Alles was wir nicht erinnern

Jetzt eines von den zwei nominierten Sachbüchern des heurigen Leipziger Buchpreises, nicht das Gewinnerbuch, sondern Christianes Hoffmann Fußreise auf den Spuren ihres Vaters, der 1945 mit seiner Familie aus dem schönen Ort Rosenthal, heute Rozyna, in Niederschlesien, vertrieben wurde, so daß sie 1967 in dem Hamburger Vorort Wedel aufgewachsen ist.

Sie war Journalistin, hat ein paar Jahre in Moskau als Korrespondentin gelebt und ist jetzt erste stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung und das Buch ist eine Mischung ihrer Erinnerung und schwappt von der Gegenwart in die Vergangenheit hin und her. Der Vater ist 218 gestorben und sie war seit sie ein junges Mädchen war, mit ihrer Familie ein paar Mal im Rosenthal gewesen und ihre ganze Kindheit hat sie dieser Ort geprägt.

Was ist Heimat, dort wo man wohnt oder woran man sich erinnert, ist eine immerkehrende nicht beantwortete Frage und nach des Vaters Tod, den sie auch genau beschreibt, macht sie sich mit Rucksack und Wanderschuhen auf den Weg, diese Flucht, der Vater hat damals ein paar Monate gebraucht über die Tschechei nach Deutschland zu kommen, noch einmal zu Fuß nachzuvollziehen. Davon schreibt sie in ihrem Buch. Es ist Jänner 2020, die Pandemie naht, in irgendeinem Hotel wird sie durch einen russischen Sender davon informiert. Sie bricht die Reise dann ein paar Wochen und ein paar Dörfer später ab und kann dann nicht mehr zurück, weil Pandemie und Grenzsperre. Macht sich also erst im Juni 2020 wieder auf den Weg und dazwischen erzählt sie von ihrer Famliie, dem Vater, die Großeltern den Onkel Manfred, sie hat auch zwei Töchter und besucht auch Jan und Jadwiga, die jetzt in dem Vaterhaus leben und auch aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Die Familie bricht 2005 mit den Enkelkindern zuerst nach Görlitz auf, um dann in das Dorf zu kommen, wo die Polen zwar sehr freundlich sind, mit Kaffee und selbstgebackenen Kuchen aufwarten, aber eigentlich nicht wissen, was sie mit diesen alten Deutschen anfangen sollen?

Sie haben andere Sorgen. Die Frauen pflegen in Deutschland alte Menschen, das sind ihre Deutschen, die Kinder brechen zum Studium nach Amerika oder auch nach Deutschland auf. Die Höfe verfallen, obwohl es jetzt Rosen in den Gärten gibt, die früher zur Zeit des neunjährigen Vater, der beim schnellen Aufbruch auf seinen halben Matrosenanzug verzichten mußte, die Bluse blieb am Tisch liegen, wer sie wohl bekommen hat, als die rote Armee nahte?

Auf ihren Fußweg hat sie interessante Begegnungen, aber auch Rückenschmerzen, weil sei das Wandern nicht gewohnt ist. Ein freundlicher Apotheker empfiehlt ihr eine Salbe. Es riecht irgendwo nach süßen Blätterteigkuchen. Sie kauft das Stückchen. Es schmeckt aber, wie immer nicht so gut, wie es riecht. Ein alter Mann rät ihr auf den Weg aufzupassen, weil da ein Sumpf ist. Sie ignoriert seinen Rat, hält sich an die App und versinkt fast, seine alten Schokoladenzuckerl stärken und helfen ihr heraus.

Dreimal beschreibt sie, daß sie in ein Haus kommt wo ein alter Mann “dasitzt, als wenn er schon gestorben wäre”

Diese oftmal wiederholte Formulierung, fand ich etwas irritierend. Sonst ist es aber ein interessantes Buch, wo sie manchmal auch einen neunjährigen Jungen, der sie begleitet, visualsiert oder das Buch damit literarisch aufpäppeln will, wo man viel lernen und seine Geschichtskenntnisse auffrischen kann und mit Sprache und Übersetzung, das große heurige Buchpreisthema hat es auch etwas zu tun, mit Flucht und Vertreibung und der vielleicht immer noch nicht aufgearbeiteten Geschichte.

Und noch eine interessante Wiederholung, die freundlichen Begegnungen, die sie hat, mündet oft in der Frage, was sie hier macht ?

“Auf den Weg des Vater!” Allein?”, etwas, was die polnischen Bauern nicht verstehen und Ausländerfeinden ist sie auf ihren Weg auch öfter begegnet.

Drei wertlose Visa und ein toter Reisepaß

Jetzt kommt etwas Chinesische, beziehungsweuse der Bericht über “Meine lange Flucht aus China”, des 1958 in Siuchan geborenen Liau Yiwu, der 2012 den “Friedenspreis des deutschen Buchhandels” bekommen hat. Ich kenne mich in der chinesischen Literatur wirklich nicht aus, habe aber aus meinen Bücherschrankfunden eine kleine Bibliothek gesammelt und einige der Bücher als kleinen China Schwerpunkt, wild durcheinander gelesen, die DDR Anthologie “Das gesprengte Grab” herausgegeben von dem Sinologen Ernst Schwarz, dem ich später ein Kapitel in meinen “Dreizehn Kapitel” gewidmet habe, ist eines davon, das “Eine Stadt- Ein Buch- Aktion- Buch” von 2010, “Balzac und die kleine chinesische Schneiderin”, von Dai Sijie, ein anderes und, als Liao Yiwu 2012 den “Friedenspreis des deutschen Buchhandels” bekommen hat, habe ich bezüglich meines Buchmessenssurfing sehr viel darüber gebloggt.

Das Buch ist in einige Teile gegliedert und erzählt in einer Art Rahmenhandlung und wiederum sehr poetisch von der langen Flucht aus China, die damit begann oder endete, daß es Liao Yiwu am zweiten juli 2011 gelang, den Grenzfluß von China nach Vietnam zu überqueren.

Das ist der Beginn des Buches und das Ende der langen Flucht, denn der nächste Teil handelt schon davon, daß er versucht in verschiedenen chinesischen Proinzen zu einem Paß beziehungsweise zu Visen nach Deutschland zu kommen, die ihm auch gewehrt werden.

Die Geheimpolizei nimmt sie ihm aber ab oder holt ihn aus dem Flugzeug, in dem er schon drinnen sitzt. Da gibt es den dicken Li mit dem er was für uns auch ein wenig seltsam ist, Tee trinkt, einige seiner Ehen wurden durch seine Gefängnisaufenthalte zerstört, in Rückblenden erzählt er davon und auch davon, daß er durch seine Bücher “Fräulein Hallo und der Bauernkaiser” oder “Für ein Lied und hundert Lieder”, das in Deutschland verlegt wurde, zum Buchmessenschwerpunkt China 2009 nach Frankfurt eingeladen wurde, er bekam aber keine Aureiseerlaubnis, er wurde dann auch zur Litcologne eingeladen, da wurde er, glaube ich, aus dem Flugzeug geholt.

Mit Hilfe der deutschen Botschaft und eines deutschen Kulturredeaktuer gelang ihm dann die Ausreise 2010, da war der dann in Deutschland und auch in Paris wo er Dai Sijie kennenlernte, in Deutschland hat er auch Herta Müller und Günter Grass, der seiner Meinung nach, auch ein eher antiquiertes Bild von der chineschischen Literatur hatte, kennengelernt.

Bei der Rückkehr nach China erwartete ihn gleich die Polizei und konfiszierte die deutschen Zeitungen in den Artikeln über ihn enthalten sind.

Er besucht dann seine Famiie, bringt ihr deutsche Schokolade und geht mit ihr Feuertopf essen, was glaube ich auch von der Polizei gestört wurde, schließlich gelingt ihm, wie schon erwähnt, 2011 die Flucht.

Da kommt es noch zu einer grotesken Szene am Flughafen von Hanoi, wo er sich um tausend in Dollar umgewechselte Euro ein Rückflugticket kaufen muß, obwohl er den ja gar nicht vorhatte, bis die Flucht gelang. Er 2012, wo ein eher angepassterer Chinese, den Nobelpreis bekam, den “Friedenspreis des deutschen Buchhandels” bekam.

Das Buch ist, wie geschrieben, sehr poetisch aber für eine Nichtsinologin nicht so leicht zu lesen, es gibt auch immer wieder Anspielungen auf die deutsche Literatur und interessant ist dabei auch, daß Kafka als ein “österreich-ungarischer Versicherungsangestellter” bezeichnet wird, ein Fehler, der dem Lektor oder deutschen Übersetzer wohl entgangen ist, vielleicht wurde er aber auch absichtlich eingeschmuggelt, denn Humor und Ironie traue ich dem Autor durchaus zu und bin gespannt, ob ich noch etwas in dem Schrank von ihm finden werde?

Yu Huas ” Brüder”, die 2009, in Frankfurt vorgestellt wurden, habe ich inzwischen auch gefunden aber noch nicht gelenen, von Mo Yan, dem Nobelpreisträger, habe ich auch etwas in meinen Regalen und dann habe ich natürlich einiges von Pearl S. Buck gelesen, aber die gehört wahrscheinlich nicht wirklich zur chinesischen Literatur.