Das Hochhaus

Jetzt kommt wieder etwas ganze Altes von der Leseliste, ein Buch, das ich in einem der offenen Bücherschränke gefunden habe. Und da reagiere ich vorwiegend nach Namen, die schönen Cover tuens mir auch manchmal an.

Aber den Namen Drewitz kannte ich, glaube ich, aus der Zeit als es noch, die sozialistische Zeitschrift “Die Frau” gegeben hat, die meine Mutter abonniert hatte, vielleicht auch aus der “Emma” oder der “Stimme der Frau”, die ich eine Zeittlang gelesen habe, beziehungsweise der Alfred sie in den Achtziger- und Neunzigerjahren oder so lange es sie gab, für die Anna abonniert hatte.

Keine Ahnung, der Name hat sich mir eingeprägt und jetzt habe ich natürlich nachgegooglet, daß Ingeborg Drewitz, die 1923 in Berlin geboren wurde und  1986 dort gestorben ist, eine gesellschaftpolitische, sozialkritische Autorin war, die einige Romane und Sachbücher geschrieben hat und bis vor ihrem Tod, auch Jurorin beim “Bachmannpreis” war.

Es gibt auch einen nach ihr benannten Preis oder Preise.

Heute scheint sie aber ziemlich vergessen und ihre Bücher höchstwahrscheinlich nur mehr antiquarisch erhältlich.

Am Buchrücken steht fettgedruckt “Menschen und Gefühle in Beton….” und unter der Inhaltsangabe “Ein Roman aus der Unwirtlichkeit unserer Städte.”

Das Buch ist 1975 erschienen und spielt 1974 in einem Hochhaus in Berlin. Die Handlung zieht sich eine Woche von Freitag bis Donnerstag hin und da wird jeden Tag eine Beschreibung voranggestellt.

“Freitag” beispielsweise “Freitagnacht ist die erste Nacht der Woche. Freitagnacht werden Kinder gemacht. Freitagnacht wird viel Alkohol getrunken. Denn Freitagnacht fühlt sich der Mensch als Mensch.”

Dann gehen wir hinein in das Haus und lernen seine Bewohner kennen, die recht unterschiedlicher sozialer Herkunft sind, was ich beispielsweise nicht so realistisch finde.

Da zieht jedenfallls in den sechzehnten Stock aus Kassel, ein Direktor mit seiner Frau und seiner Tochter Susanne ein und rüstet sich zur Willkommensparty, wo er die anderen Direktoren samt Gattinen seiner Firma einlädt.

Die zwölfjährige Susanne hat mittlerweile die Bekanntschaft des gleichaltrigen oder vielleicht dreizehnjährigen Peters gemacht, sie beobachtet aus dem Fenster, wie er von zwei Jungen, Jockel und Kalli am Bein verletzt wird.

Die wohnen auch in dem Haus, Jockel ist schon fünfzehn und hat seine Mutter verloren, jetzt lebt er mit dem Vater, einem Fernsehautor, beziehungsweise reißt er, nachdem er Peter ein Bein gestellt hat, aus, kommt eine Nacht nicht heim, raucht einen Joint, bevor er vom Hausmeister, der stark berlinert nach Hause gebracht wird.

Kalli ist der Sohn eines Omnibusfahrers, Schofför steht in dem Buch, aber das ist der, der im Mercedes den Herrn Direktor Montag früh abholt und in die Firma bringt, während Jockels Vater einen BMW fährt.

Kalle hat einige Geschwister und wenn, die Eltern ein bißchen Sex haben wollen, schicken sie die Kinder nach draußen zum Spielen. Viele Kinder und eine schon wieder schwangere Frau hat auch der Herr Pastor, der ebenfalls in dem Haus wohnt.

Dann gibt es noch zwei ältere Damen und, um wieder zu Peter zurückzukommen, sein Vater, ein Maler, hat sich politisch betätigt und sitzt jetzt im Gefängnis. Darüber wird getruschelt, die Mutter Mitte Dreißig ist Verlkäuferin in einer Stoffabteilung und besucht den Vater jeden Sonntag in Tegel.

Bis Montag zieht sich die Handlung dahin und wir lernen die einzelnen Charakäre kennen, die Kinder freunden sich untereinander an, Susanne und Peter tun das, Jockels Vater macht ein großes Essen für den wiederheimgekommenen Sohn und verschafft ihm eine kleine Rolle im Fernsehen.

Susannes Mutter nimmt  Reitstunden und kleidet sich und die Tochter auch in standesgemäße Breeches ein und Peters Mutter geht Montagabend plötzlich aus dem Haus und alleine in ein Tanzlokal.

Sie fährt dann im Taxi heim, wird von einem, mit dem sie einige Male tanzte, im Auto verfolgt und am Dienstag steht der dann im Flur und fragt bei den Postkästen, eine der alten Damen nach einer Frau Aussehens.

Die antwortet aus Angst nicht, in einem wirklichen Hochhaus werden sich auch nicht alle Mieter kennen und mir würde nicht auffallen, wenn ein Fremder plötzlich am Montag bei den Postkästen steht.

Der findet jedenfalls die Mutter, als sie von der Arbeit nach Hause kommt und fährt mit ihr weg und nun nimmt die Handlung einen rassanten Schwung und es passiert wohl das, was Ingeborg Drewitz damit thematisieren wollte.

Die Mutter kommt jedenfalls nicht mehr zurück und der Sohn ruft am Dienstag aus der Schule in dem Kaufhaus an, die Kollegin meinte zwar, die Mutter wäre krank, meldet sich, was mir auch ein wenig unrealistisch erscheint, gleich bei der Fürsorge und, die erscheint dann auch und klopft oder läutet.

Es macht ihr aber niemand auf, denn Peter hat sich vor Schreck in der Wohnung verbarrikatiert. Ob das realistisch ist weiß ich nicht so genau. Er hat jedenfalls Angst, daß die Möbel geklaut werden würden, wenn ihn die Fürsorgerinnen in ein Heim bringen.

Die Fürsorgerin fragt beim Hausmeister nach und der geht auch hinauf und klingelt, überlegt, ob er den Kleinen nicht nach untern oder von dort was zum Essen hinaufbringen soll?

Diese Überlegungen haben auch der Pastor, die alte Dame, inzwischen steht das Verschwinden der Mutter schon in der Zeitung, ruft bei der Pfarre an, wo die Sekretärin zur selbständigen Nächstenliebe rät und Kallis Vater.

Sie kommen aber nicht dazu, den Kleinen in ihre Wohnungen mitzunehmen und ihren überlasteten schwangeren Frauen einen Tischgast zuzumuten, denn der macht nicht auf und der Pastor weiß auch schon weiter, daß das die Fürsorge nicht zulassen wird, weil sie mit ihm ja nicht verwandt sind.

Am Donnerstag oder so hat die Fürsorge, dann die Wohnung aufgebrochen und Peter mit einer Rotenkreuzschwester ab- beziehungsweise in ein Heim geführt und das Leben geht in dem Hochhaus weiter, beziehungsweise macht Susanne ihren Eltern Schwierigkeiten, als sie sich zu Essen weigert, wird aber von ihnen gleich belehrt, daß es eben soziale Unterschiede geben muß und am Schluß des Buches gibt es noch zwei kurze Zeitungsnotizen, die eine daß eine etwas Dreißighährige Frau erwürgt am Ufergebüsch aufgefunden wurde und dann noch eine von einem Autounfall und einen ausgebrannten Wagen, wo man rätseln kann, ob das der des Mörders der Mutter ist: “Bisher fehlt die Bestätigung des Unfalls der DDR-Behörden” steht noch darunter, was uns daran erinnert, in welcher Zeit das Buch geschrieben wurde. Die Väter, die darin vorkommen, sowie der Hausmeister müssen sich ja auch noch die Frage gefallen lassen, was sie vor 1945 gemacht haben und der Hausmeister ist, wie man liest, auch Blockwart gewesen.

Und mir hat sich beim Lesen die Frage gestellt, was man in einem solchen Fall wohl wirklich richtig macht?

Was macht ein Zwölfjähriger, dessen Mutter am Abend nicht nach Hause kommt? Geht er zur Polizei, zu den Nachbarn, am nächsten Tag zur Lehrerin oder in die Direktion?

Und die Nachbarn, Kallis Eltern, vielleicht auch, die von Susanne, obwohl sie den Jungen noch gar nicht kannte, der Pfarrer, der Hausmeister sollen sich vorläufig, um ihn natürlich kümmern, wenn er anläutet und sagt “Die Mama ist nicht da?”

Aber dann wird sich vermutlich tatsächlich das Jugendamt einschaltetn und nach Verwandten fragen und wenn, die Mutter unauffindbar ist, ihn wahrscheinlich auch in ein Heim bringen.

Ein spannendes Buch, wo sich das meiste, abgesehen von den politischen Geschehen, das inzwischen anders ist, vielleicht auch heute noch so abspielen könnte.

Ich würde nur bezweifeln, daß sich Hartz IV Empfänger oder Alleinerzieherinnen wirklich unter einem Dach mit einem Pastor und einem Betriebsdirektor, der vom Chauffeur abgeholt wird, befindet, auch wenn es natürlich Dachetagen gibt, die viel teurer und viel größer sind und Ingeborg Drewitz dürfte es wohl auch vorwiegend, um die soziologischen Aspekten bei ihrem Roman gegangen sein, wie man an der “benützen Literatur”, die auf den letzten Seiten angegeben ist, sehen kann, besteht die  hauptsächlich aus Büchern über “Die wohnliche Stadt”, “Städtbauliche Utopien” und andere “Wohnbaubücher. Literatur von Konfrad Lorenz und Alexander Mitscherlich ist aber auch angegeben.