“Hast du deine Enkeltochter jetzt schon gesehen und bist du schon geimpft oder immer noch so stur, die Corona-Maßnahmen zu verweigern?”, fragte Gisi, die gerade angerufen hatte, in vorwurfsvollen Ton und Mathilde konnte nur den Kopf schütteln.
“Habe ich noch nicht, denn immer, wenn wir das wollten, wurden die Maßnahmen verschärft, der zweite, dritte oder vierte Lockdown ausgerufen und, nein, geimpft bin ich noch nicht! Dazu habe ich mich noch nicht entschließen können, obwohl diesbezüglich jetzt starker Druck ausgeübt wird, denn man fast als Nötigung empfinden könnte und das ist es, was mich bisher zögern ließ,weil ich mich zu nichts zwingen lassen möchte, hinter dem ich nicht mit vollsten Herzen stehe, auch wenn ich deshalb, wie ich fürchte, zur Menschin zweiter Klasse geworden bin!”
“Na, so schlimm ist es nicht!”, sagte Gisi insTelefon “-denn du bist,wie ich vermute noch immer in deiner Wohnung und nicht, wie du anklingen last lassen, in ein “Nichtgeimpften-Ghetto” umgezogen. Das gibt es nicht und ich habe noch nichts davon gehört, daß ein solches errichtet werden soll! Also bleibe sachlich und lasse deine dystopischen Phantasien, die nur in einem Roman und sonst nirgends hingehören!”
“Das “NI-Ghetto gibt es nicht, stimmt!”, antwortete Mathilde in die Leitung und versuchte ruhig zu bleiben.
“Stimmt auch, daß ich mir ein solches ausgedacht, beziehungsweise befürchtet habe, daß es dahin kommt! Das gibt es nicht und wird es vermutlich auch nicht geben,dafür aber die 3 G-Regeln seit einigen Monaten, die man als etwas diesbezüglich Vergleichbares einschätzen könnte. Ohne 3G kein Urlaub, kein Restaurant- und auch kein Friseurbesuch, so ist das schon seit einem halben Jahr! Deshalb habe ich mir die Haare selbst geschnitten und einkaufen geht, weil ich keine Maske tragen will, immer noch meine liebe Nachbarin für mich oder eigentlich deren Schwester, weil, die Rosa inzwischen zu ihrem Freund gezogen ist und nur selten in ihre frühere Wohnung kommt. Also stimmt es mit der Menschin der zweiten Klasse und es wäre nur ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein, wenn die Gemeinde Wien beschließen würde, nur Geimpfte in ihren Wohnungen zuzulassen. Soweit ist es noch nicht und ich kann dich auch beruhigen liebe Gisi, es geht mir trotzdem gut und ich fühle mich durchaus nicht, obwohl ich das immer in den Medien höre, als Menschin zweiter Klasse, sondern gesund, frei und widerständig und habe mir das auch auf mein T-Shirt drucken lassen, daß ich mich dem vierten G zugehörig fühle, aber keinen grünen Impfpaß habe und ganz ehrlich möche ich auch keinen Kellner oder Billiteur meinen Impfnachweis zeigen, wenn ich ins Cafe oder ins Theater gehen will! Dann lasse ich es und mache mir meinen Kaffee selber! Ich habe, wie du weißt, eine ausgezeichnete Kaffeemaschine und auch Internet im Haus, so daß ich Online ins Theater, ins Konzert oder auch an anderen Kulturveranstaltungen teilnehmen kann! So gesehen fühle ich mich nicht eingeschränkt, sondern frei, weil ich mich zu nichts zwingen lassen will, was ich nicht wirklich möchte und ich wundere mich auch ein bißchen, liebe Gisela, daß du das anders siehst! Habe ich dich bisher doch, als kritische Person eingeschätzt! Bist du schon geimpft und hattest du nicht das Gefühl, daß du hier vielleicht zu vorschnell zu etwas gedrängt wirst, von dem man noch nicht wirklich sagen kann, ob es hundert Prozentig sicher ist und da denke ich immer noch, daß man das nur soll, weil man nicht krank werden will und nicht, um wieder frei zu leben! Denn das sollte man auch ohne Impfzwang können und daher habe ich vor den niederschwelligen Angeboten von denen jetzt ständig die Rede ist, Bedenken! Denn ich halte es nicht für professionell, die Leute, die zum Filmfestival am Rathausplatz gehen wollen, vorher schnell durchzuimpfen, denn Ersten bräuchten sie dann trotzdem einen Test, weil die Impfung erst nach drei Wochen als solche gilt und wenn ich im Fernsehen so sehe, daß sie sich schon vor dem Parlament maskenlos anstellen, sehe ich da eigentlich eine Gefahr, noch dazu, da ich immer höre, daß die neue Delta-Variante viel viel ansteckender als die Alpha- ist und die ist noch viel anstecker, als der Wild-Typ, obwohl man da schon hörte, daß sie so gefährlich ist, daß der erste Lockdown beschloßen wurde. Daher sind solche Events eigentlich nicht so ungefährlich und über diese Impfparties von denen mir Mar, meine Nachbarin, mir erzählt hat, kann ich nur den Kopf schütteln! Denke ich doch, daß man das in einer Ordination nach voriger genauer Abklärung tun sollte und sich anschließend noch eine halbe Stunde in Beobachtung begeben, damit kein allergischer Schock entsteht oder Nebenwirkungen auftreten. Aber da bekomme ich einen Stich, damit ich tanzen und vielleicht auch Alkohol trinken kann, was nicht im Sinne der Gesundheit sein kann! Findest du das nicht verrückt, liebe Gisi? ich denke, das ist das schon einbißchen!”,sagte Mathilde und atmete tief durch. Dann blickte sie in ihren Laptop in dem Richard Spielbergs neuer Blog lief, der gerade mit “Seit fast fünfhundert Tagen bin ich schon Gefangener der Corona- Gesundheitsdiktur-Fraktion”, seine Zuhörer begrüßte und ein ähnliches T-Shirt, wie sie trug und blickte auf das vor ihr liegende Manuskript “Mathilde im Coronaland” hieß es und darin hatte sie versucht, die Ereignisse des jahres 2020 aufgeschrieben. Jetzt schrieb man Juli 2021 und sie hatte das Manuskript gerade vom Verlag zurückbekommen, weil es angeblich zu dystopisch wäre, hatte ihr ein Lektor namens Rainer Wilbig geschrieben und sie schüttelte den Kopf, denn sie hatte das Buch im vorigen Dezember mit dem Zusatz, daß sie in eine “Nicht- Geimpften- Wohnung” übersiedeln würde, beendet. Das war nicht eingetroffen, aber sehr viel anderes geschehen. Das Freitesten und die 3Gs waren eingeführt worden, auf den dritten Lockdown war zumindestens in Wien der vierte gefolgt, während der Bundeskanzler immer einen Sommer voll der Freiheit versprochen hatte, womit er allerdings das 3G-Regime meinte, mit dem man ungestört auf Urlaub fahren oder ins Kino gehen könne.
So hatte die Realität ihre Phantasie eigentlich bei weitem übertroffen und sie hatte damals nicht gedacht, daß sie, wenn sie sich nicht testen oder impfen ließ, nicht einmal in einen Gastgarten setzen oder zum Friseur gehen konnte, was sie auch nicht mußte, denn sie hatte sich ein Video angesehen, dann selbst zur Schere gegriffen und brauchte, obwohl, die Delta-Variante schon bedrohlich über allen Köpfen schwebte, Mars Einkaufdienste derzeit nicht in Anspruch nehmen, gab es im Moment doch keine Maskenpflicht im Freien, so daß sie unbehelligt auf den Naschmarkt gehen konnte und beim Würstlstand bekam sie auch eine Käsekrainer und einen weißen Spritzer. Also ging es ihr, wie sie Gisi versichern konnte, eigentlich auch als Menschin zweiter Klasse gut, zumindestens durch die Hintertür und im Freien. Das hätte sie der geimpften Gisi, die sich inzwischen weigerte, sie als Ungeimpfte zu treffen, entgegnen können. Aber die hatte schon aufgelegt und Richard Spielberg hatte gerade die Faust erhoben und verabschiedete sich mit “Macht es es gut, liebe Mitgefangene und laßt euch nicht unterkriegen! Kopf hoch und passt auf euch auf, damit euch die böse Delta-Variante nicht erwischt!”