Die jüdische Souffleuse

Weiter geht es mit den Herbstneuerscheinungen, die nicht auf den Buchpreislisten stehen und da ist jetzt Adriana Altaras Roman “Die jüdische Souffleuse” an der Reihe.

Roman? Ist das zweihunder Seiten bei “Kiepenheuer & Witsch” erschienene Büchlein, der 1960 in Zagreb geborneen Schauspielerin und Regisseurin, die mit “Titos Brille” literarisch bekannt wurde, ein solcher?

Ich sage nein und versteife mich wieder auf eine Mischung zwischen Memoir und Personal Essay, obwohl wahrscheinlich nicht so ganz klar ist, was hier wahr ist und was daran erfunden wurde?

Es kommt jedenfalls eine Opernregisseurin als Ich-Erzählerin vor, die unschwer, als die Autorin zu erkennen ist und die inszeniert in einer deutschen Stadt gerade “Die Entführung aus dem Serail.”

Weil ja nicht von allen erwartet werden kann, daß sie die Oper kennen, wird der Inhalt genau erzählt und dann bekommt man und das fand ich sehr interessant, einen Einblick, wie man sich das Opernesemble eines mittelgroßen Theaters vorzustellen hat.

Das ist eine bunte Mischung aus Koreanern, Ukrainern, Bulgaren, Finnen, Deutschen, etcetera und in dieses Ensemble platzt die etwas sechzigjährige Souffleuse namens Susanne hinein, stellt sich vor und möchte der Regisseurin ihre Geschichte erzählen.

Das ist der Plot, denn die Autorin ist Jüdin, Susanne, respektive Sissele ist es auch und die wurde, glaube ich, 1952 in Israel geboren und ist mit einem Jahr, mit ihren Eltern, die beide den Holocaust erlebten, nach Deutschland in ein Lager für Displaced Persons gekommen. Die Mutter ist bald darauf gestorben, der Vater, der in Auschwitz, die Leichen aus den Gaskammern wegräumen mußte, hat die Kleine bald aus den Armen einer Tante und zwei Cousins entrissen und sie zu Nonnen oder katholischen Pflegeeltern gegeben, bevor er mit ihr nach Kanada auswanderte und das Kind erst recht Pflegefamilien überließ.

Jetzt ist Sissele also Sechzig geworden, arbeitet als Souffleuse und erkennt in Adriana Altaras, beziehungsweise ihren Filmen und Büchern, die Seele, die ihr bei der Familienfindung helfen könnte.

Da könnte man vielleicht sagen, daß das gar kein so außergewöhnliches traumatisches Schicksal ist, sondern eines, das auch kinder mit nicht jüdischen Würzeln erleben, die von ihren Eltern verlassen, in Pflegeheimen aufwuchsen und dort vielleicht auch noch mißbraucht wurden.

Aber hier kommt das jüdische Schicksal noch hinzu und Adriana Altaras, die schließlich, wenn vielleicht auch nur widerwillig mit Sissele doch die Dokumentationsarchive und Theresienstadt, sowie Mauthausen abklappert, beschäftigt sich vorher auch in einer leicht lockeren Art, die das Buch ausmacht mit der Frage von Schuld und Sühne und wie das mit dem Verzeihen ist?

Wenn man genau ist, ist es auch nicht soviel Außergewöhnliches, was Sissele in Mauthausen und in dem Dokumentationsarchiv über ihren Vater erfährt. Denn sie ist ja mit ihm nach Kanada ausgewandert und hat sich später von ihm getrennt, beziehungsweise hat er sie hinausgeschmissen, sie später aber die Pflegeheimkosten für ihn bezahlt, aber da gibt es noch die zwei Cousins und die Tante, von denen sie als Kind entrissen wurde.

Wo sind die? Die Frage scheint sich zunächst nicht zu klären, denn Sissele verschwindet nach der Lagertour, kündigt im Theater und Adriana Altaras macht andere Regiearbeiten, bevor sie wieder an das Ausgangstheater kommt, wo Elektra zu inszeniereni ist und da kommt sie auf die Idee, da man ja die Stücke nicht mehr so inzensieren darf, wie sie sind, sondern sie einen Zeitbezug haben muß, der Elektra und den anderen Personen, die Züge von Sissele und ihrem Schicksal zu verpassen.

Da habe ich einen Moment innegehalten und mich nach der Rolle von Richard Strauss gefragt, der ja im dritten Reich Präsident der Reichsmusikkammer war, aber wenn man da genauer nachforscht, kommt man über die Verstrickungen nicht hinaus und wahrscheinlich nicht zum vergeben.

Das wird also übergangen, dafür meldet sich ein in Isreal lebender Freund der Autorin, wie der Deus ex Machina oder der Theaterdonner und erzählt ihr die Geschichte von den beiden im Holocaustmuseum ausgestellten Blechringe, von denen einer Sisseles Vater gehörte, der sie allerdings für seine erste Liebe, also nicht für Sisseles Mutter aus einem Löffel schnitze,  der ist Sisseles Cousin und alles findet sich.

Sissele kommt  wieder aus der Versenkung zurück, trifft sich mit dem Cousin auf der Premierenfeier, die Geschichte ist gut ausgeangen und wir haben, wenn wir das noch nicht wußten oder, weil wir vielleicht jünger sind und unsere Groß- und Urgroßeltern nicht danach fragen können, wieder etwas über den Holocaust erfahren.

Wenn ich mir so die Entwicklungen in Deutschland ansehe, bin ich mir zwar nicht sicher, ob das die jungen Leute noch hören wollten und ich habe eigentlich auch nicht so viel Neues erfahren, weil ich mich ja schon sehr lange mit dem Thema beschäftige und daher schon einiges, beispielsweise die Bücher von Lily Brett und auch die “Sechs Koffer”, etcetera, gelesen habe.

Oder doch natürlich, von Adriana Altaras habe ich noch nichts gelesen, denn ich habe in der “Seedosen- Telefonzelle”, einmal “Titos Brille” gefunden und auf meinen Stapel gelegt, aber keine Ahnung gehabt, daß es sich da, um ihre Familiegeschichte und um die Aufarbeitung eines Holocaust-Schicksals handelt.