Marlene Streeruwitz im Doppelpack

Heute hätte man, wenn man wollte, Marlene Streeruwitz gleich zweimal in der “Alten Schmiede” hören können.

Das heißt auch nicht wirklich, denn die Lesung aus den “Nachkommen” fand im Rahmen der “AG-Germanistik” also für Schüler und Schülerinnen, moderiert von Martin Kubacek, um sechzehn Uhr dreißig im Keller statt, früher stand bei diesen Veranstaltungen, “Restplätze für das allgemeine Publikum” dabei, jetzt “Geschlossene Veranstaltung mit Übertragung in den Schmiederaum” und ich bin nur einmal, vor zig Jahren, noch im alten Parterrequarter zu so einer Vernastaltung zu einem O. P. Zier-Buch gegangen, sonst habe ich das immer ausgeklammert, weil ich ja keine Schülerin bin und heute hatte ich auch noch den klinischen Mittag vor.

Aber thematisch hätte es ganz gut gepasst, denn um neunzehn Uhr gabs moderiert von Angelika Reitzer, die Lesung aus dem zweiten Buch, den Roman aus dem Roman “Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland” und ich habe mir ja beide Bücher zum Geburtstag schenken lassen und noch nicht gelesen.

Aber als ich das geschnallt hatte, daß ich das verbinden könnte, auswendig weiß ich die Programme auch nicht und im Kalender hatte ich nur den Abend eingetragen und da noch überlegt, ob ich nicht auch ins Literaturhaus gehen sollte, wo Bernhard Strobel seinen dritten Erzähband vorstellte, mit dem er allerdings schon im “MUSA” war, hatte ich, auch bedingt durch meine gestrigen Terminkollusionen zwei Nachmittagsstunden auf meinen Kalender stehen und aus der Traum oder nur eine Lesung.

Dafür ist inzwischen mein Romankonzept ein wenig weiter angewachsen.

So hat Marlene Schachingers Aufruf zu mehr Mut zum Fabulieren “Es muß nicht immer alles realistisch sein!”, mich dazu veranlaßt, die Problem zu lösen, ob die Selma sich nun wirklich in eine Burka verhüllt nach Damaskus verschicken läßt, eine junge Frau, die Zahnärztin werden will und in Wien mit einer geschiedenen Mutter aufwächst, ist vielleicht nicht so naiv, sie könnte also auch in Janusz Flüchtlingsheim ausweichen und vorher hatte ich schon gedacht, sie nimmt auf ihre Flucht ein Handy, fünfhundert Euro und den Paß ihrer Cousine mit, um wieder zurückzukönnen. Jetzt wird sie den Paß einer neunzehnjährigen Fatma Challakhi finden, als sie mit ihrer Reisetasche in die Moschee marschiert und die ist eine junge Frau, die in Damaskus auf eine deutsche Schule gegangen ist, unbegleitet nach Wien geflohen ist und da jetzt in dem Flüchtlingsheim lebt, von der Fritzi in die Bibliottherapiegruppe gebracht wird und vielleicht auch noch mit Kopftuch im Rahmen eines Sonderprojekts im Innenministerium ehrenamtlich putzen darf.

Das habe ich am Abend, ich gestehe es, während der Streeruwitz-Lesung immer abwechselnd vom lila mit den Lesungsnotizen in mein schwarzes Büchlein notiert und vielleicht hat mich der Streeruwitzsche-Anarchismus dazu veranlaßt, so zu fabulieren, denn die bregann die Lesung, die erstaunlicherweise gar nicht so besonders besucht war ,mit einem Gespräch mit Angelika Reitzer und beantwortete ihre Frage nach der Anachie, daß sie sich mehr Radikalität bei Demonstrationen und mehr Widerstand gegen die Polizeigewalt wünscht und ich hatte eine Frage, die ich der Streeruwitz schon bei der letzten “Buch-Wien”, wo sie auch ihre Bücher vorgestellt hat, stellen hätte wollen, nämlich die sehr banale, welches Buch man zuerst lesen soll?

Da hätte ich ja fast an die “Nachkommen” gedacht, denn die sind zuerst erschienen, aber logischer ist es umgekehrt, denn da fährt eine junge Frau, Nelia Fehn, deren Mutter vor fünf Jahren gestorben ist, durch das heutige Griechenland bzw., will sie von Kreta nach Athen, um dort auf eine Demonstration gegen die, wie Marlene Streeruwitz es nannte “sogenannte Wirtschaftskrise” zu gehen und auf dieser wird offenbar ihr Freund Marios verletzt und weil er schon über neunundzwanzig ist und zwei Jahre arbeitslos hat er keine Sozialversicherung. So schreibt sie aus ihren Tagebuchaufzeichnungen einen Roman, kommt damit prompt auf die Shortlist des dBp, die Streeruwitz ist mit “Nachkommen” auf die Longlist gekommen, reist  in diesem Roman nach Frankfurt und erlebt dort das Showbusiness des Literaturbetriebs.

Die Streeruwitz hat sich nach dem Gespräch mit Angelika Reitzer, wo sie meinte, daß wir alle eine kleine Umschuldung betrieben, die wir Liebe nennen, quer durch das Buch gelesen und wurde am Schluß von einer Dame gefragt, ob die Nelia in dem Buch die Männer als Aliens erlebe, sie werden als sehr gewalttätig und ständig fickend und die junge Frau in ihrem Hotelzimmer dadurch belästigend geschildert, was Marlene Streeruwitz sehr lange, ausführlich und wahrscheinlich auch verärgert, beantwortete, aber wenn ich das richtig verstanden habe, hat die junge Frau im Buch, die literarische Figur, den Shortlistroman ja nur geschrieben, um an Geld für eine Operation für ihren Geliebten zu kommen, wenn das nicht der wahre Altruismus ist?

Es kommt dann noch etwas anderes, wahrscheinlich in den “Nachkommen” vor, das sogenannte “Griseldis-Thema”, das ist ein Bild in einer Nationalgalerie vor dem Nelia Fehn steht und da muß eine Bauerntochter, die von einem Fürsten geheiratet wird, einige Qualen oder Folterungen bestehen, um ihre Tugend zu beweisen.

Ja die Streeruwitz ist sehr radikal und hat auch eine sehr starke Art sich auszudrücken und ich habe mich inzwischen,  dank der offenen Bücherschränke ziemlich durch ihr Werk gelesen.