Das dritte Nika-Türchen

Hier wieder ein Kapitel aus der “Nika-Weihnachtsfrau”, die ich im Rahmen des fünften “Nanowrimos” im Jahr 2015, dem großen Flüchtlingsjahr geschrieben habe. Die Idee war aber schon früher da und es gibt auch schon ein paar Vorstudien und einen Text, den ich in der damaligen Schreibgruppe geschrieben habe:

“Donnerstag 3. Dezember

Im Adventkalender war diesmal ein metallglänzender Kochtopf mit einem braunen Holzkochlöffel zu bewundern. Das passende Weihnachtsgeschenk für alle Mamis. Damit sie ihren gähnenden Ehemännern und quengelnden Kindern zu Mittag ein gutes Süppchen vorsetzen konnten, bekamen sie diese Gabe mit einem Küsschen unter den Christbaum gelegt. Wo waren die Kaufhausleiter oder die Adventkalendererfinder? Steckten sie noch allesamt im vorigen Jahrhundert? In den Fünfzigerjahren, wo der Krieg verloren, die Stadt wieder aufgebaut und die Mamis mit Stöckelschuhen und Petticoats vor ihren Gasherden standen, dem Papi und den Kindern ein Süppchen rührten, als wäre inzwischen kein halbes Jahrhundert vorbeigezogen, in dem die Frauen durch den Feminismus und das Wirtschaftswunder kurzfristig beruflich erfolgreich waren und heute als prekär beschäftige Praktikantinnen jobbten oder als schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose vom sogenannten Service von einer Scheinfirma in die andere vermittelt wurden? Nika hatte den Glanzkochtopf einen bösen Blick zugeworfen, dann auf die Uhr geschaut und ihre Milchbrotschnitte hastig mit einem Schluck Kaffee hinuntergespült, der so heiß war, daß sie sich daran verbrannte. Sie musste auf die Mariahilferstraße, um als prekär beschäftigte Weihnachtsfrau, ihre Werbezettel verteilen und die lüsteren Blicke von Herrn Widerlich ertragen, der sich nicht erblödete, ihr auf die Straße zu folgen. So hatte er sie gestern mit Harald Schwabeneder in den “Asia-Schnellimbiß”, der schräg gegenüber lag, verschwinden sehen. Was nichts machte, denn es war schon zwölf gewesen. Zeit für ihre Mittagspause. Also die rote Mütze abgenommen, Herrn Widerlich angegrinst und “Ich gehe in die Pause!”, gesagt. Dann war sie ihrem Traummann nicht auf die Hochschwabspitze, sondern zu den asiatischen Nudeln gefolgt. Hatte sich in der vollen Imbißbude eine kleine Portion “Chicken Noodles” und ein Cola in der Hoffnung, daß ihr Traummann zahlen würde, bestellt und sich vorgenommen, den Kantinengutschein, der in ihrer Hosentasche steckte, später einzulösen. Wenn sie Glück hatte, war er im nächsten Jahr noch gültig und sie konnte im Jänner ein gutes Mittagessen verzehren, wenn ihr Job und der Weihnachtstrubel vorüber waren. Jetzt hatte sie erst einmal den Schrecken verdauen müssen, daß ihr Traummann für den “Standard” schrieb und sie zu dem Mord in Veras Klo befragen wollte. Dem sogenannten Mord. Denn sie glaubte keine Sekunde, daß Ruth Peter Kronauer ermordet hatte, weil Joe Prohaska, der “One Night-Vater” ihrer noch nicht geborenen Tochter nicht einsehen wollte, daß sie zwar ein Kind, aber keinen Mann zu ihrem Glück benötigte. Das konnte sie ihrem Traummann, der sich als Reporter entpuppte, nicht gut erklären. So hatte sie nur “Was wollen Sie von mir?”, gefragt und sich mit ihren Stäbchen eine Ladung Nudeln in den Mund geschoben. Hoffentlich war er nicht auch so ein Schmierenschreiber, wie, der von der Gratiszeitung “Heute-Österreich”, die sie auf dem U-Bahnsitz fand, denn die U-Bahn war diesmal pünktlich gekommen.

Offenbar hatte sich kein Drogensüchtiger oder depressiver Flüchtling auf die Schienen geworfen und über den vom Dienstag hatten die Zeitungsfritzen noch immer zu schreiben.

“Asylwerber stürzte sich auf U-Bahnschienen! Geschockter Fahrer musste sich in Psychotherapie begeben!”, stand da zu lesen und am Titelblatt war immer noch der Tote auf Veras Klo zu sehen. Daneben wurde gefragt, wieso es Therapeuten gab, die sich nicht scheuten, vom Steuergeld auch Täter zu behandeln? Kronauers Stieftochter, Andrea H. mit einem Balken vor den Augen, erklärte der Zeitung, daß sie fände, daß ihr Stiefvater besser im Gefängnis statt in einer ambulanten Therapie aufgehoben wäre und sie nun erleichtert sei.

“Denn jetzt kann er mir nichts mehr tun und ich kann endlich wieder schlafen!”

Trotzig hatte sie noch hinzugefügt, daß sie sich nicht schäme, nicht traurig über seinen Tod zu sein.

“Hat ihn die Stieftochter erschlagen?”, hatte Nika Harald Schwabeneder gefragt, der von ihr wissen wollte, ob ihr der Job, als Weihnachtsfrau Spaß mache und wie ihr Verhältnis zu ihrer Schwester sei?

“Sehr gut! Ruth ist eine ausgezeichnete Menschenrechtsaktivitstin und hat sicher nichts dagegen, Tätern eine zweite Chance zu geben! Deshalb glaube ich auch nicht, daß sie den Klienten ihrer Freundin erschlagen hat! Was wollen Sie von mir?”

“Mißverstehen Sie mich nicht!”, hatte er beruhigt und sie mit seinen schönen grauen Augen so intensiv angesehen, daß sie rot und verlegen geworden war.

“Es ist etwas anderes, daß mich zu Ihnen führt und damit wir nicht aneinander vorbeireden, ich bin ein Schulfreund Ihrer Schwester! Ruth hat mich angerufen und mich gebeten, mich dem Fall ein wenig seriöser anzunehmen und nicht alles den Kollegen von “Heute-Östewrreich” zu überlassen!”

“Ach so!”, hatte sie geantwortet und war wieder rot geworden.

“Ich bin mit ihrer Schwester aufs Gymnasium gegangen. Gemeinsam haben wir maturiert, dann hat sie Jus, ich Publizistik studiert! Ich habe geheiratet, sie sich den Frauen zugewandt und nun ist sie schwanger und hat Schwierigkeiten mit dem Vater ihres Kindes, der nicht einzusehen scheint, daß sie keine Beziehung zu ihm haben will!”

“Was hat das mit Peter Kronauer zu tun?”, hatte Nika wissen wollen und Harald Schwabeneder fragend angesehen.

“Nichts oder sehr viel! Denn wenn sich meine Kollegen damit befassen und das auf ihre Schlagzeilen bringen, könnte es für Ruth beziehungsweise für ihre Freundin unangenehm werden!”, hatte er geantwortet. Das war, wie sie auf Seite drei der Gratiszeitung sah, auch geschehen.

“Psychotherapeutin ist Lesbe!”, stand da nämlich groß geschrieben und ein Bild von Ruth und Vera, die eng aneinandergeschmiegt an einem Sandstrand standen, war auch abgebildet.

“Vera M. und Ruth H. auf Sommer-Honeymoon”, war darunter zu lesen. Weiter wurde erklärt, daß die Menschenrechtsaktivistin, die am Westbahnhof Mäntel für arme Flüchtlinge verteilte und ihr Rechtswissen gratis zur Verfügung stellte, im fünften Monat schwanger sei! Dann war noch ein Bild eines braunhaarigen Schönlings mit Nickelbrille zu sehen, der sich bitter beklagte, von Ruth ausgenützt worden zu sein, die sich zwar mit ihm in seine Wohnung begeben hatte, aber offenbar nur seinen Samen wollte.

“Ist das nicht aus ein Mißbrauch?”, hatte die Zeitung ihre Leser befragt, die Nika weggelegt hatte und ausgestiegen war. War sie doch schon in der Neubaugasse angelangt. Sie musste den Personaleingang nehmen, in ihren Weihnachtsmannanzug schlüpfen, die Mütze aufsetzen und ins Magazineursbüro hetzen, um den Jutesack aufzufüllen.

“Guten Morgen, Frau Magister!”, hörte sie eine vertraute Stimme und sah Klaus Seidlers widerliches Grinsen.

“Fünf vor neun, sehr brav und gestern sind Sie, wie ich mir berichten ließ auch pünktlich von ihrer Mittagspause zurückgekommen! Da haben Sie unser gutes Kantineessen verschmäht! Wie konnten Sie nur? Ich dachte, die Geisteswissenschaftler sind alle arme Schlucker! Offensichtlich stimmt das nicht! Aber ich beschwere mich nicht, denn selbstverständlich haben Sie das Recht, Ihre Mittagspause zu verbringen, wo Sie wollen, vorausgesetzt, Sie sind wieder pünktlich an Ihren Arbeitsplatz! War das Ihr Freund, mit dem ich Sie weggehen gesehen habe?”, wollte er weiter von ihr wissen. Sie schüttelte den Kopf und versuchte ihm nicht allzu unfreundlich zu erklären, daß das eine Sache war, die ihm nichts anging, als ihr Blick auf die Gratiszeitung mit dem Bild von Veras Praxis fiel, die er in der Hand hielt.

“Ist das die Freundin Ihrer Schwester?”, wollte er wissen und zeigte anklagend auf das Foto mit Ruth und Vera.

“Wie kommen Sie darauf?”, fragte sie zurück. Denn er sollte ihr schon erklären, wieso er wußte, daß Ruth H. ihre Schwester war und er scheute sich auch nicht zu antworten, daß ihn die Zeitungsfritzen natürlich angerufen und auf ihr Verhältnis mit den Mordverdächtigen hingewiesen hätten! Gab es keinen Datenschutz? Sie würde Ruth danach fragen und nickte vorerst zu der schleimigen Mitteilung, sie brauche sich keine Sorgen machen, denn das Kaufhaus kenne keine Sippenhaftung! Sie könne natürlich, vorausgesetzt, daß sie weiterhin pünktlich sei, ihre Zettel verteilen.

“Und Ihre Schwester ist wirklich eine Lesbe und bekommt von einem Mann, den sie nur einmal gesehen hat, ein Kind?”, wollte er von ihr wissen, starrte auf ihren roten Mantel, unter dem er ihren Büstenhalter zu suchen schien und erkundigte sich grinsend, ob er sie zum Mittagessen einladen dürfe?

“Dazu komme ich in die Personalkantine, Herr Seidler!”, bemühte sie sich wieder einigermaßen freundlich zu antworten.

“Und nütze meine Gutscheine aus! Der Herr, mit dem Sie mich gesehen haben, war natürlich auch ein Journalist, der das Gleiche von mir wissen wollte und wenn der Platz neben mir frei ist, kann ich Sie nicht hindern, sich daraufzusetzen! Vielen Dank, daß Sie und Ihre Geschäftsleitung so gütig sind, mich nicht mit einem Todesfall in der Praxis der Freundin meiner Schwester in Verbindung zu bringen! Und falls Sie es wissen wollen, ich habe Peter Kronauer mit meinen Weihnachtssack nicht erschlagen und ihm auch kein “Naps” oder “Stollwerck” in den Mund gesteckt! Ich habe auch nichts dagegen, daß Triebtäter therapiert werden und jetzt muß ich auf die Straße! Es ist schon zwei nach neun! Die Kinder und die Mamis warten und Sie wissen, daß ich mich anstrengen und pünktlich sein muß, damit ich keinen Schlechtpunkt abbekomme!”

So, das war es im Dezember 2015 wo man den Flüchtlingen noch einigermaßen freundlich gegenüberstand und man in den Öffis auch noch keine Masken tragen mußte.

Der Romananfang ist hier zu finden 1 2.

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