Blutbuch

Hurrah, hurrah, jetzt kommt das fünfzehnte deutsche Longlist-, das dritte Shortlist-Buch, das auch auf der Schweizer Buchpreisliste steht und das auch erwartungsgemäß oder nicht den deutschen Buchpreis 2022 gewonnen hat, Kim de L`Horizons “Blutbuch” und der ist offenbar eine Kunstfigur, steht doch in der Biografie “Geboren 2066 auf Gethen. Heute hat aber Kim genug vom “Ich” studiert Hexerei bei Starhawwk, Transdisziplintät an der ZHdk und textet kollektiv im Magazin DELIRIUM” und ich muß in meinem Longlistartikel gleich einen Fehler bekennen, habe ich dort doch von “Ssieben Männern und dreizehn Frauen” geschrieben. Stimmt nicht, denn Kim, wie er sich nennen will, ist eine nonbinäre Persönlichkeit, hat kurze dunkle Haare, einen Oberlippenbart, sehr geschminkt und trägt auffallend bunte Kleider.

Bei der Preisverleihung hat er sich die Haare abrasiert, alle umart und geküßt und ein Happening aus der Veranstaltung gemacht und in den Blogs habe ich gelesen, daß die sich das Buch als Gewinner wünschen.

Da bin ich, eine Frau, fast siebzig und wahrscheinlich doch eher konservativ, etwas gespalten, denn ich habe, als ich ich mir überlegte, wer den Preis wohl gewinnen wird eher an Jan Faktor und Eckhardt Nickel gedacht, dann an Fatma Aydemir und “Blutbuch” hat vielleicht auch Chancen!”, aber nicht wirklich daran geglaubt und mir mit dem Lesen auch nicht ganz leicht getan.

Daß das Buch aber sehr ungewöhnlich ist und auch Sprachexperimente wagt, kann ich bestätigen. Kim de L`Horizon hat sehr lang dran geschrieben und sagte nach der Preisverleihung auch, daß er vor zehn Jahren wahrscheinlich höchstens in einem Kleinverlag erschienen wäre.

Jetzt hat das Buch schon den “Literaturpreis der Jürgen Ponto Stiftung” gewonnen, liegt in der Zeit, obwohl der Inhalt dann vielleicht doch nicht so ungewöhnich ist, setzt sich da einer oder eine mit der Familiengeschichte auseinander. Kim verwendet aber das * dabei und nennt, er ist in der Schweiz aufgewachsen, seine Großmutter “Grandmeer”, Grandmeer habe ich gelesen, wäre das Bernerdeutsch für die Großmutter und darum geht es. Die Erzählfigur namens Kim erfährt, daß seine Großmutter an Demenz erkrankt ist und setzt sich daraufhin auf dreihundert Seiten und fünf Kapitel mit seiner Identität und der Familiengeschichte auseinander.

Das Buch ist wahrscheinlich auch ein Stück Naturlyrik, denn es geht, wie schon der Name sagt, um die Blutbuche, oder nein, stimmt wieder nicht. Denn das Buch heißt “Blutbuch” und da hätte ich zuerst an ein blutiges Buch gedacht und jeder der fünf Teile ist auch in einen anderen Stil geschrieben.

Da geht es in einem also sehr um die Buche und kehrt bis in achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert in den Wörlitzer Park und zu Johann Wolfgang von Goethe zurück, während es sich dann wieder um die Mutter und Großmutter, um Hexen und, um ein verschwundenes Kind, die erste oder zweite Rosmarie geht.

Kim ist sehr sexbesessen. Das ist auch Thema und der letzte Teil, die Briefe an die Großmutter ist überhaupt nur in Englisch geschrieben. Kann man das nicht lesen, muß man das Buch umdrehen, denn da gibt es eine Übersetzung. Kim macht also auch etwas mit seinen Lesern und zwingt sie zu Aktionen und im Teil vorher wird die Großmutter in einem modernen Pflegeheim für Demenzen geschildert, wo jedes Zimmer oder Stockwerk einen anderen Zeitabschnitt spiegelt. Das habe ich auch schon gelesen und fand ich sehr interessant. Im Brief an die Großmutter heißt es aber dann, daß die noch gar nicht in einem Heim ist, sondern den Enkel noch erkennt und noch zu Hause lebt da erzählt er der Großmutter auch, daß er sich mit zwei anderen in einer alten Schokoladefabrik im Tessin auf einer Art Schreibwerkstatt befindet, berichtet ihr von seinem Sex und dem Bemalen der Nägel.

Um Sprache und das Schreiben geht es auch dabei und ich komme jetzt wieder zu der Frage, für wen der deutsche Buchpreis eigentlich ist?

Um das Kaufverhalten der Bücher zu fördern, glaube ich, die Buchhändler haben sich am Anfang auch sehr empört, daß da nur Literaturwissenschaftler in der Jury saßen und niemand den Jirgl und den Petzer lesen oder der Schwiegermutter zu Weihnachten schenken will.

Jetzt frage ich, wer wird “Blutbuch” seiner Mama schenken oder lesen? Die jungen Leute, die sich für das Queer und die political Correktness interessieren, wahrscheinlich. Aber kaufen die Bücher, um fünfundzwanzig Euro und lesen sie noch soviel? Die Schwiegermütter wahrscheinlich nicht und, ob es seinen Platz in der Literaturgeschichte finden wird, wird die Zukunft zeigen.

2 thoughts on “Blutbuch

  1. Ich denke, dass der Buchpreis des Börsenvereins des deutschen Buchhandels einfach Aufmerksamkeit auf neuere, ungewöhnlichere Literatur lenken möchte, als von sich aus schon auf Diversität aus ist. Deshalb haben Bestseller wie Dröscher, Bilkau, Aydemir keine wirkliche Chance. Sie haben schon die Bestsellerlisten erklommen. Jan Faktor und Eckhart sind klassische Literaturen, die es so schon oft gab. Und da blieb dann halt “Blutbuch” … ich habe solch ein Buch noch nie gelesen, aber das kommt daher, dass ich Dada-Romane zumeist nur überfliege. Den Hinweis mit Naturlyrik fand ich interessant. Viele Grüße und guten Start in die Woche!

  2. Ich halte es eigentlich auch für eine Modeerscheinung und bei den Kritikern gibt es wahrscheinlich einen gewissen Druck, als modern und nicht als vorteilsbehaftet konservativ zu erscheinen! Noch deutlicher war das, glaube ich, bei der vorigen Liste mit gleich fünf Texten, die sich mit den Themen der Migration und Diversität beschäftigten! Ein so schillender Autor war nicht dabei und der Text ist sprachlich, wie ich überall las und auch selbst feststellte, gut und ungewöhnlich, das Dauerficken lasse ich aus, ob es eine Eintagsfliege bleibt, werde ich beobachten!
    Daß Fatma Aydemir keine Chance hatte, würde ich nicht so sagen und ob “Blutbuch” zu Weihnachten unter dem Christbaum der Leserinnen liegt, wage ich auch zu bezweifeln und dafür, denke ich, ist der Buchpreis ja gestiftet worden, um die Verkaufszahl zu erhöhen!
    Ich hätte auf Aydemir,Nickel oder Jan Faktor getippt, den ich zum damaligen Zeitpunkt aber noch nicht gelesen hätte. Jetzt wäre er mein Buchpreisträger, weil sprachlich vielleicht genauso ungewöhnlich und schon ein älterer renomierter Autor mit einem Lebenwerk, aber das ist ja derzeit nicht so gefragt….

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