Die verschissene Zeit

Jetzt gehts wieder nach Österreich, aber noch nicht zur ÖST, um die letzten beiden Bücher und das letzte Debut zu lesen, sondern zu Barbi Markovic, von der ich letzter Zeit viel gehört habe und zu ihrer “Verschissenen Zeit”, also richtig nach Belgrad und in die Neunzehnneunzigerjahre, eine Zeitspanne, die für die Zehn bis Zwanzigjährige, die dort höchstwahrscheinlich auch in einer Plattenbausiedlung lebte, beschissen war.

Ich habe das Buch, das ich als ich vom Volksstimmefest nach Hause gegangen bin bei Anna Jeller liegen gesehen und es mir bestellt. Barbi Markovic hat da vorher gelesen, ich bin aber zu spät gekommen. Sie hat aber sie hat von ihrem Buchprojekt schon in der “Gesellschaft” erzählt, als sie dort mit Elias Hirschl zu einer Art “Kolik Slam” eingeladen war und bei der Verleihung des “Priessnitz-Preises” ging es auch darum. Jetzt ist das Buch fertig geworden, es wurde auf der “Buch Wien” vorgestellt und das im Stream übertragen. Im Literaturhaus gab es auch eine Barbi Markovic Session.

Da wurde das Buch im Programm nicht erwähnt, weil die Veranstaltung schon früher geplant war. So war ich auf das Buch neugierig, habe es gelesen und muß schreiben, das war gar nicht so einfach, obwohl es wahrscheinlich eher ein Buch für Jugendliche ist, bzw. in dieser Sprache geschrieben wurde.

Das Ganze wirkt, wie ein Computerspiel, obwohl das siebzig Seiten Rollenspiel, das beiliegt, Papierform hat. Um eine Zeitreise und eine Zeitmaschine geht es auch und um drei Jugendliche, die im Belgrader Viertel Banovo brdo, im zwölften Stock eines Hochhauses, glaube ich, leben. Vanja, die Ich- oder besser Du- Erzählerin, denn das Buch ist in diesen Stil geschrieben, der Bruder Marko und die Freundin Kassandra, die eigentlich Sandra heißt und in einer Romasiedlung lebt, das ist die, die sehr viel schimpft und eine Besonderheit des Buches ist auch der lakonische Stil , der manchmal durchpoppt.

“Als 13-jähriges Mädchen mit “breiten Interessen” findest du es unfair, etwas zu bekommen, was man dir im Rahmen der Obsorge sowieso zur Verfügung stellen muß.”

Das ist in Belgrad der Neunzigerjahre vielleicht ein wenig schwierig, fehlt es doch an allem in den Supermärkten und auch in den Gedanken und die drei Jugendlichen wachsen in dieser Zeit auf. Der Vater der Du-Erzählerin Vanja, ein Unterleuntnant, verschwindet oder wird von ihrem Bruder während des Schulsprechtages ins Knie geschoßen, weil er auf ihn wütend ist.

Dann gibt es noch die Bambalic-Zwillinge, die Schüermafia sozusagen, die sich plötzlich vor einem stellt “Wohin willst du?, wissen willst und einem dann das Geld wegnimmt und die Pljeskavica, die man in der Hand hält, zerdepschen.

Das Ganze beginnt mit einem Art Vorspann “1984/85”. Dann geht es ins Jahr 1995, da ist Vanja dreizehn und es wird zu Silvester russischer Salat gegessen, der später old fashion wird. Die Zwillinge tragen dem Trio auf in die Villa von Gana Savic, das ist eine bekannte Sängerin einzubrechen. Später wacht Vanja im Jahr 1999 auf und wundert sich über die Zeitreise, die sie ihr Bruder und Kassandra machten.

Das Rätsel klärt sich, denn der Mann von Gana Savic, Miomir Vukobratovic ist ein verrückter Wissenschaftler, der eine Zeitmaschine erfunden hat, die er reparieren muß. Die drei sollen ihm dabei helfen und müssen dabei einen Porsche stehlen oder zu einem Medaillon kommen.

Man sieht, die Fantasy Elemente, die die Jugendlichen, der Neunzehnneunzigerjahen wohl geprägt haben. Dabei wird das Elend dieser Zeit beschrieben. Die Einflüße des Krieges, wo alle alle “schlachten” wollen, die Drogen, die Mafia, etcetera.

Da gibt es noch einen Kommandanten, das ist der örtliche Mafiaboß, der ein Restaurant namens Milosevic und eine französische Bäckerei aus der es herrlich duftet, aber niemand hinein geht, hat.

Genau beschrieben und in der verschissenen Zeit, den Neunzigerjahren hin- und hergesprungen. Von 1999 geht es nach 1993 zurück, dann wieder nach 1996 hinauf, bevor der Zeitsprung gelingt. Man in den glücklichen 2000, nämlich 2001 ist und wieder zurückgeht um die die Gelegenhheit einer zweiten Chance, alles vielleicht besser zu machen, in Anspruch zu nehmen.

Beigelegt ist, wie schon erwähnt, ein siebzigseitiges Heftchen, ein Rollenspiel, wo man das Jahrzehnt selbst verändern kann und in die Rollen des Kommandaten, von Gana Sanic, etcetera, schlüpfen kann. Die Kleidung der Zeit wird beschrieben, die richtigen oder gefälschten Markenklamotten. Die Bomberjacke, den Carlo Coluci Pullover, die Ballon hose, die Diesel-Jeans, etcetera.

Interessant, daß sich die Jugendlichen in “Diesler” und andere Untergruppen abspalten.

Spannend mit der Zeitmaschine in der verschissenen Zeit der Barbi Marcovic und ihren rauhen Tönen ein wenig mitzuschwingen und wer mich kennt, wird schon erwarten, daß ich mir eine solche Zeitreise für die Coronazeit wünschen würde, beziehungsweise das in meinem “Arbeitstitel” gerade auch ein wenig versuche, wo ich in mein erstes Digi “Wiener Verhältnisse zurückschmwimme, und im Jahr 2053 mit diesem Buch in der Tasche die Ereignisse von 2021 zu erfassen versuche.

Anmerken will ich noch, daß ich in dieser Zeit zweimal kurz in Belgrad war, einmal 1987 wo wir nach unserer Türkeireise bei der Rückfahrt bei meiner Tante Dora Halt machten und 1998 sind wir mit der Anna auch für ein paar Tage dort gewesen und da hat sich der Alfred in einem Musum über die Darstellung des Amselfelds sehr geärgert, das Plakat aber nicht fotografieren dürfen.

Die guten Tage

Jetzt kommt das letzte Buch der österreichichen Debutpreisliste und ich muß sagen der 1988 in Wien geborene und in Belgrad aufgewachsene Marco Dinic, der dann in Salzburg Germanistik und jüdische Kulturgeschichte studierte und beim “Bachmannpreis” glesen hat, macht es mir nicht leicht, mich zwischen ihm und Angela Lehner bezüglich des besten Debuts, was ja ohnehin nicht geht, zu entscheiden.

Beide Bücher sind sehr gut und schade, daß es nicht auf die  Debutpreisshortlist gekommen ist, obwohl ich länger brauchte, bis ich die Struktur erkannte und mich von dem Ton, der teilweise sehr hart rauh aggressiv und auch unsympathisch ist, mitreißen ließ.  Aber so sind sie die Kriegskinder des ehemaligen Jugoslawien, die ihre Kindheit in den Krisengebieten oder in der Diaspora erlebten und einige von ihnen äußern sich auch sehr scharf über ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Gegner.

Beginnen tut es, wie auch Verena Mermers “Autobus Esperanza” in dem sogenannten Gastarbeiterexpress, der von Wien nach Belgrad fährt. Dorthin reist der Ich-Erzähler, der glaube ich, wie an einer Stelle erwähnt wird, tatsächlich Dinic heißt, zum Begräbnis seiner Großmutter.

Dort war er lange nicht, denn der Krieg, sein Verhältnis zu seinem Vater, einem ehemaligen beamten, den er nur wüst beschimpft, hat ihn davon abgehalten.

Er soll auch den Ring der Großmutter mitbringen, den ihm diese zusammen mit ihren Ersparnissen gab, als er die Matura hinter sich hatte und sich wohl in einen ähnlichen Bus in umgekehrer Richtung gesetzt hat und sein Leben fortan in Wien als Barkeeper verbrachte.

Im Bus neben ihn sitzt ein Elektriker und Hobbyautor, der nach Belgrad reist um seine Familiengeschichte zu schreiben. Der schwafelt ih die Ohren voll, verschwindet dann an der ungarisch-serbischen Grenze auf geheimnisvolle Weise, wie er überhaupt ein eher faustischer Charakter zu sein scheint.

Der Bus fährt weiter und die Gedanken des Erzählers gehen in seine Kindheit bzw. Schulzeit zurück. Der Vater wird, wie schon beschrieben beschimpft, die Familiengeschichte erzählt, die Großmutter hat einige Söhne geboren und dann bei seinen Eltern gelebt. Die Mutter wollte zwar einstmals in Amsterdam Kunst studieren, ist dann aber doch nach Belgrad zurückgekommen.

Eine Schulstunde kurz vor der Matura wird lang und breit geschildert, wie der Geschichtslehrer, die Schüler mit seinen Geschichten nervt und unter Druck setzt. Dann kommt die Matura, die Großmutter gibt ihm das Geld, er haut ab und ist jetzt mit demRing zurückgekommen, sieht, daß der Vater klein und alt und geschrumpft ist, erlebt das Begräbnis als Farce, irrt dann in der Stdt herum und trifft an der Stelle über einem ehemaligen Konzentrationslager, das jetzt teilweise ein luxuröses Neubauviertel werden soll, teilweise aber noch die Roma aus der ehemaligen Roma-Siedlung und anderen Obdachlose in einer Bauhütte im Schmutz zusammenkauern läßt, den jetzt seltsam verjüngten Busnachbarn wieder, der sich in seiner zynischen Art über die Gegend und ihre Geschichte ausläßt und dann sein Leben aushaucht.

Das ist die Stelle die Marco Dinic auch bei der Debutlesung in der AK-Bibliothek gelesen hat. Der Erzähler geht nach Hause, trifft sein Vater erstaunlicherweise beim Lesen der russischen Dichter an, die schon früher in dem Buch vorkamen und der Erzähler söhnt sich mit ihm aus, reist am nächsten Tag nach Wien zurück oder bleibt  vielleicht auch in Belgrad zurück?

Das Ende ist jedenfalls unklar.

“Ich öffnete die Augen. War nirgends angekommen”, lauten die letzten Sätze.