Fatma

Weil ich dem über tausend Seiten Wälzer “Middlemarch” noch nicht fertig bin, hier eine der vier Szenen, die ich im November, dem “Fräulein No”, in einem Anhang anfügte, um die gewünschte “Nanowrimo-Wortezahl” zu erreichen, die ich aber anschließend aus dem Text genommen habe:

 

“Fatma Sayan stand im Badezimmer und war damit beschäftigt ihr Kopftuch aufzusetzen. Es war ein schönes Blaues, das sie für heute gewählt hatte, das gut zu ihren Jeans und ihrem T-Shirt passte, auf dem “Fuck Moralists” stand und der Vater den Kopf geschüttelt hatte, als sie damit in die Küche gekommen war.

“Muß das sein, Fatma? Das sind sehr böse Worte!”, hatte er gemahnt.

“So spricht man doch nicht und zieht sich sowas auch nicht an!”

Ihr lieber Papa, der selber Rechtsanwalt war und sich immer sehr bemühte, einen korrekten Eindruck zu machen, damit man ihm, was sicher nie gelingen würde, für einen echten Wiener hielt und ihm seine iranische Herkunft verzeihen würde. Die Mutter war da anders und aus anderen Gründen mit ihr unzufrieden. Da war es das Kopftuch, das sie seit einigen Jahren so beharrlich trug, weil sie es als Zeichen ihrer Selbstbestimmung betrachtete, das der <mutter nicht gefiel. Denn, die war im Gegensatz zum Vater, der da konservativer war, eine fortschrittliche Frau. Hatte Soziologie studiert und arbeitete auch an der Universität als solche. Ansonsten hielt sie Deutschkurse für Migranten ab und betreute ehrenamtlich einen syrischen Flüchtlingsbuben, der gegen ihr Kopftuch nichts hatte und sich eher darüber wunderte, daß Frau Zarah keines trug und die schien es,  wie sie immer andeutete, nicht zu verstehen, daß ihre einzige Tochter so vehement auf das Tragen eines solchen bestand.

“Im Iran wirst du, seit dort die Mullahs herrschen, deshalb verfolgt, Schätzchen!”, sagte sie dann zu ihr und erklärte zum wiederholten Mal, daß sie und der Vater deshalb aus Teheran nach Österreich geflüchtet waren. Aus dem schönen Teheran, nach dem die Mutter, trotz ihrer Fortschrittlichkeit Heimweh zu haben schien und das sie eigentlich nicht kannte, weil sie, soweit sie sich erinnern konnte, nur zwei oder dreimal in ihrem Leben in der Heimatstadt ihrer Eltern gewesen war. Die Großmutter lebte aber mit zwei Onkeln, einigen Tanten und einer Unmenge von Cousins und Cousinen noch immer dort und die weiblichen Mitglieder der Familie waren verpflichtet, ein solches zu tragen, während sie dieses Symbol der Unterdrückung nie freiwillig aufsetzen würde, sagte sie dann immer mit einem Blick auf ihre Tücher, um hinzuzusetzen, daß sie nicht verstehe, wieso ihr das so wichtig sei und Fatma war eingefallen, daß Gerti Schuster, als sie sich verwehrte, von ihr so angestarrt zu werden, ebenfalls gesagt hatte, daß sie den Fetzen hinuntertun solle, weil er ein Symbol der Unterdrückung wäre. Sie war aber nicht unterdrückt. Fühlte sich nicht so und hielt das Kopftuch, das sie natürlich freiwillig aufsetzte, für ein Symbol der Freiheit und würde sich dieses auch nicht von den Rassisten, von denen sie hier ständig umgeben war, verbieten lassen. Natürlich würde sie das nicht, auch wenn ihr ebenfalls bewußt war, daß das im Iran, in Syrien, Afghanistan und anderen arabischen Ländern anders war und sie natürlich auch gegen die Unterdrückung der Frau und der Meinung war, daß jede selbst entscheiden sollte, was sie auf ihre Haare stülpte und, daß das im Iran, wo man dazu verpflichtet war, weil man sonst von der Sittenpolizei angepöbelt wurde, mußte, wie ihr die Mutter immer brühwarm erzählte und sie ihr auch immer die Videos zeigte, wenn sie schon wieder in der U-Bahn, wegen des Kopftuchs belästigt und beschimpft worden war, sehr wohl nicht durfte, wußte sie ebenfalls und brauchte von der Mutter deshalb auch nicht darüber diskutieren und sie verlangte auch nicht von ihr, daß sie ein solches auf ihre  schönen rotgefärbten Haare stülpte. Natürlich nicht, sie wollte nur selber in Ruhe gelassen werden im Hause Sayan und auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ständig darüber diskutieren, daß sie das Kopftuch freiwillig trug und keine unterdrückte Tussi, sondern eine engagierte, frauenbewegte Muslima war, die später Menschenrechtsaktivistin werden würde. Dabei hatte die Mutter vorhin beim Frühstück gar nicht soviel gesagt. Denn die Mutter hatte andere Sorgen. Die Großmutter war in Teheran gestorben, wie ihr ihr Onkel Hassan, in dessen Haus sie gelebt hatte, vorhin am Telefon mitgeteilt hatte und sie mußte jetzt mit der Mutter, der Vater hatte berufliche Verpflichtungen und konnte sich nicht so schnell freimachen, nach Teheran fliegen. Der Flug war schon gebucht. In ein paar Stunden sollte er abgehen. Sie mußte ihre Vorlesungen und die Antirassismusgruppe, in der sie heute ein Referat abhalten wollte, absagen. Denn im Iran gingen die Begräbnisse viel schneller, als hier von sich und die Mutter würde sich, wie sie vorhin geklagt hatte, das verhaßte Kopftuch aufsetzen, während man sie dort, da war sie sicher, deshalb nicht anpöbeln würde oder doch vielleicht, weil sie es ja sehr nachläßig trug und es eher als ein Symbol für ihre Freiheit, statt als religiösen Zeichen verstand. Denn eine so strenge Muslima war sie zur Erleichterung ihrer Mutter, die das gar nicht war, nicht. Nur der Vater schien, wie sie merken konnte, immer mehr an seinen Glauben und seiner Herkunft festzuhalten, so daß er sehr bedauerte, sich nicht freimachen und mitfliegen zu können, während die Mutter, wie sie sicher war, das als lästige Pflicht betrachtete. – Das Kopftuch war gebunden. Jetzt noch einmal in die Küche gehen, sich vom Vater verabschieden und mit der Mutter und dem jüngeren Bruder, der sich darüber, daß er schulfrei hatte, mehr als über die Zwangsverpflichtungen nach Teheran reisen zu müssen, freute, mit dem Taxi zum Flughafen fahren und sie freute sich ganz heimlich, wieder nach Teheran zu kommen und die Stadt, die sie kaum kannte und die Familie zu sehen. Versprach dem Vater alle von ihm zu grüßen und ihn wegen seiner Unabkömmlichkeit zu entschuldigen und konnte es sich nicht verkneifen, die Mutter zu fragen, ob sie an das Kopftuch gedacht habe und sie ihr eines leihen solle? Die wurde ein wenig rot vor Ärger. Schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das klang, daß sie sie eines in der Reisetasche hätte, es aber vor der Landung im flugzeug ganz bestimmt nicht aufsetzen würde.

“Was du eigentlich auch nicht bräuchtetst!”, hörte sie den kleinen Bruder, der gerade siebzehn geworden war und daher voll in der Pubertät steckte, zu ihr sagen und sie schüttelte den Kopf. Wollte eine verärgerte Antwort geben, wurde aber von der Mutter jetzt auch aufgefordert, vielleicht doch besser das T- Shirt zu wechseln.

“Vielleicht nimmst du ein neutraleres Schwarzes, Fatma! Denn so kannst du nicht zum Begräbnis erscheinen! Das würde nur die Familie erzürnen!”

Also schnell in ihr Zimmer huschen und das T- Shirt wechseln. Sie sah es schon ein, obwohl sie es auch im Flutzeug tun hätte können, dachte sie ein wenig trotzig und  daran, daß sie nun selbst beobachten konnte, ob es richtig war, was ihre Freundinnen  immer erzählten, daß die Frauen mit kurzen Röckchen und Kopftuchlos in Wien einstiegen und mit der Burka  am Ziellort wieder aussteigen würden, was eigentlich auch ein wenig komisch, aber die Folge eines Doppellebens ihrer zwei Identitäten war, was sie bisher nicht sehr gestört hatte, dachte sie und hatte inzwischen ein neutraleres Shirt gefunden und eine dunkle Jacke darüber gezogen, weil man seine Arme in Teheran auch nicht zeigen durfte. Nahm die Reisetasche und nickte, als sie den Vater rufen hörte, daß sie sich beeilen sollte, weil das Taxi schon eingetroffen war.”

So, das war die Füllszene. Drei weitere können noch folgen. Interessant ist dabei, daß aus der Fatma bei mir inzwischen eine Pakistanierin geworden ist und eigentlich  ursprünglich  anders geheißen hat.

 

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *