Mathildes Entscheidung

Als Mathilde nach Hause gekommen war, fühlte sie sich schlecht. Sie konnte sich gar nicht erinnern, wie sie von Dr. Heumüllers Praxis in ihre kleine Wohnung gekommen war, die sie in Wien seit einigen Wochen  bewohnte.

Die Zawriks, das konnte sie nicht leugnen, waren ihr behilflich gewesen und hatten ihr die Wohnung, die zufällig in dem Haus, in dem sie ihr Geschäft hatten, gerade leerstand, vermittelt, als sie überstürzt und verheult aus Berlin zurückgekommen war und bei ihnen, weil sie nicht gewußt hätte, an wen sie sich sonst wenden sollte, zu ihren Eltern wollte sie nicht gehen, alles andere als das und wäre auch nicht sicher gewesen, ob die sie nicht hinausgeschmissen  hätten, geläutet, etwas von einer plötzliches Kündigung gestammelt und gefragt hatte, ob sie ein paar Nächte bei ihnen schlafen könne, bis sie eine Wohnung gefunden habe.

“Natürlich!”, hatte Gisela Zawrik, die irgendwie so etwas, wie eine Ersatzmutter für sie war, zu ihr gesagt, ihr den Koffer aus der Hand genommen, die Türe aufgemacht und sie an sich gedrückt.

“Natürlich kannst du das, Mathilde, jederzeit!”, um sich danach vorsichtig zu erkundigen, ob es im Starverlag nicht geklappt hätte?

“Das hat doch so zuversichtlich geklungen und du bist so gerne hingefahren!”, fügte sie noch verwundert hinzu.

Natürlich und das hatte es auch. Die Arbeit im Verlag war schön gewesen und Dr. Bereder, der Verlagsleister war  über ihre plötzliche Kündigung sehr verwundert gewesen.

“Das kommt so plötzlich, Kindchen und dabei hätte ich gedacht, Sie hätten sich mit Dr. Lichtenstern angefreundet!”, hatte er erstaunt gesagt und sie hatte den Kopf geschüttelt und  ihm mit fast irren Augen und verzweifelter Stimme geantwortet daß Dr. Lichtenstern sich mit ihrer Schwester verlobt hatte.

“Dann kann ich es  verstehen! Das tut mir sehr leid, soll ich vielleicht mit Moritz reden?”, hatte der alte Herr darauf verstört geantwortet und verlegen ihre Hand ergriffen, was sie ihm energisch verbeten hatte.

“Das  nicht, nein, das werde ich schon mit ihm selber abmachen!”

Sie wolle nur schnellstens nach Wien zurückfahren, ob er das verstehe?

Er hatte verstanden und ihr keine Schwierigkeiten gemacht. So hatte sie auch die Wohnung gekündigt, ihren Koffer gepackt, die Rose, die ihr Moritz  am Valentinstag so zuversichtlich und mit verliebten Augen überreicht hatte, hineingepackt, obwohl sie sich schon im Zug deswegen Vorwürfe machte und sich schwor sie in Wien sofort in den nächsten Mistkübel zu werfen. Aus den Augen aus dem Sinn, denn es gab keinen Moritz mehr für sie, seit Natalie vor zwei Tagen so selbstbewußt in ihrer Wohnung aufgetaucht war und ihr mitgeteilt hatte, daß Sie sich mit ihm verlobt habe.

“Ich hoffe, das ist dir recht und stört nicht deine Pläne?”, hatte sie noch scheinheilig hinzugefügt.

“Denn damals in der Weinstube, als ich ihn kennenlernte, hatte ich fast den Eindruck, du wärst iń ihn verliebt!”

Was hätte sie da anders tun sollen, als den Kopf schütteln und bestätigen, daß das natürlich nicht so war. Ob sie der Schwester alles Glück gewünscht hatte, daran konnte sie sich nicht erinnern. Oder nein, das hatte sie nicht getan. Denn das wäre gelogen gewesen und unehrlich und verlogen war sie nie. So hatte sie nur den Kopf geschüttelt, Dr.Bereder und die Wohnung gekündigt. Hatte die ersten Tage bei den Zawriks und später in der eigenen Wohnung übernachtet und sich wieder eine Stelle bei einem Verlag gesucht. Dr. Bereder hatte ihr ein vorzügliches Zeugnis ausgestellt und auf die Frage ihres jetzigenn Verlegsleiters Dr. Zuschitzky  hatte sie geantwortet, daß es Familienverhältnisse waren, die sie veranlaßten Berlin zu verlassen und wieder nach Wien zurückgezukehren, obwohl sie die Eltern nicht aufgesucht hatte und sie auch zu Weihnachten nicht mehr besuchen würde. Das war aus und vorbei. Und kaum, daß sie die neue Stelle in dem neuen Verlag angetreten hatte, war ihr ständig schlecht. Sie mußte sich zusammenreißen, um nicht um und in Ohnmacht zu fallen und sich  ständig übergeben und als ihr Dr. Heumüller, in  deren Praxis sie die argwöhnisch schauenden Kollegen geschickt hatten, vor ein paar Stunden mitteilte, daß sie schwanger sei, hatte sie sie erstaunt angesehen.

“Aber nein, das ist nicht möglich!”

“Haben Sie denn nicht-?”, hatte die Frauenärztin gefragt und sie hatte den Kopf schütteln müßen.

“Doch, das schon und ich bin in Moritz auch verliebt gewesen! Aber jetzt hat er sich mit meiner Schwester verlobt und da kann ich doch nicht-!”

“Aha!”, hatte die Ärztin geantwortet, geseufzt und wohl an ihr volles Wartezimmer gedacht und an die anderen Patientinnen, die jetzt warten mußten, weil sie sich wahrscheinlich mit der jungen Frau jetzt länger unterhalten mußte.

“Dann sollte Sie dem Papa, die freudige Nachricht mitteilen oder werden Sie vielleicht–?” hatte sie gefragt und nach dem Folder gefriffen, der über die Möglichkeit der  Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche informierte.

“Nein!”, hatte sie gestammelt und danach, wie sie sich jetzt doch erinnern konnte, die Praxis fluchtartig verlassen, so daß die Ordiantionshilfe erleichtert, die nächste Patientin aufrufen hatte können.

“Das werde ich nicht, da werde ich schon einen Brief an Moritz schreiben!”, dachte sie, als sie Türe geschlossen hatte und Platz vor ihrem kleinen Schreibtisch nahm. Sie hatte sogar in die Lade gegriffen, wo die Kuverts und das Briefpapiert lagen und beides herausgenommen. Dann saß sie vor dem leeren Briefbogen, starrte darauf und schüttelte den Kopf.

Nein, das konnte und würde sie nicht tun! Sie konnte nicht an Moritz schreiben, daß sie ein Kind von ihm erwartete. Konnte ihm nicht mitteilen, daß sie Mutter würde. Konnte ihm höchstens zur Hochzeit gratulieren. Aber auch das würde sie nicht tun, weil sie  nicht so unehrlich und verlogen,wie die Schwester war und nicht wirklich wollte, daß er mit Natalie glücklich war,  sondern das Kind allein zur Welt bringen. Moritz sollte niemals etwas davon erfahren, daß er Vater wurde und den Kontakt zu Natalie und ihren Eltern würde sie jetzt auch abbrechen. Sie hatte lange gebraucht, bis sie begriffen hatte, daß sie das tun sollte. Aber jetzt war das aus und endgültig vorbei.

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