Vom Wiener Kultursommer zu den O-Tönen

Gabriela Hegedüs und Christoph Möderndorfer

Heute habe ich wieder mit einem Buch ins MQ gehen wollen, wie ich es früher mal so tat und mich zwischen sechs und sieben zu den O-Tönen setzte, um einen guten Platz ganz vorne zu bekommen, aber in den letzten zwei Jahren war das anders, 2020 mußte man sich die Maske aufsetzen um durch das Absperrgitter gehen zu können, im Vorjahr seinen Impf- oder Testnachweis, zeigen, etwas das mir, wenn ich so zurückdenke, absurd vorkommt, umso mehr da ich immer höre, wie problemlos die letzten zwei Sommer waren, während wir jetzt ja mitten in einer Sommerwelle sind und dringend wieder Regeln oder Eigenverantwortung brauchte. Letzteres finde ich gut und auch, daß man wieder normal zu Veranstaltungen gehen kann und da gibt es offenbar auch den “Wiener Kultursommer,” wo es jeden Tag an einem anderen Ort Bezirkskulturveranstaltungen gibt und da haben heute am Wiener Naschmarkt Clemens Marschall und Anton Tantner Texte zum “Widerstand und Strategien des Entziehens” und Robert Misik “Das große Beginnergefühl” vorgestellt.

Klingt auf dem ersten Blick ein wenig Spanisch. Was sind Strategien des Entziehens und was ist das Beginnergefühl? Die ersten beiden Autoren waren mir auch unbekannt. Robert Misik natürlich nicht. Da habe ich ja seine “Neue (Ab)normalität” gelesen und höre mir auch regelmäßig seine OE-24 Diskussionen anund im “Kreisky-Forum” habe ich ihn auch einmal gehört.

Also wieder etwas gelernt, als ich auf dem Weg ins MQ Halt am Wiener Naschmarkt machte und da war auch alles abgegrenzt und Security war ebenfalls da. Ma brauchte aber keine Maske und kein G obwohl der Wiener Bürgermeister heute darüber beraten hat, ob er die nicht wieder einführen soll?

Es gab ein paar Ansprachen, der Bezirksvorsteher war da und freute sich, daß die Kultur dem Bezirk nichts kostet und die ehemalige Bezirksrätin Zoumboulakis-Rottenberg, die ich einmal bei den Bezirks-Kulturfestwochen kennengelernt habe, habe ich auch getroffen. Die Texte, die der Journalist Clemens Marschall und der Historiker Anton Tantner gelesen haben, waren sehr interessant, obwohl ich immer noch nicht ganz verstanden habe, was das mit dem Titel zu tun hat?

Es war eine Reise von Wien nach London und Paris und wieder zurück. Einer der Texte handelte von Muriel Gardiner die auf Sigmund Freud Couch gelegen hat und mit ihm, glaube ich, nach London flüchtete, einer von der französischen Revolution, der dritte über einem Fritz Sax, der eine Bibliothek vor den Nazis rettete und nach London brachte und dann ging es noch ins Wiener Neugebäude.

Robert Misik Buch habe ich auch ein wenig unverständlich gefunden. Eine Art radikale Literaturgeschichte die von Elfriede Jelinek , Balzak und Flaubert handelte und dann ging es zu den O-Tönen, wo sich Gabriela Hededüs darüber freute, daß sie keine Corona-Beauftragte mehr sein und keine Kontaktdaten mehr einsammeln mußte. Daniela Strigl und Klaus Kastberger haben wieder das Programm zusammengestellt. Daniela Strigl “hat diesmal moderiert und zuerst die Debutantin Magdalena Schrefel und ihren bei Suhrkamp” erschienenen Erzählband “Brauchbare Menschen” vorgestellt und der Text, den die 1984 in Korneuburg Geborene gelesen hat, war wirklich interessant. Handelte er doch von einer Vater- Tochter Beziehung. Der Vater ruft die Tochter immer an, um ihr zu erzählen wer schon wieder gestorben ist? Die Christa Wolf, der Osama bin Laden, der Ray Bradbury, etcetera und einmal ist es die Mutter. Da weint er in das Telefon und die Tochter nimmt den nächsten Zug und reist zu ihm hin.

Interessant die “Brauchbaren Menschen”, bei denen es sich, wie Daniela Strigl einleitete, oft um Außenseiter oder Typen von der Arbeitswelt handelte, obwohl Daniela Strigl wie sie erwähnte, die Literatur der Arbeitswelt nicht so mag und dann kam der Star Wolf Haas, der, glaube ich, schon öfter bei den O-Tönen gelesen hat mit seinem neuen Brenner “Müll”, den hat Daniela Strigl mit Klaus Nüchtern schon in der Hauptbücherei vorgestellt und diesmal ist der Brenner zum Müllmann hinabgestiegen und wohnt in einer fremden Wohnung und dann wird in der Mülldeponie eine Leiche gefunden. Die Stellen, die Wolf Haas gelesen hat, waren sehr spannend und auch sehr lustig. Die Leute haben gelacht, als die Leichenteile gefunden wurden. Das finde ich ja nicht so lustig. Wolf Haas, der, glaube ich, auch Germanistik studiert hat, ist aber ein großartiger Schreiber, hat alle Nuancen drauf und jongliert sehr gekonnt mit der Sprache und den Genres.

Daniela Strigl hat ihm nach der Lesung darauf angesprochen, daß er zwischen seinen Brenner-Romanen auch andere Bücher, geschrieben hat und jetzt wieder auf den Brenner, den er schon einmal sterben hat lassen, wieder auferstehen ließ.

Sehr spannend der Wiener Kultursommer mit viel Literatur und das betonte Gabriel Hegedus in ihrer Begrüßung auch, daß Wien großartige Literaturveranstaltungen anzubieten hat und ich finde die O-Töne, zu denen ich wegen meiner Sommerfrische, ja erst später gekommen bin, auch sehr spannend, weil man da einen guten Einblick bekommt, was im Herbst vielleicht auf den Buchpreislisten stehen wird, aber ich werde da wohl eine kleine Pause machen und erst zu den beiden letzten Veranstaltungen wieder hingehen.

Das Wetter vor fünfzehn Jahren

Jetzt kommt ein Buch von meiner Buchpreisbacklist, denn ich habe ja im Vorhahr beschloßen mit dem Backlistbuchpreislesen, das heißt mit den Büchern, die früher auf der dBp standen und die ich zwar in den Regalen, aber noch nicht gelesen habe, zu beginnen.

Das erste ist ein Fund aus der Seedosen-Bücherzelle, Wolf Haas “Das Wetter vor fünzehn Jahren”, 2006 erschienen und da auch auf der Longlist gestanden und wenn ich mich richtig erinnere, habe ich es einmal während eines Osterspazierganges der LitGes gefunden.

Von den 1960 in Maria Alm Geborenen, der mit seinen Brenner-Krimis berühmt geworden ist, habe ich einige Krimis gelesen und er ist, wie Thomas Glavinic wohl einer, der sich in den verschiedensten Stilen ausprobiert, beziehungswweise immer etwas Neues ausprobiert und das ist ihm, wie, ich glaube, mit “Das Wetter vor fünfzehn Jahren” exellent gelungen.

Die Handlung steht im Klappentext. Vittorio Kowalski, ein Bergwerksohn aus Essen, der mit seinen Eltern jedes Jahr auf Sommerfrische in ein österreichisches Dorf in eine Frühstückpension gefahren ist, hat sich dort als er Fünfzehn war, in die gleichalte Wirtstochter Anni verliebt.

Jetzt ist er dreißig, war seither nie mehr dort, hat sich aber von der Nachbarin der alten Frau Bachl, jeden Tag über das Wetter dort informieren lassen und ist irgendwann einmal mit diesem Wissen in “Wetten, daß” aufgetreten und zum Wettkönig geworden.

Jetzt reist er, nachdem er von Anni eine Karte bekommt wieder in das Dorf, kommt gerade zu ihrer Hochzeit zurecht und eine Katastrophe gibt es auch.

Das ist die Handlung des Romans und das Buch ist eigentlich ein Fake, denn diesen Roman gibt es nicht.

Nicht in der geschriebenen Form nur in der Form eines in fünf Tagen geführten Interviews ziwschen Wolf Haas und einer namenlosen Reporterin einer “Literaturbeilage”. Da wird dann auf über zweihundertzwanzig Seiten über den Roman gesprochen. Wolf Haas ist manchmal witzig, manchmal ironisch, macht sich über die offensichtlich Bundesdeutsche lustig, erklärt ihr die österreichischen Ausdrücke also was beispielsweise “Marillenmarmelade” heißt, erklärt ihr aber auch, das Bregenz in der Schweiz liegt und einige Schreibratgeber hat er wohl auch gelesen, jedenfalls könnte man das Buch als eine Schreibanleitung betrachten, denn Wolf Haas erklärt der Reporterin sehr genau, wie und warum er manches geschrieben hat.

Sie stellt ihm kritische Fragen, zitiert seine Sätze und so kommen wir in den Roman hinein, ohne ihn in dieser form gelesen zu haben und die dargebotenen Handlung ist eigentlich recht kitschig und konventionell, denn da klettern die beiden Fünzehnjährigen während eines Gewitters in eine Schmugglerhütte hinein, in der sich eigentlich Marias Vaters mit Vittorios Mutter treffen wollte, aber sie machen ihm, weil sie nackt im Heu liegen nicht auf, so verunfallt der Vater und als Vittorio nach der Wettshow wieder in das Dörfchen reist und gerade zu Annis Hochzeit mit dem Nachbarsohn zurechtkommt, geht er auch in die Hütte, stürzt dort ab und kann sich nur durch eine Sprengung retten. Dazwischen erfährt er noch durch gefundene Briefe vom Gspusi zwischen seiner Mutter und Annis Vater und das Ganze endet oder beginnt vielmehr mit dem Kuß den ihm die Anni in der Intensivastation gibt und so kann man auch einen Roman schreiben, beziehungsweise etwas Neues schaffen.

Ein interessantes Detail ist vielleicht auch, daß es laut Wolf Haas dieses Vittorio Kowalski und diese Wettshow wirklich gegeben hat und er ihm sogar in das Dörfchen nachreist und gerade zur Hochzeit zurechtkommt und die Reporterin will immer über diese Frau Bachl reden, es kommt aber nicht dazu, weil das Mikrophon vorher ausgeschaltet wird, beziehungsweise das Buch zu Ende ist. Also wirklich sehr raffiniert und gekonnt erzählt.

Und die Luftmatratze, die die Familie immer in den Urlaub mitnahm und die im Auto unter Vittorios Füße lag, ist am Cover abgebildet.

Beliebig oft wird sich dieser Schreibstil wohl nicht wiederholen lassen, aber ich bin froh, daß ich das Buch während eines Osterspaziergangs gefunden und jetzt zu Beginn meiner Sommerfrischenwochenenden gelesen zu haben, denn es ist ein richtiges Sommerbuch, das zu dieser Jahreszeit und den Ferien passt, auch wenn es schon vor vierzehn Jahren geschrieben wurde und Wolf Haas wohl noch weitere literarische Experimente machte, die teilweise in meinen Regalen auf das Lesen warten.