altaras macht andere Regiearbeiten, bevor sie wieder an das Ausgangstheater kommt, wo Elektra zu inszeniereni ist und da kommt sie auf die Idee, da man ja die Stücke nicht mehr so inzensieren darf, wie sie sind, sondern sie einen Zeitbezug haben muß, der Elektra und den anderen Personen, die Züge von Sissele und ihrem Schicksal zu verpassen.

Da habe ich einen Moment innegehalten und mich nach der Rolle von Richard Strauss gefragt, der ja im dritten Reich Präsident der Reichsmusikkammer war, aber wenn man da genauer nachforscht, kommt man über die Verstrickungen nicht hinaus und wahrscheinlich nicht zum vergeben.

Das wird also übergangen, dafür meldet sich ein in Isreal lebender Freund der Autorin, wie der Deus ex Machina oder der Theaterdonner und erzählt ihr die Geschichte von den beiden im Holocaustmuseum ausgestellten Blechringe, von denen einer Sisseles Vater gehörte, der sie allerdings für seine erste Liebe, also nicht für Sisseles Mutter aus einem Löffel schnitze,  der ist Sisseles Cousin und alles findet sich.

Sissele kommt  wieder aus der Versenkung zurück, trifft sich mit dem Cousin auf der Premierenfeier, die Geschichte ist gut ausgeangen und wir haben, wenn wir das noch nicht wußten oder, weil wir vielleicht jünger sind und unsere Groß- und Urgroßeltern nicht danach fragen können, wieder etwas über den Holocaust erfahren.

Wenn ich mir so die Entwicklungen in Deutschland ansehe, bin ich mir zwar nicht sicher, ob das die jungen Leute noch hören wollten und ich habe eigentlich auch nicht so viel Neues erfahren, weil ich mich ja schon sehr lange mit dem Thema beschäftige und daher schon einiges, beispielsweise die Bücher von Lily Brett und auch die “Sechs Koffer”, etcetera, gelesen habe.

Oder doch natürlich, von Adriana Altaras habe ich noch nichts gelesen, denn ich habe in der “Seedosen- Telefonzelle”, einmal “Titos Brille” gefunden und auf meinen Stapel gelegt, aber keine Ahnung gehabt, daß es sich da, um ihre Familiegeschichte und um die Aufarbeitung eines Holocaust-Schicksals handelt.