Milzschnitten und andere Spezialitäten

Jetzt kommt ein Erzählband meiner GAV-Kollegin C.H.Huber, in Innsbruck gboren, die ich beim vorigen “Kulturpolitischen Arbeitskreis” kennenlernte und der in der “Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative” herausgekommen ist.

Vierzehn Geschichten auf etwa hundertfünfzig Seiten.

“Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig”, steht Klagen vorbeugend, unterm Inhaltsverzeichnis, das mache ich auch manchmal und auf der Seite vorher steht “Für Hannah, später”, ist das jetzt eine Widmung oder ein Motto? Man weiß das nicht so genau.

Die erste Geschichten sind die “Milzschnitten” und da geht es, um eine rüstige Pensionistin, die sich ebenfalls vorbeugend in eine Seniorenresidenz oder besseres Altersheim zurückgezogen hat und da am Stefanitag vor ihrer Nudelsuppe sitzt und an die Stefanitage denkt, wo sie ihrer Familie “Milzschnitten” und anderes für die Suppe aufgekocht hat.

Die ganze Familie ist da zusammengekommen, auch Walter, der Ex und die Kinder und eine Tante wurde aus dem Altersheim geholt, damit die noch einmal ein  richtiges Weihnachten im Kreise ihrer Familie erleben kann. Und wie das Schicksal es so wollte, ist die dann da über Nacht gestorben und die Pensionistin geht in ihr Bett, legt sich  nieder und denkt: “Noch werde ich wieder aufwachsen. Sicher ist aber nicht einmal das.”

Das mit der zufälligen Ähnlichkeit der handelnden Personen, wird  schon bei der zweiten Geschichte “Gross.Atemlas” im Titel hintertrieben, weil da ist einer, der Wissenschaftler, der im dritten Reich in einer psychiatrischen Klink seine Pflicht tat und jetzt durch “den jungen Chirurgen und anderen Widersachern”, an seinem gemütlichen Lebensabend gehindert wird.

Da tue ich mir ein wenig schwer, wenn die eigenen Regeln so offensichtlich gebrochen werden und auch die anderen Geschichen waren beim Lesen manchmal schwierig.

Handelt es sich da ja oft um Monologe, ohne direkten Handlungsaufbau  auch ohne Show und Tell, sondern da wird und ich gebe schon zu, ich tue das manchmal auch, unendlich monologiesiert und dabei auch noch, wie bei den “Perspektiven” von der einen zu der anderen hurtig hin und hergesprungen.

Da monologisiert ein Mann über seine Frauen und ich dachte zuerst nach der Gross-Geschichte, aha, da geht es um den Jack Unterweger, aber der Mann hat Freundinnen, eine Ex-Frau, eine Mutter die im Altersheim dahinvegetiert, dann geht es wieder auf ein Begräbnis und so weiter und so fort.

Das Monologisieren wiederholt sich  auch in den nächsten Geschichten.

Im “Purgatorium” kommt ein Gott offenbar wieder auf die Erde und hatProbleme mit den “Sexsklavinnen” der heutigen Zeit, die leider nicht mehr so problemlos mitmachen, wie er das von seinem früheren Leben gewohnt war.

In einer der nächsten Geschichte geht es um eine Frau, die sich um den Mann in ihrer Küche ärgert.

Ein wenig verständlicher wurde es  für mich erst wieder bei “Frau Irma oder die Liebe zum Gesang”, denn da erzählt eine Frau über ihr verfehltes Leben, beziehungsweise ihre Angst, die sie vor den Schlägen der Eltern, im Kindergarten, in der Schule ausstand und, die sie nur durch das Singen kompensieren konnte.

Auch der Ehemann war mit ihr unzufrieden, weil sie keine Kinder hatte ,während sie “Von der Übelkeit, vom verzweifelten Herabspringen vom Tisch damals und den Kräuterbändern, den Stricknadeln…” etcetera sinniert.

Im Klappentext steht etwas vom Spiegel, den die Autorin der Gesellschaft in ihren deutlichen  Worten der Gesellschaft vorhält, Helmut Schönauer hat auch in bewährter Manier eine Rezension über das Buch geschrieben und spricht von der “abgehangenden Melancholie” iund “atemlosen Nennformgruppen” und ich bemerke wieder einmal, daß mir das Lesen von Erzählbänden Schwierigkeiten macht, da die nötige Konzentration aufzubringen, mich im zehn Seiten Rhythmus von der einen auf eine andere Welt einzulassen.

H.C. Huber mit ihrer intensiven Sprache und ihrer Monologform, mit der in das Denken und das Fühlen der anderen hineingleitet, machte es mir dabei besonders schwer.

“In trautes Heim”, geht es dann weiter mit einer Ich-Erzählerin und zwar einer Frau, die für ihren Mann das Gulasch und die Polenta auftisch, dann mit ihm Sex hat, schlafen geht, am nächsten Morgen das Frühstück vorbereitet und während er in die Arbeit geht, ruft sie dann eine nur ihr vertraute Nummer an.

Bei der nächsten Geschichte “Totschlagen” geht dann weiter in einem endlos Monolog über Gott und die Welt, die Poltiker und all die anderen Schwierigkeiten, die einem im Laufe des Lebens so behindern und ich dachte zuerst, das ist die Fortsetzung vom “Trauten Heim”, nur daß die Frau, die Lamentiererin, die auf ihren Mann wartet, jetzt Knödelsuppe, statt Gulasch mit Polenta kocht.

Im Laufe der etwa fünfzig Seiten der Erzählung kommt man darauf, die Frau ist eine Friseurin und der Mann, der nicht kommt, eigentlich nur ihr Freund, ein Schriftsteller.

Sie ißt während sie auf ihn wartet und räsumiert, die Suppe und das Steak selber und dann beginnt sie sich mit Schlaftabletten für den Suicid in ihr Bett zu legen, immer in der Hoffnung, daß er vielleicht doch noch kommt.

Bei “Liebe Butzerln” macht sich eine “Fensterguckerin” Sorgen um das noch nicht geborene Kind der Frau gegenüber und ärgert sich über die “Gfraster”, der Flüchtlinge, die ihnen ins Haus gesetzt wurden.

Dann beobachtet ein Bademeister eine “fette Blondine” und durchlebt dabei seine Träume und bei “Späte Wanderung” umrundet offenbar einer mit einer Demenzdiagnose einen See.

Viele Themen werden, wie man lesen kann, hier angeschnitten, Gedanken über die Sterbehilfe” tauchen immer wieder auf und immer wieder geht es um das Monologisieren, was es mir, wie schon beschrieben ein wenig schwer mit der Aufmerksamkeit machte.

Sonst aber spannende Geschichten auf dem und für das Leben einer vielleicht noch nicht so bekannten Tiroler Autorin, von der ich übrigens noch einen Gedichtband auf meinen Badezimmerstapel liegen habe, aber wann ich da  zum Lesen komme, ist  noch nicht ganz klar.

Mir ist die Zunge so schwer

Weiter geht es mit den jungen Talenten, mit den “Unter Dreißigjährigen” und zu den achtzehn Kurzgeschichten über Menschen, wie im Klappentext steht, “die Zeit ihres Lebens versäumt haben zu sprechen,Täter, Opfer, Sehnsüchtige und Missverstanden, Einsame und Trauernde”, der 1990 in OÖ geborenen Lucia Leidenfrost, die seit 2014 in Mannheim lebt und am “Institut für Deutsche Sprache arbeitet”.

Einige Preise hat sie schon bekommen und es ist tatsächlich sehr beeindruckend, wie sich diese junge Frau in die Köpfe und die Hirne ihrer Großelterngeneration hineindenken kann.

“Fast hört man die Stimmen ihrer Figuren, so genau trifft sie deren Ton”, schwämt  der Klappentext und das stimmt genau, kann ich dazu flüstern, obwohl das Verstehen bei der ersten Geschichte “Erdbeer-Rhabarba null sechs” gar nicht so einfach ist.

Aber so ist das mit den Demenzen, kann die Psychologin schon mal klugscheißern und verraten, daß da eine alte Dame offenbar ihren dementen Mann pflegt und mit ihm spricht. Dabei kocht sie Marmelade aus Rhabarba, weil man ja nichts überlassen darf, die schließlich anbrennt und sie sie spricht auch immer davon, daß sie den Mann nach Hause bringen wird. Nicht ganz so verständlich für die Lesende, aber wenn ich mich plötzlich in einer Seniorenresidenz befinde und nach Hause will, kann ich vielleicht auch nicht ganz verstehen, wenn mir die freundliche Schwester mittels Validation erklärt, daß ich das schon lange bin.

In “Gefangenspielen”, geht es um die Qualen eines alten Apotheker, der im Krieg in der schlimmen Zeit, seine tauben Kinder verstecken mußte, damit sie nicht ins Schloß Hartheim kamen. Ehrenhaft könnte man  sagen, aber offenbar war er auch ein Nazi, bei der SS oder sonstwo und hatte mit dem Holzapfel Edi, der sich dem Kriegsdienst verweigern wollte, kein Verständnis. So jagte er ihn mit seinen Freunden, schoß ihn an und sperrte ihn dann ins Feuerhaus, wo er verbluten mußte.  Seither hat er  Probleme mit seiner Schwester, wenn die in seine Apotheke kommt und ihn vorwurfsvoll ansieht, denn sie hat ihn nicht verraten.

In “Flugübungen” geht es wieder in ein Spital oder in ein Altersheim, denn der alte Mann, der hier spricht und sich nach seiner Heidi sehnt, die ihm, weil schon gestorben, nur mehr des Nachts besuchen kann, machte die offenbar im Krieg und der ist schon lang vorbei. Die Erinnerungen bleiben aber im Kopf und wenn es jetzt immer weniger Menschen gibt, die sich in ihren Altersheimen noch wirklich daran erinnern können, ist es schön, wenn sich junge Leute damit auseinandersetzen und eindruckvoll und einfühlsam darüber schreiben.

Ein bißen anders geht es in “Die vom Bach zu”. Da hat einer, ein Bauernsohn, eine Selbstmörderin, die Vroni aus dem Bach gezogen und sich in sie verliebt. Sie kam, wie das damals so war, in die Irrenanstalt und er wollte sogar Pfleger werden, um ihr nahe zu sein. Der Vater hat es ihm verboten und so hat er geheiratet, sie später nur gesehen, wenn sie mit von den Medikamenten aufgeschwemmten Gesicht auf seinen Hof kam und nicht mehr so schön, wie damals war und irgendwann ist sie gestorben und er kann von ihrem Tod in der Zeitung lesen.

“Friedrich” ist auch einer, den sie jung, wahrscheinlich von der Schulbank weg, in den Krieg schickten. Einer aus einer gläubigen Familie, dessen Mutter listig den “Hitler-Gruß” verweigerte und der ihr Briefe aus dem Feld schreibt und um einen Rosenkrankz bittet. Schließlich wird er von den Russen gefangen genommen, muß ohne es zu verstehen, unterschreiben, daß er ein Nazi ist und wird nach Moskau gebracht, um dort die Stadt wieder aufzubauen, während “Janek” der Bruder von der Bäckerin Helena oder Helenka ist, deren Eltern mit den Kindern den Sprung über den eisernen Vorhang machten. Die Großeltern blieben zurück und die junge Helena sehnt sich nach ihnen und kann die Funktion eines eisernen Vorhangs genauswenig verstehen, wie was ein Lungenkrebs ist, an dessen Folgen der rauchende und Kafka lesende Vater verstarb.

Originell, die Geschichte von dem “Hans Warum”, der am Friedhof zwischen dem jüdischischen Schriftsteller Jakob Wassermann, dem nationalsozialistischen Bruno Brehm und dann noch neben einem Paul Preuß einem Bergsteiger liegt und dann kommen immer wieder die Geschichten von dem Krieg, die die junge Frau zu beschäftigen scheinen und die in allen ihren Formen erzählt werden.

Die von dem Mann, der zwischen 1938 “derisch” also taub für alle meine bundesdeutschen Lesern, wurde, damit er das was er sah, nicht der Gestapo verraten konnte oder wollte, die vom Desertieren, die ein Großvater seinen Enkeln erzählt oder besonders berührend, die von der kleinen Marianne, die fast verrückt wird, weil die Erwachsenen mit ihren Geschichten von den KZ immer verstummen, wenn sie auftaucht und die doch neugierig ist und alles wissen will und sich dann fürchtet oder natürlich auch mißversteht. Da braucht es dann schon einen jungen Kaplan, Psychotherapeuten hat es damals und am Land, wo die Geschichte spielt, wohl noch nicht gegeben, der die Füße ins Wasser baumeln und das Kind einfach fragen läßt.

Um Gewalt gegen Frauen und Kinder und das Beten, wie es am Land in der Nachkriegsgeneration offenbar so üblich war geht es auch und um das, was die Sprachlosen, ihren Kindern nicht oder schon sagen können, so erfährt eine oder eine am Sterbebett des Vaters von der Existenz eines Halbbrunders und eine ebenso sprachlose Mutter will ihren Sohn, der inzwischen im Ausland lebt und zum Abschied “Bis denne” sagt und den sie nur ganz gelegentlich in Wien in der Konditrei Adia visa a vis der Oper seinen Mutterkuchen mitgegeben.

Und wieder sehr berührend die letzte Geschichte in denen die Kinder Briefe an die tote Mutter schreiben. Sie sprechen davon von den Honig und den Marmeladegläsern, die sie sie ihnen als ordentliche Hausfrau offenbar hinterlassen hat und diie sie jetzt langsam leeressen. Von Bienen ist viel die Rede und von Zeichnungen des Großvaters der offenbar in einem KZ gewesen ist. eines Tages finden die Kinder den Vater erhängt im Bienenhaus, sie geben ihm Honig, Marmelade und die Zeichnungen in den Sarg und winken ihm nach.

Sehr beeindruckend die achtzehn Geschichten in der sich eine sehr junge Frau sprachlich sehr prägnant und mit sehr originellen Ansätzen mit den Gewalt- und Kriegserfahrungen ihrer Eltern- und Großelterngeneration auseinandersetzt und sie sowohl stimmig, als auch höchst literarisch umsetzen kann.

Bei “Amazon” hat ein Leser beklagt, daß die Geschichten so schnell verschwinden und nicht dicht genug sind.

Ich habe sie sehr eindringlich und gar nicht banal, wie ich auch gelesen habe, sondern laut gefunden, obwohl sie vielleicht leise geschrieben sind und wundere mich immer noch, daß eine so junge Frau so viel vom Leben ihrer Eltern und Großeltern weiß und das dann auch noch literarisch gestalten kann.

Ebenfalls sehr eindringlich und schön ist die graphische Gestaltung des Bandes, der bei mir hängen bleiben wird und den ich vielleicht auch den Kindern und den Enkelkindern empfehlen kann, damit sie besser verstehen können, wie es  damals war und ich, merke ich, am Schluß noch an, gehöre, als eine 1953 in der Großstadt in einen atheistischen Haushalt Geborene, die den Krieg nicht selbst erlebte auch schon der Nachkriegsgeneration an und kann vieles so nachempfinden, obwohl meine Eltern, auch wenn sie keine Täter waren, ebenfalls nicht viel davon gesprochen haben.

Aber die Zunge ist den frisch aus dem Wahnsinn, den man nicht wirklich verstehen kann, entkommenen eben schwer, wie auch die Titelgeschichte zu erzählen weiß.

 

Unter der Sonne

Jetzt kommt wieder etwas ganz Altes, nämlich Daniel Kehlmanns, 1998 bei “Deuticke” erschienener Erzählband “Unter der Sonne”, da war der 1975 in München geborene und in Wien aufgewachsene Sohn des berühmten Regisseurs Michael Kehlmann, gerade dreiundzwanzig.

“Beerholms Vorstellungen”, das ich mir einmal in einem Antiquariat in der Kirchengasse, um dreißig Cent kaufte, war da schon erschienen und das Buch stammt aus einem der Bücher-Türme der “Literatur im März”, wo ich mir ja damals viel mitnahm und langsam aufzulesen versuchte, als ich mir vor ein paar Jahren alle meine ungelesene Bücher auf meine Leseliste schrieb. Die habe ich im vorigen Herbst mitten meines Buchpreislesens, als sich die Rezensionsexemplare türmten und ich sah, daß ich sie nicht, schaffte, wieder umgeändert.

“Unter der Sonne” ist daraufgeblieben und das Buch passt jetzt auch ganz gut, wurde gerade ein Theaterstück von Daniel Kehlmann, der ja inzwischen aufgestiegen und berühmt geworden ist, in der Josefstadt aufgeführt, deshalb war er auch in der Sendereihe im Gespräch und eine Frage beim Ö1-Quiz und ich habe von den noch nicht so berühmten Kehlmann “Der fernste Ort”, 2001, bei “Rund um die Burg” sowie in der “Alten Schmiede” gehört und die dabei gemachten Erfahrungen in meiner “Viertagebuchfrau” verarbeitet.

Dann kam 2003 “Ich und Kaminsky”, alles schon bei “Suhrkamp” erchienen und der kleine österreichische “Deuticke” und inzwischen “Hanser-Ableger” leidet ja noch immer, daß der große Khelmann ihn verlassen hat, obwohl schon ein Vertrag, für dann bei einem anderen Verlag erschienenes Buch, geplant oder vorhanden war.

Nun ja, die “Vermessung der Welt” erschien 2005 bei “Rowohlt” und machte den Autor schlagartig mit einem historischen Roman berühmt, interessant, bei dem Radiointerwiew sagte er, daß er in seinem Literaturstudium gelernt hat, daß man ja nicht, unter gar keinen Umständen mehr einen historischen Roman schreiben dürfe und dann kam vielleicht auch ein Knick, denn die späteren Werke sind möglicherweise nicht mehr so erfolgreich oder bekannt geworden.

“Ruhm” habe ich jedenfalls gelesen und den Roman “F” 2013, als ich noch nicht so buchpreisbloggte auf der LL des dBps und jetzt ein Griff zu den Anfängen und die sind, ich schreibe es gleich, sehr interessant.

Richtig, etwas habe ich noch vergessen. In einer der aus Leseproben zusammengeknipsten Gratisbücher zum Welttag des Buches des Hauptverbands, war einmal eine Kehlmann-Geschichte, die mich sehr beeindruckt hat, sonst würde ich den inzwischen auch nicht mehr so ganzen jungen Mann ja eher für einen sehr eifrigen und ehrgeizigen Schreiber halten, der vielleicht auch gut gefördert wurde und jetzt sind diese Kurzgeschichten, die ich ja gar nicht so gerne lese, auch höchst eindrucksvoll.

“Bankraub” heißt die erste und da wacht ein höchst mittelmäßiger junger Mann mit einem ganz gewöhnlichen Leben, der eine kleine Wohnung hat, gerne Bücher liest, aber sonst keine Interessen, auf und hat, als er seinen Bankauszug ansieht, plötzlich durch einen Irrtum ein paar Millionen auf dem Konto. Er hebt sie ab, bekommt sie sonderbarer Weise auch gleich in einem Koffer, nimmt ein Taxi, fährt zum Flughafen und dann an einemfernen Ort, um dort ein neues Leben zu beginnen.

Geht wahrscheinlich und passiert auch in Echtzeit nicht, ist aber sicher der Traum des kleinen Mannes und sehr gut und sehr präzis erzählt, das ist wahrscheinlich auch Daniel Kehlmanns Stärke.

“Töten” heißt die zweite und erzählt von genausoviel Mittelmäßigkeit, vielleicht auch ein Kehlmann Thema.

Sommerferien, irgendwo in einer Gartensiedlung, ein gelangweilter Vierzehnjährigerärgert sich über den Hund des Nachbarn, schnappt im rennenden Fernseher ein paar Sätze über das Böse im Menschen auf, geht auf die Straße findet einen Ziegelstein, schmeißt ihn auf ein Auot, geht zurück, klaut der Mutter Wurst aus dem Kühlschrank, vermischt sie mit Rattengift, füttert den Hund damit und die Mutter fragt beim Essen “Wunderbares Wetter, nicht. Genau richtig für die Ferien. War das nicht ein schöner Vormittag?”

“Doch!”, sagte er dann, “doch ja. Er war ziemlich gut!”.

Für mich noch beeindruckender die Titelgeschichte, in der ich  Vorstudien für “Ich und Kaminski” vermute, denn da geht ein, wahrscheinlich, wie Kehlmann sagen will, wieder mittelmäßiger Literaturdozent auf die Suche nach seinem Idol, der heißt Bonvard und ist ein schon verstorbener Dichter, der einen Roman oder eine Trologie unter dem Titel “Unter der Sonne” geschrieben hat und Kramer, so heißt der erfolgllose Dozent hat sein ganzes Leben ihm gewidmet. Seine Bücher gelesen, vielleicht wegen ihm Literaturwissenschaft studiert, Diplomarbeit, Dissertation, jetzt die Habilitation, die in einem mittelmäßigen Verlag erscheinen soll, allles ihm gewidmet. Er hat ihm auch öfter Briefe geschrieben und ihm seine Verehrung ausgedrückt, keine Antwort, der Sekretär des Berühmtes hat die Briefe wohl alle weggeschmissen. Jetzt soll das Buch “Bonvards Grab” heißen. Ein Foto von desselben ist aber nicht aufzufinden. So reist der Wissenschaftler in der Sommerhitze, an den kleinen französischen Ort, wo der Dichter lebte, hetzt einen Berg hinauf auf den Friedhof, um vom Gärtner dort zu erfahren, das Grab liegt in einem anderen Ort. Er fährt dorthin, aber der Zug ist ein schneller, der nicht stehen bleibt, sondern direkt nach Paris fährt, wo der Wissenschafter auch am Abend einen Vortrag halten muß. Jetzt erkennt er seine Mittelmäßigkeit und fängt im Zug zu weinen an und der Schaffner geht betreten hinaus.

Nun, das ist vielleicht ein wenig übertrieben und was soll eine seit über vierzig Jahren erfolglos Schreibende, der öfter von ihren Kriikern geraten wird, doch endlich damit aufzuhören, zu dem Text eines Zwanzigjährigen sagen, der inzwischen viel höher aufgestiegen ist?

Den Nobelpreis, den Bonvard übermütig ablehnte “Solche Ehrungen der Mittelmäßigkeit benötige ich weder künstlerisch noch finanziell”, hat er aber noch nicht und wird ihn vielleicht auch nicht bekommen, denn wir haben ja schon eine Nobelpreisträgerin und Deutschland, wo Kehlmann jetzt wieder zu leben scheint, hat die auch schon und so füge ich nur hinzu, daß ich auch einmal an einem sehr heißen Sommertag auf den Grinziger Friedhof hinausgegangen bin und während die anderen in wahrscheinlich fröhlicher Runde beim Leichenschmaus saßen, vergeblich das Grab unseres Idols Thomas Bernhard suchte und es auch nicht gefunden habe, aber ich bin ja eigentlich kein Fan der großen Meister und also auch von diesem nicht.

Mit der genauen Beschreibung der Sinnlosigkeit des durchschnittlichen Lebens beziehungsweise dessen Extremsituationen geht es weiter.

In “Auflösung” verschwindet einer in die Psychiatrie, weil er die Zeit verliert. in “Pyr” legt ein Pyromane seinem Autor die Liebe zum Feuer in die Feder und in “Schnee” verschwindet der Direktor einer Firma in den weißen Massen und erlebt ein nie geahntes Glücksgefühl dabei.

Wie schon gewußt, sehr präzise und genau erzählt “Ein Fall von früher Meisterschaft”, schrieb die “Abendzeitung am Buchrücken.

Wir wissen  nun inzwischen, wie es mit Daniel Kehlmanns Begabung weitergegangen ist.

 

Unzeit

Aus “Leipzig” habe ich mir eine Reihe Bücher mitgebracht, die man sich so von den Ständen klauben konnte.

So hatten die” oberösterreichischen Autoren” ja ein Tischchen, wo sie Bücher zur freien Entnahme hatten und interessant, der Vortrag von Professor Wagner über Bernhard und Hanke, den ich vor ein paar Jahren bei den “Wiener Vorlesungen” hörte, als ich kurz danach nach Leipzig fuhr.

Das “Marbacher Literaturinstitut” hat, glaube ich, bevor es nach Leipzig fuhr, seine Bestände ausgeräumt und die Exemplare, die es nicht haben wollte, so ein “Jahresband zur Dostojewski-Forschung”, einen “Brobowsky-Band” und dann noch etwas zum “Joachim Ringelnatz-Preis”, “Amazon Kindle Publishing Books” gab es zur freien Entnahme und ich habe auch ein paar Bücher angefragt, als ich zurückgekommen bin.

Hans Weigels “Unvollende Symphonie” habe ich schon besprochen und Marlen Schachingers “Unzeit” zu lesen angefangen, denn der Alfred war auf ihrer Lesung im “Österreich Cafe”, ich nicht, wir trennen uns ja nach dem Eingang immer, erst durch ihr Foto bin ich auf ihr neues Buch aufmerksam geworden, das heißt, während ich in Leipzig war, hat jemand meine “Denn ihre Werke folgen ihnen nach-Besprechung” verlinkt.

Die 1970 in OÖ Geborene ist eine, deren literarischen Aufstieg ich , ähnlich wie dem, der Gertraud Klemm, hautnahm verfolgen konnte, den ihren vielleicht noch genauer, denn “Morgen vielleicht”, ihr erstes Buch, hat die Ruth in ihrer “Donau Edition” herausgebracht.

Ich habe es mit ihr getauscht und sie war  auch eine Zeitlang bei der “Frauen lesen Frauen-Gruppe” des ersten Wiener Lesetheaters. Bei den “Mittleren I”, zu dem es  noch keinen Blogbeitrag gibt, habe ich sie eingeladen und in “Radio Orange” haben wir auch einmal zusammen gelesen. Ich aus “Tauben füttern”, einem meiner Lieblingsbücher.

Sie hatte dann auch einen Krimi, ihre Dissertation geschrieben und im Literaturhaus bei dem “Schreiber–Workshop” vorgestellt, jetzt hat sie ihr eigenes narratives Institut, drei Romane bei “Otto Müller”, die mir diese immer so freundlich zusenden.

Der Letzte hat mir ja nicht so besonders gefallen, weil sich die Realistin in mir gegen das allzu mir etwas antiquert erscheinende Phantasiche wehrte.

Jetzt also Erzählungen, etwas was ichauch nicht so gerne mag, weil mir das Herumspringen von einem Sujet zum nächsten, während ich ja noch beim letzten bin, manchmal als zu anstrengend erscheint. Aber jetzt passte es, habe ich Harland, wo ich Ostern verbrachte, ja mit zwei gelesenen Geschichten verlassen und in Wien wartete  noch die angefangene Jane Austen auf mich.

Marlen Schachinger ist auch eine frauenbewegte Feministin wahrscheinlich, hat die letzte “Autoren feiern Autorinnen-Vorlesung” über Betty Paoli gehalten und sich in ihren elf Erzählungen, wie im Klappentext steht, anhand von Einzelfiguren mit der Geschichte des letzten Jahrhunderts, etwas also, das mir sehr gefällt, beschäftigt und auch das Thema, der ersten Geschichte “Hinter Mauern” erscheint mir sehr vertraut.

Geht es da ja um eine Urgroßmutter, die sich das Sterben wünscht, “denn es ging doch nicht an, daß der Tod sie vergaß, nahm er die anderen allesamt mit sich Michael, Michl-Mischa und Michel” und so beschließt sie in dem Örtchen, das wohl Rechnitz sein wird, wo ja 1945 die Ereignisse geschahen, denen jetzt wieder gedacht wird, mit dem Atmen aufzuhören.

“Die Uroma spinnt!”, sagt  Marie-Therese, die Dorfschreiberin, als sie die Zettelchen entdeckt, die dann auch in der Mauer gefunden werden, die Jan, der Schwiegerenkel, wenn ich recht verstanden habe, endlich abtragen ließ und die Thomas, der Nazi, Bürgermeister, mit den drei Zwangsarbeitern und Ex-Schwager zwischen den Grundstücken aufbauen ließ.

Michal, der Zwangsarbeiter hat sie gebaut und Michael, der Mann ist 1942 gefallen und der Sohn Michl, den die Hochschwangerer damals gebar hat Ahnlichkeinten mit beiden. Sehr interessant, der Geschichtenaufbau und an die Ereignisse von damals wurde auch erinnert.

Dann geht es weiter mit Marietta Blau, 1894-1970, eine Wiener Physikerin, die wie Lise Meitner nie den Nobelpreis bekam, denn “Frau und jüdisch, das ist zuviel!” und die Lorbeeren ernteten auch in diesem Fall die Männer.

In “Grenzgänge” marschiert Hannah mit  siebzehn  Djinns und einem Kätzchen im Nacken oder Rucksack sprachgewaltig, wortschöpferisch und auch ein wenig verwirrend über die Grenzsteine an der Thaya, die es heute ja nicht mehr gibt und man angeblich “nur noch ein paar Sprachkurse braucht, um sie zu überwinden”, wenn da nicht die Festung Europa wäre, die die Syrier am Überschreiten hindern, aber es gibt auch eine Vergangenheit und eine zweite Hälfte, die die Menschheit ja verloren habt, so ist Hannah auf der Suche nach ihrem Oskar und auch auf die nach der  Geschichte einer deutsch-tschehischen Zuckerfabrik und nach dem was von ihr übergeblieben ist.

Noch geheimnisvoller und grenzträchtiger, Marlen Schichinger nennt das glaube ich “Übergrenzen” und hat auch dazu eine gleichnamige “Anthologie” herausgegeben, geht es in “Dich rufen” zu, wo an den Seitenrändern, manchmal Musiker und Musikstücknamen beziehungsweise Noten angegeben sind und es geht, wenn ich richtig verstanden habe, um die Fernliebe zwischen einem Geiger und einer Schriftstellerin zwischen Havanna, Argentinien, etc und um das Anpflanzen von gesundheitsschädlichen Saatengut, das wir alle wahrscheinlich nicht verhindern können, geht es auch.

Bei  “Tote Seelen” geht es nach Havanna und zu dem Versuch eines Journalisten über den “Commandante” kritisch zu berichten, während es bei “Was heißt schon Freiheit” nach Cesky Krumlov geht und  über die Transformationen  einer berichtet, die die Gewalt um sich herum nicht aushält und sie auch nicht abwehren kann, während wenn ich es richtig verstanden habe “Suche und sei es in China” die seltsame Beziehung eines Sohnes zu seiner Mutter erzählt.

Die nächste Geschichte geht auch nach Kuba und handelt “Heute reisen Sie nicht”, von den Ausreiseschwierigkeiten einer Schriftstellerin aus einem land, wo “kubanische Dichter träumen nicht mehr und das Auge verpflichtet zu sehen” schreiben, um dann später doch all das zu schreiben, was ihren kubanischen Freunden verboten ist und für das sie keine Publiziererlaubnis bekommen.

Eine “Familienidylle” mit Demonstration gibt es noch, zwei Linzer Kellnerinnen, die ihren Alltag unterschiedlich strukturieren und das Wochenende eine “HR-Managerin”, die wieder mit Marlen Schachingers poetisch schöner Sprache, den “Neoliberalismus” genießt.

“Marlen Schachingers Erzählungen bilden die Zeit ab, stellen die Verhältnisse der Welt dar, welche Realitäten einzelnner widerspigeln. Manchmal zynisch, oft ironisch, sind sie  real, ein Abbild der Gegenwart, schlicht am Puls der Zeit. Die eine Unzeit ist”, heißt es im Klappentext und ich füge noch hinzu, daß mir dieser poetische Realismus viel mehr, als Geschichten mit geheimnissvollen rothaarigen Frauen, die in Kirchen wohnen und vom Wasser herkommen, gefällt.