Mutters Stimmbruch

Jetzt kommt ein kleines dünnes Bändchen das mit seinen hundertzwanzig Seiten und den, wie ich es nennen würde, sechzig Prosastückchen Anette Wassermann vom “Wagenbach-Verlag” sehr beeindruckt hat, jedenfalls hat sie bei dem japanischen Abend im Jänner sehr davon geschwärmt.

Katharina Mevissens “Mutters Stimmbruch”, die ja vor einigen Jahren mit “Ich kann dich hören”, nicht nur auf der Bloggerdebutpreisiste gestanden hat und die 1991 Geborene hat schon damals ein ungewöhnliches Thema in die Literatur hineingebracht.

Jetzt geht es um das Alter oder um die Transformation, so genau weiß ich das eigentlich nicht, denn die titelgebende Mutter ist wahrscheinlich noch gar nicht so alt, daß sie von der Demenz bedroht ist und das Ganze ist überhaupt vielmehr symbolhaft zu verstehen als realistisch.

“Mutter ist schon lange kinderlos und hat nun auch ihre Stimme noch verloren. Sie muss an einen neuen Ort, um wieder stark und laut zu werden. Ein Roman über das Altern, einen späten Aufbruch und eine bleibende Sehnsucht”, steht so am Buchrücken und wie schon angedeutet, Roman würde ich die sechzig Seiten nicht nennen und habe mir beim Lesen am Anfang auch schwer getan den symbolistischen Prosastückchen einen realistischen Sinn zuzuordnen.

Das ist also die namenlose Mutter.

“Herr Mutter!”, nennt sie sich einmal, als sie in einem Reisebüro anruft, um eine Reise ans Meer zu buchen. Die lebt in einen großen Haus mit einem lecken Dach, das sie renovieren muß. Sie lässt die Handwerker aber nicht in den Keller, wo sie irgendetwas erledigen müssen, bevor sie sich an das Dach machen könnenn und das mit dem Stimmverlust habe ich am Anfang gar nicht so mitbekommen. Die Zähne wackeln aber. So geht Mutter zum Zahnarzt und lässt sie sich schließlich reißen.

Da muß ich noch erwähnen, daß das Buch immer wieder schöne Illustrationen von einer Katharina Greeven hat, die auch öfter das Zahnmotiv wählt.

Die zahnlose Mutter verlässt nun auch ihr großes Haus zieht in eine zwei Zimmerwohnung, wo es nur eine Luftmatrazze und viele Pflanzen gibt und um ihre Stimme wiederzubekommen, beginnt sie viel zu telefonieren und interessant ist auch dabei, daß die dreißigjährige Autorin, die sich wahrscheinlich nicht mehr wirklich an Telefonzellen erinnern kann, ihre Mutter, die offenbar kein Handy besitzt, dorthin schickt.

Weiters gibt es einen Hinweis auf drei Kinder, die aber nur zu Weihnacchten und zum Muttertag anrufen. Dann kommt auch der Muttertag. Da geht Mutter einkaufen und bekommt von der Kassiererin eine Rose überreicht. Sie trinkt später drei Gläser Sekt, isst ein Stück Tiefkühltorte und keine Kinder rufen an. Ein Hinweis auf die Einsamkeit?

Ihr Haus soll dann auch verkauft werden, weil es offenbar durch den Dachschaden überflutet wurde, trotzdem kehrt Mutter dorthin zurück und vergräbt ihre Zähne in die Erde, um das Leben offenbar auf diese Art und Weise fortzupflanzen.

Wie schon erwähnt sehr symbolhaft und ich persönlich würde auch bezweifeln, daß sich eine Dreißigjährige wirklich mit dem Alter auseinandersetzen kann oder falsch, ich habe in diesem Alter viele alte Bekannte, wie beispielsweise die Hansi Berger gehabt und mich auch in meiner Dissertation mit der Midlifekrise auseinanderbesetzt und darin geht es in dem Buch wohl auch und schön ist natürlich die Sprache.

Da schwärmt nicht nur Anette Wassermann davon. Ich habe auch in den Rezessionen etwas von einer der begabtesten jungen Autorinnen gehört und möchte am Schluß noch ein paar Sprachproben anführen, bevor ich mich wieder an das Lesen von dickeren realistischen Romanen oder Biografien machen werde:

“Mutter bleibt liegen. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das zuletzt getan hat. Sie besorgt sich drei weiche Brötchen mit Butter aus der Küche undd ein paar Äpfel,verspeist sie im Bett.

Als spätnachmittags die Nacht hereinbricht, siedelt si ein die Badewanne über.”

“Mutter weiß: Wer den Tod fürchtet, hat eine große Gefriertruhe.”

“Noch kein Winter war so streng mit ihr wie dieser.”

“Ohne Zähne und mit dem Zorn von Jahrzehnten schafft sie es vor die Tür. Draußen kommt es ihr schon etwas wärmer vor.”

“Mutter ist ihr eigener Mittelpunkt. Und die Zähne im Bad sind die Perpherie.”

Man sieht die Metahpernsprache und kann sie sich beliebig deuten und sm Schluß des Buches gibt es die übliche Danksagung, wo Katharina Mevissen betont, daß ihre Mutter mit der im Buch beschriebenen keine Ähnlichkeit hat.

Ich kann dich hören

Es ist ein merkwürdiges Buch, das Debut der 1991 in Achen geborenen Katharina Mevissen, die eine gebärdensprachige Literaturinitative mitbegründet hat.

Ob sie selbst oder jemand in ihrer Familie von Gehörlosigkeit betroffen ist, habe ich nicht ganz herausgefunden, daß es in dem Buch aber um die leisen Töne geht, kann man schon am Titel lesen und auch sonst ist das Buch ziemlich ungewöhnlich, obwohl es eigentlich und genau genommen, nur die Probleme erzählt, die man haben kann, wenn man in Deutschland in den Neunzigerjahren aufgewachsen ist und, das schreibe oder spoilere ich gleich hinzu, es ist eines, wo man das Talent, der Autorin, wie am Klappentext steht, nicht erkennen kann, wenn man es nach den ersten Seiten mit der Frage, um was es hier eigentlich geht, entnervt zuklappt und wegschmeißt, denn das erfährt man erst am Schluß und man muß auch sehr sehr genau lesen, um alles mitzubekommen und nichts zu verpassen, denn Katharina Mevissen nimmt es da sehr genau, hat ungewöhnliche Themen und auch eine ungewöhnliche Art sie zusammen zu mixen.

Es geht um den kurzsichtigen Osman, der hat und das ist vielleicht auch ungewöhnlich, weil das Debut kein “Migratenbuch” ist, einen türkischen Vater, der ist Musiker, hat aber jetzt einen Unfall an der Hand und einen Tinnitus hat er auch, so daß er seinen Beruf nicht mehr ausüben und aufs Arbeitsamt gehen muß.

Die Mutter Doris, hat Osman und seinen Bruder Willi schon lang verlassen und Osman ist vom Vater und der Tante Elide, die die Kinder nach dem Weggang der Mutter großgezogen hat, nach Hamburg in eine WG weggeflüchtet, um dort Cello zu studieren.

Da ist also schon mal viel passiert, aber, daß man zum Studium von zu Hause auszieht, passiert den anderen auch und ist also normal.

Es geht viel um das Hören, das wissen wir schon. So vergleicht der Musiklehrer Osmans Spiel oftmal mit dem Nebel oder einem Gewitter. Osman scheint aber Ängste und Phobien zu haben, kommt es doch vor, daß er sich manchmal vor oder nach einem Konzert, das habe ich nicht ganz mitbekommen, denn es wird vieles ja zwischen den Zeilen erzählt und man kann es nur erraten, sinnlos betrinkt und dann von den Freunden in ein Taxi geschleppt und ins Bett gelegt werden muß.

In der WG gibt es Luise, die ist ein Tischlerlehrling und muß für eine Prüfung lernen, es kommt zu einer vorsichtigen Annäherung zwischen den beiden, aber dann geht Luise mit einer Freundin, die Leo heißt Zelten. Da kommt Osman gerade aus Essen zurück, denn es hat sich seit dem Unfall des Vaters, viel ereignet. Der verläßt die Wohnung, warum und wohin habe ich auch nicht verstanden, die Tante kommt darauf, daß sie auch wieder ihr Leben haben und daher zuerst in die Türkei und dann nach Paris will und Osman soll ihr helfen, die Wohnung aufzulösen.

Da findet er alte Fotos von der verschwundenen Doris mit einem Bauch, den sie eigentlich nicht haben dürfte und Osman erfährt durch den Vater, es gab eine Fehlgeburt und eine kleine Schwester, die Esra hieß, deren Grab er nun besucht.

Aber es ist gar nicht mehr ihres, weil die Rechte nach zehn Jahren an eine andere Familie zurückgegangen und Esra wurde vor zweiundzwanzig Jahren fehl oder wahrscheinlich tot geboren und dann, damit es noch komplizierter wird, gibt es noch ein Diktiergerät, das Osman schon am Anfang am Bahnhof findet.

Da sind Stimmen von einer Ella und einer Jo darauf, die in Irland Urlaub machen, aber Jo, die gehörlos ist, soll ein Cochlea-Implantat bekommen, damt sie es bei Jusstudium leichter hat. Osman hört sich das Band ab, während er all das schon Beschriebne erlebt, dann gibt er das Band Ella zurück, spricht ihr aber auch etwas darauf und es gibt auch ein Musikstück, das an “Esra” heißt.

Sehr leise und ungewöhnlich und sehr spannend, wenn man nur die Geduld aufbringt, sich in Katharina Mevissens Stil einzulassen, was in Zeiten, der hastigen Überforderung und von einem Lärm zum nächsten hetzen, nicht so einfach ist.

Trotzdem bin ich gespannt, wie es dem Buch mit dem Debutpreisen gehen wird, ob es auf die Bloggerdebutpreisliste oder vielleicht sogar den “Aspekte- Literaturpreis” bekommt. Mal sehen, ich bin gespannt und würde empfehlen, sich auf das Buch einzulassen, auf die leisen Töne  achten und den “Lärm der Zeit” dabei ein wenig wegzudrängen.