Am Ende der Stadt

Das neue Jahr hat neben der Verlängerung des Lockdowns,der Freitestdiskussion und dem Schrecken wegen des mutierten Virus erstaunlicherweise auch mit viel Lyrik begonnen. Bei mir jedenfalls, kam da ja gleich Nicos Bleutge Essayband “Über Gedichte” an die Lesereihe. Das hat zwar schon ein paar Monate auf meinem Badezimmerstapel gelegen. Vorher war ja noch das Buchpreislesen dran, hat mich aber in eine poetische Stimmung und zu dem Vorsatz gebracht in diesem Jahr vielleicht doch ein bißchen mehr auf meine Sprache zu achten.

Auf den Regalen lagen noch zwei weitere Gedichtbändchen, der Peter Paul Wiplinger liegt sogar in doppelter Ausführung auch noch dort und Lidija Diikovskas “Schwarz auf weiß” habe ich ja bei dem Gewinnspiel der “Alten Schmiede”, als die das “Dichterloh-Festival” verschoben hatten, gewonnen. Das wird nun nachgeholt und da gab es ja schon einige Abende, darunter, den, wo Lidija Dimkovska ihr Bändchen vorstellte und dann lag da noch, seit November wahrscheinlich, Adina Heidenreichs “Am Ende der Stadt”, das Lyrikdebut, der1996 in Sachsen Anhalt geborenen. Jürgen Jankovsky hat die Nachbemerkung über die Übersetzerin geschrieben, deren Covergedicht auch am Buchrücken steht.

“Diese Gleise führen nur noch7 aus der Stadt heraus./Geh oder bleib für immer./Die Straßen werden zu Wegen,/werden zu Gras,/ich bin geblieben.”

Vor allem am Anfang des siebzig Seiten Büchleins geht es viel um Sprache und die Worte in denen die Autorin zu leben scheint.

Ganz besonders beeindruckend die “Kernfrage” “Das Leben ist dir wie eine Zwiebel:/Du schälst und schälst sie/auf der Suche nach dem Kern/und hast am Ende nur/Schalen in die Hand.”

Ebenfalls beeindruckend, die lyrischen Gedanken, die sich die junge, in Leipzig lebende Frau über das “Alter” macht:

“Ich koche Tee,/sehe zum Fenster hinaus./Zweimal in der Woche/öffne ich den Briefkasten,/das Auto habe ich abgemeldet./Im Frühjahr pflanze ich Balkonblumenmen,/nur an meinem Geburtstag läutet das Telefon./ Vom Tod meiner Freunde lese ich in der Zeitung./Im Sommer beobachte ich Passanten,/kein einziger blickt hinauf./Ich existiere noch hinter diesem Fenster/ und trinke Tee im Herbst, ungesüßt,/ sortiere alte Fotos in Alben./Im Winter wird jeder Gang übers Eis schwer./Ich verstehe die Briefe nicht mehr,/ständig läuft das Radio, ich höre nicht hin./mein Tod sind ein paar Zeilen in der Zeitung.”

Einen “Traumsammler gibt es auch “Ich möchte alle Träume aufsammeln/und sie zurück/zu den Träumer tragen.”

Ein bißchen von Brecht inspiriert erscheint mir der “Auslöser”

“Wer baute die Fabrik,/wer stand am Fließband,/wer hat verkauft,/wer verschickt,/wer sah bewußt weg?/Wo beginnt das Töten?/Nicht erst beim Gewehr.”

Während mir die Zeilen “Ich werde die Wände mit Worten tapezieren/von morgend bis abends lesen.”sehr vertraut klingen und zu der Wunschphatasie führen, daß man das in Zeiten der Pandemie und der FFP2-Maskenpflicht auf allen Straßen vielleicht auch tun könnte, während einem der Botendienst die Einkäufe bringt und so schließe ich den Gedichtband, der wohl nicht nur in Zeiten und Situationen, wie diesen sehr zu empfehlen ist, mit einigen Zeile aus dem “Erleuchtenden Himmel”:

“Nehmt ab eure Masken,/vergesst die Bedenken, sie zählen wirklich nicht;/Die Zeit zieht vorbei.”

Wer doch wirklich schön, füge ich hinzu.

Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf

Bei Buch vier des “Debut-Bloggerpreises” handelt es sich, wie auch in der Begründung steht,  um eine genreübergreifende Geschichte, die wie ein Krimi mit einem Mord, sehr effektvoll aufgeladen beginnt und sich dann, wie  der Titel sagt, in eine sieben Tage andauernde Beschreibung der Geschehnisse einer Kleinstadt, ihrer Kriminalität, ihrer Musik, Sport und politischen Ereignissen, übergeht, für den heutigen ungeduldigen nicht mehr so konzentrationsbereiten Leser vielleicht ein wenig zu langatmig oder langweilig, so habe ich es jedenfalls empfunden und mich auch ein bißchen gewundert, daß es auf die Shortlist kam.

Gehören Krimis ja nicht so sehr zu den Favoriten von Preislisten, obwohl die Leute sie gerne lesen und ich mir auch vorstellen kann, daß in den geschmähten und vom Bewerb ausgeschlossenen Selfpublishererzeugnissen mitunter spannendere Thriller zu finden sind.

Aber darum geht es dem  1962 in Magdeburggeborenen ARD-Journalisten Uli Wittstock höchstwahrscheinlich gar nicht, vermutlich hat er eine Parodie, eine Satire, auf eine Kleinstadt schreiben wollen und das ist ihm, glaube ich, auch sehr gut gelungen.

Gibt es in den über vierhundert Seiten ja immer wieder treffende Anspielungen und Verarschungen, während die Spannung vielleicht nicht so das Metier von Wittstock ist. Dazu ist der Roman wahrscheinlich auch zu lang und zu umständlich geschrieben.

Jedenfalls habe ich mich mit der Zuordnung des vielfältigen Personals etwas schwer getan und hätte mir  zur Orientierung ein Personenregister gewünscht.

Es beginnt also, um es kurz zu machen an einem Montag in einer Provinzstadt, da wird ein toter Moderator in seinem Sender aufgefunden, kunstvoll mit Tonbändern zu einem unappetitlichen Paket zusammengeschnürrt, vor dem sogar Komissar Schneider graust.

Der wohnt in Bardorf, das ist offenbar der Vorwort von besagter Stadt und versucht mit seinem Team den Fall aufzuklären.

Da geht, wie schon bei ähnlichen Krimis gewohnt, nichts weiter und die Vorgesetzten drängen und drohen den Ermittler den Fall wegzunehmen.

Es gibt in dem Polizeidezernat, aber auch Schulungen und Effizienzberater, da zeigt sich offenbar Uli Wittstocks Talent zur Satire, es wird eine Sitzung einberufen und die Polizisten werden belehrt, daß sie sich nach den drei “K”s benehmen sollen,”klug, kompetent und krisenfest” und so ermitteln sie, während der Innenminister zu den Windrädern fährt, die es auch in Bardorf gibt, die aber irgendwie nicht so ganz funktionieren, eine AYCB genannte Terrorgruppe, die die Autobahnen sperrt, gibt es auch und eine Milbe, die den Bienenstand bedroht und dem Minister zum Verhängnis wird.

Währenddessen wird in dem Sender, die Führungsriege ausgetauscht und im Keller des Archivs sitzt ein graues Mäuschen und schreibt in  seiner Dienstzeit erotische Geschichten. Es steigt im Laufe des Geschehens in den Sender auf, während Melinda Treu, der Disc Jockey eines Privatinternetsenders aussteigt und einen Rapper, der sich von seinen SpinDoctoren, verkabeln und mit allerhand Drogencoctails vollstopfen läßt, gibt es auch, sowie geschobene Fußballspiele, eine Spielhölle und eine Wäscherrei, die das Schwarzgeld reinwaschen soll, ein getohlenes Klo und und und….

Man sieht das birgt locker Stoff für drei, vier oder noch mehr Romane, die dann vielleicht das Lesen erleichtert hätten, so ist alles Elend dieser Welt, alle Korruption und Unrat in eine Woche und in den Umkreis dieser Kleinstadt zusammenbgeballt und es kommt natürlich zu der Katastrophe.

Ein Terroranschlag ohne Bekennerschreiben legt die Stadt lahm, Polizisten werden entführt und der Minister verwandelt sich auf der Intensivstation zur Biene.

Man sieht der Spätdebutant Ulli Wittstock hat seinen Kafka gelesen und höchstwahrschein auch großes Vergnügen, das Leben in einer Kleinstadtidylle sartisch auszubreiten.