Legenden

Wie schreibt man über den Holocaust? Die Betroffenen haben es in  Vierziger und Fünfzigerjahren anders getan, als ihre Kinder, die dann vielleicht auch literarische Gesellschaften oder andere Vereine gründeten, um über die damaligen Ereignisse zu forschen. Dann kamen die jungen Männer, wie Jonathan Safran Foer, die schon in Amerika geboren wurden und jetzt die jungn Frauen, Enkel oder Urenkelkinder der Holocaustopfer.

Katja Petrowjskaja hat damit vor zwei  Jahren den Bachmannpreis gewonnen, bei dem, wie man im letzten Jahr hören konnte, immer mehr Autoren mit nicht deutscher Muttersprache gewinnen und jetzt hat die 1980 geborene Gesa Olkusz, die in Berlin lebt und dort und in Amsterdam Philosophie sowie interkulturelle Fachkommunikation studierte, bei “Residenz” ihren Debutroman  “Legenden” vorgelegt, mehr ist über ihre Herkunft am Klappentext und im Netz nicht zu erfahren, der durch seinen frischen frechen Ton aufhorchen läßt.

“Der Mann will sich töten!”, lautet der erste Satz eines kleines Mädchens, auf oder in der Nähe einer Brücke, das dessen Eltern in Aufregung bzw. Hilflosigkeit versetzt. Dabei geht es Filbert nur um die Stiefelchen, die da an einem Laternenpfahl hängen. Er holt sie herunter und bringt sie noch in der Nacht seinem Tantchen, das darüber gar nicht so erfreut ist, dann setzt er sich  auf eine Bank in einem Park, wird da fast eingeschneit, bzw. von Mae gefunden und zu sich nach Haus geholt.

Das passiert in Berlin und Filbert, der da laut Klappentext so ruhelos durch die Stadt streift, ist von Beruf Übersetzer, hat einen Freund, der sich um ihm kümmert und dem er vom Geld seines verstorbenen Vaters, eine Galerie eingerichtet hat, denn um die Familiengeschichte gibt es Legenden, die Filbert offenbar nicht zur Ruhe kommen lassen, weil sie  jeder anders erzählt.

Da ist der Großvater Stanis, der damals, im Krieg wahrscheinlich, das wird nur sehr sehr vorsichtig angedeutet, einen Lastwagen angehalten hat, um Deportierte zu retten oder Brot für seine Familie zu stehlen, er gerät in Verdacht und verschwindet. Nach Kanada, wie Filbert von seinem Tantchen, dem Töchterlein Klara, das mit seinem Vater damals nach Berlin gekommen ist, erfährt, dort soll er bei einem Unfall mit einem Elch umgekommen sein oder auch nicht, es gibt Briefe des “Roten Kreuzes”, in dem er bittet, niemand seinem Aufenthalt zu verraten.

Dann gibt es Aureliusz, das ist ein sechzehnjähriger harmlos aussehender Junge, doch sein Urgroßvater Erich war es, der Stanis damals verraten hat und einen deutschen Schäferhund namens Ferdinand gibt es auch, der die kleine Klara offenbar so faszinierte, daß ihre Wohnung heute noch nach Hunden riecht, obwohl sie gar keine solchen besitzt.

Aureliusz macht sich jedenfalls auf nach Kanada, Stanis zu suchen und schwärmt von einem Projekt, womit er alles wieder gut machen will.

“Ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet, nicht der Schuld meiner Ahnen”, steht irgendwo in der Mitte des Buches.

Filbert kommt auch nach Kanada, um den Großvater zu suchen, wird von Aureliusz und seinem Kumpanen, Adam Szymborski daran gehindert, er muß erst einen Schlitten schnitzen, damit Aureliusz das Geschehen von damals nachstellen kann.

Befreit sich aber, fährt mit dem Großvater über die Straßen von Kanada, der dann in einem Motel stibt und kommt wieder nach Berlin zurück, um mit dem Tantchen und Mae, die inzwischen die Stiefelchen trägt, in das Heimatdorf zu reisen und mit dem Cousin, der jetzt dort wohnt, alles zu besprechen, was sich damals ereignet hat.

Dann ist das vielleicht aufgearbeitet und Filbert frei für ein Leben mit Mae, für die er, wie der Schlußsatz lautet,  eigentlich die Stiefelchen vom der Laterne geholt hat.

Ein interessantes Buch “über die Gespenster der Vergangenheit und der Liebe der Gegenwart, von einer jungen Frau, die in Berlin lebt, in neuen frischen Tönen erzählt.

Katja Petrowskaja, deren Buch ich demnächst lesen werde, hat es, wie erwähnt, ebenso versucht, Olga Grjasnowa, Nellja Veremej und und..

Und ich bin jetzt gespannt, was ich von dem soeben erschienenen Buch und der Autorin noch hören werde.

Wird sie vielleicht beim nächsten Bachmannpreis lesen oder auf der Longlist des dBps stehen?

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