Geschichte eines Kindes

Buch elf der deutschen Longlist und das zweite der österreichischen Liste, Anna Kims “Geschichte eines Kindes” schließt fast nahtlos an Celestes Ngs “Unsere verschwunden Herzen” an. Nahtlos oder nicht, denn es gibt natürlich Unterschiede. Im Sprachstil, in der Bearbeitungsart, das Thema Covid fehlt bei der 1977 in Südkorea geborenen und seit 1984 in Wien lebenden Anna Kim und auch die Beziehung darauf, aber vielleicht wurde das Buch auch in dieser Zeit geschrieben.

Der Anlaß war jedenfalls eine Sozialakte aus Green Bay, die ihr offenbar ihr Mann, der von dort stammt, übergeben hat. Eine Sozialakte aus dem Jahr 1953 und Anna Kim hatte, als sie das Buch geschrieben hat, ein neugeborennes Kind, an Hand dem sie die Entwicklung von Danny Truttmann studieren konnte und das Buch ist und das ist interessant in einer Art geschrieben, wie ich sie auch oft anwende.

Ein großer Teil des Buches besteht aus den Sozialakten, wo die Sozialarbeiter einer Diözese ein zur Adoption freigegebenes Kind, eben diesen Dannys nach seiner rassistischen Herkunft überprüfen.

Nichr zusammenzucken Sprachkorrekte, der Sozialakt wahrscheinlich von Anna Kim nachgeschrieben, ist in der Sprache von 1953 geschrieben, aher kommen dort die Worte “Neger “und “negroid” vor und die Literaturkritiker die darüber berichteten, erwähnen alle einheitlich, daß ihnen das Lesen dieser Wörter schwer gefallen ist. Aber auf die Worte kommt es wohl nicht an, sondern auf die Haltung, denke ich noch immer und die hat sich seit 1953, wo ich auch geboren wurde, bis heute noch nicht sehr verändert, obwohl wir vielleicht nicht mehr “Onkel Toms Hütte” lesen dürfen, was eigentlich total unlogisch ist oder Dreadlocks tragen dürfen, wenn wir weißer Hautfarbe sind.

Der zweite Teil, der immer wieder abgewechsend zu lesen ist und womit das Buch auch beginnt handelt von einer österreichischen Schriftstellerin namens Franziska oder Fran, die in Green Bay, Wisconsin, USA, ein Aufenthaltsstipendium hat, sich in dem ihr zugeteilten Wohnheim nicht wohl fühlt und daher zu einer Joan Truttmann zieht, die ihr ein Zimmer wochenweise vermietet und die ist, das ist interessant, die Tochter einer koreanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Hat also das asiatische Aussehen, das ihrer Vermieterin sofort auffällt und da haben wir schon die Verbindung zu Celeste Ngs dystopischen Roman und die ist mit jenen Danny verheiratet, der zur Zeit von Frans Einzug nach einem Schlaganfall in einem Pflegeheim liegt, weshalb sein Zimmer auch vermietet wird, damit Joan nicht allein ist und die übergibt Fran die Sozialakte und gibt ihr auch den Auftrag nach Dannys Vater zu suchen.

Da war also im Jahr 1953 die zwanzigjährige Telefonistin Carol Truttmann, die ihr kind zur Adoption freigegeben hat. Es im Krankenhaus zurückließ und sechs Jahre lang stöberten dann die Sozialarbeiter in ihrem Leben herum und überredeten sie ihnen den Namen des Vaters preiszugeben, damit es in der richtigen Umgebung aufwachsen kann.

Carol schweigt und wird durch eine Sozialarbeiterin namens Marlene Winckler fast in den Selbtmord getrieben. Sie muß dem Spital auch Geld für ihren Aufenthalt zahlen und tut oder hat es nicht. Das Kind wird schließlich in eine Pflegefamilie gegeben und sechs Jahre später von ihr adoptiert und zum Tänzer ausgebildet und Fran reist mit der Akte nach Wien zurück und soll dort jene Sozialarbeiterin aufsuchen, denn die ist in den Fünzigerjahren, nach dem sie Anthropologie studierte, nach Amerika ausgewandert und in den Siebzigerjahren nach Wien zurckgekehrt, in den Achtzigerjahren ist sie, glaube ich, gestorben. So trifft Fran in der Htzinger Villa nur deren Tochter Silvia an und Fran spürt ihren eigenen Wurzeln nach, nennt ihre Mutter, die sich in Korea als Krankenschwester ausbilden ließ, um nach Wien kommen zu können, nur Ha und wird zwischen ihr und der Großmutter Barbara zerrieben, die Fran ihre koreanischen Wurzeln ersparen will. So streitet sich Fran mit ihrer Mutter, wirft ihr ihre Herkunft vor, die schließlich die Villa verläßt und das Buch wirf viele Fragen auf. Und besonders spannend finde ich die Verbindung zu Celeste Ngs Buch, das ich zufällig zwischendurch gelesen habe.

Der sichtbare Feind

Der “Residenz Verlag” hat eine besondere Reihe, in der politische Essays von bekannten Schriftstellern, Schriftstellerinnen unter dem Titel “Unruhe bewahren” erscheinen.

Da habe ich schon literaturwissenschaftliche Betrachtungen von Anna Migutsch, eine Analyse von Martin Pollak zum zweiten Weltkrieg und der Lage in der Ukraine, sowie Ilija Trojanows Gedanken über die Angriffe auf die Freiheit gelesen.

Aber nein, das ist ein anderes Buch und steht, genau, wie Dave Eggers “Der Circle” amerikanischer Bestseller vom letzten Jahr noch auf meiner Leseliste, denn ich bin zwar schnell, habe aber sehr viele alte Bücherschätzchen in meinen Regalen, beziehungsweise werden, die von den E-book Nerds wahrscheinlich gerade in die Bücherschränke ausgelagert.

Pünktlich zur Leipziger Buchmesse bespreche ich aber Neuerscheinungen, ein wahrlich nur gelenkter Zufall und um die geht es auch in Anna Kims Bändchen zum “Sichtbaren Feind”.

Anna Kim, die 1977 in Südkorea geborene, die 1977 nach Deutschland und später nach Österreich gekommen ist, ist mir, glaube ich, bekannt, als ich Barbara Neuwirth vor Jahren einmal im Literaturhaus fragte, wer heuer ein Stipendium der Stadt Wien bekommen hat.

“Anna Kim!” hat sie mir geantwortet und ich habe mich gewundert, da sie  jünger als ich ist und ich bis dahin immer zu hören bekam, daß ich zu jung für ein Stipendium sei.

Die Zeiten ändern sich aber. Zu Internetzeiten noch viel schneller und als es die Büchertürme bei der “Literatur im März” noch gab, habe ich Anna Kims “Bilderspur” dort gefunden und so trägt einer meiner frühen Blogartikel auch Anna Kims Namen, sie hat dann noch einige Romane geschrieben, die sie bei “Rund um die Burg” vorstellte, sich an dem “Mit Sprache unterwegs Projekt” beteiligt, wo dann in weiterer Folge ihr Grönland-Roman entstand.

Jetzt also zwei Essays über “Die Gewalt des Öffentlichen und das Recht auf Privatheit”, was in Zeiten, wie diesen, wo wir ja alle googlen, twittern, facebooken, unsere Babyfotos ins Netz stellen, etc und uns dabei über unsere Überwachtheit aufregen, sehr interessant und wichtig ist.

“Die errechnete Gegenwart” heißt der erste Text und beginnt,  das habe ich sehr originell gefunden mit der Frage, ob Max Frisch in Zeiten, wie diesen noch seinen “Homo Faber” schreiben hätte können? Beziehungsweise stellt sie Überlegungen an, was heute passieren würde, trügen sich die Ereignisse, die Frisch schildert zu.

Nun muß ich gestehen, ich habe den “Homo Faber” nicht gelesen und es erscheint mir vielleicht auch ein wenig zu sehr in die Zukunft gegriffen, zumindest habe ich keine Ahnung was “Google Brillen” sind und kenne auch niemanden, der solche, beispielsweise in einem Flugzeug oder an anderen öffentlichen Orten trägt.

Anna Kim schreibt davon, daß diese bald in normale Brillen und sogar in Kontaktlinsen eingebaut werden würden.

Daß aber jemand die Geburt seines Kindes twittert oder das Babyfoto ins Facebook stellt, erscheint mir normal, obwohl ich ja nur blogge und dabei manchmal das Gefühl habe, öffentlich verloren zu gehen und nicht twittere und facebooke, aber auch das ist sicher ein Irrtum, denn das Netz vergißt und verliert nie, es ist alles nur eine Frage, der Priorität und das führt Anna Kim auch sehr genau aus und nennt Beispiele.

Sie spricht von Zufällen, die es Dank Google nicht mehr gibt und meint, daß unsere Zukunft durch Internet und Überwachung sehr genau berechnet wird. Nennt Beispiele von einer gefälschten Wahl in Südkorea zu Kennedys Zeiten, die damals höchste Protestbewegungen erzeugte. Heute, meint sie, regt das niemanden mehr auf, weil die Fälschungen und Manipulationen subtiler passieren und spricht von den Flashmob-Bewegungen, die Facebook erzeugen kann, die sie beuruhigen.

Da ist mir zum Beispiel, die bekannt, die in Berlin, eine vom Zusperren bedrohte Buchhandlung stürmte und sie dadurch vielleicht rettete. Die Buchhändler habe ich aber auch auf den offiziellen Facebookseiten von “Ihr Buch hat ein Gesicht gelesen”, stöhnen, wenn solche Aktionen im Weihnachtsgeschäft passieren.

Revolutionen werden inzwischen auch durch Facebook und Twitter gesteuert und da kann man bestimmt von zwei Auswirkungen bzw. Seiten sprechen, die das haben kann.

Daß wir unsere Freiheit für eine scheinbare oder auch tatsächliche Sicherheit so leichtfertig aufgeben, nennt Anna Kim “Bürgeropfer”.

Aber welche Wahl hat der Einzlene schon, sich vor der Überwachung seiner Daten zu wehren?

Richtig, er muß nicht googlen, facebooken, twittern und dort das posten, was er zu Mittag gegessen hat, wann er aufs Klo geht oder wie seine Zuckerwerte ausschauen.

Ich kenne, außer dem lieben Rudi, der das manchmal, glaube ich, spasshalber tut, niemanden, der solches praktiziert, oute mein literarisches Leben selbst sehr gern und sehr genau, stimme Anna Kim aber natürlich  zu, wenn sie “mehr Mut zur Iniffizenz” fordert, man könnte das auch vorauseilenden Gehorsam nennen und, daß in manchen Ländern in den Schulen jetzt  auf das Erlernen von Schreibschrift verzichtet wird und unsere Familienministerin, die Schulbücher abschaffen und stattdessen Kindern ab vier oder sechs I-Pads zur Verfügung stellen will, wird sicherlich auch Auswirkungen auf die spätere Lesekultur und Persönlichkeitsentwicklung haben.

Im zweiten Text “Der sichtbare Feind” wird es dann subtiler und es geht vordergründig von der erwarteten Überwachungsdimension weg, bzw. im ersten Teil in die Zeit der Spione und inoffiziellen Mitarbeiter, die ihre Verhörsprotokolle noch auf Schreibmaschinen tippten, nämlich zu der Fotografin Edith Tudor-Hart, die in der Wien-Bibliothek einmal eine Ausstellung hatte und die als Jüdin unter dem Namen Edith Suchschitzky in Favoriten aufwuchs, wo es auch eine Buchhandlung der Familie gab.

Sie ging dann nach England wurde Kommunistin, betrieb ein Fotogeschäft und spionierte für die Russen.

In den Abhörprotokollen die Anna Kim genau studierte, fanden sich auch ihre Liebesbriefe. Später hörte sie zu fotografieren auf, verbrannte ihr Archiv und wurde Antiquarin.

Auch hier könnte man spekulieren, wie die Überwachung in Zeiten, wie diesen aussehen würde. Anna Kim tut es nicht, sondern konzentriert sich in ihrem zweiten Essay auf ihre eigene Geschichte und spricht da von “Schattensprache”,  der “Tyrannei der Sichtbarkeit” und erinnert sich daran, wie sie als kleines Kind durch die Straßen Deutschlands ging und ihr die Leute in die Haare griffen, das so “fest wie Roßhaar war”.

Auch mit der Sprache war es nicht so einfach, denn sie mußte für die Eltern dolmetschen, obwohl die Mutter Deutsch, glaube ich, schon in Korea sprach. Kam dadurch in einen Rollentausch und das Koreanisch wurde zu zweiten, zur “Schattensprache” und wenn sie es in Seoul verwendet, reden die Koreaner auf Englisch zurück.

Und um den Bogen wieder zurück und in die Verallgmeinerung zu spannen, der auch im ersten Text sichtbar war, kommt Anna Kim zu dem Schluß, daß der Fremde das Recht auf seine Privatheit verliert und zum allgemeinen Überwachungsgut wird.

Darüber lohnt es sich sicher nachzudenken und mir fallen dazu die vielleicht allzuzwanghaften Bemühiungen ein, unter Integration in erster Linie Deutsch lernen, zu erlangen und auch einen Kindergartenzwang für alle zu fordern, beziehungsweise soll es ja schon Diskussionen gegeben haben, den ausländischen Kindern in der Schule, die Muttersprache, die Anna Kim  Schattensprache nennt, zu verbieten und auch die Bemühungen ein türkischsprachiges Gymnasium in Wien zu verhindern, eh klar, da man, wenn man nicht versteht, die Kontrolle über die anderen verliert, die sich ja auch über einen lustig machen könnten.

Ein interessantes Buch, dessen zweiter Teil mich etwas erstaunte, vielleicht weil ich in dem Vorurteil befangen war, weiter über “Abhörskandale und Rasterfahndungen” etwas zu hören, aber ” Aus der Logik der Überwachung entsteht die Figur des “sichtbaren Feindes” klärt  schon der Buchrücken auf und darum scheint es Anna Kim in ihren Essays, die, wie im beiliegenden Prospekt steht “Stellung zu wesentlichen Fragen zur Zeit” nehmen, zu gehen.