Am Rande der Glückseligkeit

Jetzt kommt ein Buch, für das es eigentlich zu kalt ist, denn die Geschichten “Über den Strand” sind wahrscheinlich die perfekte Sommerlektüre, die man herrlich am Strand von Scheveningen, Brigton oder auch am eigenen Balkon, wenn man mangels des grünen Impfpaßes dorthin nicht reisen will und die 1973 wahrscheinlich in Ostberlin geborene Bettina Baltschev, die eine Liebe zu Holland hat, bekennt in ihrem Prolog ihre Sehnsucht zu den Stränden, war sie doch siebzehn als sie “Bonjour Tristesse” gelesen hat und sich dachte, daß sie nie ans Mittelmeer kommen wirde, um solche Glückseligkeit zu erleben. Das ist jetzt vorbei, so ist sie acht Strände abgereist und hat dabei auch noch die Literatur bzw. Kunstgeschichte erforscht.

Beginnen tut es in Scheveningen, dem ehemaligen holländischen Fischerdorf oder berühmten Srand, den man von Den Haag leicht erreichen kann und da meine Eltern Freunde dort hatten und ich ja auch später einen holländischen Freund, habe ich in den Siebzigerjahren Holland relativ oft bereist und dabei auch die Spagaren in Den Haag besucht.

Bettina Baltschev läuft den Strand ab, besucht das Dorf und geht dabei weit in die Geschichte zurück, beginnt bei Jonas und dem Wal, kommt zu Martin Luther, dann zu van Gogh und endet bei dem Gedicht der holländischen Dichterin Ica Gerhardt, die ein Kind am Strand beschreibt.

Dann gehtsnach Brighton, dem größten Seebad Englands und ich war, füge ich hinzu, 1973 auch einen Tag dort und bin mit ein paar Patienten des Westpark Hospitals den Strand entlangmarschiert. Denn da gab es einen Ausflug und dort habe ich ja im Juli oder August, glaube ich, ein Monat lang ein Work Camp im Westpark Hospital in Epsom verbracht.

Bettina Baltschev beginnt mit Jane Austen und ihrem “Stolz und Vorurteil” das dort spielt. Da gibt es, glaube ich, auch ein Denkmalund eine berühmte Brücke, an die ich mich nicht erinnern kann.

Ein Dr. Richard Russel hat 1750 eine Dissertation darüber geschrieben, daß das Wasser eine große Heilkraft hat. Dann ist er an das Meer gekommen und das Seebad begründet. Damals nur dem Königshaus und dem Hochadel vorbehalten, die von ihren Badefrauen und Bademännern betreut wurden. Dann wurde der Strand für alle eröffnet. Die Gewerkschaft und auch die Pyschiatrischen Kliniken füge ich an, führen ihre Klienten dorthin, so daß sich die Schichten wieder trennten. Man in den Buden Fisch und Chips und Eiscreme essen konnte, Muscheln suchen und eine schöne Zeit verbringen, die dann viel kürzer ist, als wenn man sein Sommerpalais dort hat.

Dann gehts nach Ostende, dem berühmten Ort, wo man früher mit der Fähre nach Englad fahren konnte. Irmgard Keun war dort, als sie Deutschland verlassen mußte. Stefan Zweig hat dort schon früher vom Ausbruch des ersten Weltkrieges erfahren und James Ensor hat die Badenden von Ostende gemalt, weil er in dieser Stadt sein Leben verbracht hat. Max Beckmann hat nackte Männer am Strand gemalt und ist dadurch in Schwierigkeiten gekommen.

Dann gehts an den Utah Beach, wo am 6. 6. 1944 die Alliierten landeten und den sogenannten D-Day bildeten. Da war Jerome D. Salinger noch mit falschen Kriegsvorstellungen, wie Beate Balteschv meint beteiligt, der zurück gekehrt dann seinen “Fänger im Rogger” schrieb und Martha Gelhorn eine von Hemingways Frauen, Kriegsreporterin war, also wahrscheinlich nicht sehr viel Glückseligkeit, aber sicher interessanHiddensee war die Grenze der DDR, daher konnte man an diesem Strand, wo, glaube ich auch Gerhard Hauptmann lebte, in DDR- Zeiten nicht zelten und auch nicht am Strand schlafen, es wurde patrouilliert. Hiddensee ist aber auch der Schauplatz von Lutz Seilers Kruso und in den DDR- Zeiten haben sich Berühmtheiten, wie Christa Wolf, Franz Fühmann, etcetera dort getroffenDann gehts zum Mittelmeer nach Ischia, dort hat Elena Ferrante ihre Protagonisten Urlauben lassen. In den Fünfzigerjahren war der Strand hip auch der Treffpunkt der homosexuellen Intellektuellen. Hans Werner Henze hat 1953 Ingeborg Bachmann dorthin genommen, die dann bald nach Rom überdieselte und nicht mehr nach Österreich zurckgekommen ist.

Dann gehts nach Benidorm, das ist in Spanien, dort wo an den Stränden die Wohntürme stehen, die zum Spekululationsobjekt geworden sind und sich die Touristen um den besten Platz am Strand streiten. Rafael Chirbes, auf den ich durch mein Frankfurtsurfing stieß, hat das in “Krematorium” beschrieben und darüber kann man herrlich philosophieren, wie das mit den dem Shopenhauerschen Steachelschweinparadox ist? Denn alle wollen ja das Glück Strand und Sonne zu erleben. Kommen aber alle und nicht nur die Reichen, sind die Strände schnell verschmutzt und unbrauchbar geworden. Die Pandemie hat da wohl noch ein Schaufelchen dazugelegt und auch die Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien, etcetera, wollen in das Paradies, nicht in die Festung Europas, wo diese ja mit dem Stier hingetragen wurde. So ist Lesbos inzwischen nicht nur durch die Sapho sondern auch durch das Flüchtlingslager Moira bekannt, was die letzte Station von Bettina Baltschevs Traumreisen ist. Ein interessantes Buch, besser als erwartet, wo ich dachte, was soll ich da am Balkon mit einem Buch vom Strand? Noch dazu da ich Nichtschwimmerin bin. Wiedermal getäuscht und viel gelernt, denn der Utah Beach war mir bisher unbekannt.

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