Träumer

Weiter geht es mit den Literaten, aber jetzt gehen wir um einen Krieg zurück oder in den November 1918,  wo in München die Räterepublik vorbereitet wurde und da für eine kurze Zeit, die Dichter oder “Träumer” wie es der “Spiegel- Redakteur” und jetziger Gastgeber des “Literarischen Quartetts”, der  1969 in Darmstadt geborene Volker Weidermann, von dem ich schon “Ostende” gelesen habe, nannte.

Bei “Kiepenheuer und Witsch” ist das Sachbuch über eine Utopie, wie man es nennen könnte, herausgekommen und Volker Weidermann hat sich, glaube ich, wieder sehr genau in die Tagebücher und Schriften der damals ortsansäßigen Dichter eingelesen und eine Narration daraus gemacht.

Vielleicht könnte man auch Krimi oder Thriller dazu sagen oder nein, vielleicht nicht, weil die Räterepublik, der ja für kurze Zeit Ernst Toller vorstand und Gustav Landauer Minister oder Volksbeauftragter für Bildung war, war ja gegen Gewalt, obwohl natürlich sehr viel Blut dabei geflossen ist.

Aber erst geht es in den siebenten November 1918 und auf die Münchner Theresienwiese, wo glaube ich, auch die Oktoberfeste stattfinden.

Jetzt ist der Krieg vorbei und die Soldaten rennen noch in Uniformen herum, von denen die Rangabzeichen heruntergenommen wurden und der Journalist und Schriftsteller Kurt Eisner steht da wohl an einem Podium und spricht die revolutionären Massen an. Von ihnen wird er auch getragen, zum ersten Ministerpräsidenten Bayerns gemacht, der König mußte mit seiner Familien fliehen, aber schon im Februar darauf, als er gerade wieder abdanken wollte, weil er die Wahlen nicht gewonnen hat, ermordet wurde.

Seine Kampfgenossen wie Erich Mühlsam, dem er zu wenig revolutionär war, waren dagegen, aber der bekommt, als sich im April eine neue Regierung, eben jene Räterepublik mit dem Schriftsteller Ernst Toller an der Spitze bildet, kein Ministeramt, das bekommen eher schrullige Gestalten, wie ein Dr. Ernst Lipp, der den Papst kennet und ihm seltsame Telegramme schickt, so daß er gleich wieder zurücktreten muß und in ein Sanatorium geschickt wird.

Vergleiche zu schwarz blau I in Österreich können aufkommen, werden in dem Buch aber nicht gezogen, denn Volker Weidermann geht es ja in die damalige Dichterschaft ein und da hat Thomas Mann mit seiner Frau und seinen <kindern in einer Villa  am Herzogpark bei München, das Geld dafür stammte von seiner Schwiegermutter, gelebt, gerade seine “Betrachtungen eines Unpolitischen” herausgegegben und am siebenten November war er in einem Konzert, das sein Freund der “ultranationale und Antikdemokrat” Hans Pfitzner, der die Oper “Palästrina” gegschrieben hat, die mich in meiner Studentenzeit sehr beeindruckt, dirigierte.

Er erlebt die politischen Umwälzungen also am rande mit, genauso wie Rainer Maria Rilke, der am ersten Weltkrieg fast gescheitert wäre, Stephan Zweig hat ihm, glaube ich, eine Stelle im einem Kiegsarchiv verschafft, damit er nicht an die Front mußte, der aber offenbar von den Umwälzungen angetan war, genauso wie vielleicht oder angeblich ein Gefreiter und erfolgloser Kunstmaler namens Adolf Hitler, der zwar bestritten hat, am Eisler Begräbnis dabei gewesen zu sein, aber angeblich auf einer Fotografie zu sehen war.

Thomas Mann Bruder Heinrich war dagegen politisch revolutionärer und sein  dreizehnhähriger Sohn Klaus, hat ein Theaterstück über die Machtergreifung Eislers geschrieben.

Es gab aber noch andere,  mehr oder weniger damit befaßte Dichter, wie  zum Beispiel Erich Mühsam, der zwar die Villa eines Holländers zur zur  “Unabhängigen Räterepublik” ausrief, um weiter mit dem Freund ungestört trinken zu können, aber ebenfalls ministerlos vom Wittelsbacher Palais zurückkehrte und Hermann Hesse gab es auch oder eigentlich ein Manuskript namens “Deminan” das Aufsehen erregte und von einem Debütanten namens Emil Sinclair geschrieben worden sein soll, der mußte den “Fontane-Preis” den er dafür bekommen sollte,  aber wieder zurückgeben, denn Hesse war damals  einundvierzig Jahre alt und hatte schon Werke, wie “Unterm Rad” und “Peter Camenhind” geschrieben.

Ein gewisser Ret Martut der den “Ziegelbrenner” herausgegeben hat und der sich später nach Mexiko zurückgezogen hat, wird auch erwähnt. Volker Waidermann meint, er hätte dort Romane unter dem Namen B. Traven herausgegeben, aber so viel ich weiß,  weiß man noch immer nicht wer  B. Traven war.

Man sieht also, Volker Weidermann führt sehr genau in die Zeit hinaein und läßt uns mitschnuppern, wie es damals in München vielleicht war, als die Dichter und die Träumer für eine Zeitlang die Macht übernahmen und die gewaltfrei ausüben, das Geld abschaffen und noch vieles andere, wollten.

Gegen die Gewaltfreiheit waren seltsamerweise die Kommunisten, die meinten, daß man so keine Revolution machen kann und sdaher die Regierungsbeteiligung verweigerten, Toller schon ein paar Tage später wieder absetzen wollten und das in einerm Bierkeller beschlossen Ernst Toller ging hinüber, wollte reden, durfte nicht, tat es doch,wurde dann verhaftet, kam aber wieder frei und es ging noch eine Zeitlang weiter mit der Unsicherheit, wo jeder seine eigene Räterepublik gründete und Erich Mühsam mit einem Lastwagen Rundfahrten auf Münchens Straßen machte, von dem herunter er dann seine Gedichte , wie “Die Sonne der Freiheit”,  das er gar nicht geschrieben hat, deklamierte.

Am Palmsonntag kommt es dann zum Putsch, die Kommunisten übernehmen die Regierung und werden im Mai schon von der weißen Garde abgelöst, es kommt zu Verhaftungen und Erschießungen. Gustav Landauer wird erschoßen, Ernst Toller, der sich versteckt hält, bekommt fünf Jahre Festungshaft, wo er 1924 entlassen wird, nach Amerika emigriert und sich 1939 im Hotel Mayflower in New York erhängt.

Erich Mühsam wurde von den Nazis ermordet, Oskar Maria Graf, der ja 1933 bedauerte, daß die Nazis ihm nicht auch verbrannten, emigrierte ebenfalls nach Amerika.

Thomas Mann und Rainer Maria Rilke, die bürgerlichen, die nur am Rand an dieser Revolution beteiligt waren, verließen ebenfalls München. Der eine übersiedelte nach Lübek, der andere ging in die Schweiz und die Geschichte ging weiter.

Überrollte die Republik der Träumer, die sich nicht lange halten konnte. Das Weitere ist wahrscheinlich bekannt, man lernt es in der Schule und kann  hier an verschiedenen Stellen  auch nachgelesen werden.

“Lustig, aufregend, viel Neues, tolle Recherche. Das wird Furore machen.”, schreibt Hans Magnus Enzensberger am Buchrücken und ich antworte, wie meine Leser vermuten werden, daß ich das Buch zwar nicht lustig, aber interessant gefunden hatte und Volker Weidermanns Recherche für mich tatsächlich viel Neues enthielt.

Heinrich Böll und die Deutschen

Von dem 1917 geborenen und 1985 verstorbenen Nobelpreisträger Heinrich Böll habe ich vor kurzem seine posthum herausgegebenen und eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten “Kriegstagebücher” gelesen.

Denn er würde am einundzwanzigsten Dezember seinen hundertsten Geburtstag feiern und so sind bei “Kiwi” zwei Bücher über oder von ihm herausgekommen.

Das erste sind die schon erwähnten Tagebücher, das zweite ist die Biografie oder der Essayband “Heinrich Böll und die Deutschen”, des 1943 in Oldenburg geborenen Literaturprofessors Ralf Schnell, den ich in Frankfurt bei “3-Sat” über die Bücher reden hörte.

Das Buch ist in dreizehn Themenkapitel gegliedert. Das erste “Ich bin ein Deutscher”, das sich auf eine Tagung bezieht, die 1974 in Jerusalem stattfand, befaßt sich mit  “Fremdsein, Heimat, Sprache.”

Dann wird in “… das Herz eines Künstlers” Bölls Herkunft der in einer christlichen Familie mit sieben älteren Geschwistern aufgewachsen ist, beschrieben und dann geht es schon in den Krieg.

Heinrich Böll wurde ja 1939 einberufen, seine Briefe aus dem Krieg, die er an seine Familie, sowie an seine Frau Annemarie geschrieben hat, wurden 2001 ebenfalls posthum herausgegeben und werden in dem Buch als “Entwicklungsroman” bezeichnet. Klar, der junge Mann wuchs an der Front heran und wurde dadurch geprägt.

1945 ist er dann mit dem Wunsch Schriftsteller zu werden, zurückgekommen. Geschrieben hat er, glaube ich, schon vorher. Es wird eine Kurzgeschichte erwähnt, in den Kriegstagebüchern gibt es auch einen Bezug darauf.

Das dritte Kapitel “..das Brot der frühen Jahre”, beschftigt sich mit dem literarischen Aufstieg, der schon früh durch die Gruppe 47 gelungen ist. Zuerst wird aber ein Brief eines Verlags erwähnt, an den er den Roman “Der Engel schweigt” schickte.

Der junge Familienvater hat sich nach dem Krieg zuerst als Hilfsarbeiter verdingt, die Frau Annemarie als Lehrerin die Familie erhalten und ihren Mann literarisch beraten, sie hat auch mit ihm übersetzt.

Der erwähnte Roman  wurde erst viel späterveröffentlicht. Denn Böll hat ihn wieder zurückgenommen und ihn in Kurzgeschichten, wohl des erhöhten Honororas und der Steigerung des Bekanntengrads verteilt, die in Zeitschriften veröffentlicht wurden.

1951 hat er dann mit der Erzählung “Die schwarzen Schafe” den Preis der “Gruppe 47” gewonnen und der literarische Aufstieg begann.

Dann kommt ein Kapitel über Heinrich Bölls Katholizismus, der 1976 mit seiner Frau “aus der römisch katholischen Kirche in ihrer Eigenschaft als Körperschaft” ausgetreten ist, aber sich schon als Schüler sehr mit den Werken des französischen Theologen  Leon Bloy beschäftigt hat.

Der Stadt Köln, in der Böll lebte und der er auch in seinen literarischen Werken ein Denkmal setzte, ist ein Kapitel gewidmet und mit dem Judentum hat Böll sich auch sehr auseinandergesetzt.

So war er mit Paul Celan, dessen “Todesfuge” ja bei der “Gruppe 47” nicht sehr gut angekommen ist, befreundet und hat auch die “Germania Judaica” gegründet.

Es gibt ein Kapitel über Bölls Beziehung zu Konrad Adenauer, dessen Erinnerungen er im “Spiegel” kritisierte und dort hat er auch einen Artikel über die Bader Meinhof- Gruppe nicht Bande mit dem Titel “Soviel Liebe auf einmal” veröffentlicht, was ihm jahrelang den Vorwurf ein “RAF- Sympathisant” zu sein einbrachte und ihm verschiedene Hausdurchsuchungen bescherte, wie er  1977 in einem Brief an seinen Freund Lew Kopelew bemerkte.

Das Verhältnis zur DDR des sehr politischen Autors, der zu vielen gesellschaftspolitischen Themen Stellung genommen hat wird analysiert und dann geht es zu Marcel Reich Ranicki,der zu Böll ein ambivalentes Verhältnis hatte und eines seiner Bücher auch verrissen hat.

“Die fürsorgliche Belagerung” und “Frauen vor Flusslandschaft” wurden sehr kritisiert und im letzten Verhältnis geht es, um Bölls Nachruhm. Da meint der Autor, daß die Bücher in großer Auflage immer noch erscheinen und wahrscheinlich in vielen Buichhandlungen zu finden sind, zitiert aber auch einen FAZ-Bericht von 2008, wo MMR schreibt: “Reden wir offen: Schon jetzt ist nur wenig geblieben. Es wird naturgemäß immer weniger werden. Seine Romane sind inzwischen allesamt in Vergessenheit geraten.”

Wenn ich dagegen zu meinem Bibliothekskatalog gehe, finde ich viele Bölls , ob ich alle gelesen habe, kann ich nicht sagen, denke aber, daß dieser thematisch gegliederte Streifzug durch die Biografie, den Bezug zu den “Deutschen” konnte ich nicht immer finden, außer, daß es das Land war, in dem Heinrich Böll lebte und die Nation der er angehörte, eine Aufforderung zur literarischen Wieder- oder Neuentdeckung sein kann.

Also lesen, lesen, lesen und ich bin gespannt, was ich außer den beiden “Kiwi-Büchern, “Kiepenheuer und Witsch” ist ja Bölls Verlag und es gibt, glaube ich, eine siebenundzwanzigbändige Gesamtausgabe, noch vom Böll hören oder lesen werde.

Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind

Am 21. Dezember 1917 wurde Heinrich Böll geboren, der 1972 den Nobelpreis bekommen hat und inzwischen, wie man meinen könnte, fast ein wenig vergessen wurde, während ich ihn in meiner Studentenzeit und auch nachher relativ viel gelesen habe.

So kann ich mich erinnern, daß ich den Frühling 1984 mit der kleinen Anna in dem Häuschen am Almweg verbracht habe und dort “Gruppenbild mit Dame” gelesen habe.

An die “Verlorene Ehre der Katharina  Blum” kann ich mich auch erinnern. Die habe ich aber schon vorher gelesen und ich habe sicher auch noch ein paar andere Bölls in meiner Bibliothek und sehe solche auch gelegentlich in den Bücherschränken.

Das mit der Vergessenheit wird sich jetzt ein bißchen ändern, hat doch “Kiwi” zwei neue Bücher über und von ihn herausgebracht  und zufälligerweise habe ich auch vor kurzem, als ich sehr erschöpft von dem langen Marathonschreibens vom “Writersstudio” nach Hause gegangen bin, im Bücherkasten den es vor der Buchhandlung Kuppitsch gibt, Werner Höfers “Deutsche Nobel Galerie” gefunden, die anläßlich der Nobelpreisverheihung von 1972 herausgegeben wurde und ein großes Böll-Spezial enthält.

Ralf Schnel,l der den Band “Heinrich Böll und die Deutschen” herausgebracht hat, habe ich bei meinem Frankfurter Buchmessensurfing, ich glaube bei “3-Sat” gehört und der ist auch auf die von dem Bölls Sohn und Nachlaßverwalter Rene herausgegebenen Kriegstagebucher von 1943 bis 1945 eingegangen und hat erwähnt, was auch im Vorwort steht, daß die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Dann hat  sich die Familie aber doch entschlossen, daß man sie der Öffentlichkeit vorenthalten sollte und Böll es wahrscheinlich ohnehin so gewollte , weil er sie sonst vorher vernichtet hätte, etcetera.

Bei Thomas Bernhard habe ich  etwas Ähnliches erlebt und gehört und da ich mir das Buch in Leipzig bestellt habe, als ich mit Uli Meier die Herbstvorschau durchgegangen bin, hatte ich auch keine Wahl, als das Buch zu lesen, obwohl es wahrscheinlich schon  sehr private Momentaufnahmen des jungen Wehrmachtsoldaten sind, der 1939 knapp seiner Matura, er hatte da gerade eine Buchhändlerlehre abgebrochen und Germanistik zu studieren begonnen hat, eingezogen wurde.

Er hat, wie ich in den Erläuterungen lesen konnte, seit Beginn des Krieges Tagebuch geführt, die ersten sind aber verloren gegangen und jetzt sind in dem schönen schwarzen Buch drei Tagebücher wiedergegeben die, das muß ich lobend erwähnen, von Rene Bölls Frau digitalisiert wurden, so daß man zuerst die Originalseiten sieht und darunter die abgedruckte Form lesen kann.

Das erste Tagebuch ist ein in Belgien gekaufter Kalender und es ist schön, die alten Tagebücher zu sehen. Die beiden anderen scheinen auch eher kleine Bchlein zu sein, so daß eigentlich nicht sehr viel Platz für die Eintragungen ist, die oft nur aus groß geschriebenen Worten, wie “Das Gelübde! Anne-Marie” “Post von Anne-Marie” oder “Ich darf in Urlaub fahren “Das Messer” “Das Messer” bestehen, was mich eigentlich auch bestätigt, daß es wohl eher eine Privateintragung ist.

Annemarie ist die Frau, die Ehe wurdem glaube ichm während des Krieges geschlossen, das erste Kind, das schon 1945 gestorben ist, in dieser Zeit geboren und die große Gläubigkeite und das Klammern an Gott ist auch immer wieder zu merken.

“Gott allein kann mir helfen! Gott allein kann mir helfen”, am17. 4. 44 beispielsweise oder am 18. 4. 44 “Das absolute Elend in den Kasernen” Gott helfe mir!”

Es sind drei Tagebücher, das erste 1944 bis 1945, dasnn eines von 1944 bis 1945,  das dritte betriff nur das Jahr 1945 bis zum Kriegsende.

“Entlassung in Bonn” lautet  der letzte Eintrag.

Das Buch ist gut kommentiert. so wird im Anhang immer wieder an die Briefe aus dem Krieg hingewiesen, die Böll ebenfalls geschrieben hat und die schon veröffentlicht wurden. Da kann man das Geschehen auch genauer verfolgen, hier kann man wahrscheinlich eher die unmittelbare Emotion mitnehmen.

Das Titelzitat stamm vom 29. Jänner 1943: “Man möchte vor Dreck und Müdigkeit manchmal wimmer wie ein Kind” und auf den Dreck und den Hunger wird  noch öfter hingeweisen.

Im Nach- oder Vorwort steht noch, daß der junge Böll kein aktiver Kriegsverweiger war, sich aber von der Front öfter durch Urlaube und Krankheiten drücke. Davon kann man auf den Seiten auch lesen. Die Route erfährt man eher aus den Erläuterungen. So war Böll zuerst in Frankreich, kam dann in die Ukraine, war dort auch in den berühmten Stanislau über deren Vernichtung, ich im Vorjahr gelesen habe.

Interessant ist es also schon die unmittelbare Emotionen, die Verzweiflung, die Sehnsucht nach der Geliebten, nach Gott und der Erlösung so hautnah mitzuerleben.

Es gibt im Anhang auch Landkarten und ein paar Fotografien, wo man Böll in der Uniform sehen kann. Ich habe in Harland ja auch ein Album mit Kriegsfotografien meines Vaters und meine Mutter hat auch ein Tagebuch geschrieben, das wir gefunden haben, als wir die Wohnung in der Wattgasse auflösten.

Also interessant ist das Buch allemal und während man noch überlegt, ob man es lesen oder nicht lesen soll, weil man damit vielleicht doch eine Privatsphäre verletzt, kann man zu dem gleichzeitig erschienenen “Heinrich Böll und die Deutschen” greifen, wo es diese Bedenken nicht gibt und ich werde mich auch noch ein bißchen in das Nobelpreisdossier einlesen und am besten ist es wahrscheinlich überhaupt zu den Originalwerken zu greifen und sie wieder oder vielleicht  erstmals zu lesen.

Die Datei und die zweite Datei

Jetzt kommt die Fortsetzung des “Circles” könnte man so sagen. Arnon Grünbergs “Datei”, schließt aber auch ein bißchen an Doron Rabinovicis “Außerirdische” an und den 1971 in msterdam geborenen Autor, der glaube ich sowohl da, als auch in New York und Berlin lebt, habe ich vor Jahren einmal bei “Rund um die Burg” gehört.

Voriges Jahr als Niederland das Gastland in Frankfurt war, ist sein “Muttermale” erschienen, daraus habe ich ihn dann bei den “Fried Tagen” lesen gehört, das Buch nicht mehr bekommen, aber entdeckt, daß ich einen anderen Grünberrg mal gefunden habe und jertzt ist bei “Kiwi” als Taschenbuch die “Datei” und daran anschließend, noch “die zweite Datei”, eine kürzere Erzählung, erschienen.

Es geht um Lillian, Mitte zwanzig und sie ist ein Nerd, das heißt in ihren Fall, eine ditgtal Native, die eine Menschenallergie hat, weil ihr Leben fast ausschließlich im Netz stattfindet.

Damit macht sie ihren Eltern, einem Lehrer und einer Sozialarbeiterin, bei denen sie, obwohl schon erwachsen, noch lebt, große Sorgen. Denn sie sperrt sich tagelang in ihr Zimmer ein und frißt sich vorm Computer mit Paprikachips fett, so daß sie einen dicken Hintern hat, auf dem sie sich noch die Namen ihrer Eltern, mit denen sie kaum spricht, eintätowieren lassen will.

Das war früher einmal, als sie einen Pädophilen, der sie zu einem Nacktfoto erpresste, mit Hilfe von drei Hackern in den Selbstmord trieb.

Jetzt gibt es einen Freund im Netz namens Banri Watanuki, der sie überredet, eine Stelle als Rezeptionistin in einer Internetfirma, die wohl ein bißchen dem Circle ähnlich ist, anzunehmen.

Alex, der Gründer, stellt sie ein und will sie später zu seiner Assistentin ausbilden lassen und eines Tages setzt sich in der Kantine, hier wird, wie das auch Lillian tut, kein Fleisch gegessen, nur Obst und Gemüse, Seb zu sich, der Nerd, der in den oberen Etagen hackt und  eigentlich keinen Kontakt zu ihr haben soll.

Denn in der Firma wird nicht viel miteinander gesprochen, weil alles ein Geheimnis ist. Er bringt sie aber am Abend, Lillian ist Radfahrerein und es regnet, nach Hause. Beide wohnen in Den Haag, die Firma ist in Delft. Sie darf aber seine Wohnung nicht sehen, denn die ist geheim, trotzdem kommt sie am nächsten Tag dorthin mit, weil sie in ihn Banri zu erkennen glaubt. Sieht seine Katzen, er streicht ihr über die Schenkel und sie bekommt prompt Quaddeln, wegen ihrer Menschenallergie, die sie zu einerÄrtzin treibt, bei der sie seit Jahren nicht mehr war.

Jetzt kommt Alex an den Plan und lädt sie zu einem vegetarischen Abendessen ein.Er erzählt ihr von seinen Plönen und nimmt sie mit auf eine Konferenz und als Seb, der eigentlich Sebastian heißt, ein paar Tage lang nicht zur Arbeit erscheint, kauft sie Muffins und bringt sie in seine Wohnung. Dort sind die Katzen, seine lieben, tot.Er hat sie getötet, weil er sich von der Firma übernommen und sich von ihnen bedroht und auspioniert glaubte und verschwindet in den Untergrund oder in die portugiesische Botschaft, während Lillian ein paar Tage mit Alex in einer  Hütte an der Cote d` Azur, wo man sich nackt aufhält, verbringt  und er ihr anvertraut, daß er eigentlich Almond, einer der früheren Hacker ist.

Ein wenig geheimnisvoll und verwirrend und vielleicht auch nicht ganz logisch, diese Geschichte, die mich aber trotzdem sehr beeindruckt hat.

In der zweiten Geschichte die noch surrealer beziehungsweise unverständlicher ist, geht es um einen Christus-Virus. Den will Lillian, die sich inzwischen nicht mehr so nennt, arbeitslos geworden ist, aber immer noch im Haus ihrer Mutter lebt, in die Welt setzt. Der nicht sie, kommuniziert mit der Mutter, die sich darüber freut und Lillian ist, Vater unbekannt, schwanger. Sie sagt es ist der Virus, die Polizei kommt, beschlagnahmt den Computer, läßt sie aber frei und die Hebamme hält nichts von einer Hausgeburt. So wird Lillian von der Feuerwehr in den Krankenwagen gehieft. Die Gynäkologin mit der häßlichen Brille bedauert, daß sie nichts mehr tun konnte.

“Dein Sohn ist gestorben!”, sagt die Mutter, die nunmehr alte Frau genannt wird. Lillian aber drückt fest den Arm der Gynäkologin und betdeuert “Der Virus lebt!”

Vielleicht ist es das, wie sich der 1971 geborene Schriftsteller, die moderne Computerwelt und ihre Sprachlosigkeit vorstellt, die Nerds, die sie betreiben sind voll gestört und sehnen sich doch nach Liebe, verstehen sie aber nicht auszudrücken.

Dem Buch ist übrigens, lese ich im Beschreibungstext ein Experiment vorausgegangen, wo man sich die Hirnströme bei der Lektüre messen lassen konnte.

Interessant, denke ich darüber, obwohl ich den Zusammenhang nicht ganz nachvollziehen kann.

Ikarien

Jetzt kommt ein Buch, das nicht auf der LL steht, ich das aber eigentlich erwartet hätte, ist doch der 1940 geborene Uwe Timm, 2013, glaube ich, mit “Vogelweide” dort gestanden.

Ich habe noch kein Buch von ihm gelesen, wohl aber, glaube ich, einige Bücher in meinen Regalen und gehört natürlich schon sehr viel und das Thema ist sehr interessant, das Buch aber wahrscheinlich insgesamt zu leise, zu linear und zu chronologisch, um auf die erwähnte Liste zu kommen.

Wir gehen in das Jahr 1945 zurück, in den Frühling, der Krieg ist gerade vorbei und es rücken die amerikanischen Besatzer an, einer von ihnen ist ein junger Literaturwissenschaftler, in Deutschland geboren, aber sein Vater schon 1932 aus beruflichen Gründen nach Amerika immigriert  und nun wird der deutschsprechende Michael Hansen, obwohl er kein Mediziner ist, dem medizinischen Ressort zugeteilt und er soll über die Eutanasie und die Rassenhygenik die im dritten Reich betrieben wurde, recherchieren.

Das Biuch ist vielleicht doch ganz raffiniert geschrieben, beginnt es doch mit einem von seinen Eltern wahrscheinlich versteckten, behinderten Kind, das von den anderen gehänselt wird von Hansen oder seinen Chauffeur einen Kaugummi geschenkt bekommt und den mit dem Papier in den Mund schieben will.

Der Kaugummi, das, was die Amerikaner in das zerbomte Deutschland brachten, spielt in dem Buch auch eine große Rolle und die Vogelstimmen, vielleicht ein Steckenpferd von Uwe timm.

Der junge Amerikaner wird jedenfalls in die Nähe von München geschickt, er soll dort einen alten Mann verhören, einen Widerstandskämpfer, der mit dem Rassenhygieniker Alfred Ploetz befreundet war.

Der, erfährt man, wenn man nachgooglet und das kann man, wie bei Christine Wunnike, hat von 1860 bis 1940 gelebt, wurde sogar einmal für den Nobelpreis vorgeschlagen und war mit Gerhard Hauptmann befreundet.

“Die Reise nach Ikarien” erfährt man, wenn man weiter googlet, ist ein  utopioscher Roman des Frühsozialisten Etienne Cabet und der Roman von Uwe Timm erzählt nun in zwei Strängen einmal das Lebens und die Frauenbeziehungen von Michael Hansen im frühen Nachkriegsdeutschland und zweitens, vereinfacht ausgedrückt, wie es dazu kommen konnte, daß das Volk der Denker und Dichter, dem Rassenwahnsinn und noch einigem anderen verfiel und im Besonderen, auf die beiden aus Breslau stammenden Freunde Ploetz und Wagner bezogen, wie man von einem Sozialisten zum Nazi werden konnte.

An dreizehn Tagen besucht Michael Hansen nun den alten Mann, einen Antiquar, der in Dachau war und sich auch lange im Keller des Antiquariats verstecken mußte, und der erzählt ihm von der Jugend der Freunde und dem Geheimbund, der Ikarier, dem sie mit den Brüdern Hauptmann am Anfang des Jahrhunderts angehörtetn.

In Amerika gab es auch solche Ikarier. Dort reiten die Freunde auch hin und lebten eine zeitlang die sozialistische Utopie, wo Frauen allerdings kein Mitspracherecht hatten.

Langsam langsam verwandelt sich Alfred Ploetz, der dem Alkohol abgeschworen hat und auch nachweisen will, daß er das Gerhin und die Erbmasse verändert zum Rassenhygieniker und lieferte damit die Grundlage zu dem was im dritten Reich zur Vernichtung des angeblich nicht lebenswerten menschlichen Lebens führte.

Das wird an Beispielen erzählt und dazwischen beschlagnahmt Hansen Autos, verteilt an Kindern Kaugummi und trifft sich mit Frauen, die ihn aber nur ausnützen und eigentlich nichts von ihm wissen wollen.

Nach den dreizehn Gespräch, wird Ploetz Forschungskartei und anatmomischen Sammlungen mit den in Alkohol eingelegten Hirnschnitten  abtransportiert und auch Hansen wird abgezogen und anderen Aufgaben zugeführt.

Verglichen mit den Longlistenromanen wahrscheinlich ein stilles Buch, das  trotzdem auf eine sehr literarische Weise von der Eutanasie und wie es dazu kommen konnte, erzählt und eines mit dem sich Uwe Timm offensichtlich sehr lang beschöftigt hat.

Im Anhang schreibt er, daß er schon in den Siebzigerjahren damit begonnen hat  und er führt, obwohl, wie er schreibt “Ein Roman keine Dissertation ist”, auch einen genauen Nachweis der Werke an, mit denen er sich  für die Recherche beschäftigt hat und führt dabei neben Hauptmann und Ploetz, was ich besonders interessant finde, auch “Wikipedia” an und da habe auch ich  nachgegooglet, schon um zu verstehen, was das Wort “Ikarien” und damit der Titel bedeutet.

Als kleinen Nachtrag kann ich noch anmerken, daß Uwe Timm mit dem Buch, zwar nicht auf die LL des dBp aber auf die Shortlist des Wilhelm Raabe Preises gekommen ist. Ich wünsche ihm viel Glück für den Gewinn.

Erich Wyss übt den freien Fall

Jetzt kommt der zweite Teil von Tim Krohns “Menschliche Regungen-Projekt”. Da habe ich ja im Frühjahr “Herr Brechbühl sucht eine Katze” gelesen und das Projekt ist zusammengekommen, weil der 1965 geborene Schweizer Autor Geld für ein Badezimmer für seine Mutter brauchte.

So hat er ein Enzyklädodie der Gefühle gesammelt und ein Crowdfunding gestartet. Wenn man dafür spendete, konnte man sich ein Gefühl aussuchen,drei Worte dazu beisteuern und Tim Krohn hat dazu ein Kapitel seiner Romanseri,e die in einem Zürcher Gemeinschaftshaus spie,lt geschrieben.

Ein bißchen ähnlich, wie mein “Besser spät als nie Projekt”, aber das ist ja erst im Mai und Juni entstanden und dem Buch merkt man vielleicht auch das Bemühen an aus dem Gefühlskapiteln einen Roman zu machen an. Die entsprechenden Überhöhungen und Übertreibungen sind auch darin zu finden.

Die Personen sind die gleichen. Es beginnt aber mit einem neuen Hausmeister namens Paul Lutz.Der wird bald wieder entlassen, weil er einen Baum zur falschen Zeit zersägt und auch, weil er sich weigerte, der Hausverwaltung, die entsprechendenInformationen über die Mieter oder sind es Eigentümer zu liefern.

Vielleicht auch, weil sich keine passenden Gefühle mehr für ihn fanden. Sonst treffen wir aber Bekannte und der Titelgeber Erich Wyss, der mürrische alte Mann ist immer noch in die Gaunerei seines Enkels Augustin verstrickt. Da wurde ja für eine Seniorenresidenz in Ungarn gesammelt. Das Geld ist verschwunden und der Großvater soll dafür gerade stehen. Gerda Wyss mischt sich ein, versucht zu vermitteln, ruft fast alle Beteiligte an. Dann feiert sie mit ihrem Erich und auch Hubert Brechbühl, glaube ich, ihren Geburtstag, geht schlafen und wacht nicht mehr auf.

Eine Katastrophe für den alten Erich mit dem sie ja fünfzig Jahre verheiratet war. Der sohn Sepp kommt zur Beerdigung, mäkelt an allem herum, will an allem sparen, um Geld für seinen Sohn zu haben und  den Vater sogar entmüdigen lassen, als der ihm nach einiger Zeit hinausschmeißt.

Hubert Brechbühl hat Schweißfüße, spielt Tuba und beginnt sehr vorsichtiig eine Beziehung zu der esoterischen Ex-Krankenschwester Edith Samyra und die will  nach Nepal fliegen, um der ermordeten Königsfamilie zu huldigen und da kommen wir zu einem Zeitband, das den Roman umhüllt. Nämlich nine elefen, das ist zwar schon lange her, aber vielleicht hat Tim Krohn solange an seinem Buch geschrieben. Jetzt stürzen aber die Türme und alle Hausbewohner sind betroffen.

Edith-Samyra sitzt in Panik am Flughafen von Istanbul und weigert sich in ein Flugzeug zu steigen. Hubert soll  sie abholen. So reist der über Wien, Budapest, Bukarest dorthin und Salina, die  Schauspielerin, die ja gleichzeitig die Mutter Courage, als auch in einem Film eines überspannten Regisseurs spielt, wird davon bei den Proben überrascht.

Julia Sommer, die Mutter der unöglichen und schrecklich ungezogenen Mona, sind Kinder wirklich so und reden sie mit zweihalb wirklich schon so viel, hat sich als Lektorin selbständig gemacht. Ist jetzt ständig in Geldnöten und Drehbuch für einen Film will sie auch schreiben und dann gibt es noch das sexaktive Paar Costas, die schreiben auch die Texte für einen Sexfilm und wollen ihn vermarkten. Das Studentenpaar Petzi und Pit gibt es ebenfalls. Die leben sich auseinander und kommen wieder zusammen. Pit gibt sein Philosophiestudium auf und möchte nun Medizin studieren.

Es gibt einen reichen Sammler und noch ein paar andere mehr oder weniger spinnige Figuren. Weihnachten wird gefeiert, beziehungsweise vom Kindergärtner umbenannt, weli es ja Fest der Liebe und nicht mehr Christkind heißen darf. Mona soll aber einen Engel spielen. Das wird durch eine Grippeepidemie verpatzt, weil sich dann die Menschen, weil ja Virenschleudern nicht mehr umarmen dürfen und so weiter und so fort.

Maan sieht, Tim Krohn macht sich gehörig über unser Gesellschaft lustig und es ist,was mir ja sehr angenehm sein sollgte, ein realistischer Roman oder der Versuch aus dem menschlichen Regungen einen solchen zu machen.

Da passiert ja nichts literarischen oder das ist mir viel zu wenig abgehoben, könnten die Kritiker jetzt schreien. Vielleicht ist das buch deshalb nicht auf die LL gekommen. Aber bei einer Serie ist das  auch schwierig oder vielleicht sind die gar nicht zugelassen und ich kann mich jetzt auf den dritten Teil freuen und dazwischen natülich etwas andereres lesen. Auswahl gibt es ja genug.

Der Lärm der Zeit

Als ich mich im vorigen Herbst durch die “Kiwi-Vorschauen” blätterte, habe ich Julian Barnes Roman  “Der Lärm der Zeit” übersehen, da ich von  dem 1946 geborenen englischen Schriftsteller, glaube ich “Das Stachelschwein” gelesen habe und auch noch ein paar anderer seiner Bücher in meinen Regalen habe, aber gar nicht mitbekam, daß es dabei um den Komponisten Dimitri Schostakowitsch geht.

Das hat sich dann sehr bald geändert, denn die Booktuber wiesen in ihren Februarvorschauen auf das Buch hin, Alfreds Freund Karli hat es ihm empfohlen und ich kann mich erinnern, daß es 2003, als sich Stalins Tod zum fünfzigsten Mal jährte, in Ö1 einen Schwerpunkt gab, der auf die Repressalien hinwies, die der russische Komponist unter dessen Herrschaft ausgesetzt war.

Ein sehr interessantes Buch also, das ich jetzt gelesen habe und es hat mich, glaube ich, auch Julian Barnes näher gebracht, denn der Künstlerroman, es ist keine Biografie, versteht es, in sehr dichten Bildern einen starken Eindruck von der damaligen Zeit und dem Leben in Moskau oder St. Petersburg in dieser Zeit zu zeichnen.

Aber damals hat es ja Leningrad geheißen und da steht 1936 im fünften Stock in seinem Wohnhaus Nacht für Nacht mit einem Köfferchen in der Hand der Kopominst und wartet, daß Stalins Polizisten kommen, um ihn abzuholen. Denn der Diktator hat die Oper verlassen, als dort seine “Lady Macbeth von  Mzensk” aufgeführt wurde und das bedeutet, daß er in Ungnade gefallen ist und das Schlimmste zu erwarten hat.

Und dabei ist der wohl schon damals berühmte Komponist kein starker Mann, sondern einer, der von  Angst durchbeutelt wird und sich bestenfalls nur in die Ironie retten kann. Wehren kann er sich nicht, weder gegen die Mächtigen des Arbeiter- und Bauernstaats, noch gegen seine Mutter und auch gegen seine Frau Nita kann er sich nicht recht durchsetzen, sondern hat es nur geschafft, daß er am Gang auf Stalins Schergen warten kann, damit sie und die kleine Tochter in ihrer Ruhe nicht gestört werden.

Es passiert aber nichts. Dimitri Dimitrijewitsch hat Glück gehabt und wieder zwölf Jahre später, 1948 sitzt er im Flugzeug und fliegt gerade von einem Friedenskongreß aus den USA zurück, zu dem ihm der Genosse Jossif Wissiarionowitsch persönlich am Telefon beorderte und Dimitri Dimitrijewitsch konnte natürlich nicht ablehnen, obwohl er es versuchte.

Aber nichts half, zu dem Argument, daß er Flugangst hätte, wurden ihm Medikamente verordnet, auch ein Frack wurde versprochen und auf die Frage, was er denn antworten soll, wenn man ihn in NewYork fragen würden, waurm seine Musik in der SU nicht gespielt würde, war Väterchen Stalin auch ganz erstaunt?

So flog er selbstverständlich, was sollte er sonst auch tun? Bekam in dem Hotel, wo der Kongreß stattfand, die Rede ausgehändigt, die er halten sollte und auch da half nicht viel, daß er versuchte, sie möglichst ironisch vorzutragen. Er brach sogar mittendrin ab und überließ dem Dolmetscher das Weitere. Hörte entsetzt, was er da sagen sollte und als der damit fertig war, zeigte ein Exil-Russe auf, vom CIA bezahlt, wie Barnes in seinem Nachwort erläutet und fragte den Komponisten mehrmals, ob das wirklich seine persönlichke Meinung wäre?

Was blieb ihm über als ja zu sagen und zurückzufliegen?

Richtig, er hätte auch aus dem Fenster springen und um Asyl ansuchen können, aber die Famiie, es gab inzwischen auch einen Sohn, war ja in Leningrad und zu den Mutigsten schien er auch nicht zu gehören.

Ich verweise da  auf Hans Falladas Gefängnistagebuch beziehungweise seine Biografie, die ich kürzlich gelesen habe, in denen geschrieben steht, warum Rudolf Dietzen auch nicht ausreiste, sondern versuchte sich durch das Nazi-Regime zu wurschteln.

Dimitri Dimitrijewitsch hat das wohl bezüglich des Stalinmus getan und wieder  Jahre später, im dritten “Im Auto”, betitelten Teil, sitzt er in diesem und denkt wieder über sein Leben nach.

Auf dem ersten Blick ein berühmter Mann, den “Stalinpreis” hat er sechsmal bekommen, den “Leninorden” auch alle zehn Jahre 1946, 1956 und 1966. 1976 wird er schon gestorben sein, hofft wieder der Zyniker in ihm und das sogenannte Tauwetter hat auch begonnen.

Nikita Chruschtschow ist jetzt erster Vorsitzender und alles Leiwand und Paletti, denn man hat die ersten Säuberungsopfer schon rehabilitiert. Aber nun kommt man wieder zu ihm und zwingt ihm in die Partei eintzutreten, bzw. Vorsitzender des Komponistenverbandes zu werden und wieder Artikel zu unterschreiben, die nicht von ihm stammen und es bleibt ihm wieder keine andere Wahl, als es zu tun.

“Im neuen Roman von Julian Barnes wird das von Repressionen geprägte Leben von Schostakowitsch in meisterhafter Knappheit dargestellt – ein großartiger Künstlerroman, der die Frage  der Intergrität stellt und traurige Aktualität  genießt”, steht im Klappentext und ich denke, daß man, bevor man nun von Anpassung,  “feigen Aschloch”, Mitläufer, etcetera spricht, was einem ja in den Sinn kommen könnte, nachdenken sollte, wie man selber gehandelt hätte, hätte man 1936 in Leningrad oder 1942 in Berlin gelebt, beziehungsweise, was man heute tun würde, wenn sich diese Frage stellen sollte?

In “Wikipedia” kann man, glaube ich, eine gute Zusammenfassung lesen: “Er schrieb im Regime von Josef Stalin Hymnen und blieb gleichzeitig auf Distanz zum stalinistischen System, welches ihn drangsalierte und jahrelang in Todesfurch hielt.” Und “Um die Geschichte unseres Landes zwischen 1939 und 1970 nachzuerleben, reicht es aus, die Symphonien von Schostakowotsch zu hören”, schrieb die Wochenzeitung Moskowskije Nowosti. Der Celist Mistilaw Rostopowitsch sah im  siinfonischen Schaffen Schostakowitschs eine Geheimgeschichte Russlands und Gottfried Blumenstein bezeichnetw sein Werk als “apokalyptischen Soundtrack unseres Jahrhundert.”

Den vierten Leninorden hat er sich übrigens tatsächlich erspart, da Dimitri Schostakowitsch  1975 in Moskau verstorben ist und ich kann das Buch, das wahrscheinlich ein Higlight der Frühjahrsneuerscheinungen darstellt, sowohl, den Musik-, als auch den Literatur-sowie Politikinteressierten sehr empfehlen.