Szenenplanung

Carona bedingt oder wahrscheinlich auch so, bin ich jetzt ja fleißig am Schreiben, habe ich ja ungefähr ein Drittel meiner Klienten weniger, die jetzt nicht kommen und auch nicht telefonieren wollen, am Abend keine Veranstaltungen mehr und auch sonst soll oder darf man nicht aus dem Haus gehen und und das kommt auch noch hinzu und ist sehr erfreulich, gibt es ja einige Schreibinitativen, die motivierend und anregend sein können, denn für die, die es nicht wissen oder, die es interessiert, mein Problem am Schreiben war ja, daß ich von Anfang an gesagt bekommen habe, circa 1978, wenn ich mich nicht irre, ist das gewesen “Das oder du bist nicht gut genug und ich kann dir auch nicht sagen wieso!” und weil ich später auch keinen Verlag gefunden habe, schleppe ich das jetzt über vierzig Jahre mit mir herum, obwohl ich in diesen über vierzig Jahren auch sehr viel und kontinuierlich geschrieben habe, aber jetzt ist diesbezüglich einigen anders, damals konnte man das Schreiben nicht lernen oder glaubte nicht, daß das geht.

Jetzt gibt es Schreibschulen ohne Ende, die Hochschulinstitute, wie Leipzig oder das Institut für Sprachkunst nehmen mich wahrscheinlich nicht auf, aber dort, wo die Professoren sicher nicht so lang, wie ich schreiben, will ich ohnehin nicht hin und da ich auch ein Fan der kostenlosen Angebote bin, orientiere ich mich an dem, was ich umsonst bekomme und bin da auch sehr fleißig und konsequent.

So gehe ich regelmäßig zu den Schnupperworksshops des Writtersseminar, höre mir die Webinare der Jurenka Jurk zu ihrem Romanfahrplan an und jetzt ist auch noch Ronny Rindler mit seinen Quarantimo-Videos dazugekommen, die es derzeit jeden Samstag ab achtzehn Uhr  gibt.

“Kannst du das nicht alles schon?”, werden vielleicht wohlmeinende Leser fragen.

Ja, natürlich, ich habe fast fünfzig Bücher, Romane, Erzählungen, Novellen selbst herausgegeben, aber da stimmt vielleicht oder ist mein Verdacht, ich schreibe vielleicht nicht so spannend und plane vielleicht auch nicht so viel vor.

So kann ich mich erinnern, als ich die “Wiedergeborene” geschrieben habe und da bin ich ja in die Krise gekommen, die zum ersten “Literaturgeflüsterbuch” geführt habe, habe ich mir gedacht, ich sollte es mit der “Schneeflockenmethode” versuchen, die ich, glaube ich, durch Jaqueline Vellguth, die ja inzwischen auch schon sehr viele Romane geschrieben und bei “Amazon” eingestellt hat, kennengelernt habe.

Das hat nicht so recht geklappt und ich habe auch schon geschrieben, daß ich in der Straßergasse, meine Deutschschularbeiten von denen die Frau Professor Friedl, eigentlich sehr begeistert war, immer aus den Bauch geschrieben und die Gliederung erst nachher hingefetzt habe, weil ich damit nichts anfangen konnte.

Dennoch denke ich beim Schreiben öfter, ich komme nicht so weit in die Tiefe, schummle mich, um das Eigentliche vorbei, reiße manches nur an und da ich die letzten zwei Jahre ja immer die Webinare der Jurenka Jurk zu ihrem Romanfahrplan besucht habe, plane ich ja immer mein nächstes Werk einmal so richtig vorzuplotten und es diesmal wirklich mit der “Heldenreise” zu versuchen, obwohl ich die entweder noch nicht so richtig verstanden habe oder nicht wirklich sicher bin, ob sie  mich weiterbringt?

Meistens bleibt es beim Vorsatz und ich schreibe den Rohentwurf dann  sehr schnell mit immer ein paar vorausgeplanten Szenen vor mich hin und bin dann, weill ich ja keine Resonanz habe, damit auch nicht so ganz zufrieden. Oder doch, eigentlich gefällt mir ja was ich schreibe, aber da das niemand auch so sieht….

Nun gut, das “Literaturgeflüsterbuch” ist soweit fertig, daß es hoffentlich bald an die Druckerei gehen kann, die “Vorschau” ist heraus, für die, die es interessiert,  es gibt so gar schon ein diesbezügliches E-Book, das “Fräulein No” ist von mir fertig korrigiert und muß nun in ein Buchformat werden und die Idee zum “Kein Frühlingserwachen mehr” die Geschichte einer älteren Frau die sich in einen jüngern verliebt, gibt es als Entwurf auch schon seit mindestens Jänner, inzwischen ist noch die Corona- Krise dazu gekommen, die mich als realistische Schreibende natürlich reizt, obwohl ich, wie gesagt, nicht ganz sicher bin, ob man jetzt schon, wo man noch so mitten darin steckt, darüber schreibe, aber andere, wie Marlene Streeruwitz und  Thomas Glavinic tun das auch, warum also nicht versuchen?

Aber diesmal wirklich planen, einen ganzen Zettelberg habe ich dazu ja schon und dann kommen und das halte ich wirklich für Goldwert und kann jeden, der schreiben möchte, es wirklich nur empfehlen, die Videos des Ronny Rindlers hinzu, der das mit dem Anfang, Mitte, Schluß, ersten und dritten Akt und den dazwischen liegenden Handlungspunkten genau erklärt.

Ich habe ja vorigen Woche, als ich mit dem “Fräulein No” fertig und die Fenster wieder mal geputzt waren, mir die ganzen Videos, die es bis dahin gab, nocmachs angehört und die Schreibaufgaben gemacht. Das heißt, ich habe schon eine erste Szene, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob ich nicht doch noch ein Stückchen vorher anfangen soll.

Dann habe ich mir die Unterlagen der Jurenka Jurk von ihren letzten Miniwebinaren zum Romanjahr hervorgeholt und auch ein ziemlich gutes Arbeitsplatt zur “Schneeflockenmethode” und  meine Handlung eigentlich schon ziemlich vorkonzipiert.

Das heißt nattürlich noch mit Lücken, aber der Spannungsbogen, der mir eigentlich immer irgendwie abgeht, ist jetzt in etwa da und ich weiß auch wie es enden wird.

Das heißt, die Krise wird vorüber sein, die Ausstellung wird eröffnet und die Roswitha hat sich entschlossen bei ihrem Egon zu bleiben, findet vielleicht wieder zu ihm, umsomehr da Viktor zu der Ausstellung eine frühere Freundin mitbringt, die inzwischen in New York Lektorin war, aber inzwischen nach Wien zurückgeflogen wurde und der Viktor hat sich vielleicht auch deshalb so an die Roswitha gklammert, weil er in der Krise sehr allein und einsam war und sie ihn an seine Großmutter erinnert hat.

Dazwischen gab es auch schon einige Wendepunkte. Der Egon reißt öfter von zu Hause aus, weil er sich auch durch die Krise bedroht sieht, die Roswitha trifft sich mit dem Viktor öfter im Museum zum Arbeitsmeeting, kommt ihm dabei nahe, beschließt den Egon vielleicht doch in ein Pflegeheim zu geben, die Tochter Beate rät davon aber energisch ab, etcetera und der Spannungsaufbau war eigentlich da, hipp hipp hurra!

Also habe ich mir am vorigen Donnerstag auch noch die Charakterbögen ausgefüllt, sechs Stück, einen für die Roswitha, für den Egon, für den Viktor, für die Bea, die Janina und den Albert und mir dann das vierte Video von Ronny Rindler angehört, der noch einmal den Handlungsaufbau mit den drei Akten und den vier Wendepunkten besprach und dann die Schreibaufgabe gab, die Wendepunkte einzuplanen.

Das hatte ich ja schon ein bißchen getan, natürlich unvollständig und mit Lücken, habe es aber am Sonntagabend ergänzt und mir sogar eine Szenenfolge aufgeschrieben. Da habe ich bis jetzt nur etwa fünfzehn, habe mir aber auch die Motive des Egons, er hat vor der Krise Angst, die des Alberts, er ist einsam und klammert sich an die ältere Frau, geht dann aber gerne zu seiner Christine zuück  und eine Geschwisterrivalität zwischen der Bea und dem Albert gibt es auch, aufgeschrieben.

Mir dann noch Gustav Ernsts “Romane schreiben” noch einmal hervorgeholt und mir da speziell, die Szenenfolgen angeschaut, die er da über einen Roman, wo eine Frau ihren Mann verläßt skizziert und gemerkt, die Romanstruktur von Gustav Ernst, der ja auch Lehrer am Institut für Sprachkunst ist, unterscheiden sich nur im Namen, aber sonst nicht viel von denen der Jurenka Jurk und des Ronny Rindlers und danach beschloßen, Aufgaben beendet, ab morgen fange ich mit dem Schreiben des Rohtextes an Hand meiner Notizen an, ein Satz bei Gustav Ernst lautet ja auch: “Man sollte sich die dramaturgischen Gesetze und Regeln gründlich einprägen, sie dann vergessen und losschreiben.”

Das werde ich demnächst also, wie gewohnt  tun, mir aber trotzdem die weiteren Videos von Ronny Rindler anhören und die Aufgaben dazu machen und das nächste wird, das hat er schon verraten, sich mit der “Heldenreise” befassen, vielleicht kenne ich mich dann endlich damit aus und kann sie für mich verwenden.

Wieder einmal Schreibgruppe

Das neue Jahr ist dann gleich weiter mit einer Schreibgruppe gegangen, die Ruth, die Doris, der Peter Czak und neu als Gast Margit Heumann ist gekommen, der Robert ist auf Kur, Klaus Khittl fehlte auch und als Thema habe ich mir heute irgendwann gedacht, könnte ich  “Kreuzung” vorschlagen, denn da bin ich ja einmal vor ein paar Wochen oder Monaten gestanden, bei der Pilgramgasse, wo ich wahrscheinlich vom Literaturhaus nach Hause gegangen bin, habe in ein Auto gesehen und mir gedacht, daß ich über die Personen oder  die Phantasien, die man über die Leute, die darin sitzen, meinen nächsten Roman schreiben könnte.

Jetzt bin ich davon ja noch sehr weit entfernt, weil ich derzeit kaum zum Korrigieren der “Unsichtbaren Frau” komme, aber die Schreibgrupppen dienen für mich ja auch zum Szenensammeln und voila, für die die es interessiert, so könnte mein nächster Roman “Magdalena Kirchberg schreibt einen Roman” könnte er ja heißen, beginnen:

“An diesem Abend war Magdalena Kirchberg bei einer Veranstaltung im Literaturhaus gewesen. Es war um das Thema “Buchkritik” gegangen und drei mehr oder weniger bekannte Literaturkritiker hatten ihre diesbezügliche Meinung kundgetan und sich lauthals darüber gestritten, ob gute Literatur verständlich sein müsse oder nicht?

Eine stadtbekannte Buchhändlerin war auch am Podium gesessen und hatte sich darüber beklagt, daß auf den Buchpreislisten lauter unverständliche sprachlich komplizierte Titel stehen würden, die sich in ihrem “Buchkontor” nicht verkaufen lassen würden, weil die Leute lieber Krimis oder Liebesromane lesen würden und war von der Kritikerrunde ausgelacht und nicht ernstgenommen worden.

“Es stimmt aber doch ein bißchen!”, hatte Magdalena Kirchberg, nachdem sie nach  Veranstaltung noch ein Glas Rotwein getrunken hatte, gedacht und sich dann auf ihren Heimweg gemacht.

Es stimmt aber doch ein bißchen, auch wenn es die Herren von der Kritikerrunde nicht hören wollen und lautstark eine  andere Meinung vertraten.

Meine Nachbarin liest am liebsten Andrea Camillieri und die Kids, denen ich in der Straßenbahn, im Park oder im Schwimmbad begegne, begeistern sich für Harry Potter oder Stephenie Meyer und lassen die Bücher von John Fante oder Thomas Lehr, die die Kritiker so hochgelobt haben, außen liegen.

Es stimmt aber doch ein bißchen dachte Magdalena Kirchberg, zog die Mütze  tiefer in die Stirn hinein, band den Schal ein wenig fester um den Hals und blieb vor der Kreuzung Ecke Hofmühlgasse – Wienzeile stehen.

Die Ampel zeigte auf rot. Sie mußte eine Pause machen, konnte nicht, obwohl sie gut in Schwung gewesen war,  weitergehen, obwohl vor ihr gerade  ein Auo stand. Ein weißer BMW mit, wie sie sehen konnte, drei Insaßen, hatte vor dem Rotlicht abgebremst, denn das Signal stand noch immer auf Rot und sie mußte weiter stehenbleiben, konnte nicht weitergehen, sondern abwarten, bis sich die Ampel wieder auf grün umstellen würde.

“Shit!”, dachte Magdalena Kirchberg und atmete tief durch. Warum war sie nur so ungeduldig? Denn eigentlich hatte sie ja Zeit. Es hetzte sie niemand und keiner, denn es würde sie, wenn sie zehn Minuten später, den Schlüßel in ihre Wohnungstüre steckte, ohnehin nur ein leeres Zimmer, eine leere Küche und ein leerer Abstellraum erwarten, denn Magda war war schon vor fünfzehn Jahre ausgezogen und sie lebte seither allein.

Alleine in einer leeren   Wohnung, die sie nur  für denVortrag kurz verlassen hatte und in zehn Minuten wieder betreten würde, um sich zuerst in Bad zu begeben und sich später in ihr Bett zu legen. Da kam es auf ein zwei Minuten Warten gar nicht an. Hätte man gedacht und war auch  logisch. War es aber nicht für sie. Nicht für Magdalena Kirchberg, die als Kind und Jugendliche auch Magda gerufen wurde. Jetzt aber vor ihrem siebzigsten Geburtstag stand, den Schal fest, um ihren Hals gebunden, die Mütze tief in die Stirn gezogen hatte.

Schäfchen zählen, wenn man einschlafen wollte und die Sekunden, wenn man vor einer Ampel stand und die grüne Farbe erwartete, so hatte sie es vor Jahren enmal in einem Volkshochschulkurs gelernt und das tat sie jetzt auch eifrig.

“Eins, zwei, dre!” und da fiel ihr Blick, weil das rote Ampellicht noch immer nicht auf die grüne Farbe gewechselt hatte, wieder auf den weißen BMW,  der abwartendvor ihr stand. Drei Personen befanden sich, wie sie sehen konnte darin, zwei Männer und eine Frau. Die Männer spekulierte Magalena Kirchberg, der das Zählen zu viel geworden war und daher über Gedankenspekulationen, wie sie es nennten wollte, dankbar war, waren etwa, um die fünfzig. Zwei elegant gekleidete, schlanke Körper, wie sie sehen konnten. Die Frau, die am Rücksitz saß, war etliche Jahre jünger.

Wer könnten sie sein, spekulierte Magdalena munter weiter und dachte gerade, daß es zwei Ärzte wären, die vom  AKH oder Wilhelminenspital nach Hause fuhren. Ein Psychiater und ein Unfallchirurg vielleicht, die die OP Schwester Hildegard, Claudia oder Svetlana aus Gefälligkeit mitgenommen hatten, als sich  die Ampel auf grün umstellte und Magdalena weitergehen konnte.”

Sehr originell ist das wahrscheinlich nicht und auch noch nicht wirklich ausgereift, eben der allererste Versuch und das mit den drei Insaßen ist auch sehr klischeehaft. Die Magda konnte aber sowohl, die fünfunddreißigjährige Magdalena, als auch deren Tochter sein und der Roman erscheint natürlich auf deren Blog.

Also auch nicht sehr originell und wem es interessiert, den Beginn habe ich von Ruths Vorschlag “Buchkritik” übernommen, denn da beschäftigt mich ja in den letzten Tagen, die  Buchhändlerkritik, die beim Debutpreis aufgekommen ist,  sehr, daß auf den Buchpreislisten lauter Bücher stehen, die die Leute nicht lesen wollen, weil zu schwer und unverständlich, während Krimis und Chick lits ja nicht auf solche Listen kommen.

Peter Czak hat wieder eine seine Teufelsgeschichten geschrieben, Margit Heumann überraschte mit einem Krawattenknoten der zum Mord an seine Krawattenträger fähig war. Die beiden anderen Texte waren wieder essayhaft und nun bin ich gespannt, wie es mit meinem Work on progress weitergeht, beziehungsweise, wie lange ich zum Korrigieren der “Frau” noch brauche und ein paar Bücher für meine  Leserunde zu der ich nach wie vor aufrufe, habe ich auch wieder verteilt.

Das Geheimnis

“Verdammt,  verdammt!”, murmelte Lily und starrte trübsinnig vor sich hin.

“Was hast du Darling? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?”, erkundigte sich Philip, der ihr Lebensabschnittspartner seit genau zweieinhalben Jahren war und schaute sie besorgt an.

“Du schaust so grimmig drein! Gibt es Probleme mit dem Chef und deinem Institut? Aha, ich sehe, du hast einen Brief vor dir liegen! Post aus  Bloody old Europe bekommen? Ist es die Mama, die sich meldet und sich sorgt, ob sich das Töchterlein in dem so gefährlichen Manhatten auch warm genug anzieht, wenn es auf die Straße geht?

“Nein!”, antwortete Lily Schmidt, blickte auf ihre Uhr und stellte erleichtert fest, daß es knapp vor elf war, Zeit für Phil in die Redaktion zu gehen und sie für den Rest des Tages allein zu lassen, was gut war, denn sie wollte, konnte ihm nicht sagen, was in dem Brief stand, den sie von Tante Natalie aus dem schönen Berlin erhalten hatte. Konnte es noch nicht und mußte es vielleicht trotzdem bald tun, denn Phil der, freiberuflicher Reporter bei der New York Times war, hatte einen scharfen Blick und Tante Natalies Absenderstempel schon erkannt.

“Dr. Natalie Lichtenstern-Schmidt, Psychoanalytikerin!”, stand darauf zu lesen und Phil nickte befriedigt vor sich hin.

“Alles klar, der Brief kommt von der Tante! Was will die Gute denn von dir? Laß, wenn ich raten darf, sie nicht zu viel in deiner Seele herumklempern, das tut nie gut!”,wollte er wissen, dann wandte er den Blick von dem Briefkuvert ab und sah sie noch einmal besorgt an.

“Ist alles in Ordnung? Kann ich dich alleine lassen? Du weißt, ich muß in die Redaktion, um elf Uhr dreißig ist Sitzung und wenn ich da nicht pünktlich bin- Aber ich verspreche, ich rufe so bald wie möglich an, um mich zu erkundigen, was das Tantchen von dir wollte und rate dir, wie du ihren Psychoanalytikerkrallen entkommen kannst!”, sagte er in seiner zuversichtlichen Art,  griff dann nach dem Handy, den Kopfhörern und seinen Rucksack und drückte ihr einen leichten Kuß auf die Stirn.

“Klar!”, antwortete Lily und bemühte sich ein zuversichtliches Lächeln auf ihre Lippen zu bringen.

“Klar, kannst du das, keine Sorge, ich muß den Brief erst lesen!”, behauptete sie. Presste diesen fester an sich, dann winkte sie ihm nach und wartete, bis er die Tür zu dem Loft, das sie in einer ehemaligen Fabrik bewohnten, geschlossen hatte.

“Klar kannst du das!”, hatte sie behauptet und damit gelogen. Denn nichts war in Ordnung, ganz und gar nicht. Denn der Brief, den die Tante, die Zwillingsschwester ihrer Mutter ihr aus Berlin gesendet hatte, war das absolut nicht gewesen und hatte sie so durcheinandergebracht, daß ihre Hände zimmterten und sie unwillkürlich zum Küchenkasten ging, um sich ein Glas Whisky einzugießen, denn sie brauchte jetzt etwas Starkes zur Aufmunterung und Beruhigung. Ein Gläschen Whisky on the Rocks, das Phil von einem Arbeitskollegen geschenkt bekommen hatte, wenn schon kein Rotwein im Hause war, den die Mutter, wie sie wußte, so gern am Abend trank, wenn sie sich  in der einsamen Position, in der sie sich befand, abend für abend in die Pizzerie, die es in ihrem Wohnhaus gab, begab, um sich dort von einem jungen Kellner oder auch vom Chef des Hauses ein Glas Chianti servieren zu lassen. Das war eigentlich etwas, was beunruhigen und Anlaß zur Sorge geben könnte. Die Einsamkeit der Mutter, die wie sie fürchtete, in Wien ganz alleine war, weil sich ihre Tochter nach Abschluß ihres Studiums  nach New York geflüchtet hatte und ihre Zwillingsschwester Natalie in Berlin seit Jahren eine psychoanalyltische Praxis führte. Mehr Verwandte gab es nicht, außer Moritz Lichternstern, dem geschiedenen Mannn der Tante, der aber längst aus ihrem Leben verschunden und daher eine Legende war, weil sie selber keinen Vater hatte, beziehungsweise den Namen desselben  nicht kannte, denn der war noch früher, als Moritz Lichtenstern aus der Tante Leben, aus dem der Mutter verschwunden, was heißt, das es ihn schon nicht gegeben hatte, als Lily mit ihrer Mutter in dem alten Zinshaus mit der Pizzeria in Margareten aufgewachsen war.

“Frag mich nicht, Lily!”, hatte sie auf ihre Fragen immer sehr energisch geantwortet.

“Du hast keinen Vater und wir brauchen ihn auch nicht, weil ich versuche, so gut es geht, ihn dir zu ersetzen und du weißt ja, deine Kindergartenfreundinnen haben auch oft keine Väter, weil die ihren Müttern davon gelaufen sind, was ich dir hiermit erspare!”

“Wie der Mann von Tante Natalie!”, hatte die vorwitzige Gymnasiastin einmal gefragt, die diese Nachricht von der Großmutter gehört hatte, aber sofort verstummte, als sie den eisigen Blick der Mutter sah, mit dem die darauf reagierte.

“Genau, Schätzchen und das will ich dir ersparen! Deshalb frage nicht! Woher weißt du das überhaupt von Tante Natalie?”, setzte sie dann hinzu und Lily hatte aufgeseufzt, weil sie schon weise befürchtete, daß die Antwort, ein Besuchsverbot bei der Großmutter einbringen könnte, denn die Mutter, das hatte sie schon als Kind geahnt, verstand sich weder gut mit ihrer Mutter, noch mit ihrer Zwillingsschwster.

Die Großmutter war dann auch gestorben, noch bevor sie ihre Matura abgeschlossen hatte und so hatte sie nie mehr etwas von der Tante in Berlin und dem entlaufenen Onkel gehört, denn die Mutter sprach nicht mehr davon und auch nach ihrem Vater hatte sie nicht mehr gefragt, obwohl sie, das konnte sie nicht leugnen und nicht bestreiten, sehr neugierig auf ihn war und schon daran gedachte hatte, ob sie nicht einen Detetktiv engagieren solle, der ihr dieses Geheimnis lüften sollte.

Und jetzt war das offenbar durch den Brief geschehen, der zwar den Praxisstempel ihrer ihr sehr unbekannten Tante trug, aber ihr eigentlich von einem Notar abgeschickt worden war.

“Sehr geehrte Frau Schmidt! Im Auftrag meiner Mandantin, die letzte Nacht im christlichen Hospitz, am Weissensee, gestorben ist, übersende ich Ihnen diesen Brief!”, hatte er förmlich geschrieben und als sie ihn aufgerissen hatte, lag darin ein Bild eines braunhaarigen lockigen Mannes, der eine Lederjacke und eine Brille trug, der, wie sie von dem Hochzeitsbild der Tante, das ihr die Großmutter einmal gezeigt hatte, erkannte, jener Moritz Lichtenstern war.

“Das ist dein Vater!”, hatte die Tante in ihrer energischen Psychoanalytikerinnenhandschrift darunter geschrieben. “Wenn deine Mutter auch ihr Geheimnis in ihr Grab mitnehmen will, werde ich, die ihr offenbar vorausgehe es lüften und dich informieren. Denn Geheimnisse, liebes Kind, habe ich im Laufe meines Lebens gelernt, tun nicht gut und machen nur Probleme! Also sollst du es wissen und auch, wenn du dich das fragst, warum deine Mutter ihr  so böse auf mich war und keinen Kontakt  zu mir wollte und auch dich nicht in mein Leben lassen wollte!”

“Aha!”, dachte Liliy und ihre Finger zitterten jetzt so stark, daß der Brief mit dem Bild auf den Boden gefallen war.

“Aha!” und nocheinmal nach der Whiskyflasche gegriffen, um sich ein zweites Glas einzuschenken. Das brauchte sie jetzt und tat ihr gut und Phil war  auch nicht mehr hier und konnte daher nicht sehen, daß seine große starke Liliane, die er doch so bewunderte, gerade dabei war, sich aus der Welt zu trinken.

Aber vorher bückte sie sich gehorsam, um den Brief und das Bild aufzuheben und da bemerkte sie, daß der vorsorgliche Notar ihr den Patenzettel beigelgt hatte.

“Nach kurzen schweren Leiden und tapferen Kämpfen!” stand darauf zu lesen und nichts von einer treusorgenden Schwester. auch nichts von der Nichte oder war es jetzt die Tochter Liliane, die diese hinterlassen hatte. Auch der geschiedene Ehemann war nicht darauf vermerkt, dafür aber das Datum, das, wie Lily trotzdem sich ihr Kopf schon etwas benommen anfühlte, klar erkannte, schon übermorgen, am Wiener Zentralfried Hof stattfinden würde, wo sich, wie sie wußte, die Grabstatt ihrer Großeltern befand.

Übermorgen gab es im Kulturinstitut eine größere Veranstaltung, da konnte sie nicht weg und es wäre ihr auch ein wenig unpassend erschienen, zum Begräbnis einer Tante zu fliegen, die sie eigentlich nicht gekannt hatte. Da wäre ein Besuch der Mutter, um ihr dieses Brief zu zeigen, schon passender, aber auch das mußte sie sich abschminken. Sie hatte Dienst im Instutut und bekam so schell  auch keinen passenden Flug.

Aber anrufen konnte sie sie, die, wie ihr jetzt einfiel, sich gerade von einer Lungenentzündung erholte. Ihr von dem Begräbnis erzählen und  ihr den Brief vorlesen und das würde sie auch tun, weil, wie die psychoanlalytische Tante richtig geschrieben hatte, Geheimnisse nichts brachten und nur unnötige Probleme verursachten. So atmete sie durch, nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Whiskyglas. Dann suchte sie nach ihrem Handy und tippte die Nummer ihrer Mutter ein.

“Hallo, Mami!”, sagte sie, nachdem die sich meldete, dann kurz entschloßen mit schriller Stimme und einem hohen pfeifenden Ton.

“Hast du gewußt, daß Tante Natalie gestorben ist und übermorgen, um fünf am Zentralfriedhof begraben wird. Leider haben wir da eine große Veranstaltung, so daß ich nicht hinkommen kann! Ich will aber, daß du das für mich tust! Bitte, Mami, sie ist doch deine einzige Schwester, bitte Mami, tue es für mich!” wiederholte, sie mit ihrer schrillen alkoholgeschwängerten Stimme und wunderte sich nicht, daß die Mutter aufgelegt hatte und auch nicht darüber, daß sie der Mutter zwar von dem Begräbnis, aber nichts von dem Brief der Tante und dem Bild des ihr unbekannten Ex-Onkels, der eigentlich ihr Vater sein sollte, erzählt hatte, obwohl das der eigentliche Grund ihres Anrufs war.