Noahs Fest

Einen Text könnte ich darüber schreiben!”, dachte Mathilde und seufzte vor sich hin. Sie seufzte tief, nahm einen Schluck Kaffee und blickte auf das vor ihr liegende Bild.

Die Arche Noah und den Einzug der Tiere in das Schiff, daß sie und die Menschheit vor der Sinflut in die sicheren Gefilde des anderen Ufer retten sollte, stellte es dar.

Ein schönes Bild und leicht darüber eine Geschichte zu schreiben, sehr leicht sogar.

“Noahs Fest”, könnte die Geschichte heißen und die Freude, die nach der Rettung herrschte, den Tanz und die Musik, war leicht vorstellbar. Gar nicht schwierig sich, die zu den Schalmeien- und die Flötenklänge und die sich dazu tanzenden Geretteten vorzustellen. Statt der Tier könnte man auch Menschen imaginieren. Sich zum Walzer drehende Paare auf dem Wiener Opernball beispielsweise. Die Mitternachtsquadrille oder der Einzug der Debutanten.

Die jungen Mädchen mit den schönen weißen Kleidern und den glitzernden Krönchen in den hochgesteckten Haare an der Seite ihrer Frack tragenden aufgeregten Partner mit den wohlpolierten Schuhen.

Gar nicht schwierig sich das vorzustellen oder doch natürlich, ganz klar. Und da gab es auch einen Schnitt zu dem Arche Noah Bild und den geretteten Tieren, die das schöne freuderfüllte Weiterleben garantieren sollte, denn der Opernball war vor ein paar Tagen abgesagt worden. Es würde in Folge der Covid 19 Pandemie, der sogenannten Corona-Krise im nächsten Fasching keinen Opernball geben und die Rettung war noch nicht erfolgt. Noch lange kein Freudensfest angesagt und daher kein Grund einen solchen Text zu schreiben. Denn ganz im Gegenteil verzeichnete die Wiener Polizei derzeit täglich oder besser nächtens über hundert Einsätze, um in den Lokalen und Diskotheken, die unerlaubten Parties zu kontrollieren und Strafen auszustellen, wenn die geforderten Corona-Maßnahmen nicht eingehalten wurden.

Die Rettung war noch nicht erfolgt und Freudesfeste deshalb nicht angesagt. Ganz im Gegenteil.

“Alles was schön ist, ist gefährlich und gehört verboten!”, hatte doch der junge und ebenfalls recht attaktive Bundeskanzler vor ein paar Tagen gesagt, als er die neuen verschärften Coronaregeln, angesichts der angestiegenen Infektionszahlen verkündet hatte.

“Es ist ganz einfach und kinderleicht zu merken!”, hatte er gemeint.

“In den Innenräumen ist die Maske der sogenannte Mund-Nasenschutz zu tragen und private Feiern dürfen zehn Personen nicht übersteigen! Ganz gleich, ob es sich dabei um Geburtstagsfeste, Hochzeiten oder Weihnachtensfeiern handelt und in München gibt es das Alkoholverbot auf den belebten Plätzen. Kein Oktoberfest und kein Bierausschank auf der Theresienwiese, denn kommt man sich zu nahe steigt die Infektionsgefahr und wir werden demnächst täglich positiv Getestete haben! Können die Zahlen dann nicht mehr kontrollieren und die Infektionsausbreitung nicht mehr rückverfolgen! Deshalb werden und müßen wir schärfere Maßnahmen setzen und die Lokale ab zweiundzwanzig Uhr schließen, damit die Reisewarnungen vielleicht aufgehoben werden und wir im Winter schifahren können!”

“Uje, uje!”, dachte Mathilde und griff nach der vor ihr stehenden Tasse, um einen tiefen Schluck nehmen und dann auf das vor ihr liegende Bild zu schauen, daß sie zu ihren höchstpersönlichen Freudensfest inspirieren könnte.

Uje, uje, denn noch war die Arche nicht abgefahren, der Sinftlut nicht entkommen, das Licht am Ende des Tunnes, das der Kanzler seinen Schäfchen vor einigen Wochen ebenfalls versprochen hatte, nicht erreicht.

“Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels!”, hatte der Kanzler gesagt und im März hatte er von der Auferstehung zu Ostern gesprochen, die es da zu feiern gäbe. Dann war aber der Besuch der Großeltern von ihren Enkelkindern und das Eiersuchen verboten gewesen. Der Lockdown angesagt, der die verdammten Covidzahlen auch sehr schnell zum Sinken brachte. Aber dann waren die positiven Testergebnisse wieder angestiegen.

“Testen, testen, testen!”, hatte der Kanzler gesagt.

“Wir müssen täglich die Zahl fünfzehntausend erreichen!”

Jetzt war das erfolgt und die Zahl der positiv Getesteten auf sechs- sieben- oder sogar achthundert täglich angestiegen, wenn das auch vorwiegen junge Leute waren, die sich vorher auf den berühmten illegalen Parties am Donaukanal und auch am Schwedenplatz getroffen hatten, um schon ihre Auferstehung, ihr Licht am Ende des Dunkels, ihr persönliches Freudensfest zu feiern, obwohl die Rettung noch nicht erfolgt war.

Oder doch vielleicht, da ja nur ein kleiner Teil der positiv Getesteten tatsächlich krank wurde und das Virus vielleicht gar nicht so gefährlich war, wie man am Anfang glaubte.

Vielleicht lag die Auferstehung in dieser Erkenntnis und gar nicht so sehr in der Erwartung auf eine erfolgte Impfung, die die Rettung bringen könnte.

Vielleicht brauchte man sich nur auf die tatsächlich Erkrankten konzentrieren und ihnen die beste Behandlung garantieren und konnte das zwanghafte Testen an den Grenzen bei den Urlaubsrückkehrern und in den Schulklassen bei den hustenden Kindern unterlassen. Vielleicht war damit das Ende des Tunnels erreicht und die Rettung erfolgt, dachte Mathilde hoffnungsvoll und wollte schon diesen Satz in ihr Notizbuch schreiben, als sie zusammenzuckte und den Stift erschrocken fallen ließ.

Nein, stop und halt und großes Ungewitter! Das ging doch nicht! Denn das waren vielleicht nur Fake News, die ihr da eingefallen waren. Obwohl es die Stimmen einiger gar nicht so unbekannter Virologen waren, die das schon vor ihr sagten. Aber das waren die Verschwörungstheoretiker, die Aluhutträger und Coronaleugner, die solches dachten, denn “Testen, testen, testen!”, hatte der junge Kanzler gesagt und wollte offenbar nicht darauf hören, da es ja auch hieß, daß der, der sucht, auch finden würde.

Die Nadel im Heuhaufen und das Virus im Nasenschleim.

“Wir testen uns die Pandemie vielleicht herbei!”, hatte ein solch kritischer Experte ja gemeint.

“Sollten uns stattdessen auf die wirklich Kranken beschränken und könnten dann vielleicht auch mit dem Virus leben, statt ihm, in der Hoffnung es auszurotten, davonlaufen zu wollen.

So hatte der Satz wohl nicht gelautet und die Arche des Noahs hatte das rettende Ufer erreicht. Noah war mit seiner Bamubusflöte den Tieren forangeschritten, hatte auf der Wiese halt gemacht und die hatten in ihrer Freude, das rettende Licht erreicht zu haben, angefangen Walzer und Polka zu tanzen. Vielleicht wurde dazu auch ein Gäschen Wein oder Bier getrunken, während sie sich, wenn sie ins Gasthaus gehen wollte, um ihren Liebsten zum Nachmahl zu treffen, sich in eine Liste eintragen und ihren Namen und ihre Adresse angeben mußte und eine Maske mußte sie sich auch aufsetzen, um sich und die anderen vor Ansteckung zu schützen, während man früher bei den jährlichen Schnupfenviren auf die Abwehrkräfte, den täglichen Apfel und den Tee mit Zitrone vertraut hatte und wieder gesund geworden war. Aber das war jetzt vorbei.

“Lang lang ists her!”, dachte Mathilde traurig und blickte auf die Zahlen, der aktiv Erkrankten, um es als tröstlich zu empfinden, daß die Krankenhäuser doch nicht so überfüllt waren, so daß man vielleicht an die Rettung glauben und ein kleines Fest feiern konnte, wenn es auch nur das Gläschen Wein zu Hause war, denn die Freude hatte sie einen Experten sagen gehört, zählten auch zur den Faktoren, die die Abwehrkräfte stärken konnten und daher besser waren, als Angst zu haben und sich zu ärgern, daß die Bälle und die Weihnachtsmärkten abgesagt wurden.

Und das, dachte Mathilde, konnte sie in ihren Text schreiben und griff wieder zum Stift.