Ein gelbgefärbter Corona-Ampeltag

“Shit!”, dachte Michaela Reisinger und legte ihr Mobilphone aus der Hand.

“Großer Shit und riesengroßer Ärgeraufwand!”

Dabei sollte doch alles in Ordnung und in wunderschönster Butter sein, hatte ihr doch Frau Scharinger, die Leiterin des Kindergarten in der sie Lena am Montag bringen wollte, versicherte, daß in der Eingewöhnungsphase eine maskierte Betreuungsperson, als Begleitung in die Innenräume gestatet sei und Lena, die vor kurzem drei geworden war und ab Montag in den Kindergarten gehen sollte, würde dort sicherlich nicht am ersten Tag alleine bleiben wollen, sondern mindestens zu schreien beginnen, wenn sie ihr nicht überhaupt nachlaufen würde.

Also mit Maske durfte sie die Kleine, die ersten Tage begleiten und bei ihr bleiben, wie ihr die Leiterin versichert hatte und Michaela dachte schon wieder “Shit!” und schaute zu Lena hin, die in ihrer Spielecke saß und versuchte einen Turm aus Holzsteinen zusammen zu bauen und vergnügt in die Hände klatschte, wenn es ihr gelungen war, noch ein Steinchen auf den schon recht hohen Turm zu setzen.

Großer Shit und großes Scheiße! Denn sie war keine Maskenträgerin und bisher war es ihr auch gelungen, sich um dieses Stück herumzudrücken, ging Bernhard, der das gerne tat, doch für sie einkaufen und sie war immer schon lieber zu Fuß gelaufen, als sich in ein überfülltes Verkehrmittel zu setzen, nur einmal war sie von einer Lesung weggegangen, weil sie nicht mit Maske, die zwei Meter bis zu ihrem Sitzplatz gehen hatte wollen und hatte fast triumphierend gedacht “Macht ja nichts!”, kann ich das Buch das präsentiert werden sollte, auch selber lesen.

Aber Lena konnte sie nicht allein in den Kindergarten gehen lassen, das wäre unverantwortlich, wenn nicht Quälung oder Mißbrauch gewesen und Bernhard, der sie vertreten hätte können, hatte keine zeit, war er doch berufstätig und hatte Montag um elf eine wichtige Sitzung im Büro, die er nicht versäumen durfte und so schnell ließ ihn die mißtrauische Lena, die seine Spannung sicherlich merken würde, nicht los, sondern würde sich erst recht an ihn klammern, wie sie wahrscheinlich auch einen maskierten Papa lustig finden würde oder auch nicht, begleitete sie ihn ja öfter in den Supermarkt und hatte ihn da schon einmal gefragt, warum er das kuriose Ding, im “Spar” wenn er für sie Joghurt und Kinderschololade zu kaufen, aufsetzte, aber wieder abnahm, wenn er nebenan in den Baummarkt ging, um dort Schrauben für das Hochbett, das er für sie befestigen wollte, zu besorgen.

“Das ist doch komisch Papa?”, hatte sie gesagt und hinzugefügt, was das Corona-Virus sei und warum es so gefährlich wäre?

“Warum ist der Kevin ein Mörder, wie die Lisa sagte, weil er am Sonntag seine Oma besucht und ihr einen Kuß gegeben hat? Das tut man doch und ich möchte der Oma auch ein Bussi geben, Papa, darf ich das?”, hatte sie gefragt und Bernhard mit ihren großen Kulleraugen angesehen. Michaela war froh gewesen, daß sie diese Frage an Bernd und nicht an sie selber richtete, denn sie hätte keine Antwort gewußt, wie sie auch nicht wußte, warum man ein Gefährder sei, wenn man ohne Maske in den Supermarkt ging, während das im Wäschegeschäft gegenüber nicht so war und warum die Nachbarin mit ihrer selbstgehäckelten Maske, die Millimeter große Löcher hatte, das nicht war.

“Dringt das Virus da nicht durch, Mama?”

Das hatte Lena nicht gefragt. So groß war der Sprachschatz der Dreijährigen noch nicht. Das war eher eine Frage, die sie sich selber stellte und jetzt zuckte sie zusammen. Gab es doch einen großen Klesch, denn Lenas Turm war umgefallen, was von der kleinen mit einem enttäuschten “Schade!”, quittiert wurde.

“Macht ja nichts, probierst du es eben noch einmal!”, tröstete Michaela und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Fernsehbildschirm zu, wo gerade, der Gesundheitsminister Rudi Anschober zu sehen war, der gerade, die neu eingesetzte Corona-Ampel erklärte und mit ernster Miene verkündete, daß Wien, Linz, Graz und dann noch das Tiroler Städtchen Kufstein zu den, als gelb bewerteten Ampelbezirken gezählt wurden, so daß dort die Zahl der Veranstaltungsbesucher reduziert werden würden und man überall, also auch in den schon erwähnten Baumärkten, Einkaufszentren und Modehäuser Maske tragen mußte, was Lenas vorige Frage erübrige, aber zu neuen Anlaß gab, denn die hatte die Lust an ihren Bausteinen verloren, war sie doch auf sie zugekommen und hatte sich neben sie gestellt.

“Warum ist Wien gelb angezeichnet und was bedeutet das Mama? Muß jetzt Kevins großer Bruder mit Maske in die Schule gehen?”, fragte sie und schaute interessiert auf den Fernsehschirm und Michaela dachte an ihre Freundin Sarah, die übermorgen in die Oper gehen wollte.

“Da muß ich meinen Ausweis mitnehmen und es wird verglichen, ob mein Name dort, wirklich der ist, der auf meiner Karte steht. Dann muß ich meine Maske aufsetzen und sollte sie auch, wenn die Vorstellung begonnen hat, nicht abnehmen! Mal sehen, ob ich das aushalte? Du weißt ja, daß ich an Asthma leide!”, hatte sie gesagt und überlegte, ob sie nicht zu ihrem Hausarzt gehen und dort um ein Attest für eine Befreeung ansuchen sollte?

“Pervers, pervers!”, dachte Michaela und atmete durch.

“Und vielleicht ein wenig kindisch, wenn ich ein Attest benötige, um frei atmen zu können! Aber in geschlossenen Räumen soll dieses Virus leicht zu übertragen sein! Wien hat eine steigende Zahl von Infizierten, weil jetzt sehr viele Leute getestet werden. Junge Leue, wie Sarah und ich es sind, die gar nicht krank werden, werden in den Medien aber als solche ausgewiesen und deshalb soll es zur allgemeinen Maskenpflicht, sowohl in den Supermärkten, wo noch keiner angesteckt wurde, kommen und es im Freien überhaupt völlig ungefährlich sein soll. Trotzdem muß man, wenn man auf den Eiffelturm will, eine Maske tragen und auch wenn man in Velden oder Villach am Abend spazierengeht! Pervers, pervers!”,wiederholte sie und bemerkte, daß im Fernsehen jetzt über Weihnachten gesprochen und da überlegt wurde, ob es dann Christkindlmärkte geben soll?

“Ich will aber auf den Christkindlmarkt gehen, Mama! Das hast du mir versprochen, daß wir da hingehen und mir die Oma einen Bratapfel und ein Engerl kaufen wird! Oder darf ich mit der Oma nicht hingehen, weil sie alt ist und ich eine Gefährderin bin, wenn ich ihr ein Bussi gebe?”

“Du kannst ja Abstand halten und ihr nur zuwinken!”, antwortete Michaela und dachte an den Babelefantenabstand von dem sie gehört hatte, daß er auf einen Meter fünfzig erweitert werden sollte, um kein Risiko einzugehen und hörte jetzt, daß ein Leitplan für die Christkindlmärkte geplant wäre, um sie abhalten zu können. Ein Leitplan mit Besucherbeschränkung und Alkoholverbot, hörte sie jetzt einen Handelskammervertreter mit wichtiger Stimme verkünden und Lena sagte, daß ihr das egal wäre, denn sie trinke ohnehin nur Kinderpunsch.

“Oder gibt es den auch nicht, Mama und warum darf man keinen Alkohol trinken? Ist dann das Virus gefährlicher? Glaubt das der Mann?”

“Nein!”, antwortete Michaela und atmete noch einmal durch.

“Ich glaube, er denkt, daß die Menschen, wenn sie Alkohol trinken, nicht mehr klar denken können und sich näher kommen, als sie das sonst täten!”, sagte sie nicht sehr überzeugt, weil sie die innere Stimme in ihr “Unsinn!”, rufen hörte “Das sind doch Erwachsene und keine kleinen Kinder!”

Lena schaute sie mit großen Augen an und fragte “Und jetzt sind wir in der gelben Zone, weil wir nicht brav genug gewesen sind und wenn die Ampel rot leuchtet, werden wir dann eingesperrt und dürfen nicht mehr in den Park und werden wir auch keinen Christbaum haben, wie wir zu Ostern auch keine Ostereier hatten?”

“Nein!”, antwortete Michaela schüttelte den Kopf, strich Lena übers Haar und dachte, daß sie das durfte, weil sie mit der Kleinen und mit Bernhard in einem Haushalt lebte und das nur bei ihrer Mutter, ihrer Schwester und Bernds Eltern ein wenig problematisch wäre, weil die tatsächlich schon älter waren und in einem Pflegeheim lebten, wo es noch immer keine Besuchserlaubnis gab.

“Natürlich nicht! Den Christbaum werden wir schon haben und du hast auch Ostereier gesucht! Kannst du dich nicht erinnern, daß du sogar ein besonders großes Körbchen bekommen hast?”

“Kevins Mutter hat dem Polizisten Strafe zahlen müssen, weilsie mit ihm Fußball spielte!”, erinnerte sich Lena an etwas anderes und Michaela war erleichtert, als sie ihr Mobilphone und Bernhards Stimme hörte, der fröhlich wissen wollte, ob er eine Pizza mitbringen sollte “Oder wollen wir die, im Garten des “Gondolas” essen und, die habe ich gehört, werden auch im Winter erlaubt, so daß wir uns da in eine Decke hüllen können und vielleicht ist da auch Wein und Bier erlaubt!”

Michaela dachte noch einmal “Das ist ganz schön verrückt!”,, während sie den Gesundheitsminister sagen hörte, daß die gelbe Wiener Ampelschaltung zwar kein Grund zur Sorge, aber wohl einer für höhere Achtsamkeit sei und auch die noch auf grün geschalteten Bezirke müßen aufpassen.

“Denn das Virus schläft nicht und ist unter uns!” und wußte wieder keine Antwort auf Lenas Frage, warum man nur bei Corona alle testen und einsperren müße, während das bei Grippe nicht so sei.

“Oder darf ich jetzt auch nicht mehr husten und kommt die Polizei, wenn ich einen Schnupfen habe?”

“Nein!”, antwortete Michaela festentschloßen und drückte Lena festan sich.

“Ich hoffe nicht! Du darfst dann halt nicht in den Kindergarten, sondern bleibst zu Hause, trinkst Tee und kurierst dich aus!”

Lena klatschte in die hände und antwortete fröhlich, daß ihr die Oma erzählt hatte, daß man das schon so gemacht hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war.

“Da ist man noch nicht in den Kindergarten gegangen, Mama und ich will eigentlich auch nicht hin, wenn du da eine Maske tragen muß! Da bleibe ich lieber zu Hause und baue mit dir weiter einen Turm! Der Kevin kann uns auch besuchen, wenn er nicht in den Kindergarten will!