Onlinetalk mit Charles Lewinsky

Nachdem ich heute einen dichten Praxistag hatte, von neun bis neunzehn Uhr mit einer Stunde Unterbrechung, Klienten und dazwischen meine Abrechnung machte, blieb Zeit für einen “Diogenes-Online Talk” mit Charles Lewinsky über sein neues Buch “Sein Sohn” und mit dem 1946 in Zürich geborenen bin ich 2014 über sein Longlistbuch “Kastelau” das ich damals beim Longlistenlesen das von “Buzzaldrin” damals veranstaltet wurde, vom Hauptverband bekommen und auch rezensiert habe.

Den “Stotterer”e habe ich glesen als ich mit meinen gebrochenen Knöchel im Spital von St. Plölten lag und dann habe ich noch den “Halbart” der 2020 glaube ich auf der deutschen Longlist stand.

Um den “Sohn” habe ich mich, glaube ich, nicht so gekümmert. Als die “Diogenes Herbstvorschau” präsentiert wurde, habe ich mir einige Bücher bestellt, wo ich zwei schon gelesen habe, zwei andere heute bekommen habe, ob ich damals an den Lewinsky dachte, weiß ich gar nicht, obwohl es ja ein Buch ist, das auch auf der “Schweizer Buchpreisliste”stehen hätte können.

Also jetzt erst während ich meine Rechnungen zusammengezählt habe, an den “Sohn” gedacht und da erfahren, daß es da um eine historische Person, einen Louis Chabos geht, der in einem Kinderheim in Mailand aufwuch, dann an Napoleons Russlandfeldzug teilnimmt und später auf der Suche nach seinen Eltern ist, wo der Vater ein französischer König, die Mutter, glaube ich, eine Köchin war.

Die Figur ist historisch, das andere erfunden und Charles Lewinsky erzählte ein bißchen wie er zu der Idee gekommen ist oder nein, diese Frage hat er den teilnehmenden Bloggern und Buchhändlern verboten, hat aber irgendwie, glaube ich, erzählt, daß aus historischen Büchern auf diesen Namen gekommen ist.

Das Buch wurde vor der Pandemie begonnen oder geschrieben. War die Cholera, die damals in Paris herrschte, die Verbindung zu Corona war die Frage der Lektorin, die von Charles Lewinsky verneint wurde. Corona Bücher, die jetzt zu Hauff geschrieben ist, interessieren ihn und die Leser nicht.

Die Sätze und die Kapitel in dem Buch sind sehr kurz, wurde von der Lektorin erwähnt und Charles Lewinsky hat ein Kapitel daraus gelesen, wo der Junge, der bald vom Waisenhaus zur Arbeit geschickt wurde, da hungrig über den Markt, streift, einen Apfel stiehlt, deshalb verhaftet und dann in den Krieg geschickt wird. Napoleon hatte eine Armee, die aus lauter kleinen Leuten bestand, die auf ein Pferd aufspringen mußten und der Protagonist war sehr klein. Hier erwähnte Charles Lewinsky wieder, daß er auch einer ist, der keinen wirklichen Plot hat, wenn er zu schreiben beginnt. Ein Bauchschreiber halt, wie die meisten Profis, während man in der “Romanschule” ja das Plotten lernt und so ist diese Armee entstanden, die es wirklich gegeben hat. Er zieht dann, weil es zu wenig Pferde gab, zu Fuß in den Krieg, verliert dabei drei Finger und macht sich auf die Suche nach seinen Vater.

Die Lektorin fragte dann noch, ob Charles Lewinsky eine Vorliebe für Waisenhauskinder hat, weil der “Halbbart” ja auch ein Waisenkind ist, was Charles Lewinsky ebenfalls energisch verneinte.

Jetzt muß ich das Buch noch lesen, mal sehen ob es zu mir kommt, aber ich bin ja momentan sehr mit dem, Buchpreislesen beschäftigt und die Buchhändler und die Blogger, die sich zu Wort meldeten und Fragen stellten, waren wieder, wie bei den Talk über das neue Buch von Stefanie van Schulte, das ich inzwischen gelesen habe, sehr begeistert.

Der Stotterer

Der 1946 in Zürich geborene Charles Lewinsky, der 2014 mit seinem “Kastelau” auf der dbp-Liste stand, hat ein neues Buch geschrieben, das mich schon vom Titel her sehr berührte, habe ich doch in meiner Zeit als Assistentin an der Sprachambulanz der zweiten Hno-Klinik des AKHs und später in meiner Praxis sehr viel mit Stotterern gearbeitet und auch ein Fach- beziehungsweise Elternratgeberbücher darüber geschrieben, obwohl ums Stottern geht es eigentlich gar nicht, das ist nur der Aufhänger für das, würde ich mal schreiben, brillante Alterswerk des Autors, der ein grandioser Schelmenroman ist.

Beginnt man das Buch, das mit einem Brief an den “Padre” beginnt, fühlt man sich zunächst einmal nach Spanien und in alte Zeiten zurückversetzt, denkt, “Alles schon gelesen!”, denn da schreibt einer aus dem Gefängnis Briefe an den Gefängnisseelseelsorger, dem er sein Leben erzählt, das ist der “Stotterer” Johannes Hosea Stärckle, der, wie schon der Name verrät, ziemlich bigotte Zeiten durchlebte, wurde er in seiner Kindheit von seinem frommen Vater für das Stottern und wahrscheinlich noch für einiges andere geschlagen und der Vorstand der christlichen Gemeinde Bachofen, zu dem ihm der Vater brachte, wollte ihm auch das Stottern austreiben, ebenso wie einem Homosexuellen seinen Homosexuelalität.

Wenn ihm der Vater schlug, hat er immer gesagt “Das tut mir mehr weh als dir!”, wofür sich der Sohn als der Vater mit Krebs im Sterbebettt vor sich hinstöhnte rächte, in dem er diesen Satz immer wieder stotternd wiederholte und den Kirchenvorsteher hat er später in den Selbstmord getrieben, in dem er ihm biblische Sprüche zuschicken ließ in denen Pornographie  an Kindern, verborgen war, wofür er ihn zur Anzeige brachte.

Man sieht Charles Lewinsky, der ja auch Filmemacher war, hat es mit seinem “Stotterer” faustdick hinter den Ohren, denn der schlägt alglatt und elegant zurück und weil er nicht so gut sprechen konnte, verlegte er sich auch bald aufs Schreiben.

Schrieb den, der ihn in der Schule mobbte, zuerst seine Schulaufsätze und dann fingierte Liebesbriefe, bestellte ihn nackt mit einer Rose in die Schulgarderobe, wo ihn allerdings nicht die Angebetene, sondern die ganze Schulklasse erwartete.

So ist es dann weitergegangen. Zuerst hat er in einem Callcenter oder Datingagentur gearbeitet, wo er den Schönen fürs schöne Geld  schöne Briefe schrieb und, als er dort entlassen wurde, hat er den “Omatrick” für sich veredelt, weil er damit aber zu blumig war und die gleiche Phrase von einem “Quietschenden Fahhrad eines Postbotens” gleich zweimal verwendete, wurde er ertappt und landete im Gefängnis, wo ihm der “Padre” entdeckte und zum Schreiben ermunterte.

Jack Unterweger ist das in Krems Stein vor vierzig Jahren auch passiert und es ist ihm, wie man wohl zfsammenfassen kann, nicht so gut gelungen.

Johannes Hosea gelingt es aber, denn der “Padre” verspricht ihm einen Posten in der Gefängnisbibliothek, die ihm unterstellt ist, wenn er ihm dafür Berichte aus seinem Leben schickt.

Als er das dann gleich wieder zurücknimmt und ihn in die Küche einteilen will, ist Johannes Hosea sehr empört und wehrt sich mit gekonnten Worten, das ist wohl das Neue in dem Buch. Er empört sich auch darüber, daß das Stottern als Sprachfehler bezeichnet wird, denn wenn ich nicht sehen kann, fehlt mir die Sehkraft,  ich habe aber keinen Fehler, worüber man nun  diskutierten kann, ob etwas, was einem fehlt ein Fehler ist? Sprachlich stimmt es, politisch korrekt ist es nicht, aber Letzteres wird von den Rechten ja gerade auch sehr angefochten.

Der “Padre” ermuntert ihn auch zu Schreibübungen, so sind dem Buch immer wieder Geschichten beigefügt, die er an ihn Padre schickt, als der in der ersten aber “Autobiografische Elemente”, zu entdecken glaubt, ist er wieder empört, schreibt die nächste Geschichte nur für sich selber und fängt das Tagebuchschreiben an.

Der “Padre” ermuntert ihn auch, an einem Schreibwettbewerb zum Thema “Gerechtigkeit” teilzunehmen, der er gewinnt, so daß sich bald ein Verleger an ihn wendet und Johannes Hoseas literarischer Aufstieg beginnt, denn Geschichten aus dem Leben eines Gestrauchelten wollen die Leute ja gerne lesen und so geht es wahrscheinlich nach der Entlassung in eine schriftstellerische Karriere oder, siehe oben, auch nicht, das wird dann nicht mehr beschrieben. Vorher kommt es aber noch zum Kontakt mit der Gefängnismafia, die in die Bücher, die an die Bibliothek geliefert werden, auch andere Sachen einschmuggelt und Johannes Hosea da zum Mitmachen zwingen.

Ein sehr fein geschriebenes Buch, ein listiges, abgehobenes Alterswerk, das manche Klischees widerholt, manche aber erstaunlich geschickt durchbricht und der vergleich zum “Felix Krull”, der einem da natürlich kommt, wird vom Autor selbst erwähnt, denn Johannes Hosea, der später nicht mehr an den “Padre”, sondern an seinen Verleger schreibt, füllt auch den berühmten Fragebogen von “Proust” aus und so ist das Buch gefüllt mit Fingerübungen, Briefen Tagebuchnotizzen etcetera, die vielleicht etwas zusammengestoppelt wirken können und die Idee ist wohl auch nicht so wirklich neu, trotzdem ist sie gerade dadurch was Lewinsky daraus macht sehr gelungen und das Buch wahrscheinlich sehr zu empfehlen.