Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist

Den 1946 geborenen Gert Loschütz, der 1957 mit seiner Familie von der DDR in den Westen geflüchtet ist, habe ich durch das Buchpreislesen kennengelernt, stand er da doch 2018 und 2021 auf der Longlist und da war immer die DDR das Thema und, weil er mit dem “Besichtigung eines Unglücks”, das mir gar nicht so gut gefallen hat, bekannt geworden ist, hat er oder sein Verlag sich entschlossen, habe ich bei “Amazon” gelesen, seinen 1990 erschienenen Roman “Flucht” unter dem Titel “Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist” nochmals herauszugeben und schreibt auf der letzten Seite, daß sich 1990 der Titel” Flucht” eindeutig von Ost nach West bezog, jetzt ist das anders, so hat er den Titel gewählt, “Den die Geschichte immer für mich hatte.”

Er passt auch besser, füge ich an, ist es doch ein sehr künstlerischer Roman, kompliziert und vielschichtig, mit dem er das Trauma bewältigt, daß der kleine Karste Leiser erlebte, als ihn seine Mutter zehnjährig, einmal aufweckte und “Wir gehen spazieren sagte!”

Dabei haben sie das nie getan und schon gar nicht in der Nacht.

“Sieh dir alles genau an, denn du wirst es nie wiedersehen!”, sagt die Mutter und am nächsten Tag verlasst sie mit ihm den Ort Plothow, sein Fahrrad hat sie an eine Christine verschenkt und reist nach Wildenburg. Den Vater gibt es irgendwie auch, der versucht eine Kamera zu verkaufen, weil die Familie für den Neustart Geld benötigt und ein Jahr später ruft ihn ein Lehrer im Gymnasium zu, er soll nach Hause gehen. Der Sitznachbar Burckhardt, der Antogonist mit dem Geigenkasten würde ich sagen, glaubt, er wurde hinausgeschmissen, er weiß aber die Mutter ist gestorben.

Jetzt ist er erwachsen und Reiseschriftsteller und erzählt in einer schlaflosen Nacht seiner Freundin Vera, die Geschichte, daß er jedes Jahr an diesem Tag offenbar eine Retraumatisierung erlebt. Ganz egal, wo er ist und er ist in Irland oder in Italien, wo er auch eine Zeitlang lebte. in Sardinien verläßt ihn eine Frau, weil er mit Mariam, die aus Pakistan gekommen ist, um in England Medizin zu studieren, spricht.

In Irland hat er ein deja vue mit diesem Burckhardt, der mit Frau und Kind dort abgestiegen ist und er ist auch ein unzuverläßiger Erzähler. So erzählt er Vera, er wäre in Plothow aus dem Zugfenster gesprungen und in Italien hat ihn dieser Burckhardt in einem Labyrinth mit einem Stein den Fuß zertrümmert, denn in Wildenburg, hat er ihn einmal den Geigenkasten zerdepscht.

Den Koffer mit dem er damals in den Westen ging, hat er immer noch, er versucht ihn auch loszuwerden, er kommt aber immer wieder zurück.

Interessant die Traumatisierung, die Gert Loschütz, der wie ich “Wiikipedia” entnommen habe, auch eine Zeitlang mit Elfriede Jelinek zusammenlebte, nicht loszulassen scheint und wenn ich das Buch auch als sehr konstruiert empfunden habe, denn es springt wild in den Zeiten hin und her, von der Chronologie keine Spur, weil das offenbar zu wenig literarisch ist, hat es mir, glaube ich, besser als die beiden anderen gefallen. Jedenfalls hat es die Psychologin, die sich mit Traumen beschäftigt, sehr beeindruckt. Obwohl man sich natürlich fragen kann, ob ein Verlassen der DDR in den goldenen Westen wirklich so traumatisch ist, daß man sein ganzes Leben lang daran denkt oder sich nicht vielleicht freut, die Diktatur losgeworden zu sein und jetzt kann man ja auch wieder dorthin zurückkehren.