Herzfaden

Jetzt kommt Buch vierzehn der heurigen deutschen Buchpreisliste und das dritte Shortpreisbuch, mein vorhergesagter Favorit sozusagen “Herzfaden” des 1965 geborenen Thoms Hettche, der, glaube ich, in der “BachmannpreisJury war, als ich 1995 einmal live dorthinfuhr.

“Ludwig muß sterben” und “Unsere leeren Herzen” habe ich gelesen. Die “Pfaueninsel” mit der er 2014 auf der Longlist oder sogar auf der Shortlist stand noch nicht und jetzt ist er mit der Geschichte über die Augsburger “Puppenkiste”, was ein berühmtes mir bisher unbekanntes Marionettentheater ist, das auch für das Fernsehen spielte, wieder auf die Liste gekommen und ich muß sagen, mein Eindruck hat sich bestätigt, auch wenn es vielleicht mehr im Sinne der Petra Hartlieb ein Buch für die Massen. Für die Leserinnen beispielsweise, die als Kind den “Jim Knopf” gesehen haben, als für den experimentellen Literaturgeschmack geschrieben wurde.

Aber dafür steht ja Dorothee Elmiger auf der Liste und einen Kunstgriff, um diese Nachkriegsgeschichte zu erzählen, hat Thomas Hettche auch gewählt.

Einen sogar mit zwei Farben, in rot und in blau. Ich habe nur ein PDF gelesen, aber gehört, daß es in der Printausgabe auch so sein soll.

Es gibt sehr schöne Zeichnungen von Matthias Beckmann und Thomas Hettche hat in seinem dBp-Filmchen gesagt, daß er mit seinem Buch ein Märchen erzählen, beziehungsweise die “Magie der Marionetten” wiedergeben wollte. Deshalb auch der Titel.

Herzfaden ist der Marionettenstrang, den der Puppenspieler gebrauchen muß, um seiner Puppe Leben einzuhauchen und am Anfang ist mir der Stil auch tatsächlich sehr einfach, fast wie ein Kinderbuch erschienen, obwohl es um etwas viel Ernsthafteres nämlich das Aufwachsen im Krieg, was der 1931 geborenen Hannelore Oehmichen, der Tochter der Schauspielers Walter Oehmichen auch passierte.

Thomas Hettche hat aber einen, meiner Meinung nach, wieder sehr genialen Kunstgriff gewählt, um die Geschichte des Puppentheaters zu erzählen.

Da wird nämlich ein zwölfjähriges namenloses Mädchen, das mit seiner Mutter wo anders lebt, vom geschiedenen Vater in so eine Aufführung geschleppt und sie ist wütend und rennt ihm davon. Ist sie ja kein Kind mehr, was soll sie also mit so einem Puppenkram?

Sie gerät durch eine Tür auf einen Dachbodeen, dort hängen die marionetten und es kommt ihr eine mondäne Frau mit einer Zigarette entgegen und die freche Göre sagt auch gleich “Rauchen tut man nicht!”, wie sie später “Neger und Zigeuner sagt man nicht!”, also den politisch korreckten Jargon, den man offensichtlich in der Schule lernt, sagen wird.

Die Frau lächelt und antwortet “Zu meinen Zeiten schon!”, denn sie ist die 1931 geborene und 2003 verstorbene Hannelore Oehmichen, die, wie im Buch erklärt wird und bei “Wikipedia” steht, 1943 mit ihrem Vater den Schauspieler Walter, der Mutter Rose und der Schester Ulla, das erste Puppentheater im Schrank der Wohnung gegründet hat. Das ging im Krieg verloren und der Vater, der immer wieder dorthin mußte und weil er nicht schnell genug entnazifiziert wurde und deshalb nicht wieder an sein Theater, wo er Brecht spielte oder inszenierte zurück konnte, hat aus dem Krieg einige Puppen mitgebracht und gründete mit seiner Tochter 1948 dann die “Puppenkiste”, das heißt eine Kiste für die Puppen, so daß man sie überall mitnehmen konnte und nicht mehr zerstört werden konnten.

Die Tochter Hannelore “Hatü” genannt ist begeistert, beginnt selbst zu schnitzen. Zuerst werden Märchen, wie “Hänsel und Gretel” und “Der gestiefelte Kater” gespielt, dann den “Kleinen Prinzen” und zuletzt noch “Jim Knopf” von Michael Ende mit denen die Kiste auch ins Fernsehen und dadurch in alle Kinderzimmer Deutschlands kam.

Die kleine Hannelore, die später das Theater, das inzwischen ihre Söhne führen, auch vom Vater übernommen hat, erlebt den Krieg, sieht den Vater in diesen ziehen, sieht die jüdische Freundin verschwinden und die Frau Friedmann, die von der Gestapo abgeholt und verladen wird. Dann kommt die Nachkriegszeit und das Wirtschaftswundeer, auf einer Messe wird der Vater angesprochen, ob er nicht im gerade gegründeten Fensehen spielen will und es gibt den Kasperl, die erste Puppe, die Hatü schnitze und die spielt in dem Buch auch eine große, nämlich ambivalente Rolle. Wurde sie ja im Krieg geschnitzt und hat dadurch ein böses Gesicht bekommen, was sich auch in der zweiten märchenhaften Handlung äußert, denn die Puppen, die auf dem Dachboden ja lebending sind und mit dem Mädchen bevor es wieder zurück zu seinem Vater geht, kommunizieren. So klaut der Kasperl auch ihr Handy und Hatü erzählt dem Mädchen oder auch uns die Geschichte ihres Nachkriegslebens, sowie die Geschichte des Puppentheaters. Und ich denke, daß das ein Buch ist, daß zu Weihnachten sicher unter vielen Christbäumen liegt. Eines, das sich gut verkauft und auch für mich sehr interessant ist, denn ich habe keine Ahnung von einer “Augsburger Puppenkiste” gehabt und auch den Michael Ende noch nicht gelesen. Den “Kleinen Prinzen” habe ich einmal auf Französisch versucht, denn das war das Lieblingsbuch meiner Französischlehrerin, was sie auch ständig im Unterricht verwendete und die Zeichnung von der Schlange mit dem Napoleonhut auch auf die Tafel malte.

Unsere leeren Herzen

Das nächste Buch ist auch von “Kiwi” und  handelt auch von Literatur, nämlich Essays des 1964 geborenen Thomas Herttche, von dem ich “Ludwig muß sterben”, gelesen habe und der mit der “Pfaueninsel” 2014 auf der Long oder Shortlist gestanden ist und ich habe ihn glaube ich 1996 kennengelernt, als ich auf eigene Kosten nach Klagenfurt fuhr, denn da war er, glaube ich, Juror.

Die Essay sind eher kurze Stückchen, wo sich der Autor auf ein Werk bezieht, ein bißchen was dazu sagt, das Buch angibt und auch dazu schreibt, wann und unter welchen Umständen er es gelesen hat.

Thomas Mann, glaube ich, als er auf Lesereise war, da beginnt das Stück mit “Etwas erzählen, aber ich weiß nichts”, und Hettche dachte, es wäre aus der Erzählung “Das Eisenbahnunglück” es war aber aus dem “Kleiderschrabk”.

So kann man sich täuschen. Dann geht es zu der Sprache der Fische”, das ist aus den “Sonnetten an “Orpeus” von Rainer Maria Rilke und da ich ja erst vor kurzem “Träumer” gelesen haben, sind mir beide Namen auch vertraut.

Danach beschäftigt sich Thomas Hettche mit Wilhelm Raabe,  dem Romanschreiben und versucht zu erforschen, warum der Autor derzeit eher wenig gelesen wird.

“Komm an meinen Schreibtisch voll von meinen Träumen!”, hat Wolfgang Koeppen an den Verleger Sigfried Unseld, der “Autoren und keine Bücher” machte, geschrieben und Thomas Hettche sinniert sowohl darüber, was ein solcher Satz bedeutet und erinnert sich daran an seine Begegnung mit dem berühmten Verleger, der ihm flankiert von zwei schweigsamen Autoren in ein teures Lokal eingeladen hat.

Dann kommen drei Essays, die die Verbindung von Literatur zur Freiheit, Konvention, Zweck und Moral aufzeigen sollen, wobei sich Thomas Hettche sowohl auf Experimente, wie Facebook etwa die Stimmungslage seiner Benützer manipulieren kann oder, wie die Hamster auch in der Freihit die für sie aufgestellten Räder benützen bezieht, als auch Schlüße auf Vladimir Nabokov und Louis Stevenson zitiert und Schlüße zieht, die beim schnellen Drüberlesen gar nicht so leicht zum Nachvollziehen sind.

In “Das Bild einer Toten” bekommt Hettche das Foto seiner ersten Freundin geschickt und swippt zu Karl Ove Knausgard über, der glaube ich, seine Befindlichkeit in einen Haufen Bücher verpackt und damit ein großes Publikum hat. Interessant, daß er nicht zitiert wird, aber ach ja, das ist ja trotz des Millionenpublikum wahrscheinlich nicht die richtige Literatur.

Thomas Hettches literarische Gelehrtheit, die er mit genialen Rundumschlägen durch die Literatur begründet, sieht man auch an seinen Essay zu Ovid, wo er über Franz Fühmann zu Franz Kafka kommt, dann geht es nach Paris zum Terror, Charlie Hebdo und Michel Houllebeqs “Unterwerfung” und er zieht auch da Verbindungen zu Bader-Meinhof, Ernst Jünger und vielem mehr.

In “Mitsou” beschreibt er ein Interview, das David Bowle mit dem Maler Balthus in Genf führte, hier kommt es wieder zu einem Irrtum, Hettche stelt sich nämlich vor wie Bowei aus London kommend in Gef landet, bevor er daraufkam, daß dieser in dieser Zeit schon längst am Genfer See lebte.

Mit einem Seitenhieb auf das Netz, wo ja angeblich jeder jeden Unsinn schreiben kann, geht es weiter und dann geht es in ein Schloß, wo an Künstler Stipendien vergeben werden, Hettche hat, als er jung war, auch einen Aufenthalt dort gehabt, jetzt unterhält er sich älter geworden, mit dem ebenfalls schon älteren Institutsleiter und befragt ihn zu den Veränderungen, die es seither gibt.

In der “Eberjagd” setzt Hettche sich mit Ernst Jünger auseinander, dessen “Marmorklippen” ich erst lesen muß.

Dann geht es um “Peter Schlemihl” seinen Schatten und den Berliner Intellektuellen um 1800 zu denen außer Chamissos auch E.T.A Hofmann gehörte und interessant dieses Motiv oder Figur taucht auch in der “Pfaueninsel” auf, die ich auch noch nicht gelesen habe.

Dann gehts  zur “Ohm” oder zu Thomas Hettches Heimatdörfchen, wo er Peter Kurzek bei seiner ersten Lesung hörte und Paulus Böhmers Gedicht “Die Ohm”, der Fluß der Gegend, wird auch zitiert.

In “Theorie” geht um Kant beziehungsweise um den Briefwechsel, den eine junge Frau aus Klagenfurt mit ihm führte und wo sie von ihm glaube ich die Erlaubnis zum Selbstmord haben wollte. Ob er ihr sie gegeben hat, habe ich nicht ganz mitbekommen, Thomas Hettche ist ja sehr heoretisch und zitert auch aus einem Buch einer Literaturwissenschaftlerin. Maria von Herberts hat sich aber  im Mai 1803 in der Drau ertränkt.

Und in “Wir Barbaren” habe ich mir den Satz “Lesen bedeutet etwas zu begreifen und dabei stets mitzubegreifen, daß dieses Verstehen die Zeit nicht aufhält, sondern die Geschichte, gerade begriffen, einem schon wieder entgleitet”.

So ganz habe ich dieses Satz, wie vieles andere in Thomas Hettches Essays nicht verstanden und das ist beim schnellen Drüberlesen wohl gar nicht möglich und wer nimmt sich schon die Zeit genauer in die oft sehr kurzen Essays einzulassen, die munter von einem zum anderern Jahrhundert beziehungsweise Buch wechseln, wenn im Badezimmer schon die Bücher von den Frühjahrsneuerscheinungen warten?, habe ich gedacht, während meine Augen über die den letzten Essay, der die “Liebe” behandelte, geglitten sind und da war noch die Frage, wie das jetzt mit den “Leeren Herzen” aussieht?

Mein Kopf rauscht, weil ich jetzt einen Parcour durch die ganze Literaturgeschichte in drei Tagen hinter mich gebracht habe und bei jedem dachte,  das und das sollte  ich noch lesen und während ich mich noch fragte, ob sich die Herzen sich dabei gefüllt haben?, habe ich das Buch von seiner Hülle befreit, die mir  Gerda Löffler vor zig Jahren in der Straßergasse einmal zu Weihnachten geschenkt hat  und den einzigen Satz, der am Buchrücken steht, gelesen “Welche Tröstung kann Literatur unseren leeren Herzen heute noch sein?”, gelesen.

“Aha!”, und an meinen Bücherstapel im Badezimmer gedacht und daran, daß ich wahrscheinlich gar nicht so oft Tröstung brauche und meinHerz eigentlich gar nicht so leer ist, sondern pumpt und pumpt und wenn ich von Thomas Hettches Geisteskraft, bei dem ich als Kritikpunkt anbringen könnte, daß er mir manchmal sehr elitär und abgehoben erschien, auch nicht alles verstanden habe,  habe ich doch einen sehr interessanten Parcour durch die Literarugeschichte gemacht, den ich weiterempfehlen kann.