Die Eistaucher

Jetzt kommt es zum zweiten Roma der in Wien geborenen und zwischen Warschau und Wien aufgewachsenen Kaska Bryla, die ich durch die “Kri Lit” und “PS-politisch schreiben” kennengelernt habe und deren “Eistaucher” in der “Klassenliteraturereihe” von Sabine Gruber in der “Alten Schmiede vorgestellt wurde.

Ein interessanter Roman und ein interessantes Konstrukt, in dem vieles angeschnitten wird, der magische Realismus, die Zeitmaschine das Hin- und Zurückgehen in den Handlungsträngen, was dann doch nicht so ganz ausgearbeitet wurde. Die zwei Handlungstränge gehen von neun bis eins zurück und von ein bis neun nach vorn hinauf. Ein zehn gibt es auch und es beginnt, daß der Ich-Erzähler Sasa, der in einem Naturschutzgebiet einen Camingplatz betreibt, zu Saisonende von einem Polizisten namens Martin besucht wird, der sich dort einquartiert, die Friedhöfe besucht und man taucht langsam in das Geheimnis der Geschichte ein.

Bei eins beginnt es in einer katholischen Privatschule, ob Wien, der Standort ist, kommt nicht so klar heraus, wo zu Schulanfang drei neue Schüler kommen. Ras, Iga und Jess, die Außenseiter denn Ras oder Rasputin und Iiga haben einen migrantischen Hintergrund. Iga kommt aus Polen, Ras, der immer Schokokriegeln in sich hineinstopft, aus Russland. Jess ist sehr modebewußt und hat die Ferien in Frankreich verbracht, wo sie sich in Tifenn verliebte. Der schöne Sebastian und Rilke-Rainer sind schon in der Schule und bezeichnen sich als die “Avatgarde,” in die Ras, der für Jess ein Gedicht an Tifenn schreibt, zuerst nicht hineindarf und Iga, deren Vater in Polen arbeitet und nächtens, die ihn betrügenden Mutter durch Telefonarufe kontrolliert. Die Hochbegabte schwänzt die Schule schreibt aber trotzdem gute Noten und dann gibt es noch Franziska Fellbaum, die Französischlehrerin, in die sich Iga und sie in Iga verliebt. Man sieht Kaska Bryla sprengt alle Grenzen. Es gibt Mutproben und einen schulschwänzenden Museumsbesuch, wo dann Goldmünzen in die Taschen der “Eistaucher”, so nennt sich die Gruppe verschwinden und bei Rasputin wird es noch ein bißchen surrealer. Der sieht näämlich Müllberge, die in seinem Zimmer wachsen und ihn verfolgen, hört Stimmen, sammelt Fundstücke, die er beschriftet, darunter einen Zentralschlüßel, den Iga ihm stieht und für sich nachmachen läßt.

Kapitelweise wird das von vorn nach hinten erzählt und Sasa, der Jugendfreund Igas, der in den Neunzigerjahren, wo die “Eistaucher” Jugendlicher sind, Psychologie studiert, erzählt das zwanzig Jahre später, als der Polizist auftaucht, Tiere verschwinden und sein Hund Fipps schließlich am Spieß gebraten wird und überlegt, ob Martin gekommen ist, um ihn zu rächen?

Denn es gibt nicht nur die Liebesgeschichte zwischen Franiska Fellbaum und Iga, wo Iga eigentlich die Lehrerin verführt, sie dann mit Jess betrügt, also so etwas, wie ein positives weibliches Monster ist, was vielleicht von Kaska Brylla gar nicht so initiert ist, von mir aber so interpretiert wird und eines Nachts geht die “Avantgarde” auf die Straße, um verbotenerweise ein Plakat “Ohne Poesie keine Welt” aufzuhängen, vorher hätte die schulschwänzende und klauende Iga noch von der Schule geschmissen werden sollen, was die Klasse durch Sitzstreiks verhindert hat und beobachtet dabei, wie zwei Polizisten eine Gestalt über die Straße schleifen und dann im Park liegen lassen. Das ist die drogennehmende Maja, die von ihnen vergewaltigt wurde. Die Gruppe bringt sie zu Sasa, holt aber nicht die Polizei, sondern beschließt selbst zu rächen. Dabei kommt auch Franziska Fellbaum um. Am schluß wird auch noch Martin ins Feuer geschmissen und Ronya Rothmann hat am Buchrücken “Die Eistaucher” beginnt wie ein vorsichtiger Spaziergang über dünnes Eis, in das man jäh einbricht, und schon gerät man in die Fluten, in einen Strudel, dem man sich nicht mehr entziehen kann: spannend wie ein Krimi, zart und brutal zugleich, mit Figuren, die man nicht mehr vergisst, rätselhaft und grandios”, geschrieben und ich füge, interessant, wie die junge Frau, ein Geburtsdatum habe ich nicht gefunden, würde aber aufdie Achtizgerjahre tippen, die Genresgrenzen sprengt. Da denke ich wieder, ich hätte mir das nicht erlauben dürfen oder nicht getraut, vieles anspricht, vieles in Frage stellt. Wie das aber wirklich mit dieser Zeitmaschnie ist, kommt dann aber nicht heraus und wenn man nie in die Schule geht, wird es wohl auch nicht so einfach sein, alle Schularbeiten auf “sehr gut” zu schreiben, außer man sitzt dann halt zu Hause und lernt allein und warum Iga dort nicht hingehen will, habe ich eigentlich auch nicht verstanden.

Bis ans Ende Marie

Jetzt habe ich es ausgelesen,  diese “emotionae Achterbahnfahrt durch die Wesenzüge einer jungen Frau”, wie es Michael Stavaric am Buchrücken nannte und Daniela Strigl hat es bei den O- Tönen einen Coming of Age Roman genannt, der bei einer Debutschiene natürlich nicht fehlen darf.

Was ist ein Coming of Age Roman?, habe ich wohl gedacht und ein wenig ratlos auf das aufgeschlagene Buch, bei dem ich gerade hundert Seiten gelesen hatte, geschaut und bin jetzt während des Zuendelesens daraufgekommen, daß wohl hier oder überhaupt, das Erwachsenenwerden und in die Weltgehen junger Menschen gemeint ist.

Gottfried Keller hat das, wohl wenn ich mich nicht irre bei seinem “Grünen Heinrich” auch getan. Ein Entwicklungsroman also. Aber kann man das Ertasten einer zwanzig bis fünfundzwanzigjährigen Psychologiestudentin, die von einem Dominik träumt, von ihrer Mutter immer wieder gesagt bekommt, daß sie besser Medizin studiert hätte, aber das wegen ihrer Blutphobie nicht könnte, wirklich so nennen?

Im Klappentext steht, das habe ich schon erwähnt, geschrieben, daß Marie all das, was die namenlosgebliebene Ich-Erzählerin hat, nicht besitzt: “attratktiv und beliebt, dominat und extrovertiert”.

Die Erzählerin ist verliebt in einen Dominik, der wohl beides, sowohl, die begehrte MedIzin, als auch das “Nebenfach Psychologie”, studiert.

All das, was ich in den Siebzigerjahren, als die Erzählerin noch nicht geboren war, irgendwie auch erlebte und  eine ebenfalls Psychologie studierende Freundin in eine Schizophrenie abgleiten sah und ins berühmte Melkweg in Amsterdam, hat sie mich wegen der Selbsterfahrung auch mitnehmen wollen. Da bin ich standhaft geblieben und habe nicht gekifft und Gras gerochen.

Die Ich-Erzählerin, die am Anfang des Buches, Marie die Musikerin, die offenbar in einer Bar kellnert, kennenlernt und auch eifrig, die Werke Freuds studiert, tut das aber. Sie hascht und trinkt und macht auch ihre sexuellen Erfahrungen. Geht mit Marie, die wie weiter im Klappentext steht, immer herausfordert und Grenzen überschreitet, auf einen Berg. Ißt Schnitzel mit ihr oder eigentlich tut das nur Marie. Denn die Namenlose ist ja Vegetarierin und, als sie das Ketschup sieht, in das Marie ungeniert ihr Pommes taucht, denkt sie wohl verzweifelt”Es ist nur Ketchup!”

Ich tue mir ja, das habe ich schon öfter geschrieben mit poetisch schönen Texten, die ohne Struktur und Inhalt dahinplätschern schwer. Ich brauche die Struktur der Handlung, sowei die zeitliche Chronologie und die scheint mir nicht gegeben, denn mir war öfter nicht ganz klar, ob das, was da jetzt beschrieben wird, vorher oder nachher in der Kindheit der Protogonistin, in ihren Träumen oder auch in ihren Wahnvorstellungen passiert? Denn sie geht weiter hinten in eine Vorlesung, wo der Professor etwas von der Schizophrenie und ihren Sympomen erklärt und sie ihm nachher erzählt, daß sie sich krank fühle.

Aber vorher ist sie noch mit ihren Freunden und mit Marie nach Venedig zu einem Festival gefahren. Hat dort auch etwas mit ihren Haaren angestellt, was die Mutter, selber Ärztin oder Arzgattin, die vom Ehemann mit Tabletten versorgt wird, auch das habe ich von Arztsöhnen erzählt bekommen, daß das in den Sechziger- und siebzigerjahren so war, aber Barbara Rieger wurde ja erst 1982 in Graz geboren, entsetzt und die Tochter auf der Grillparty, die sie gibt, als “Die Rebellin!” vorstellt.

Es gibt auch eine Großmutter, der es schlecht geht, im Rollstuhl sitzt, und wenn ich mich nicht irre, stirbt und Marie zieht zur Erzählerin in eine Wohngemeinschaft. Da erzählt sie der Großmutter schon, daß ihr das nicht guttut. Später wird Silvester gefeiert. Da hat die Mutter der Tochter geraten, ja nicht betrunken auf das Dach zu klettern. Sie bleibt daher mit Tom, das ist offenbar der Kneipenbesitzer, bei dem Marie arbeitet, unten und geht mit ihm ins Bett.

“Tut es weh? fragt Tom. Maries Augen sehen mich an, ich beiße sie zärtlich, ich beiße sie fest. Bist du bereit?  Ihre Augen, ihr offener Mund, ich verschlinge sie zärtlich, sie schnappt nach Luft. Komm sagt er. Ich beiße sie tot.”

Das war offenbar das Ende oder auch nicht. Denn auf der nächsten Seite geht es noch ein bißchen weiter.

“Das Feuerwerk ebbt langsam ab. Tom zieht seinen Penis aus mir heraus, entfernt das Kondom, knotet es zu, lässt es auf den Boden fallen und sieht mich an. Ich bemerke, dass ich weine und lache, ich lache und weine. Marie sagt er. Alles okay sage ich.”

Das ist also ein Coming of Age Roman. Aber vielleicht sind die, wie im Klappentext steht “Begegnungen mit Mare, die immer merkwürdiger und bruchstückhafter werden, als würde etwas nicht stimmen, eine Art Störbild, das sich über die Realität legt”, nur eine Verschmelzung vom Realbild in den Traum und die Marie nur die Wunschverstellung der Namenblos bleibenden?

So etwas habe ich auch schon gelesen und das Cover deutet auch auf die beiden Seiten. Die Dunkle und die Helle hin da sieht man zwei Frauengestalten in weißen und dunklen gepunktenten Blusen und ihre Gesichter sind auch jeweils schwarz oder weiß angemalt.

Ein spannendes Buch, schließt die fast Fünfundsechzigjährige, die in den Siebzigerjahren Psychologie studiert hat und da auch, wie Daniela Strigl einleitete, die Universität erlebt, die Barbara Rieger beschreibt. Ein Buch wahrscheinlich für jüngere Leserinnen von einer jüngeren Frau geschrieben.

Interessant das Erwachsenewerden der heutigen Psychologiestudentinnen zu erleben, die sich auch ihren Weg zwischen Sex, Kondome, Gras und Whisky in die Erwachsenenwerlt erkämpfen müssen und dabei nicht in der Psychiatrie landen sollen.