Zeit Zuflucht

Jetzt kommt ein Bestseller oder jedenfalls das Ö1 Buch des Monats “Zeit Zuflucht” des 1968 geborenen bulgarischen Autors Georgi Gospodinov, von dem ich schon ein Buch aus dieser zweisprachigen “Wieser-Edition” bei einem Gewinnspiel der Bank Austria gewonnen, aber nicht gelesen habe.

Jetzt ist er offenbar zum Literaturstar aufgestiegen und ich muß sagen das Buch ist sehr interessant, obwohl es mehr locker dahin geschrieben, als eng geplottet scheint, denn es geht um alles oder nichts. Falsch, es geht um alles. Um die Zeit und wie man mit ihr umgeht und da sind einmal zwei große Themenbereichen in denen der Autor locker hin- und herspringt. Das eine das große Thema Demenz und Vergessen, etwas womit ich mich in meinen Büchern auch schon beschäftigt habe. Im anderen Teil geht es, um die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, wie schon oft beschrieben. Die Bulgarische ist es zumindestens im deutsprachigen Raum weniger, also wieder besonders interessant.

Und mit dem locker Dahingeschrieben meine ich folgendes. Da gibt es einen Erzähler, der offensichtlich der Autor selber ist und, um den Protagonisten Gaustin, begnadeter Flaneur, durch die Zeiten der offenbar schon in früheren Büchern Gospodinov eine rolle spielt, so heißt mein Buch “Gaustin oder der Mensch mit den vielen Namen”. Er flaniert durch die Zeit und trifft den Autor und da ist es auch nicht klar, ob das nicht vielleicht der Roman ist, den Godpodinov gerade schreibt und der seinen Protagonisten, was ja auch stimmt, erfunden hat und dieser Gaustin hat eine Klinik für Alzheimer und Demenzen in Zürich aufgemacht, wo jedes Stockwerk ein anderes Jahrzehnt darstellt, damit sich die Betroffenen wohlfühlen und in ihre Vergangenheit zurückgehen können. Da gibt es die Möbel, die Zeitungen, die Platten, die Filme aus den Dreißiger-, Sechziger, sogar Siebzigerjahre und das ist sicher eine spannende Idee, die wahrscheinlich zum Teil auch verwirklicht ist. Denn wir können ja mühelos in diese Zeiten zurückgleiten, deren Bücher lesen, jeder Roman ist eine Zeitreise, etcetera.

Gaustin macht den Autor zum Verwalter oder Materialbeschaffer dieser Klinik. Es gibt, glaube ich, auch eine Dependance in Sofia und dann werden Geschichten erzählt, Fallbeispiele genannt und man reist locker durch die Zeiten.

Bei einer Diskussion habe ich das Bedauern gehört, daß der Anhang fehlt, so daß man vieles, was hier beschrieben wird, ständig nachgooglen muß und im nächsten Teil ergreift dann die ganze Welt diese Zuflucht und jedes Land Europas kann sich sein Jahrzehnt aussuchen in das es flüchtet.

Da gibt es dann eine Landkarte, wo das beschrieben steht und spannend, die Szene, wo sich der Erzähler am ersten Mai in Sofia entscheidet gleich auf zwei Maiaufmärsche oder Feste zu gehen. Einmal, das der Kommunisten und auf das, wo die Trachtenträger, die inzwischen Mode geworden sind auftreten und interessant dabei, daß er einen Schulfreund trifft, der ihm erzählt, daß er beide Festivitäten inszeniert hat.

Spannend, spannend und sehr interessant und weil das Buch jetzt so viel rezensiert wird, kann man davon ausgehen, daß es bei vielen den Zug der Zeit getroffen hat. Die einen werden sich vielleicht, wie ich, mehr um das persönliche Vergessen, die anderen für die Weltgeschichte interessieren. Aber beides gehört ja, wie uns Gospodinov zeigt, zusammen und ich bin ja eine, die sich schon von jeher sehr für die Vergangenheit interessiert, also ein sehr gutes Buch.